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[270] 1. ›Der Geist‹, sagt Plato, ›sieht die dem lebenden Wesen, welches ist, innewohnenden Ideen‹. ›Dann dachte der Demiurg‹, so fahrt er fort, ›es müsse auch dieses All das haben, was der Geist in dem lebenden Wesen, welches ist, sieht‹. Folglich sagt er, dass die Formen vor dem Geiste bereits sind und dass der Geist sie als seiende denkt. Zuerst muss man also untersuchen, ob jenes (ich meine das lebende Wesen) nicht Geist sondern etwas vom Geiste verschiedenes ist. Nun ist das Schauende Geist. Das lebende Wesen also ist nicht Geist, sondern wir werden es als etwas Gedachtes [Intelligibles] bezeichnen und sagen, dass der Geist das, was er sieht, ausser sich hat. Folglich hat er Abbilder und nicht das Wesen, wenn das Wesen dort ist. Dort nämlich, sagt Plato, ist auch die Wahrheit im Seienden, wo jedes einzelne an sich ist. Vielleicht aber ist beides zwar verschieden, ohne jedoch deshalb von einander getrennt zu sein, als eben nur in soweit es verschieden ist. Sonst hindert der Wortlaut der Stelle uns nicht, beides für eins zu halten, was nur im Denken getrennt ist, wenn anders allein ein also Seiendes theils gedacht wird theils denkend ist. Denn von dem, was der Geist sieht, sagt Plato überhaupt nicht, dass er es in einem andern sehe, sondern dass er in sich das Gedachte habe. Ebenso gut kann das Gedachte auch Geist in Ruhe, Einheit und Beharren sein, und es kann die Natur des Geistes, welcher jenen in sich ruhenden Geist sieht, eine von jenem ausgehende Thätigkeit sein, welche jenen sieht. Indem er aber jenen als jenen sieht, ist er der Geist jenes, weil er ihn denkt. Indem er aber jenen denkt,[270] ist er zwar selbst Geist, aber dadurch dass er ihm ähnlich geworden, andererseits auch Gedachtes. Dieses also ist jenes, welches das, was es dort sieht, in dieser Welt zu schaffen dachte. Allerdings jedoch scheint er das Denkende nach einer verstohlenen Andeutung als von jenen beiden verschieden zu fassen. Andere freilich werden der Ansicht sein, dass jene drei, das lebende Wesen selbst, welches ist, der Geist und das Denkende eins sind. Vielleicht indessen betrachtet er es als drei, indem er wie so oft von verschiedenen Voraussetzungen ausgeht. Von zweien war bereits die Rede. Was ist aber das dritte, das da dachte die vom Geiste im lebenden Wesen als ruhend gesehenen Formen auch seinerseits hervorzubringen, zu schaffen und zu theilen? Nun, es ist möglich, dass in einer Hinsicht der Geist es ist, der theilt, in einer andern aber der Geist es nicht ist. Insofern nämlich das Getheilte von ihm ausgeht, ist er selbst der Theilende, insofern er aber selbst ungetheilt bleibt, während das Getheilte (es sind die Seelen) sich von ihm entfernt, kann es die Seele sein, welche in viele Seelen theilt. Deshalb sagt er auch, die Theilung komme dem dritten zu und finde im dritten statt, weil es dachte was nicht Sache des Geistes sondern der Seele ist, die in einer getheilten Natur eine getheilte Thätigkeit hat.
2. Denn wie bei der einen ganzen Wissenschaft eine Theilung in die einzelnen Objecte der Wissenschaft stattfindet, ohne dass sie selbst darum zerstreut und zerstückelt wird, sondern jedes einzelne Object der Möglichkeit nach das Ganze enthält, da sein Princip und Ziel dasselbe ist: so muss man auch sich selbst so einrichten, dass die Principien in uns auch Ziele und ein Ganzes sind und alles auf das Beste der Natur hinausläuft. Wer so geworden ist befindet sich in der jenseitigen Welt. Denn mit diesem Besten in sich, wenn er es hat, wird er jenes berühren.
Die Gesammtseele wurde nirgends noch kam sie irgend woher, denn sie war an keinem Orte, sondern der benachbarte Körper hat an ihr Theil genommen. Deshalb ist sie auch, wie Plato sagt, nicht irgendwie im Körper, sondern er versetzt den Körper in sie. Die andern Seelen dagegen haben ein Woher; sie gehen nämlich von der Gesammtseele aus. Sie haben auch etwas, in was sie eingehen und übergehen[271] können; daher können sie auch emporgehen. Die Gesammtseele ist dagegen stets oben, worin sie ihrer Natur nach Seele ist. Das All dagegen, das sich unmittelbar an sie anschliesst, ist wie etwas in ihrer Nähe oder unter der Sonne befindliches. Es wird nun die Theilseele erleuchtet, indem sie sich dem Hohem zuwendet; denn dann trifft sie auf das Seiende. Wendet sie sich dagegen dem Niederen zu, so trifft sie auf das Nichtseiende. Dies thut sie aber, wenn sie auf sich gerichtet [für sich] ist; denn wenn sie für sich sein will, so macht sie das Niedrige, das Nichtseiende zu ihrem Bilde, wobei sie gleichsam ins Leere schreitet und unbestimmter wird. Und dieses unbestimmte Bild ist durchaus finster, denn es ist unvernünftig und durchaus ohne Denken und weit vom Seienden entfernt. Sie selbst befindet sich in einer mittleren Region als ihrem eigentlichen Bereiche, und indem sie nochmals gleichsam mit einem zweiten Bilde das Bild sieht, gestaltet sie es und geht fröhlich in dasselbe ein.
