Sechzehntes Kapitel.

[29] 1. Wenn sie gebären will, besprengt er sie mit Wasser133, indem er den Vers spricht: »Es rühre sich der zehnmonatliche«, welcher vor dem Verse: »Du deren« steht.134

2. Dann den Vers beim Abgehen der Nachgeburt: »Es gehe ab die bunte, schleimige Nachgeburt, dem Hunde zum[29] Essen, nicht mit Fleisch, o Wohlgenährte! nicht an irgend etwas hängend falle ab die Nachgeburt.«135

3. Wenn ein Knabe geboren ist, vollzieht er an ihm, ehe die Nabelschnur durchschnitten ist, die Handlungen des Verstanderzeugens und die Lebensgebung.

4. Mit dein Ringfinger, auf welchem ein goldener Ring steckt, gibt er ihm Honig und Butter zu essen, oder bloss Butter, indem er spricht: »Erde lege ich in dich, Luft lege ich in dich, Himmel lege ich in dich. Erde, Luft, Himmel, Alles lege ich in dich.«136

5. Dann vollzieht er die Lebensgebung.

6. An dem Nabel oder an dem rechten Ohre spricht er leise: »Agni ist lebensvoll; er ist durch die Bäume lebensvoll; durch dieses Leben mache ich dich lebensvoll. – Soma ist lebensvoll; er ist durch die Kräuter137 lebensvoll; durch dieses Leben u.s.w. – Das Brahma ist lebensvoll; es ist durch die Brâhmaṇas lebensvoll; durch d.L. u.s.w. – Die Götter sind lebensvoll; sie sind durch das Unsterbliche lebensvoll; durch d.L. u.s.w. – Die ṛishis sind lebensvoll; sie sind durch die Gelübde lebensvoll; durch d.L. u.s.w. – Die Väter sind lebensvoll; sie sind durch die[30] Opfertränke (svadhâ) lebensvoll; durch d.L. u.s.w. – das Opfer ist lebensvoll; es ist durch die Opferlöhne (dakshiṇâ) lebensvoll; durch d.L. u.s.w. – Das Meer ist lebensvoll; es ist durch die Flüsse lebensvoll; durch d.L. u.s.w.« –

7. Und dreimal den Vers: »Dreifaches Leben.«138

8. Wenn er wünscht, dass der Knabe hohes Alter erreichen möge, streichele er ihn mit dem Vâtsapra-Liede.139

9. Von dem Anuvâka: »Aus dem Himmel« lässt er den letzten Vers weg.140

10. Nachdem er nach den einzelnen Himmelsgegenden fünf Brâhmaṇâs gestellt, spreche er: »Athmet ihn an.«141

11. Der östliche spreche: »Athme aus!«

12. »Athme durch!« der südliche.

13. »Athme ab!« der westliche.

14. »Athme auf!« der nördliche.

15. »Athme zusammen!« spreche der fünfte, indem er nach oben blickt.

16. Oder der Vater thue dies selbst, indem er in der Reihe herumgeht, wenn keine Brâhmanâs da sind.

17. Er spricht das Land an, in welchem der Knabe geboren ist: »Die Erde142 kennt dein Herz, welches am Himmel[31] am Monde haftet. Ich kenne es, möge es mich kennen, mögen wir sehen hundert Jahre, mögen wir leben hundert Jahre, mögen wir hören hundert Jahre!«

18. Dann streichelt er ihn und spricht: »Werde ein Stein, werde eine Axt, werde ungeschmolzenes Gold. Du bist mein Selbst, Sohn genannt; du lebe hundert Jahre!«143

19. Dann spricht er die Mutter des Knaben an: »Du bist Iḍâ, die Tochter von Mitra und Varuṇa; o Heldin, einen Helden hast du geboren. Du sei heldenbegabt, die uns heldenbegabt gemacht.«144

20. Dann wäscht er ihre rechte Brust und gibt sie (dem Knaben) mit dem Verse: »Diese Brust.«145

21. Mit dem Verse: »Deine Brust«146 die linke. Mit diesen beiden Versen.

22. Ein Wassergefäss setzt er nieder bei ihrem Haupte147 und spricht: »Ihr, o Wasser, wachet für die Götter; wie ihr für die Götter wachet, so wachet für diese Wöchnerin mit ihrem Söhnlein.«148

23. Nachdem er in der Gegend der Thür das Wöchnerinfeuer angelegt, opfert er bis zum Aufstehen (der Frau) in[32] den beiden Dämmerungen Senfkörner mit Reiskörnern gemischt im Feuer, indem er spricht: »Çaṇḍa und Marka, Upavîra, Çauṇḍikeya, Ulûkhala, Malimluca, Droṇâsa, Cyavana schwinde von hier! Svâhâ! – Âlikhan, Animisha, Kiṃvadanta, Upaçruti, Haryaksha, Kumbhin, Çatru, Pâtrapâṇi, Nṛĭmaṇi, Hantrîmukha, Sarshapâruṇa, Cyavana schwinde von hier! Svâhâ!«149

24. Wenn Kumâra150 (den Knaben) anfällt, bedeckt der Vater ihn mit einem Netze oder mit dem Oberkleide, nimmt ihn auf den Schoss und spricht leise: »Der bellende151; der schön bellende, der bellende, der Kinderbändiger! Cet, cet,[33] Hündchen! Lass! Verehrung sei dir, der Sîsara152, Kläffer153, Krümmer! Das ist wahr, dass dir die Götter einen Segen gaben; hast du etwa dies Kind gewählt? Cet, cet, Hündchen! Lass! Verehrung sei dir, der Sîsara, Kläffer, Krümmer! Das ist wahr, dass Saramâ deine Mutter, Sîsara dein Vater, der schwarze und der bunte154 deine Brüder. Cet, cet, Hündchen! Lass! Verehrung sei dir, der Sîsara, Kläffer, Krümmer!«

25. Dann streichelt er ihn und spricht: »(Das Kind) beugt sich nicht155, es weint nicht, es schauert nicht, es schwindet nicht, zu welchem wir sprechen und welches wir streicheln.«

133

ÇBr. 14, 9, 4, 22 (Br. Âr. 6, 4, 23).

