Siebzehnter Abschnitt.
Verschiedene Gedanken über die Religion.
1.

[356] Der Pyrrhonismus hat der Religion genützt; denn am Ende von allem wußten die Menschen vor Jesu weder woran sie waren, noch ob sie sich für groß oder klein halten sollten. Und diejenigen, die das eine oder das andre behaupteten wußten nichts davon und riethen darum ohne Grund und auf's Ungefähr und glaubten sogar immer daran, indem sie das eine oder das andere verwarfen.


2.

Wer will die Christen tadeln, daß sie nicht Rechenschaft von ihrem Glauben geben können, sie, die eben eine Religion bekennen, von der Rechenschaft zu geben nicht möglich ist? Sie erklären im Gegentheil, indem sie sie den Heiden vorlegen, daß jenes Verlangen der Rechenschaft eine Thorheit[356] sei, eine Thorheit u.s.w., und dann beklagt ihr euch, daß sie die Religion nicht beweisen? Wenn sie sie beweisen, so würden sie nicht Wort halten. Indem es ihnen an Beweisen fehlt, fehlt es ihnen eben nicht an Sinn. So sehr dies aber nun diejenigen, welche sie so darbieten, entschuldiget und sie des Vorwurfs überhebt, daß sie sie ohne Grund vorbringen, so entschuldigt es doch nicht diejenigen, welche in Folge der Auslegung, die sie sich von ihr machten, sich weigern an sie zu glauben.


3.

Glaubst du, es sei unmöglich, daß Gott unendlich sei ohne Theile? – Ja. – Ich will dir ein unendliches und untheilbares Ding zeigen, das ist ein Punkt, der sich überall mit einer unendlichen Geschwindigkeit bewegt.

Diese Erscheinung in der Natur, die dir zuvor unmöglich schien, lehre dich erkennen, daß es noch andre geben kann, von denen du noch nichts weißt. Ziehe aus dem ersten Versuch nicht gleich diese Folge, daß dir nichts zu wissen übrig bleibt, sondern daß dir noch unendlich viel übrig bleibt zu wissen.


4.

Es ist die Weise Gottes, der alles mit Milde ordnet, die Religion in den Geist durch die Gründe und in das Herz durch seine Gnade ein zu pflanzen. Sie in Herz und Geist einpflanzen mit Gewalt und Drohungen, das heißt nicht die Religion einpflanzen, sondern den Schrecken. Fange damit an die Ungläubigen zu beklagen, sie sind unglücklich[357] genug. Schelten dürfte man sie nur, im Fall es dienlich wäre; aber das schadet ihnen.

Der ganze Glaube besteht in Jesu Christo und in Adam, und die ganze Moral in der Begierde und in der Gnade.


5.

Das Herz hat seine Gründe, welche die Vernunft nicht kennt; man fühlt es auf tausenderlei Weise. Es liebt von Natur das höchste Wesen und sich selbst, je nachdem es sich jenen Gründen hingiebt, und es verhärtet sich gegen das eine und das andre, nach seiner Wahl. Du hast eine verworfen und das andre behalten, ist das aus Gründen?


6.

Die Welt ist da, daß Barmherzigkeit und Gericht ausgeübt werde. Nicht als wenn die Menschen darin wären, wie sie aus Gottes Händen hervorgingen, sondern sie sind wie die Feinde Gottes, denen er aus Gnade genug Licht giebt, daß sie zurückkehren mögen, wenn sie ihn suchen und ihm folgen wollen, aber auch daß er sie strafe, wenn sie sich weigern ihn zu suchen und ihm zu folgen.


7.

Es ist vergeblich zu sagen: es müsse zugestanden werden, daß die christliche Religion etwas Erstaunliches an sich hat! »das meinst du darum, wird man entgegnen, weil du darin geboren bist.« Weit gefehlt. Ich sträube mich dagegen um eben dieses Grundes willen aus Furcht, daß dieses Vorurtheil mich verführe. Aber obgleich ich darin geboren bin, muß ich es doch so finden.
[358]

8.

Es giebt zwei Arten die Wahrheiten unsrer Religion zu beweisen, erstens durch die Kraft der Vernunft und dann durch die Autorität dessen, der spricht. Man bedient sich gewöhnlich nicht der letzten, sondern der ersten. Man sagt nicht: »das muß geglaubt werden, denn die Schrift, die es sagt, ist göttlich,« sondern man sagt: es müsse geglaubt werden aus diesem und jenem Grunde. Das sind aber schwache Beweise, da die Vernunft sich in alles schmiegen kann.

Diejenigen, welche gegen die Ehre der Religion am meisten feindselig scheinen, sind dabei nicht unnütz für die andern. Wir nehmen sie zum ersten Beweise, daß etwas Uebernatürliches vorhanden ist, denn eine Blindheit der Art ist nichts Natürliches. Und wenn ihre Thorheit sie so feindlich gegen ihr eignes Wohl macht, so dient sie dazu die andern vor derselben zu behüten durch den Schrecken eines so kläglichen Beispiels und einer so mitleidswürdigen Thorheit.


9.

Ohne Jesum Christum würde die Welt nicht bestehen, denn sie müßte entweder zerstört werden sein oder einer Hölle gleichen.

Der Einzige, der die Natur erkennt, sollte er sie nur erkennen um Elend zu sein? der Einzige, der sie erkennt, sollte er der einzige Unglückliche sein?

Es ist nicht nöthig, daß der Mensch gar nichts sehe; er braucht auch nicht viel zu sehen um zu glauben, daß er die Wahrheit besitzt. Aber er muß genug sehen um zu erkennen,[359] daß er sie verloren hat, denn um zu erkennen, was man verloren hat, muß man sehen und nicht sehen und das ist gerade der Zustand, in welchem die Natur des Menschen ist. Die wahre Religion mußte die Größe und das Elend lehren und mußte bewegen zur Selbstachtung und Selbstverachtung, zur Liebe und zum Haß.

Ich sehe die christliche Religion auf einer vorhergehenden gegründet und das eben finde ich wirklich.

Ich spreche hier nicht von den Wundern Mosis, Jesu oder der Apostel, weil sie nicht sogleich überzeugend erscheinen und ich will hier nur alle diejenigen Grundlagen der christlichen Religion klar machen, die unzweifelhaft sind und von niemand in Zweifel gezogen werden können.


10.

Die Religion ist etwas so Großes, daß diejenigen, die sich nicht die Mühe nehmen mögen sie zu untersuchen, ob sie auch dunkel ist, mit Recht davon ausgeschlossen bleiben. Worüber denn beklagt man sich, wenn sie doch nur so ist, daß man sie durch suchen finden kann?

Der Stolz hält allem Elend das Gleichgewicht und überwiegt es. Das ist ein seltsam Ungeheuer, eine recht augenfällige Verirrung des Menschen! Siehe er fällt von seiner Stelle herab und er sucht sie wieder mit Unruhe.

Nachdem das Verderben eingetreten ist, müssen von Rechts wegen alle, die in diesem Zustande sind, ihn kennen, sowohl die, welche sich darin gefallen, als auch die, welche sich nicht darin gefallen. Aber darum müssen nicht alle von Rechtes wegen die Erlösung sehn.

Wenn du sagst: Jesus Christus ist nicht für alle gestorben, so mißbrauchst du einen Fehler der Menschen, die sofort diese Ausnahme auf sich anwenden. Das befördert die[360] Verzweiflung statt die Menschen von ihr ab zu halten und die Hoffnung zu befördern.


11.

Die Gottlosen, die sich blind ihren Leidenschaften ergeben ohne Gott zu kennen und ohne sich die Mühe zu geben, daß sie ihn suchen, bestättigen durch sich selbst jene Grundlage des Glaubens, den sie bekämpfen, nämlich die, daß die Natur der Menschen im Verderben ist. Und die Juden, die so hartnäckig die christliche Religion bekämpfen, bestättigen wiederum jene andre Grundlage desselben Glaubens, den sie angreifen, nämlich die, daß Jesus ist der wahre Messias und ist gekommen die Menschen zu erlösen und sie aus dem Verderben und Elend, worin sie waren, wieder heraus zu ziehen. Das bestättigen sie sowohl durch den Zustand, in welchem man sie heutiges Tages sieht und welcher sich in den Weissagungen vorausgesagt findet, als auch durch eben diese Weissagungen, die sie mit sich führen und unverletzlich bewahren als die Zeichen, an denen man den Messias erkennen soll. Die Beweise also für das Verderben der Menschen und für die Erlösung durch Jesum Christum (welches die beiden Hauptwahrheiten sind, die das Christenthum feststellt) liefern die Gottlosen, die in der Gleichgiltigkeit gegen die Religion leben, und die Juden, welche die unversöhnlichen Feinde derselben sind.


12.

Die Würde des Menschen in seiner Unschuld bestand darin, daß er über die Geschöpfe herrschte und sie gebrauchte; aber jetzt besteht sie darin, daß er sich von ihnen scheidet und sich ihnen unterwirft.


13.

Viele irren um so gefährlicher, da sie ihrem Irrthum eine Wahrheit zu Grunde legen. Ihr Fehler ist nicht, daß sie[361] einen Irrthum verfolgen, sondern daß sie eine Wahrheit verfolgen, mit Ausschließung einer andern.

Es giebt eine Menge Wahrheiten des Glaubens und der Moral, die widerstreitend und entgegengesetzt scheinen und die alle in einer bewundernswürdigen Ordnung zusammen bestehn.

Die Quelle aller Ketzereien ist die Ausschließung einiger von diesen Wahrheiten und die Quelle aller Einwürfe, die uns die Ketzer machen, ist die Unkenntniß einiger von unsern Wahrheiten.

Und gewöhnlich da sie den Zusammenhang von zwei entgegengesetzten Wahrheiten nicht fassen können und nun meinen, daß das Bekenntniß der einen die Ausschließung der andern mit sich bringt, so hängen sie sich an eine, und schließen die andere aus.

Die Nestorianer behaupteten: es gäbe zwei Personen in Christo, weil es zwei Naturen giebt und die Eutychianer meinten im Gegentheil: er habe nur eine Natur, weil er nur eine Person ist. Die Katholiken sind rechtgläubig, weil sie beide Wahrheiten zusammen vereinigen, beide Naturen und eine Person.

Wir glauben, daß Christus, da die Substanz des Brodes in die Substanz seines Leibes verwandelt wird, auch wahrhaftig selbst im heiligen Sacramente gegenwärtig ist. Das ist die eine von den Wahrheiten. Eine zweite ist die, daß dieses Sacrament auch ein Symbol des Kreuzes und der Herrlichkeit Christi ist und eine Erinnerung an beides. Das ist der katholische Glaube, der diese beiden Wahrheiten, die entgegengesetzt scheinen, zusammenfaßt.

