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[1245] Unter den Südwinden. – A: Ich verstehe mich nicht mehr! Gestern noch war es in mir so stürmisch und dabei so warm, so sonnig – und hell bis zum äußersten. Und heute! Alles ist nun ruhig, weit, schwermütig, dunkel, wie die Lagune von Venedig: – ich will nichts und atme tief auf dabei, und doch bin ich bei mir insgeheim unwillig über dies Nichts-Wollen. So plätschern die Wellen hin und her, im See meiner Melancholie. – B: Du beschreibst da eine kleine, angenehme Krankheit. Der nächste Nordostwind wird sie von dir nehmen! – A: Warum doch!

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1245.
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