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[1210] Seine »Einzelheit« kennen. – Wir vergessen zu leicht; daß wir im Auge fremder Menschen, die uns zum ersten Male sehen, etwas ganz anderes[1210] sind als das, wofür wir uns selber halten: meistens nichts mehr als eine in die Augen springende Einzelheit, welche den Eindruck bestimmt. So kann der sanftmütigste und billigste Mensch, wenn er nur einen großen Schnurrbart hat, gleichsam im Schatten desselben sitzen, und ruhig sitzen – die gewöhnlichen Augen sehen in ihm den Zubehör zu einem großen Schnurrbart, will sagen: einen militärischen, leicht aufbrausenden, unter Umständen gewaltsamen Charakter – und benehmen sich darnach vor ihm.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1210-1211.
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