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[976] Verleumdung. – Kommt man einer eigentlich infamen Verdächtigung auf die Spur, so suche man ihren Ursprung nie bei seinen ehrlichen und einfachen Feinden; denn diese würden, wenn sie so etwas über uns erfänden, als Feinde keinen Glauben finden. Aber jene denen wir eine Zeitlang am meisten genützt haben, welche aber, aus irgendeinem Grunde im geheimen sicher darüber sein dürfen, nichts mehr von uns zu erlangen, – solche sind imstande, die Infamie ins Rollen zu bringen: sie finden Glauben, einmal weil man annimmt, daß sie nichts[976] erfinden würden, was ihnen selber Schaden bringen könnte; sodann weil sie uns näher kennengelernt haben. – Zum Troste mag sich der so schlimm Verleumdete sagen: Verleumdungen sind Krankheiten anderer, die an deinem Leibe ausbrechen; sie beweisen, daß die Gesellschaft ein (moralischer) Körper ist, so daß du an dir die Kur vornehmen kannst, die den anderen nützen soll.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 976-977.
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Ausgewählte Ausgaben von
Menschliches, Allzumenschliches
TITLE: Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.4, Bd.4, Nachbericht zur vierten Abteilung: Richard Wagner in Bayreuth; Menschliches, Allzumenschliches I-II; Nachgelassene Fragmente 1875-1879
Menschliches, Allzumenschliches, I und II. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
Menschliches, Allzumenschliches: Ein Buch für freie Geister. Mit einem Nachwort von Ralph-Rainer Wuthenow (insel taschenbuch)
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