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[1050] Andere Furcht, andere Sicherheit. – Das Christentum hatte dem Leben eine ganz neue und unbegrenzte Gefährlichkeit beigelegt, und damit ebenfalls ganz neue Sicherheiten, Genüsse, Erholungen und Abschätzungen aller Dinge geschaffen. Diese Gefährlichkeit leugnet unser Jahrhundert, und mit gutem Gewissen: und doch schleppt es die alten Gewohnheiten der christlichen Sicherheit, des christlichen Genießens, Sich-Erholens, Abschätzens noch mit sich fort! Und bis in seine edelsten Künste und Philosophien hinein! Wie matt und verbraucht, wie halb und linkisch, wie willkürlich-fanatisch und vor allem: wie unsicher muß das alles sich ausnehmen, jetzt, da jener furchtbare Gegensatz dazu, die allgegenwärtige Furcht des Christen für sein ewiges Heil, verlorengegangen ist!

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Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1050.
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