303

[1190] Kurzweil des Menschenkenners. – Er glaubt mich zu kennen und fühlt sich fein und wichtig, wenn er so und so mit mir verkehrt: ich hüte mich, ihn zu enttäuschen. Denn ich würde es zu entgelten haben, während er mir jetzt wohlwill, da ich ihm ein Gefühl der wissenden Überlegenheit verschaffe. – Da ist ein andrer: der fürchtet sich, daß ich mir einbilde, ihn zu kennen, und sieht sich dabei erniedrigt. So beträgt er sich schauerlich und unbestimmt und sucht mich über sich in die Irre zu führen, – um sich über mich wieder zu erheben.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1190.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Morgenröte
Sämtliche Werke: kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden - Teil 3. Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft
Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile.
TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
Morgenröte: Gedanken über die moralischen Vorurteile (insel taschenbuch)