Die jetzige Ketzerei begreift nicht, daß dies Sacrament alles zusammen enthält, die Gegenwart Christi und sein[362] Bild, daß es Opfer ist und Erinnerung an das Opfer, und meint: man könne die eine dieser Wahrheiten nicht zugeben ohne die andre aus zu schließen.

Aus diesem Grunde halten sie sich an den Punkt, daß das Sacrament Symbol ist und darin sind sie keine Ketzer. Sie meinen, wir schließen diese Wahrheit aus und so kommt es, daß sie uns so viele Einwürfe machen wegen der Stellen der Väter, die das sagen. Endlich leugnen sie die wahrhafte Gegenwart und darin sind sie Ketzer.

Deshalb ist der kürzeste Weg die Ketzereien zu verhindern, daß man alle Wahrheiten lehre und der sicherste weg sie zu widerlegen, daß man alle klar mache.

Die Gnade wird immer in der Welt sein und so auch die Natur. Immer wird es Pelagianer geben und immer Katholiken, denn die erste Geburt macht jene, die zweite Geburt diese.

Die Kirche macht sich neben Jesu Christo, der von ihr unzertrennlich ist, verdient um die Bekehrung aller derer, die nicht in der wahren Religion sind, und darnach sind es wieder diese Bekehrten, welche der Mutter beistehn, die sie befreit hat.

Der Leib hat nicht mehr Leben ohne das Haupt als das Haupt ohne das Leib. Wer sich von einem von beiden lostrennt, ist nicht mehr am Leibe und gehört nicht mehr[363] zu Jesu Christo. Alle Tugenden, das Märtyrerthum, die Kasteiungen und alle guten Werke sind unnütz außer der Kirche und außer der Gemeinschaft mit dem Haupt der Kirche, welches ist der Pabst.

Das wird eine von den Beschämungen der Verdammten sein zu sehen, daß sie verdammt werden durch ihre eigne Vernunft, mit welcher sie die christliche Religion zu verdammen meinten.


14.

Das hat das Leben der gewöhnlicher Menschen mit dem Leben der Heiligen gemein, daß sie alle nach Glückseligkeit verlangen, und sie unterscheiden sich nur in dem Gegenstand, worin sie sie setzen. Beide nennen diejenigen ihre Feinde, die sie hindern dahin zu gelangen.

Was gut oder böse ist, muß man beurtheilen nach dem Willen Gottes, der nicht blind sein kann, nicht aber nach unserm eignen Willen, der immer voll Bosheit und Irrthum ist.


15.

Jesus hat im Evangelie das Zeichen angegeben, die zu erkennen, die den Glauben haben, nämlich daß sie eine neue Sprache reden werden. Und wahrlich die Erneuerung der Gedanken und Wünsche bewirkt die Erneuerung der Sprache. Denn dieses Neusein, das Gott nicht mißfallen kann, wie der alte Mensch ihm nicht gefallen kann, ist verschieden von dem irdischen Neusein darin, daß alle Dinge der Welt, wie neu sie seien, altern, indem sie fortdauern, statt daß dieser neue Geist sich um so viel mehr erneut, je länger es dauert. »Ob unser äußerlicher Mensch verweset, sagt der heilige Paulus, so wird doch der innerliche von[364] Tage zu Tage erneuert.« (2 Kor. 4. 16.) Und er wird vollkommen neu nur in der Ewigkeit, wo man ohne Aufhören jenes neue Lied singen wird, von dem David in seinen Psalmen redet [Psalm 33. 3.], das ist das Lied, das von dem neuen Geist der Liebe ausgeht.


16.

Wenn der heilige Petrus und die Apostel (Apost. 15.) über die Aufhebung der Beschneidung berathschlagen, wobei es sich darum handelte wider das Gesetz Gottes zu thun, so fragen sie nicht nach den Propheten, sondern allein nach der Aufnahme des heiligen Geistes in den Unbeschnittenen. Sie urtheilen, es sei viel sichrer, daß Gott die annimmt, die er mit seinem Geiste füllt, als daß er die Beobachtung seines Gesetzes verlange. Sie wußten das Ende des Gesetzes war nur der heilige Geist und also, da man ihn ganz gut ohne Beschneidung hatte, war diese nicht nöthig.


17.

Zwei Gesetze reichen hin um den ganzen christlichen Staat zu ordnen, besser als alle politischen Gesetze, die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten.

Die Religion ist geeignet für alle Arten von Geistern. Der große Haufen bleibt bei dem Zustande und der Einrichtung stehen, worin sie eben ist, und diese Religion ist von der Art, daß ihre bloße Gründung allein hinreicht ihre Wahrheit zu beweisen. Andre gehn bis zu den Aposteln, die Gelehrtesten bis zum Anfang der Welt. Die Engel sehen sie noch besser und noch mehr von weitem, denn sie sehen sie in Gott selbst.

Welchen Gott die Religion durch das Gefühl des Herzens gegeben hat, die sind glücklich und wohl überzeugt. Aber was sie anbetrifft, die sie nicht haben, denen können wir sie nicht anders beibringen als durch venünftiges Reden[365] in der Erwartung, daß Gott selbst sie ihnen ins Herz präge, da ohnedies der Glauben nichts nütze ist zum Heil.

Gott wollte sich allein das Recht uns zu belehren vorbehalten und uns die Schwierigkeit unseres Wesens unbegreiflich machen, darum hat er uns den Knoten davon so hoch verborgen oder vielmehr so niedrig, daß wir unfähig wären ihn zu erreichen, also daß wir nicht durch Anstrengungen unserer Vernunft, sondern durch einfache Unterwerfung derselben uns wahrhaft zu erkennen vermögen.


18.

Die Gottlosen, die sich dafür ausgeben der Vernunft zu folgen, müssen wunderlich stark sein an Vernunft. Was sagen sie denn? Sehen wie nicht, sagen sie, die Thiere wie die Menschen sterben und leben, die Türken wie die Christen? Sie heben ihre Ceremonien, ihre Propheten, ihre Gelehrten, ihre Heiligen, ihre Mönche, wie wir u.s.w. Ist denn aber das gegen die Schrift, sagt sie das nicht alles? Wenn du dich nicht viel darum kümmerst die Wahrheit zu wissen, so hast du daran genug, um in Ruhe zu bleiben. Verlangst du aber von ganzem Herzen sie zu kennen, so ist das nicht genug, so gehen ins Einzelne. Das möchte vielleicht genug sein für eine eitle Frage der Philosophie, aber hier, wo es sich um alles handelt ... Und doch nach einer leichten Betrachtung dieser Art, wird man seinen Vergnügungen nach gehn u.s.w.

Es ist etwas Erschreckliches, ohne Aufhören zu sehen, wie alles, was man besitzt, dahinschwindet, und sich davon hängen zu können ohne Verlangen zu suchen, ob es nicht etwas Bleibendes giebt!

Man muß in der Welt verschieden leben, nach folgenden verschiedenen Voraussetzungen: wenn man immer in der Welt sein könnte, wenn man sicher ist nicht lange darin zu sein[366] und wenn es ungewiß ist, ab man eine Stunde darin sein wird. Diese letzte Voraussetzung ist die unsre.


19.

Weil es gilt, auf welcher Seite der Gewinn im Spiel ist, mußt du dir Mühe geben die Wahrheit zu suchen. Denn wenn du stirbst ohne das wahre Princip verehrt zu haben, so bist du verloren.

Aber, sagst du, wenn er gewollt hätte, daß ich anbete, so würde er mir Zeichen seines Willens gegeben haben. Das hat er auch gethan; du vernachlässigst sie nur. Suche sie wenigstens, das lohnt doch wohl.

Die Atheisten wollen vollkommen klare Dinge behaupten. Aber man muß den Verstand verloren haben, wenn man sagen will, es sei vollkommen klar, daß die Seele sterblich ist.

Ich habe nichts dagegen, daß man das System des Copernicus nicht ergründet; aber es ist doch für das ganze Leben wichtig zu wissen, ob die Seele sterblich ist oder unsterblich.


20.

Die Weissagungen, die Wunder selbst und die andern Beweise für unsre Religion sind nicht von der Art, daß man sagen kann: sie seien mathematisch beweisend. Aber es ist mir für jetzt genug, daß du mir zugiebst: es sei nicht eine Versündigung gegen die Vernunft sie zu glauben. Sie haben Klarheit und Dunkelheit um die einen auf zu klären, die andern zu verdunkeln. Indessen die Klarheit ist so groß, daß sie alles, was man als das Klarste dagegen aufstellen mag, übertrifft oder wenigstens dem gleich kommt. Auf diese Weise ist es also nicht die Vernunft, welche den Menschen bestimmen[367] könnte sie nicht an zu nehmen, sondern vielleicht nur die Begierde und Schlechtigkeit des Herzens.

So giebt es genug Klarheit um die, welche den Glauben verweigern, zu verdammen, und nicht genug um sie zu gewinnen, damit in die Augen falle, daß in denen, welche sie annehmen, die Gnade und nicht der Vernunft sie zur Annahme bringt und in denen, die sie fliehen, die Begierde und nicht die Vernunft sie zum Fliehen bewegt.

Wer muß nicht eine Religion bewundern und annehmen, die bis auf den Grund das kennt, was man desto mehr erkennt, je mehr Licht man hat?

Ein Mensch, der die Beweise für die christliche Religion entdeckt, ist wie ein Erbe, der die Besitztitel seines Hauses findet. Wird er sagen: sie sind falsch und wird er versäumen sie zu untersuchen?


21.

Zwei Arten von Menschen erkennen einen Gott an, die welche ein demüthiges Herz haben und die Geringschätzung und Erniedrigung lieben, auf welcher Stufe des Verstandes sie such stehen, niedrig oder hoch, und dann die, welche Geist genug besitzen um die Wahrheit zu sehen, wie sie ihr auch widerstreben.

Die Weisen unter den Heiden, die da sagten: es gäbe nur einen Gott, wurden verfolgt, die Juden gehaßt, die Christen noch mehr.


22.

Ich sehe nicht ein, daß es mehr Schwierigkeit hat die Auferstehung des Fleische und die (unbefleckte) Empfängniß der Jungfrau Maria zu glauben als die Schöpfung. Ist es schwieriger einen Menschen wieder zu erzeugen als ihn zu erzeugen? Und hätte man nicht gewußt, was Zeugung ist, würde man es wunderbarer finden, daß ein Kind von[368] einer Jungfrau allein kommt, als wenn es von einem Mann und einer Frau kommt?


23.

Es ist ein großer Unterschied zwischen Ruhe und Sicherheit des Gewissens. Nichts soll Ruhe geben als die aufrichtige Forschung nach der Wahrheit und nichts kann Sicherheit geben als die Wahrheit.

Es giebt zwei gleich feste Wahrheiten des Glaubens, die eine, daß der Mensch im Stande der Unschuld oder im Stande der Gnade über die Natur erhaben ist, Gott ähnlich gemacht und theilhaftig der göttlichen Natur, die andre, daß er im Stande des Verderbens und der Sünde von jenem (glücklichen) Stande herabgefallen und den Thieren ähnlich geworden ist.