134

VS. 8, 28. 29.

135

So glaube ich den Vers übersetzen zu müssen, der, wie viele andere Verse, bei Pâraskara in verdorbener Fassung erscheint. In seiner ursprünglichen Gestalt steht er AS. 1, 11, 4. Dort wird der Wunsch ausgesprochen, die Nachgeburt möge abgehen weder an Fleisch (mâṃse), noch an Fett (pîvasi), noch an Mark (majjasu) haftend (âhatam). – Jr. erklärt çevalam durch picchalaṃ jalopacitaṃ vâ, schleimig oder wässerig.

136

Dies ist die Handlung des Verstanderzeugens. Nach Br. Âr. 6, 4, 25 flüstert der Vater, ehe er dem Knaben zu essen gibt, dreimal das Wort »Rede« (vâc) in das rechte Ohr. Ein besonderer Name wird der Handlung dort nicht gegeben. Im ÇBr. 14, 9, 4, 25 heisst sie Lebensgebung und das Verstanderzeugen fehlt.

137

saushadhîbhiḥ ist vedische Licenz statt sa oshadhîbhiḥ. Jr. S. VPrâtiç. 3, 14. TPr. 5, 17. – Vgl. TS. 2, 3, 10, 3 wo aber sa oshadhîbhiḥ steht.

138

VS. 3, 62.

139

VS. 12, 18–29.

140

Von den zwölf Versen des Anuvâka VS. 12, 18–29 lässt er den letzten Vers weg. Die Anfangsworte: divas pari sind besonders genannt, um anzuzeigen, dass nicht der Anuvâka VS. 3, 11 u.f. gemeint sei. Rk.

141

Vgl. ÇBr. 11, 8, 3, 6.

142

bhûmi ist nach den Commentaren Nom. Sing. wie RS. 9, 61, 10. (Vgl. Benfey Gr. p. 294, 8.)

143

ÇBr. 14, 9, 4, 26. In der Kaush. Up. 2, 11 steht hiraṇyam astṛĭtam (wie Âçv. Gṛĭ 1, 15, 3), was der Commentar durch âstṛĭtam »weit verbreitetes Gold« erklärt.

144

ÇBr. 14, 9, 4, 27. Bṛ. Âr. 6, 4, 28.

145

VS. 17, 87.

146

VS. 38, 5. ÇBr. 14, 9, 4, 28. Bṛ. Âr. 6, 4, 27.

147

Das Gefäss bleibt dort stehen, bis die Frau wieder aufsteht. Jr.

148

Alle Handschriften haben jâgratha statt jâgṛĭtha. Das letzte Mal soll das Praes. statt des Imperat. stehen.

149

Man verbinde Çaṇḍâ-Markâ als duales Dvandva (° kau). Jr. nimmt die beiden Namen als Plurale, die er durch den Singularis erklärt. – Die Namen dieser bösen Geister, welche den Kindern Krankheit bringen, sind zum Theil dunkel, Çaṇḍa und Marka (der Droher und der Schädiger) werden an verschiedenen Stellen als Priester der Asuras erwähnt. Çauṇḍikeya, von Çuṇḍikâ, Anschwellung der Mandeln. Ulûkhala, Mörser, nach Jr. s.v.a. âçritaghâtaka, der diejenigen vernichtet, welche Schutz bei ihm suchen. Malimluca, der sich versteckende, d.i. nach Jr. apratikârya, dem man nichts anhaben kann, oder atimalinâçaya, der sich im Dunkel aufhält. Droṇâsa nach Jr.: Langnase (vgl. druṇasa), nach dem Pet. Wb. Trogmaul, Kufenmaul. Cyavana, der Beweger. Âlikhan, der Kratzende, Aufreissende. Animisha, der die Augen nicht schliesst. Kiṃvadantaḥ erklärt Jr. ab plurales Beiwort, welches sich auf die sämmtlichen genannten Geister beziehen soll (die schwatzhaften). Upaçruti, der Horcher. Haryaksha, Gelbauge. Kumbhin, nach Jr. der Geist, welcher kumbhayati d.h. stambhayati starr macht, lähmt. Çatru, der Feind. Pâtrapâṇi, Schüsselhand. Nṛĭmaṇi? Jr.: nṛĭn minoti hinasti, Mannschädiger. Hantrîmukha, Mordmaul, Jr: hantrî hiṃsâ hananaṃ mukhe yasya. Sarshapâruṇa, Senfgrau. – Suçruta 6, 27 zählt neun Geister (graha), welche Kinderkrankheiten verursachen; die Namen sind aber von den obigen verschieden.

150

Kumâra ist der Kriegsgott, der auch bei Suçruta 6, 27 mit seinem anderen Namen Skanda als der erste der neun Krankheitsgeister genannt wird.

151

Vgl. kurkura bei AK. und Hem. – Jr.: bhashaṇâkhyo bâlagrahaḥ,

152

Jr.: angasâraka, also: der die Glieder in Bewegung setzt.

153

Jr.: lâpanarocaka.

154

Die Hunde des Gottes Yama. AS. 8, 1, 9.

155

Oder: »Das krankt nicht«, nach der Lesart des Prayoga. S. krit. Anm.

Quelle:
Indische Hausregeln. In: Abhandlungen der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 6. Leipzig 1878, S. 29-34.
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