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[1107] Das Bemitleidetwerden. – Unter Wilden denkt man mit moralischem Schauder ans Bemitleidetwerden: da ist man aller Tugend bar. Mitleidgewähren heißt so viel wie Verachten: ein verächtliches Wesen will[1107] man nicht leiden sehen, es gewährt dies keinen Genuß. Dagegen einen Feind leiden zu sehen, den man als ebenbürtig-stolz anerkennt und der unter Martern seinen Stolz nicht preisgibt, und überhaupt jedes Wesen, welches sich nicht zum Mitleid-Anrufen, das heißt zur schmählichsten und tiefsten Demütigung verstehen will, – das ist ein Genuß der Genüsse, dabei erhebt sich die Seele des Wilden zur Bewunderung: er tötet zuletzt einen solchen Tapferen, wenn er es in der Hand hat, und gibt ihm, dem Ungebrochenen, seine letzte Ehre: hätte er gejammert, den Ausdruck des kalten Hohnes aus dem Gesichte verloren, hätte er sich verächtlich gezeigt – nun, so hätte er leben bleiben dürfen, wie ein Hund – er hätte den Stolz des Zuschauenden nicht mehr gereizt, und an Stelle der Bewunderung wäre Mitleiden getreten.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1107-1108.
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Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile.
TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
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