Diese beiden Sätze sind gleich und gewiß. Die Schrift erklärt sie uns deutlich, wenn sie an einigen Stellen sagt. »Meine Lust ist bei den Menschenkindern.« (Sprüch. S. 31.) »Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch.« (Joel 3. 1.) »Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten.« Psalm 82. 6.) Und an andern Stellen sagt sie: »Alles Fleisch ist Heu und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde.« (Jes. 40. 6.) »Die Menschen können nicht bleiben in ihrer Würde, sondern müssen davon wie ein Vieh.« (Psalm 49. 13.) »Ich sprach in meinem Herzen von dem Wesen der Menschen, darin Gott anzeiget und lässet es ansehen, als wären sie unter sich selbst als das Vieh; denn es gehet dem Menschen wie das Vieh. Wie dies stirbt, so stirbt er auch und haben alle einerlei Odem,[369] und der Mensch hat nichts mehr denn das Vieh; denn es ist alles eitel« u.s.w. (Pred. 3. 18. ff.)


24.

Die Beispiele von dem edelmüthigen Tode der Lacedämonier und anderer rühren uns wenig, denn was nützt uns das alles? Dagegen das Beispiel vom Tode der Märtyrer rührt uns, denn sie sind Glieder von uns; ein gemeinschaftliches Band verknüpft uns mit ihnen, ihre That kann die unsre bilden. Nichts von dem ist bei den Beispielen der Heiden, wir haben keine Verbindung mit ihnen. So macht der Reichthum eines Fremden uns nicht reich, aber wohl der Reichthum eines Vaters oder eines Gatten.


25.

Man sagt sich nie ohne Schmerz los. Man fühlt nicht sein Band, wenn man dem, der zieht, freiwillig folgt, sagt der heilige Augustin. Fängt man aber an zu widerstreben und rückwärts zu gehen, so leidet man erst, das Band dehnt sich aus und verträgt alle Gewalt. Und dieses band ist unser Leib; es reißt nur im Tode. Unser Herr hat gesagt: »Von den Tagen Johannis des Täufers bis hierher (d.h. seit seiner Ankunft in jedem Gläubigen) leidet das Himmelreich Gewalt und die Gewalt thun, die reißen es zu sich.« (Matth. 11. 12.) Ehe man ergriffen ist (vom Glauben), hat man nur das Gewicht seiner Begierde, die zur erde zieht. Wenn nun aber Gott nach oben zieht, so üben diese beiden entgegengesetzten Kräfte jene Gewalt, die Gott allein kann helfen überwinden. Aber wir vermögen alles, sagt der heilige Leo, mit dem, ohne welchen wir nichts vermögen.

So muß man sich denn entschließen diesen Krieg zu ertragen sein Leben lang, denn es giebt hier keinen Frieden. Jesus Christus ist gekommen nicht den Frieden zu senden sondern das Schwert. (Matth. 10. 34.) Aber dennoch muß[370] man bekennen, gleichwie die Schrift sagt, daß dieser Welt Weisheit bei Gott Thorheit ist (1. Kor. 3. 19.), so kann man auch sagen. Daß dieser Krieg, der den Menschen hart dünkt, ein Frieden ist vor Gott. Denn das ist der Frieden, den Jesus Christus auch gebracht hat. Freilich wird er nicht eher vollkommen werden, als wenn der Körper vernichtet sein wird und das ists, warum wir den Tod wünschen und zugleich mit Freuden das Leben ertragen aus Liebe zu dem, der für uns Leben und Tod ertragen hat und der uns, wie der heilige Paulus sagt, überschwänglich geben kann über alles, das wir bitten oder verstehen. (Ephes. 3. 20.)


26.

Man muß streben sich über nichts zu betrüben und alles, was geschieht, als das Beste an zu erkennen. Ich glaube, das ist eine Pflicht und man sündigt, wenn man es nicht thut. Denn der Grund, warum Sünden Sünden sind, ist doch allein der, daß sie wider den Willen laufen. So besteht denn das Wesen der Sünde darin, daß man einen Willen hat, der dem, welchen wir in Gott erkennen, zuwiderläuft und also scheint es mir klar, daß es, wenn er uns seinen Willen durch die Ereignisse entdeckt, Sünde wäre sich nicht darin zu fügen.


27.

Wenn die Wahrheit verlassen und verfolgt wird, ist das, wie es scheint, eine Zeit, wo es Gott vorzüglich angenehm ist, wenn man durch ihre Vertheidigung ihm dienet. Er will, daß wir die Gnade beurtheilen nach der Natur und so erlaubt er uns dies zu bedenken, daß, wie ein Fürst von seinen Unterthanen aus dem Lande vertrieben, eine besondere Zuneigung für diejenigen hat, die ihm in der allgemeinen Empörung treu bleiben, eben so auch Gott mit besonderer Gütigkeit, scheint es, diejenigen ansieht, welche die Reinheit der Religion vertheidigen, wenn sie angegriffen wird. Aber[371] es ist der Unterschied zwischen den Königen der Erde und dem Könige der Könige, daß die Fürsten ihre Unterthanen nicht treu, machen, sondern sie so finden, wogegen Gott die Menschen nicht anders als untreu findet ohne seine Gnade und selbst sie treu macht, wenn sie es sind. Während also die Könige gewöhnlich sich denen, die in Pflicht und Gehorsam bleiben, zu Dank verbunden bekennen, so geschieht es im Gegentheil, daß diejenigen, welche im Dienst Gottes beharren, ihm selbst unendlich verpflichtet sind.


28.

Nicht die Kasteiungen des Leibes noch die Anstrengungen des Geistes, sondern die guten Regungen des Herzes sind es, was einen Werth hat und was die Leiden des Körpers und Geistes tragen hilft. Denn zur Heiligung gehören zwei Stücke, Leiden und Freuden. Der heilige Paulus sagt, daß wir durch viele Trübsal müssen in das Reich Gottes gehen. (Apost. Gesch. 14. 22.) Das muß die trösten, die Trübsal leiden, denn da sie hören, daß der Weg zum Himmel, den sie suchen, voll davon ist, so müssen sie sich freuen Zeichen zu finden, daß sie auf dem rechten Wege sind. Aber jene Leiden sind nicht ohne Freuden und werden nie anders überwunden als durch die Freude. Denn eben so wie diejenigen, welche Gott verlassen um zur Welt zurück zu kehren, es nur deshalb thun, weil sie in den irdischen Freuden mehr Süßigkeit finden als in der Vereinigung mit Gott und weil dieser mächtige Zauber sie fortzieht, sie ihre erste Wahl bereuen läßt und sie nach dem Ausdruck Tertullians zu Außfertigen des Teufels macht, eben so würde man nie die Freuden der Welt verlassen um das Kreuz Christi auf sich zu nehmen, wenn man nicht in Verachtung, Armuth, Selbstverleugnung und Zurückweisung mehr Süßigkeit finde als in den Freuden der Sünde. Und daher muß man, wie Tertullian sagt, nicht glauben, daß das Leben der Christen ein Leben der[372] Traurigkeit sei. Man verläßt die Freuden nur um anderer größerer willen. »Seid allezeit fröhlich, sagt der heilige Paulus, betet ohne Unterlaß, seid dankbar in allen Dingen.« (1 Thess. 5. 16-18.)

Die Freude Gott gefunden zu haben ist der Grund der Traurigkeit darüber, daß man ihn beleidigt hat, und aller Aenderung des Lebens. »Der Mensch, welcher einen Schatz im Acker gefunden, ging hin, wie Jesus sagt, mit Freuden über denselbigen und verkaufte alles, was er hatte und kaufte den Acker.« (Matth. 13. 14.) Die Weltmenschen haben ihre Traurigkeit, aber sie haben nicht jene Freude, welche die Welt nicht geben kann noch nehmen, sagt Christus selbst. (Joh. 14. 27 und 16. 22.) Die Seligen haben diese Freude ohne alle Traurigkeit und die Christen haben sie gemischt mit der Betrübniß, andern Freuden gefolgt zu sein und mit der Furcht sie durch die Lockung jener andern Freuden, die uns fortwährend versuchen, wieder zu verlieren.

So sollen wir denn ohne Aufhören arbeiten, sollen uns diese Furcht erhalten, die unsere Freude erhält und mäßigt, und sollen, je nachdem wir uns mehr nach der einen Seite zu gedrängt fühlen, uns gegen die andre neigen um stehn zu bleiben. »Wenn dirs wohl geht, so gedenke, daß es dir wieder übel gehen kann, und wenn dirs übel geht, so gedenke, daß dirs wieder wohl gehen kann,« sagt die Schrift (Sir. 11. 26.) und das sollen wir thun, bis erfüllt sei die Verheißung, die Christus uns gegeben hat seine Freude vollkommen in uns zu machen. Wir wollen uns also nicht niederschlagen lassen zur Traurigkeit und nicht glauben, daß die Frömmigkeit nur in einer Trübsal ohne Trost bestehe.[373] Die wahre Frömmigkeit, die sich vollkommen nur im Himmel findet, ist so reich an Freuden, daß sie damit die Seelen erfüllt bei ihrem Eintritt und beim Weitergehen und bei der Krönung. Sie ist ein so strahlendes Licht, daß sie wiederstrahlt auf allem, was ihr angehört. Ist einige Traurigkeit beigemischt und besonders am Anfang, so kommt die von uns, nicht von der Tugend, denn das ist nicht die Frömmigkeit, die anfängt in uns zu sein, sondern der Unfrömmigkeit, die noch in uns ist. Laßt uns die Unfrömmigkeit wegräumen, so wird die Freude ohne Mischung sein. Laßt uns denn nicht über die Frömmigkeit, sondern über uns selbst klagen und Linderung und Trost nur suchen in unserer Besserung.


29.

Die Vergangenheit darf uns nicht kümmern, weil wir nichts zu thun haben als unsre Fehler zu bereuen. Die Zukunft aber darf uns noch weniger quälen, weil sie für uns gar nicht ist und wir vielleicht noch gar nicht zu ihr gelangen. Die Gegenwart ist die einzige Zeit, die uns wahrhaft gehört und die wir nutzen sollen nach Gottes Willen. Auf sie hauptsächlich sollen unsere Gedanken gerichtet sein. Aber die Welt ist so unruhig, daß man fast immer nicht an das gegenwärtige Leben und an den Augenblick denkt, worin man lebt, sondern an den, worin man leben wird. So lebt man denn immer für die Zukunft und nie in der Gegenwart. Unser Herr wollte nicht, daß wir weiter hinaus sehen sollen als auf den Tag, wo wir sind. Diese Grenzen lehrt er uns beobachten zu unserm Heil und zu unserer eigenen Ruhe.