3. Wie kommt wohl aus dem Einen die Menge? Weil es überall ist; denn es giebt keinen Punkt, wo es nicht wäre. Es erfüllt also alles. Damit ist denn vieles oder vielmehr alles schon gegeben. Denn wenn es selbst allein überall wäre, so würde es selbst alles sein. Da es aber auch nirgends ist, so wird alles durch dasselbe, weil es überall ist, aber als von ihm verschieden, weil es selbst nirgends ist. Warum ist es aber selbst nicht bloss überall sondern ausserdem auch nirgends? Weil das Eine vor allem sein muss. Es muss also alles erfüllen und schaffen, nicht aber alles sein was es schafft.
Die Seele selbst muss wie ein Sehen sein. Gegenstand des Sehens ist für sie der Geist; sie ist unbestimmt bevor sie sieht, aber von Natur zum Denken geschaffen. Sie ist also im Verhältniss zum Geist Materie.
Wenn wir uns selbst denken, so sehen wir offenbar eine denkende Natur, oder wir geben bloss vor zu denken. Wenn wir also denken und uns selbst denken, so denken wir eine intellectuelle Natur. Demnach liegt vor diesem Denken ein anderes, gleichsam ruhiges Denken. Es ist aber ein Denken des Seins und des Lebens. Folglich liegt vor diesem Leben und Sein[272] ein anderes Sein und Leben. Das also sieht was Thätigkeit ist. Wenn aber die Thätigkeiten des so sich selbst Denkens Intelligenzen sind, so sind wir in unserm wahren Selbst das Intelligible, und das Denken unser selbst giebt uns ein Bild desselben.
Das Erste ist die Möglichkeit von Bewegung und Ruhe, folglich liegt es jenseits derselben. Das Zweite ruht und bewegt sich um jenes, und dieses Zweite ist Geist. Denn als etwas anderes hat es sein Denken auf ein anderes gerichtet, welches kein Denken hat. Als doppeltes aber denkt das Denkende auch sich selbst und es ist mangelhaft, denn im Denken hat es seine Vortrefflichkeit, nicht in seinem Dasein.
Was in Wirklichkeit ist, ist für alles aus der Möglichkeit zur Wirklichkeit Kommende dasjenige, was solange es ist immer dasselbe ist. Daher ist das Vollkommene auch bei den Körpern vorhanden z.B. beim Feuer. Aber es kann nicht immer sein, weil es mit Materie verbunden ist. Was aber als unzusammengesetzt in Wirklichkeit ist, das ist immer. Es ist aber das in Wirklichkeit Seiende für ein anderes Sein auch zugleich ein Sein der Möglichkeit nach.
Gott ist das Erste über dem Sein; der Geist ist das Seiende und hier ist Bewegung und Ruhe. Denn das Erste selbst ist um nichts, das andere ist um das Erste in Ruhe und Bewegung. Denn Bewegung ist Streben, das Erste aber strebt nach nichts. Wonach sollte es auch als das Oberste streben? Also denkt es auch wohl sich selbst nicht? Insofern es sich hat, kann man bei ihm im allgemeinen von Denken sprechen. Doch wird das Prädicat denken nicht ertheilt, insofern etwas sich hat, sondern insofern es auf das Erste schaut. Es ist aber erste Thätigkeit auch das Denken selbst. Wenn nun dies die erste ist, dann darf es keine höhere geben. Dasjenige also, was diese verleiht, liegt jenseits derselben; folglich ist das Denken das zweite nach jenem. Auch ist ja das Denken nicht das ursprünglich Ehrwürdige; folglich auch nicht jedes Denken sondern nur das Denken des Guten. Das Gute also liegt jenseits des Denkens. Aber es hat auch kein Selbstbewusstsein. Als was wäre denn das Selbstbewusstsein bei ihm zu denken? Als Bewusstsein des Guten als eines Seienden[273] oder nicht? Wenn als eines Seienden, dann ist das Gute bereits vor dem Selbstbewusstsein; wenn aber das Selbstbewusstsein es erst schafft, dann kann das Gute nicht vor ihm liegen. Dann kann es aber auch selbst nicht sein, wenn es nämlich nicht Bewusstsein des Guten ist. Wie also? Lebt es auch nicht? Man darf wohl nicht sagen, dass es lebt, da es ja das Leben giebt. Das Selbstbewusstsein aber und das sich Denkende ist das Zweite; denn es ist sich seiner bewusst, um durch diese Thätigkeit bei sich zu sein. Es muss also, wenn es sich kennen lernt, sich unbekannt gewesen und seiner Natur nach mangelhaft sein, durch das Denken aber vervollständigt sein. Das Denken also muss man ihm [dem Ersten] absprechen, denn der Begriff Zusatz setzt Wegnahme und Mangel voraus.[274]
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