30.

Man bessert sich zuweilen mehr durch den Anblick des Bösen als durch das Beispiel des Guten und es ist gut sich[374] daran zu gewöhnen vom Bösen Vortheil zu ziehen, da es so gewöhnlich ist, das Gute hingegen ist so selten.


31.

Im dreizehnten Capitel des heiligen Markus spricht Jesus zu seinen Aposteln viel von seiner letzten Wiederkunft und da alles, was der Kirche begegnet, auch jedem einzelnen Christen ins Besondere begegnet, so ist gewiß, daß dieses ganze Capitel eben sowohl den Zustand jedes Menschen, der sich bekehrend den alten Menschen in sich tödtet, vorausverkündigt als auch den Zustand der ganzen Welt, die zerstört werden soll, um dem neuen Himmel und der neuen Erde Platz zu machen, wie die Schrift sagt. (2 Ptr. 3. 13.) Die darin enthaltene Weissagung auf den Untergang des verworfnen Tempels, welcher ein Bild ist von dem Untergange des verworfnen Menschen in jedem unter uns, und von welchem gesagt ist, daß kein Stein auf dem andern werde bleiben, diese Weissagung zeigt an, daß keine Leidenschaft des alten Menschen bleiben soll. Und jene furchtbaren Kriege der Bürger und Verwandten gegen einander stellen die innere Verwirrung und Unruhe, welche die fühlen, die sich Gott weihen, so deutlich dar, daß nichts besser geschildert sein kann u.s.w.


32.

Der heilige Geist ruht unsichtbar in den Ueberresten derer, die in der Gnade des Herrn gestorben sind, bis er darin sichtbar erscheine bei der Auferstehung und dieses macht die Reliquien der Heiligen der Verehrung so werth. Denn Gott verläßt die Seinen nie, selbst nicht im Grabe, wo ihre Leiber, obschon todt vor den Augen der Menschen, vor Gott mehr Leben haben, weil die Sünde nicht mehr in ihnen ist, statt daß sie in ihnen während dieses Lebens immer bleibt, wenigstens als Keim, denn die Früchte der Sünde zeigen[375] sich nicht immer. Und dieser unselige Keim, der vom Leibe unzertrennlich ist, so lange das Leben währt, macht, daß es nicht erlaubt ist sie dann schon zu ehren, weil sie vielmehr gehaßt zu werden verdienen. Dies ist der Grund, warum der Tod nöthig ist, um jenen unseligen Keim ganz zu ertödten, und das macht den Tod wünschenswerth.


33.

Die Erwählten werden nichts wissen von ihren Tugenden und die Verworfnen nichts von ihren Freveln. »Herr, werden die einen wie die andern sagen, wann haben wir dich hungrig gesehn?« u.s.w. (Matth. 25. 37 ff.)

Jesus Christus wollte kein Zeugniß von den Teufeln noch von denen, die nicht berufen waren, sondern von Gott und von Johannes dem Täufer.


34.

Die Fehler Montaignes sind groß. Er ist voll schmutziger und unanständiger Worte. Das taugt nichts. Seine Meinungen über den Selbstmord und über den Tod sind gräßlich. Er flößt eine Gleichgiltigkeit gegen das Heil ein, ohne Furcht und ohne Reue. Da er sein Buch nicht schrieb um zur Frömmigkeit zu bewegen, so war er dazu auch nicht verpflichtet; aber man ist immer verpflichtet nicht von der Frömmigkeit abwendig zu machen. Was sich auch sagen läßt, um seine zu freien Meinungen über viele Dinge zu entschuldigen, so kann man auf keine Weise seine ganz heidnischen Meinungen über den Tod entschuldigen. Denn man muß auf alle Frömmigkeit verzichten, wenn man nicht wenigstens christlich sterben will. Er aber denkt sein ganzes Buch durch nur feige und weichlich zu sterben.


35.

Wenn wir das, was ehedem in der Kirche geschehen ist, mit dem vergleichen, was sich jetzt darin zeigt, so täuscht[376] uns das, daß man gewöhnlich den heiligen Athanasius, die heilige Theresia und die andern Heiligen als mit der Ehren gekrönt sich vorstellt. Gegenwärtig da die Zeit die Dinge aufgeklärt hat, erscheint das wirklich so. Aber zur Zeit, da man jenen großen Heiligen verfolgte, war das ein Mann, der Athanasius hieß und die heilige Theresia zu ihrer Zeit war eine Nonne wie die andern. »Elias war ein Mensch gleichwie wir«, [denselben Leidenschaften unterworfen als wir], sagt der heilige Apostel Jakobus, (Jak. 5. 17.) um den Christen jene falsche Ansicht zu nehmen, wornach wir das Beispiel der Heiligen zurückweisen als für uns nicht geeignet. Das waren Heilige, sagen wir, das ist anders wie mit uns.


36.

Bei denen, die einen Widerstreben gegen die Religion haben, muß man damit anfangen, daß man ihnen zeigt: sie ist gar nicht gegen die Vernunft, darauf muß man ihnen darthun, daß sie ehrwürdig ist, und ihnen Achtung vor ihr einflößen, sodann sie ihnen liebenswerth machen und sie dahin bringen, daß sie wünschen, sie wäre wahr, darnach durch die unbestreitbaren Beweise zeigen, daß sie wahr ist, ihr Alter und ihre Heiligkeit durch ihre Größe und Erhabenheit nachweisen und endlich darthun, daß sie liebenswerth ist, weil sie das wahre Gut verheißt.

Ein Wort von David oder Moses wie dieses: »Der Herr dein Gott wird dein Herz beschneiden« (5 Mos. 30. 6.) läßt auf ihren Geist schließen. Wären alle andern Worte zweideutig und wäre es ungewiß, ob sie Philosophen sind[377] oder Christen, ein Wort dieser Art entscheidet über alles Uebrige. Bis dahin geht der Doppelsinn, aber nicht weiter.

Sich zu irren, indem man die christliche Religion für wahr hält, dabei ist nicht viel zu verlieren. Aber welch ein Unglück wäre es sich zu irren, indem man sie für falsch hält!


37.

Die Verhältnisse, welche die leichtesten sind zu leben nach dem Sinn der Welt, sind die schwierigsten zu leben nach Gott und umgekehrt, nichts ist so schwierig nach dem Sinn der Welt als das geistliche Leben, nichts als es zu führen nach Gottes Sinn. Nach dem Sinn der Welt ist nichts leichter als in einem großen Amt und im Besitz großer Güter zu sein und nichts ist schwieriger als darin zu leben nach Gottes Sinn, ohne daran Theil zu nehmen und Geschmack daran zu finden.


38.

Das alte Testament enthält die Vorbilder der künftigen Freude und das neue die Wege dahin zu gelangen. Die Vorbilder waren Freude, die Wege sind Buße. Und doch wurde schon das Passahlamm mit wilden Kräutern, mit bittern Salzen gegessen (2 Mos. 12. 8.), um alle Zeit an zu zeigen, daß man zur Freude nicht gelangen könnte als durch das bittre Leid.


39.

Das Wort »Galiläer« zufällig von dem Hausen der Juden ausgesprochen (Luc. 23. 5.) als sie Jesum vor Pilatus anklagten, gab diesem Veranlassung Jesum zu Herodes zu schicken, wodurch die Weissagung in Erfüllung ging, daß er von den Juden und Heiden sollte gerichtet werden. Der[378] scheinbar Zufall war die Ursache, daß das Geheimniß erfüllet ward.


40.

Ein Mann, der aus der Beichte kam, sagte mir eines Tages, daß er große Freude und Zuversicht hatte, ein andrer, daß er in Furcht war. Ich dachte dabei: von diesen beiden würde man einen Guten machen können und jedem fehlte nur das, daß er nicht das Gefühl des andern hatte.


41.

Es ist ein Vergnügen auf einem Schiff zu sein, das vom Sturm geschlagen wird, wenn man nämlich sicher ist, daß es nicht untergeht. Die Verfolgungen, welche die Kirche peinigen, sind von der Art.

Die Geschichte der Kirche muß eigentlich die Geschichte der Wahrheit genannt werden.


42.

Wie die beiden Quellen unsrer Sünden der Hochmuth und die Trägheit sind, so hat uns Gott auch in sich zwei Eigenschaften sie zu heilen geoffenbart, seine Barmherzigkeit und seine Gerechtigkeit. Das Werk der Gerechtigkeit ist den Hochmuth nieder zu schlagen und das Werk der Barmherzigkeit die Trägheit zu bekämpfen und sie zu guten Werken zu leiten, nach dem Ausspruch: »Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?« (Röm. 2. 4.) Und von den Niniviten heißt es: »Ein jeglicher bekehre sich von seinem bösen Wege und von dem Frevel seiner Hände; wer weiß, Gott möchte sich kehren und ihn reuen und sich wenden von seinem grimmigen Zorn, daß wir nicht verderben.« (Jon. 3. 8. 9.)

Also ist die Barmherzigkeit Gottes so weit davon entfernt die Trägheit zu bestärken, daß diese im Gegentheil von nichts so sehr bekämpft wird als von ihr und statt zu sagen: »Wenn in Gott keine Barmherzigkeit wäre, so müßte[379] man alle möglichen Anstrengungen machen um seine Gebote zu erfüllen,« muß man im Gegentheil sagen: »Weil in Gott Barmherzigkeit ist, muß man alles Mögliche thun um die Gebote zu erfüllen.«


43.

»Alles was in der Welt ist, ist des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben.« (1 Joh. 2. 16.) Libido sentiendi, libido sciendi, libido dominandi (Begierde zu genießen, zu wissen, zu herrschen). Unglücklich das Land des Fluchs, welches diese drei Feuerströme mehr entzünden als bewässern! Glücklich die, welche auf diesen Strömen sich befindend, nicht untergetaucht, nicht mitgerissen, sondern unbeweglich festgehalten werden, die nicht stehen, sondern sitzen auf einer niedrigen und sichern Lagerstelle, von der sie sich nie erheben vor dem Licht, aber die endlich, nachdem die dort in Frieden ausgeruht haben, die Hände ausstrecken zu dem, der sie erheben soll um sie aufrecht fest zu halten in den Hallen des heiligen Jerusalems, wo sie nicht mehr die Angriffe der Hoffart zu fürchten haben, und die den noch weinen, nicht weil sie alle vergänglichen Dinge schwinden sehen, sondern weil sie gedenken ihres theuren Vaterlandes, des himmlischen Jerusalems, nach welchem sie unaufhörlich seufzen in ihrem langen Exil!


44.

Ein Wunder, sagt man, würde meinen Glauben bestärken. Man spricht so, wenn man es nicht sieht. Die Gründe, die von weitem gesehen, unsern Blick zu begränzen ihn nicht mehr, wenn man dort angekommen ist. Man fängt an darüber hinaus zu sehn.

Nichts hält die Beweglichkeit unseres Geistes an. Es giebt, sagt man, keine Regel ohne Ausnahme, und keine so allgemeine Wahrheit, die nicht eine Seite hätte, von der sie[380] fehlte. Es ist genug, daß die Wahrheit nicht unbedingt allgemein ist um uns Vorwand zu geben, die Ausnahme auf den vorliegenden Fall an zu wenden und zu sagen: Das ist nicht immer wahr, also giebt es Fälle, wo das nicht ist. Es bleibt nur noch übrig zu zeigen, daß dieser Fall ein solcher sei und man müßte sehr ungeschickt sein, wenn man nicht hier einiges Licht fände.


45.

Die Liebe ist nicht ein vorbildliches Gebot. Zu behaupten, daß Jesus Christus, der gekommen ist die Bilder weg zu nehmen um die Wahrheit auf zu stellen, nur gekommen sei um das Bild der Liebe auf zu stellen und ihr wahres Wesen, das vorher da war, weg zu nehmen; das ist abscheulich.


46.

Wie viel Weltkörper haben uns nicht die Ferngläser entdeckt, die für die Philosophen ehedem nicht da waren? Man griff dreist die Schrift an wegen dessen, was man darin an so vielen Stellen über die große Zahl von Sternen findet. Es giebt deren, sagte man, nur ein tausend und zwei und zwanzig, das wissen wir.


47.

Der Mensch ist so eingerichtet, wenn man ihm nur oft sagt, daß er ein Thor ist, so glaubt er es und wenn man es sich selbst nur oft sagt, macht man es sich glauben. Denn der Mensch hält ganz allein mit sich eine innere Unterredung und es ist sehr wichtig diese gut zu ordnen. »Böse Geschwätze verderben gute Sitten.« (1 Kor. 15. 33.)

Man muß, so viel als möglich im Schweigen bleiben und sich nur von Gott unterhalten und so überzeugt man sich selbst von ihm.


48.

[381] Welcher Unterschied ist zwischen einem Soldaten und einem Karthäuser in Betreff des Gehorsams? Sie sind gleich gehorsam und abhängig und haben gleich peinliche Uebungen. Aber der Soldat hofft immer Herr zu werden und wird es nie (denn die Hauptleute und die Fürsten selbst sind immer Sklaven und abhängig); aber er hofft doch immer auf Unabhängigkeit und strebt dahin zu gelangen, während der Karthäuser das Gelübde thut nie unabhängig zu sein. Sie sind nicht verschieden in der beständigen Knechtschaft, die alle beide immer haben, sondern in der Hoffnung, die der eine immer hat und der andre nicht hat.


49.

Die Selbsucht würde nie zufrieden sein, wenn sie alles hätte, was sie begehrt; aber man ist zufrieden von dem Augenblick an, da man darauf Verzicht leistet. Mit ihr kann man nur unzufrieden sein, ohne sie nur zufrieden.

Die wahre und einzige Tugend ist sich zu hassen, denn man ist hassenswerth durch seine Begierde, und ein wahrhaft liebenswerthes Wesen zu suchen, um es zu lieben. Da wir aber nicht lieben können was außer uns ist, so müssen wir ein Wesen lieben, das in uns und doch nicht wir ist. Nun giebt es nichts als das höchste Wesen, was so ist. Das Reich Gottes ist inwendig in uns (Luc. 17. 21.), das höchste Gut ist in uns und ist doch nicht wir selbst.

Es ist unrecht, wenn man sich an uns hängt, ob[382] man auch es mit Freuden und freiwillig thue. Wir betrügen die, in welchen wir das Verlangen darnach rege machen; denn wir sind keines Menschen Ziel und haben nichts sie zu befriedigen. Sind wir nicht immer gewärtig zu sterben? Und so würde der Gegenstand ihrer Neigung sterben.

So wie wir strafbar sein würden, wenn wir jemand eine Unwahrheit glauben machten, ob wir auch noch so leise dazu beredeten, ob man sie auch mit Vergnügen glauben und uns damit Vergnügen machen möchte, eben so sind wir strafbar, wenn wir machen, daß man uns liebt und die Menschen anziehn, daß sie sich an uns hängen. Diejenigen, welche bereit sein möchten der Lüge Glauben zu schenken, sollen wir warnen, daß sie sie nicht glauben, welcher Vortheil uns auch daraus erwüchse. Eben so sollen wir sie warnen sich nicht an uns zu hängen. Denn sie sollen ihr Leben weihen Gott zu gefallen oder ihn zu suchen.


50.

Das ist Aberglauben seine Hoffnung auf äußerliche Formen und Gebräuche zu setzen; aber es ist Hochmuth sich denselben nicht unterwerfen zu wollen.


51.

Alle Religionen und alle Secten der Welt haben die natürliche Vernunft zum Führer gehabt. Die Christen allein sind gezwungen worden ihre Lehren außer sich zu suchen und sich nach denen zu erkundigen, die Jesus Christus den Alten gelassen hat, daß sie uns überliefert würden.[383]

Es giebt Leute, welchen dieser Zwang lästig ist. Sie wollen wie die andern Völker die Freiheit haben ihren Einbildungen zu folgen. Vergebens rufen wir ihnen zu, wie einst die Propheten den Juden: »Tretet mitten in die Kirche, erkundigt euch nach den Gesetzen, welche die Alten ihr gelassen haben und folget ihren Pfaden.« Sie antworten wie die Juden: »Da gehen wir nicht, wir wollen den Gedanken unsers Herzens folgen und den andern Völkern gleich sein.«


52.

Es giebt drei Wege zum Glauben, die Vernunft, die Gewohnheit und die Offenbarung. Die christliche Religion, die allein die Vernunft hat, nimmt diejenigen, welche ohne Inspiration glauben, nicht als ihre rechten Kinder an. Nicht daß sie die Vernunft und die Gewohnheit ausschlösse, im Gegentheil, man muß seinen Geist den Vernunftbeweisen aufthun und sich darin befestigen durch die Gewohnheit, aber sie will, daß man sich in Demuth den Offenbarungen hingebe, die allein die wahre und heilsame Wirkung machen können, auf daß nicht das Kreuz Christi zunichte werde. (1 Kor. 1. 17.)


53.

Nie thut man das Böse so vollkommen und so freudig, als wenn man es aus einem falschen Grundsatz des Gewissens thut.


54.

Die Juden, die berufen waren die Nationen und Könige zu überwältigen, waren Sklaven der Sünde und die Christen, deren Beruf war zu dienen und unterthan zu sein, sind die freien Kinder.


55.

[384] Ist das Muth bei einem Sterbenden, in der Schwäche und im Todeskampf einen Gott zu lästern, der allmächtig und ewig ist?


56.

Ich glaube gern die Geschichten, deren Zeugen sich erwürgen lassen.


57.

Die rechte Furcht kommt aus dem Glauben, die falsche Furcht kommt aus dem Zweifel. Die rechte Furcht führt zur Hoffnung, weil sie vom Glauben erzeugt wird und man hofft auf den Gott, den man glaubt. Die falsche Furcht führt zur Verzweiflung, weil man den Gott fürchtet, an den man keinen Glauben hat. Die einen fürchten ihn zu verlieren und die andern ihn zu finden.


58.

Salomo und Hiob haben am Besten das Elend des Menschen erkannt und am Besten davon gesprochen, der eine der glücklichste und der andre der unglücklichste unter den Menschen; der eine aus Erfahrung die Eitelkeit der Freuden, der andre die Wirklichkeit der Leiden kennend.


59.

Die Heiden sagten Böses von Israel und der Prophet auch Aber so wenig hatten die Israeliten Recht zu ihm zu sagen: »Du sprichst wie die Heiden,« daß er vielmehr seine größte Stärke darin setzt, daß die Heiden sprechen wie er [Hesekiel].


60.

[385] Gott meint nicht, daß wir unsern Glauben ihm unterwerfen sollen ohne Grund, noch will er uns mit Gewalt unterthänig machen. Aber er ist auch nicht gesonnen uns Grund von allem an zu geben. Und um diese Widersprüche in Uebereinstimmung zu bringen, hat er die Absicht uns göttliche Zeichen von sich, die uns von seinem Dasein überzeugen, klar sehen zu lassen und sich durch Wunder und Beweise, die wir nicht ablehnen können, Ansehn zu verschaffen, und will, daß wir sodann das, was er uns lehrt, ohne Anstand glauben, wenn wir darin keinen andern Grund es von uns zu weisen finden als den, daß wir nicht aus uns selbst zu erkennen vermögen, ob es ist oder nicht.


61.

Es giebt nur drei Arten von Menschen: die einen dienen Gott, da sie ihn gefunden haben, die andern bemühen sich ihn zu suchen, da sie ihn noch nicht gefunden, die dritten endlich leben ohne ihn zu suchen und ohne ihn gefunden zu haben. Die ersten sind vernünftig und glücklich, die letzten sind thöricht und unglücklich, die in der Mitte sind unglücklich und vernünftig.


62.

Die Menschen nehmen oft ihre Einbildungskraft für ihr Herz und halten sich schon für bekehrt, wenn sie nur noch erst daran denken sich zu bekehren.

Die Vernunft handelt mit Langsamkeit, und nach so viel Rücksichten und verschiedenen Principien, die sie immer gegenwärtig haben muß, daß sie alle Augenblicke ermüdet oder abirrt, weil sie nicht alle auf ein Mal sieht. Mit dem Gefühl ist es anders, es handelt in einem Augenblick und ist immer bereit zu handeln.

Wir müssen also suchen die Wahrheit, nachdem wir sie durch die Vernunft erkannt, zu fühlen und unsern Glauben[386] in das Gefühl des Herzens zu setzen, sonst wird er immer ungewiß und schwankend sein.

Das Herz hat seine Gründe, welche die Vernunft nicht kennt, man fühlt es in tausend Dingen. Das Herz fühlt Gott, nicht die Vernunft. Das ist der vollkommene Glaube: Gott dem Herzen fühlbar.


63.

Es gehört zum Wesen Gottes, daß seine Gerechtigkeit unendlich ist eben so gut als seine Barmherzigkeit. Aber seine Gerechtigkeit und Strenge gegen die Verdammten ist noch weniger auffallend als seine Barmherzigkeit gegen die Erwählten.


64.

Offenbar ist der Mensch zum Denken gemacht, das ist seine ganze Würde und sein ganzes Verdienst. Seine ganze Pflicht besteht darin zu denken, wie es sein soll und die Ordnung des Denkens ist an zu fangen mit sich, mit seinem Urheber und mit seinem Zweck. Aber woran denkt man in der Welt? Hieran nie, sondern sich zu vergnügen, reich zu werden, einen Ruf zu erlangen, sich zum König zu machen, ohne zu denken was das ist König sein und Mensch sein.

Das menschliche Denken ist bewundernswerth seinem Wesen nach. Es muß seltsame Mängel haben, um verächtlich zu sein, aber es hat so große, daß nichts lächerlicher ist. Wie ist es groß seinem Wesen nach und wie klein durch seine Mängel!


65.

Giebt es einen Gott, so müssen wir nur ihn lieben und nicht die Geschöpfe. Das Raisonnement der Gottlosen in dem Buch der Weisheit ist nur darauf gegründet, daß[387] sie sich überreden: es gebe keinen Gott. Wenn das ist, sagen sie, so laßt uns die Geschöpfe genießen. Hätten sie aber gewußt, daß es eine Gott giebt, so hätten sie ganz das Gegentheil geschlossen. Und das ist der Schluß der Weisen: es giebt einen Gott, so laßt uns nicht die Geschöpfe genießen.

Daher alles, was uns reizt uns an das Geschöpf zu hängen, ist schlecht, weil uns das hindert Gott zu dienen, wenn wir ihn kennen, oder ihn zu suchen, wenn wir ihn nicht kennen. Nun sind wir voll Begierde, also sind wir voll vom Bösen, also müssen wir uns selbst hassen und alles, was uns an ein andres Ding knüpft als an Gott allein.


66.

Wenn wir an Gott denken wollen, wie vieles fühlen wir in uns, was uns von ihm abwendet und uns in Versuchung führt an etwas anderes zu denken? Alles das ist schlecht und sogar mit uns geboren.


67.

Es ist nicht wahr, daß wir würdig sind von den andern geliebt zu werden, es ist ungerecht, daß wirs wollen. Wenn wir mit Vernunft und mit einiger Kenntniß unsrer selbst und der andern geboren würden, so würden wir diese Neigung nicht haben. Dennoch werden wir mit dieser Neigung geboren, mithin sind wir von Natur ungerecht. Denn jeder bedenkt nur sich. Das ist gegen alle Ordnung, man muß das Allgemeine bedenken, und der selbstsüchtige Hang ist der Anfang aller Unordnung in Krieg, in Staats- und Hauswirthschaft u.s.w.

Wenn die Glieder der natürlichen und bürgerlichen Gemeinheiten das Wohl des Ganzen bedenken, so können diese Gemeinheiten selbst wiederum ein allgemeineres Ganzes bedenken.

Wer diese Eigenliebe und diesen Trieb sich über alles zu stellen nicht in sich haßt, ist sehr blind, denn nichts widerstreitet[388] mehr dem Recht und der Wahrheit. Denn es ist nicht wahr, daß wir das verdienen, und es ist ungerecht und unmöglich es zu erreichen, weil alle dasselbe verlangen. Wir sind also von Geburt an in einer offenbaren Ungerechtigkeit befangen, von der wir uns nicht losmachen können und doch losmachen sollen.

Keine andre Religion als die christliche hat uns gezeigt, daß das eine Sünde ist, daß wir darin geboren und ihr zu widerstehen verpflichtet sind, noch hat eine andre daran gedacht uns die Mittel dazu zu geben.


68.

Im Menschen ist ein innerer Krieg zwischen der Vernunft und den Leidenschaften. Er könnte einigen Frieden genießen, wenn er nur die Vernunft ohne die Leidenschaften oder nur diese oder jene hätte. Aber da er beide hat, kann er nicht ohne Krieg sein, denn er kann nicht Frieden haben mit dem einen ohne im Krieg zu sein mit dem andern. So ist er immer getheilt und mit sich selbst im Streit.

Wenn es eine unnatürliche Verblendung ist zu leben ohne zu forschen was man ist, so ist es eine noch viel schrecklichere an Gott zu glauben und schlecht zu leben. Beinahe alle Menschen sind in der einen oder der andern Verblendung.


69.

Es ist unzweifelhaft, daß die Seele entweder sterblich oder unsterblich ist. Das muß einen völligen Unterschied machen in der Moral und doch haben die Philosophen unabhängig davon die Moral durchgeführt. Welche seltsame Verblendung!

Der letzte Akt ist immer blutig, wie sanft auch das Stück in allem übrigen sei. Man wirft zuletzt Erde auf das Haupt und damit aus für immer.


70.

[389] Nachdem Gott den Himmel und die Erde gemacht, die das Glück ihres Daseins nicht fühlen, hat er beschlossen Wesen zu machen, die ihn erkennen und zusammen ein Ganzes denkender Glieder bilden sollten. Alle Menschen sind Glieder dieses Ganzen und um glücklich zu sein, müssen sie ihren besondern Willen in den allgemeinen Willen fügen, der das Ganze regiert. Indessen geschieht es oft, daß man ein Ganzes zu sein meint, nämlich daß man kein Ganzes sieht, von dem man abhängt, und nun glaubt nur von sich ab zu hängen und sich selbst zum Mittelpunkt und Ganzen machen will. Aber in diesem Zustande befindet man sich wie ein Glied, das, von seinem Leibe getrennt, in sich kein Princip des Lebens hat und in der Ungewißheit seines Wesens sich nur verwirrt und verwundert. Wenn man nun aber anfängt sich selbst zu erkennen, so kommt man gleichsam zu sich selbst zurück, man fühlt, daß man nicht das Ganze ist, man begreift, daß man nur ein Glied des allgemeinen Ganzen ist, daß Glied sein heißt Leben, Sein und Bewegung nur von dem Geist des Leibes und für den Leib haben; daß ein Glied, vom Leibe, zu dem es gehört, abgetrennt, nur noch untergehendes und sterbendes Sein hat, daß man also sich selbst nur um dieses Ganzen willen lieben dürfe oder vielmehr daß man nichts als das ganze lieben solle, denn indem man das liebt, liebt man sich selbst, da man ja kein Sein hat als in demselben, durch und für dasselbe.

Um die Liebe, die man sich selbst schuldig ist, zu regeln, muß man sich einen Körper vorstellen, aus denkenden Gliedern zusammengefaßt – denn wir sind Glieder des Alls – und muß sehen, wie jedes Glied sich lieben sollte.[390]

Der Leib liebt die Hand und die Hand, wenn sie einen Willen hätte, dürfte sich nur so lieben wie der Leib sie liebt. Alle Liebe, die darüber hinausginge, wäre ungerecht.

Wenn die Füße und Hände einen besondern Willen hätten, so würden sie nie anders in Ordnung sein, als wenn sie ihn dem Willen des Leibes unterwürfen. Wo nicht, so sind sie in Unordnung und Unglück. Wollen sie aber nur das Wohl des Leibes, so machen sie ihr eignes Glück.

Die Glieder unsers Leibes fühlen nicht das Glück ihrer Vereinigung, ihres bewundernswürdigen Einverständnisses und der Sorgfalt der Natur ihnen Leben ein zu flößen und sie wachsen und fortbestehen zu lassen. Wären sie im Stande es zu erkennen und bedienten sie sich dieser Einsicht um die Nahrung, welche sie empfangen, in sich zurück zu behalten ohne sie zu den andern Gliedern weiter gehen zu lassen, so würden sie nicht allein ungerecht sein, sondern auch elend und würden sich mehr hassen als lieben, denn ihr Wohlsein wie ihre Pflicht besteht darin ein zu stimmen in die Leitung der allgemeinen Seele, zu der sie gehören und die sie mehr liebt als sie sich selbst.

»Wer dem Herrn anhanget, der ist ein Geist mit ihm.« (1 Kor. 6. 17.) Man liebt sich, weil man ein Glied Christi ist. Man liebt Christum, weil er das Haupt ist des Leibes, dessen Glied man ist. Alles ist eins, eins im andern.

Begierde und Zwang sind die Quellen aller bloß menschlichen Handlungen, die Begierde erzeugt die freiwilligen, der Zwang die unfreiwilligen.


71.

Die Platoniker und selbst Epiktet und seine Anhänger glaubten, daß Gott allein würdig sei geliebt und bewundert[391] zu sein und doch wünschten sie geliebt und bewundert zu werden von den Menschen. Sie kennen nicht ihre Verderbtheit. Fühlen sie sich gedrungen ihn zu lieben und an zu beten und finden sie dabei ihre Hauptfreude darin, daß sie sich für gut halten, so mag es sein. Aber wenn sie dabei Widerstreben fühlen, wenn sie keine andre Neigung haben als sich bei den Menschen in Achtung zu setzen und streben statt aller Vollkommenheit allein darnach sie ohne Zwang dahin zu bringen, daß sie ihr Glück darin finden sie zu lieben, so muß ich sagen: diese Vollkommenheit ist schauderhaft!

Wie? sie erkannten Gott und begehrten nicht einzig und allein, daß die Menschen ihn liebten? sie wollten, daß die Menschen bei ihnen verweilten, sie wollten, daß die Menschen freiwillig in sie ihr Glück setzten?


72.

Allerdings ist Pein bei Ausübung der Frömmigkeit. Aber diese Pein kommt nicht von der Frömmigkeit, die in uns anfängt, sondern von der Unfrömmigkeit, die noch in uns ist. Wenn unsre Sinne sich nicht der Buße widersetzten und unsre Verderbtheit nicht der Reinheit Gottes, so würde darin nichts Peinigendes für uns sein. Wir leiden nur im Verhältniß wie das Böse, das uns natürlich ist, der übernatürlichen Gnade widersteht. Unser Herz wird zerrissen zwischen so entgegengesetzten Kräften; aber es wäre ungerecht diese Gewalt, die wir leiden, Gott zu zu rechnen, der uns anzieht, statt sie der Welt zu zu schreiben, die uns zurückhält. Wir gleichen einem Kinde, das seine Mutter den Händen der Räuber entreißt und das in der Pein, die es leidet, die liebevolle und rechtmäßige Gewalt von der, die ihm die Freiheit verschafft, lieben und nur die ungestüme und tyrannische Gewalt von denen, die es ungerechter Weise[392] festhalten, verabscheuen soll. Der grausamste Krieg, den Gott den Menschen in diesem Leben bereiten könnte, wäre, wenn er sie ließe ohne diesen Krieg, den er bringt. »Ich bin nicht gekommen Frieden zu senden, sondern das Schwert,« sagt er, und um diesen Krieg ein zu leiten, »bin ich gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden.« (Matth. 10. 34. Luk. 12. 49.) Vor ihm lebte die Welt in einem falschen Frieden.


73.

Gott sieht nur das Innere, die Kirche urtheilt nur nach dem Aeußern. Gott spricht los, sobald er die Buße im Herzen sieht; die Kirche, wenn sie sie in den Werken sieht. Gott bildet demnach eine Kirche, die, rein im Innern, durch ihre innerliche und ganz geistliche Heiligkeit die äußerliche Gottlosigkeit der hochmüthigen Weisen und der Pharisäer zu nichte macht und die Kirche bildet eine Gemeinschaft von Menschen, deren äußerliche Sitten so rein sein sollen, daß sie die Sitten der Heiden zu nichte machen. Giebt es Heuchler, die sich so gut verstellen, daß sie ihr Gift nicht kennt, so duldet sie sie. Denn ob sie auch von Gott, den sie nicht betrügen können, nicht angenommen werden, so nehmen doch die Menschen sie an, die sie betrügen. Die Kirche wird nicht entehrt durch ihr Betragen, das heilig erscheint.


74.

Das Gesetz hat nicht die Natur vernichtet, sondern hat sie gebildet. Die Gnade hat nicht das Gesetz vernichtet, sondern gemacht, daß es ausgeübt werde.

Man macht sich einen Abgott von der Wahrheit selbst. Die Wahrheit ohne die Liebe ist nicht Gott, sie ist ein Bild und ein Götze, den man nicht lieben noch anbeten soll. Noch viel weniger aber darf man lieben und anbeten ihr Gegentheil, das ist die Lüge.


75.

[393] Alle großen Zerstreuungen sind für das christliche Leben gefährlich; aber unten allen, welche die Welt erfunden hat, ist keine mehr zu fürchten als das Schauspiel. Dies ist eine so natürliche und feine Darstellung der Leidenschaften, daß es sie aufregt und in unserm Herzen erzeugt, und vor allen die Leidenschaft der Liebe, hauptsächlich wenn man sie recht keusch und edel vorstellt. Denn je mehr sie den unschuldigen Seelen unschuldig erscheint, desto eher sind sie fähig von ihr ergriffen zu werden. Ihre Heftigkeit gefällt unsrer Eigenliebe, welche sogleich das Verlangen erregt die nämlichen Wirkungen, die man so gut dargestellt sieht, auch hervor zu bringen und man bildet sich zu gleicher Zeit ein eignes Gewissen, gegründet auf das Edle der Gesinnungen, die man da sieht, ein Gewissen, welches die Furcht der reinen Seelen auslöscht, die sich einbilden, das heißt nicht die Reinheit verletzen zu lieben mit einer Liebe, die ihnen so weise scheint. So geht man denn aus dem Theater, das Herz von all den Schönheiten und Süßigkeiten der Liebe so erfüllt, die Seele und den Geist von ihrer Unschuld so überzeugt, daß man ganz vorbereitet ist ihre ersten Eindrücke zu empfangen oder vielmehr die Gelegenheit zu suchen, um sie in Herzen irgend eines Menschen zu erzeugen, damit man dieselben Freuden und dieselben Opfer empfange, die man so gut im Schauspiel hat schildern sehn.


76.

Die schlaffen Grundsätze gefallen so sehr dem natürlichen Menschen, daß es auffällt, wenn sie ihm mißfallen. Das kommt daher, weil er alle Schranken überschreitet. Und noch mehr, es giebt viele Menschen, welche das Wahre sehen und es nicht zu erreichen vermögen; aber es giebt wenige, die nicht wüßten, daß die Reinheit der Religion den zu schlaffen[394] Grundsätzen entgegen ist und daß es lächerlich wäre zu sagen, es gäbe einen ewigen Lohn für zügellose Sitten.


77.

Ich fürchtete schlecht geschrieben zu haben, da ich mich verdammt sah; aber das Beispiel so vieler frommer Schriften hat mich wieder das Gegentheil glauben gemacht. Es ist nicht mehr erlaubt gut zu schreiben.

Die ganze Inquisition ist entweder bestochen oder unwissend. Man muß Gott mehr gehorchen denn den Menschen. Ich fürchte nichts und hoffe nichts. Portroyal fürchtet und das ist eine schlechte Politik sie zu trennen; denn wenn sie nicht mehr fürchten werden, werden sie mehr gefürchtet werden.

Stillschweigen ist die größte Verfolgung. Nie haben die Heiligen geschwiegen. Freilich gehört dazu Beruf; aber ob man berufen ist, braucht man nicht erst aus den Beschlüssen des Raths zu lernen, sondern aus der Nothwendigkeit zu reden.

Wenn auch meine Briefe zu Rom verdammt sind, was ich darin verdamme, ist im Himmel verdammt.

Die Inquisition und die Gesellschaft Jesu sind die beiden Geißeln der Wahrheit.


78.

Man hat mich gefragt erstlich, ob ich nicht bereue die Briefe in die Provinz geschrieben zu haben. Ich antworte: weit entfernt es zu bereuen, würde ich sie, wenn ich sie jetzt schriebe, noch schärfer machen.

Zum Zweiten hat man mich gefragt, warum ich die Namen der Schriftsteller genannt habe, aus denen ich alle[395] jene scheußlichen Sätze dort citire. Ich antworte: wenn ich mich in einer Stadt befände, wo es zwölf Brunnen gäbe und ich wüßte gewiß, daß einer davon vergiftet wäre, so würde ich verpflichtet sein alle Welt davor zu warnen, daß sie ja nicht Wasser aus diesem Brunnen schöpften und da man glauben könnte, daß dies eine reine Einbildung von mir wäre, so würde ich verpflichtet sein eher den zu nennen, der ihn vergiftet hat, als eine ganze Stadt dem aus zu setzen sich zu vergiften.

Zum Dritten hat man mich gefragt, warum ich mich einer leichten, spottenden und unterhaltenden Sprache bedient habe. Ich antworte: wenn ich in einer dogmatischen Sprache geschrieben hätte, so würde niemand mich gelesen haben als die Gelehrten und die hatten das nicht nöthig, denn sie wissen darüber zum Wenigsten eben so viel als ich. Daher glaubte ich schreiben zu müssen auf eine Art, die geeignet wäre meine Briefe den Frauen und den Leuten von Welt lesbar zu machen, damit sie erkennen möchten die Gefahr aller jener Grundsätze und aller jener Lehren, die sich damals verbreiteten und von denen man sich leicht überreden ließ.

Zuletzt hat man mich gefragt, ob ich selbst alle die Bücher gelesen, die ich citirt habe. Ich antworte: nein. Wahrhaftig, ich hätte müssen einen großen Theil meines Lebens damit verbringen schlechte Bücher zu lesen. Aber ich habe Escobar zwei Mal ganz gelesen und die andern habe ich freilich durch einige meiner Freunde lesen lassen, aber ich habe daraus nicht eine einzige Stelle benutzt ohne sie selbst in dem citirten Buche nachgesehen, ohne den Gegenstand, worüber sie handelt, untersucht und ohne das Vorhergehende und Nachfolgende durchgelesen zu haben um ja nicht einen Einwurf als eine Antwort zu citiren; was tadelnswerth und ungerecht gewesen wäre.


79.

[396] Die Rechenmaschine hat Wirkungen, die dem Gedanken näher kommen als alles, was die Thiere thun; aber sie thut nichts, was zu der Behauptung führte: sie habe Willen wie die Thiere.


80.

Manche Schriftsteller, wenn sie von ihren Werken sprechen, sagen: Mein Buch, mein Commentar, meine Geschichte u.s.w. Sie wissen, daß sie Bürger sind, die ihr eigen Haus haben und führen immer das Wort im Munde: »bei mir im Hause.« Sie thäten besser zu sagen: Unser Buch, unser Commentar, unsre Geschichte u.s.w. in Betracht dessen, daß darin mehr vom Gut andrer ist als von ihrem eignen.


81.

Die christliche Frömmigkeit demüthigt das menschliche Ich und die menschliche Höflichkeit verbirgt und unterdrückt es.


82.

Wenn mein Herz eben so arm wäre, wie der Geist, so würde ich selig sein, denn ich bin mächtig überzeugt, daß die Armuth ein großes Mittel ist sein Heil zu schaffen.


83.

Eins habe ich bemerkt: wie arm man auch sei, so läßt man doch immer etwas zurück, wenn man stirbt.


84.

Ich liebe die Armuth, weil Jesus Christus sie geliebt hat. Ich liebe den Reichthum, weil er Mittel giebt[397] den Unglücklichen bei zu stehn. Ich halte Treue aller Welt. Ich thue nichts Böses denen, die es mir thun; sondern ich wünsche ihnen eine gleiche Stellung wie die meinige, in welcher man von der Mehrzahl der Menschen weder Böses noch Gutes empfängt. Ich bestrebe mich immer wahrhaft, aufrichtig und treu zu sein gegen alle Menschen. Ich habe eine herzliche Zärtlichkeit gegen die, welche Gott enger mit mir verbunden hat. Wenn ich allein bin oder von den Augen der Menschen, ich habe in allen meinen Handlungen Gott vor Augen, der sie richten soll und dem ich sie alle geweiht habe.

Das sind meine Gesinnungen und ich segne alle Tage meines Lebens meinen Erlöser, der sie mir gegeben und der aus einem Menschen voll Schwäche, Elend, Begierde, Stolz und Ehrgeiz einen Menschen gemacht hat, der von allen diesen Uebeln frei ist durch die Kraft der Gnade, der ich alles das verdanke; denn von mir hatte ich nichts als Elend und Schrecken.


85.

Die Krankheit ist der natürliche Zustand der Christen, denn man ist durch sie wie man immer sein sollte; man leidet Uebel, entbehrt alle Güter und alle Freuden der Sinne, ist frei von allen Leidenschaften, die während des ganzen Lebens uns quälen, fühlt sich ohne Ehrgeiz, ohne Habsucht und sieht in beständiger Erwartung des Todes. Sollten[398] die Christen nicht so ihr Leben zubringen? Und ist es nicht ein großes Glück, wenn man sich durch die Nothwendigkeit in den Zustand versetzt sieht, in welchem man aus Pflicht sein sollte, und nichts weiter zu thun hat als sich demüthig und ruhig zu unterwerfen? Deswegen verlange ich nichts mehr als Gott zu bitten, daß er mir diese Gnade gewähre.


86.

Es ist sonderbar, daß die Menschen den Urgrund der Dinge haben begreifen und es dahin bringen wollen alles zu erkennen! Denn das ist keinem Zweifel unterworfen, man kann diese Absicht nicht haben ohne eine Anmaßung oder ohne eine Fassungskraft, die so groß wäre wie die Natur.


87.

Die Natur hat Vollkommenheit, um zu zeigen, daß sie das Bild Gottes ist und Mängel, um zu zeigen, daß sie nur sein Bild ist.


88.

Die Menschen sind so nothwendig Thoren, daß kein Thor sein hieße ein Thor auf eine andre Art sein.


89.

Nimm die Wahrscheinlichkeit weg, so kann man der Welt nicht mehr gefallen, setze die Wahrscheinlichkeit, so kann man der Welt nicht mehr mißfallen.


90.

Der Eifer der Heiligen das Gute zu suchen und zu üben war unnütz, wenn die Wahrscheinlichkeit zuverlässig ist.


91.

Um aus einem Menschen einen Heiligen zu machen dazu[399] gehört die Gnade und wer daran zweifelt, weiß weder was ein Heiliger noch was ein Mensch ist.


92.

Man liebt die Sicherheit. Man hat es gern, daß der Papst unfehlbar sei im Glauben und die gewichtigen Doctoren unfehlbar in ihren Sitten, damit man seine Sicherheit habe.


93.

Was der Papst ist, darüber muß man nicht nach einigen Worten der Kirchenväter urtheilen, wie die Griechen in einem Concilium sagten (eine wichtige Regel!), sondern nach den Handlungen der Kirche und der Väter und nach den Canonen.


94.

Der Papst ist der Erste. Welcher andre ist von allen gekannt, von allen erkannt? Denn er hat Macht auf den ganzen Körper der Kirche ein zu wirken, weil er den Hauptast hält, der überall einwirkt.


95.

Es ist Ketzerei das Wort pantes (alle) immer mit »alle« zu erklären und Ketzerei es nicht bisweilen mit »alle« zu erklären. Piete ex autou pantes (»trinket alle daraus«), die Huguenotten sind Ketzer, weil sie das von »allen« erklären; eph' hô pantes hêmarton (»dieweil alle gesündigt haben«) die Huguenotten sind Ketzer, indem sie die Kinder der Gläubigen ausnehmen. Man muß daher den Vätern und der Ueberlieferung folgen, um zu wissen, wann es so und wann es wieder so zu erklären ist, weil von der einen wie von der andern Seite Ketzerei zu befürchten steht.


96.

Die geringste Bewegung hat einen Einfluß auf die ganze Natur, das ganze Meer ändert sich um eines Steines willen.[400] So hat im Reich der Gnade die geringste Handlung Einfluß auf ihre Folgen in allem. Also ist alles von Einfluß.


97.

Alle Menschen hassen sich von Natur. Man hat sich, so viel man konnte, der Begierde bedient um sie dem öffentlichen Wohl dienstbar zu machen. Aber das ist nur Trug und ein falscher Schein von Liebe; in Wirklichkeit ist es nicht als Haß. Dieser schlechte Grund des Menschen, figmentum malum (das schlechte Bild), ist nur bedeckt, nicht fortgeschafft.


98.

Wenn man sagen will, der Mensch sei zu gering, um die Gemeinschaft mit Gott zu verdienen, so muß man sehr hoch stehen um darüber zu urtheilen.


99.

Es ist Gottes unwürdig sich mit dem elenden Menschen zu vereinigen, nicht aber Gottes unwürdig ihn aus dem Elend zu ziehn.


100.

Wer hat es je begriffen! Welche Abgeschmacktheit!... Sünder gereinigt ohne Buße, Gerechte geheiligt ohne die Gnade Jesu Christi, Gott ohne Macht über den Willen der Menschen, eine Gnadenwahl ohne Geheimniß, ein Erlöser ohne Gewißheit.


101.

Einheit, Vielheit. Betrachtet man die Kirche als Einheit, so ist der Papst ihr Haupt, als alles; betrachtet man sie als Vielheit, so ist der Papst nur ein Theil von ihr.

Die Vielheit, die sich nicht auf die Einheit zurückführt, ist Verwirrung. Die Einheit, die nicht Vielheit ist, ist Tyrannei.


102.

[401] Gott thut keine Wunder in der gewöhnlichen Leitung seiner Kirche. Das wäre ein auffallendes Wunder, wenn die Unfehlbarkeit in einem Einzelnen wäre. Aber daß sie in der Vielheit ist, das erscheint so natürlich, daß hier wieder die Leitung Gottes unter der Natur verborgen ist, wie in allen seinen Werken.


103.

Daß die christliche Religion nicht die einzige ist, giebt keinen Grund sie nicht für die wahre zu halten. Im Gegentheil, das gerade macht sichtbar, daß sie es ist.


104.

In einem bestehenden republikanischen Staat, wie Venedig, wäre es ein großes Uebel, wenn man dazu beitrüge einen König ein zu setzen und die Freiheit der Völker, denen Gott sie gegeben hat, zu unterdrücken. Aber in einem Staat, wo die königliche Gewalt besteht, könnte man die Ehrfurcht, die man ihr schuldig ist, nicht verletzen ohne eine Art von Entweihung des Heiligen; denn die Gewalt, die Gott mit ihr verbunden hat, ist nicht bloß ein Bild sondern ein Theil von der Gewalt Gottes und so kann man sich ihr nicht widersetzen ohne offenbar Gottes Ordnung zu widerstreben. Noch mehr, der Bürgerkrieg, der davon die Folge wäre, ist eine der größten Versündigungen, die man an der Liebe des Nächsten begehen mag, und deswegen kann man die Größe dieses Vergehens nicht genug hervorheben. Die ersten Christen haben uns nicht die Empörung gelehrt, sondern die Geduld, wenn die Fürsten nicht recht ihre Pflicht thun.

(Pascal setzte hinzu: Ich bin so entfernt von dieser Sünde als von Mord, oder Straßenraub, nichts ist mehr meiner Natur zuwider und zu nichts fühle ich weniger Versuchung.)


105.

[402] Die Beredsamkeit ist eine Kunst die Dinge in der Art zu sagen, 1) daß die, zu denen man spricht, sie ohne Mühe und mit Vergnügen auffassen, 2) daß sie sich dabei interessirt fühlen und ihre Eigenliebe sie treibe williger darüber nach zu denken. Sie besteht also darin, daß man eine Verbindung zwischen dem Geist und Herzen derer, zu denen man spricht, einerseits und den Gedanken und Ausdrücken, deren man sich bedient, andrerseits her zu stellen versucht.

Das setzt voraus, daß man das menschliche Herz wohl erforscht habe um alle seine Triebfedern zu kennen und darnach die geeigneten Verhältnisse der Rede zu finden, die man für dasselbe recht passend machen will. Man muß sich an die Stelle derer, die uns hören sollen, versetzen und mit der Wendung, die man seiner Rede giebt, einen Versuch an seinem eignen Herzen machen um zu sehn, ob eins für das andre gemacht ist und ob man gewiß sein kann, daß der Zuhörer gleichsam gezwungen sein wird sich zu ergeben.

Man muß sich, so viel als möglich, auf das einfach Natürliche beschränken, nicht groß machen was klein, nicht klein was groß ist. Es genügt nicht, daß eine Rede wohlklingend ist, sie muß auch dem Gegenstand angemessen sein; nichts zu viel, nichts zu wenig.

Die Beredsamkeit ist ein Abbild des Gedankens und diejenigen, welche, nachdem sie gemalt, noch etwas hinzufügen, machen ein Gemälde statt eines Abbildes.


106.

Die heilige Schrift ist nicht eine Wissenschaft des Geistes sondern des Herzens. Sie ist nur denen verständlich, die aufrichtiges Herzens sind. Der Schleier, der über der Schrift liegt für die Juden, ist auch für die Christen da. Die Liebe ist nicht allein der Gegenstand der heiligen Schrift, sondern auch der Eingang zu ihr.
[403]

107.

Dürfte man nie etwas thun als aufs Gewisse, so müßte man nichts für die Religion thun, denn sie ist nicht gewiß. Aber wie vieles thut man aufs Ungewisse, die Seereisen, die Schlachten! Ja, ich behaupte: man müßte überhaupt gar nichts thun, denn nichts ist gewiß. Und es ist mehr Gewißheit an der Religion als an der Hoffnung, daß wir den morgenden Tag sehen. Denn es ist zwar nicht gewiß, daß wir morgen sehen, aber es ist gewiß möglich, daß wir es nicht sehen. Das kann man aber nicht von der Religion sagen. Es ist zwar nicht gewiß, daß sie ist, aber wer will wagen zu behaupten, daß es gewiß möglich wäre, daß sie nicht ist? Und doch handelt man vernünftig, wenn man für morgen und für das Ungewisse arbeitet.


108.

Die Erfindungen der Menschen gehen vorwärts von Jahrhundert zu Jahrhundert. Die Güte und Schlechtigkeit der Welt bleibt im Allgemeinen dieselbe.


109.

Man muß einen Gedanken im Rückhalt haben und darnach alles beurtheilen; indem man jedoch spricht wie das Volk.


110.

Die Gewalt ist die Königinn der Welt und nicht die Meinung; aber die Meinung bedient sich der Gewalt.


111.

Der Zufall giebt die Gedanken, der Zufall nimmt sie. Es giebt keine Kunst sie zu bewahren oder zu erwerben.


112.

Du willst: die Kirche soll nicht urtheilen weder über das Innere, weil es nur Gott gehört, noch über das Aeußere, weil Gott sich nur um das Innere kümmert, und indem[404] du der Kirche so alle Auswahl der Menschen nimmst, behältst du in ihr die zügellosesten und diejenigen, welche ihr so große Unehre machen, daß die Schulen der Juden und die Secten der Philosophen sie als unwürdig verbannt und verabscheut haben würden.


113.

Jetzt wird zum Priester gemacht, wer es sein will, wie zur Zeit Jerobeams.


114.

Die Vielheit, die sich nicht auf die Einheit zurückführt, ist Verwirrung – Die Einheit, die nicht von der Vielheit abhängt, ist Tyrannei.


115.

Man fragt nur das Ohr um Rath, weil man kein Herz hat.


116.

In jedem Gespräch und in jeder Rede muß man zu denen, die sich daran stoßen, sagen können: Worüber beklagt ihr euch?


117.

Die Kinder, welche sich vor dem Gesicht erschrecken, das sie besudelt haben, sind Kinder.

Aber auf welchem Wege soll der, der so schwach ist als Kind, im höhern Alter recht stark werden? Man wechselt nur in der Schwäche.


118.

Es ist unbegreiflich, daß Gott ist und unbegreiflich, daß er nicht ist, daß die Seele im Körper ist und daß wir keine Seele haben, daß die Welt geschaffen ist und daß sie nicht[405] geschaffen ist u.s.w., daß die Erbsünde ist und daß sie nicht ist.


119.

Die Atheisten wollen vollkommen klare Dinge behaupten. Aber es ist keineswegs vollkommen klar, daß die Seele materiell ist.


120.

Ungläubige sind die Leichtgläubigsten. Sie glauben die Wunder Vespasians, um nicht Mosis Wunder zu glauben.


Ueber die Philosophie des Descartes.

Man muß im Ganzen sagen: das geschieht durch Gestalt und Bewegung; denn das ist wahr. Aber zu sagen, durch welche Gestalt und Bewegung und die Maschine zusammen zu setzen, das ist lächerlich; denn es ist unnütz, ungewiß und mühselig. Und wenn das wahr wäre, so achten wir die ganze Philosophie nicht werth sich eine Stunde Mühe zu machen.

Quelle:
Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 356-406.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken über die Religion
Universal-Bibliothek Nr. 1622: Gedanken: Über die Religion und einige andere Themen
Gedanken: Über die Religion und einige andere Themen. (Reihe Reclam)

Buchempfehlung

Anonym

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.

158 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon