Fünfter Hauptabschnitt.

Hauptsätze der Teleologie nach Grundsätzen des transzendentalen Idealismus

[281] So gewiß als die Erscheinung der Freiheit nur zu begreifen ist durch Eine identische Tätigkeit, welche bloß zum Behuf des Erscheinens sich in bewußte und12 bewußtlose getrennt hat, so gewiß muß die Natur, als das [was jenseits jener Trennung liegt und] ohne Freiheit Hervorgebrachte erscheinen als ein Produkt, das zweckmäßig ist, ohne einem Zweck gernäß hervorgebracht zu sein, d.h. als ein Produkt, das, obgleich Werk des blinden Mechanismus, doch so aussieht, als ob es mit Bewußtsein hervorgebracht wäre.

Die Natur muß [a)] als zweckmäßiges Produkt erscheinen. Der transzendentale13 Beweis wird geführt aus der notwendigen Harmonie der bewußtlosen mit der bewußten Tätigkeit. Der Beweis aus der Erfahrung gehört nicht in die Transzendental-Philosophie, wir gehen daher sogleich zu dem zweiten Satz über. Nämlich

Die Natur ist [b)] nicht zweckmäßig der Produktion [Hervorbringung] nach, d.h. obgleich sie alle Charaktere eines zweckmäßigen Produkts an sich trägt, ist sie doch in ihrem Ursprung[281] nicht zweckmäßig, und durch das Bestreben, sie aus einer zweckmäßigen Produktion zu erklären, wird der Charakter der Natur, und eben das, was sie zur Natur macht, aufgehoben. Denn das Eigentümlich? der Natur beruht eben darauf, daß sie in ihrem Mechanismus, und obgleich selbst nichts als blinder Mechanismus, doch zweckmäßig ist. Hebe ich den Mechanismus auf, so hebe ich die Natur selbst auf. Der ganze Zauber, welcher z.B. die organische Natur umgibt, und den man erst mit Hilfe des transzendentalen Idealismus ganz zu durchdringen vermag, beruht auf dem Widerspruch, daß diese Natur, obgleich Produkt blinder Naturkräfte, doch durchaus und durchein zweckmäßig ist. Aber eben dieser Widerspruch, welcher durch die transzendentalen Grundsätze [die des Idealismus] a priori sich deduzieren läßt, wird durch die teleologischen Erklärungsarten aufgehoben.14

Die Natur in ihren zweckmäßigen Formen spricht figürlich zu uns, sagt Kant, die Auslegung ihrer Chiffernschrift gibt uns die Erscheinung der Freiheit in uns. In dem Naturprodukt ist noch beisammen, was sich im freien Handeln zum Behuf des Erscheinens getrennt hat. Jede Pflanze ist ganz, was sie sein soll, das Freie in ihr ist notwendig, und das Notwendige frei. Der Mensch ist ein ewiges Bruchstück, denn entweder ist sein Handeln notwendig, und dann nicht frei, oder frei, und dann nicht notwendig und gesetzmäßig. Die vollständige Erscheinung der vereinigten Freiheit und Notwendigkeit in der Außenwelt gibt mir also allein die organische Natur,15 und dies ließ sich schon zum voraus aus der Stelle schließen, die sie in der Reihe von Produktionen in der theoretischen Philosophie einnimmt, indem sie unsern Ableitungen zufolge selbst schon ein objektiv gewordenes Produzieren, insofern also an das freie Handeln grenzend, jedoch ein bewußtloses Anschauen des Produzierens, insofern also selbst wieder ein blindes Produzieren ist.[282]

Dieser Widerspruch nun, daß ein und dasselbe Produkt zugleich blindes Produkt und doch zweckmäßig sei, ist schlechthin in keinem System außer dem des transzendentalen Idealismus zu erklären, indem jedes andere entweder die Zweckmäßigkeit der Produkte oder den Mechanismus im Hervorbringen derselben leugnen, also eben jene Koexistenz aufheben muß. Entweder nimmt man an, die Materie bilde sich von selbst zu zweckmäßigen Produkten, wodurch wenigstens begreiflich wird, wie die Materie und der Zweckbegriff sich in den Produkten durchdringen, so schreibt man der Materie entweder absolute Realität bei, welches im Hylozoismus geschieht, ein widersinniges System, insofern es die Materie selbst als intelligent annimmt, oder nicht, so muß die Materie als die bloße Anschauungsweise eines intelligenten Wesens gedacht werden, so daß alsdann der Zweckbegriff und das Objekt eigentlich nicht in der Materie, sondern in der Anschauung jenes Wesens sich durchdringen, wo denn der Hylozoismus selbst wieder auf den transzendentalen Idealismus zurückführt. Oder man nimmt die Materie als absolut untätig an, und läßt die Zweckmäßigkeit in ihren Produkten hervorgebracht sein durch eine Intelligenz außer ihr, so nämlich, daß der Begriff dieser Zweckmäßigkeit der Produktion selbst vorangegangen, so ist nicht zu begreifen, wie der Begriff und das Objekt ins Unendliche sich durchdrungen, wie mit Einem Wort das Produkt nicht Kunstprodukt, sondern Naturprodukt sei. Denn der Unterschied des Kunst- und des Naturprodukts beruht eben darauf, daß in jenem der Begriff nur der Oberfläche des Objekts aufgedrückt, in diesem aber in das Objekt selbst übergegangen und von ihm schlechthin unzertrennlich ist. Diese absolute Identität des Zweckbegriffs mit dem Objekt selbst ist nun aber bloß aus einer Produktion zu erklären, in welcher bewußte und bewußtlose Tätigkeit sich vereinigen, aber eine solche ist wiederum nur in einer Intelligenz möglich. Nun läßt sich aber wohl begreifen, wie eine schöpferische Intelligenz sich selbst, nicht aber, wie sie anderen außer sich eine Welt darstellen könne. Also sehen wir uns hier wiederum auf den transzendentalen Idealismus zurückgetrieben.

Die Zweckmäßigkeit der Natur im ganzen sowohl als in[283] einzelnen Produkten läßt sich nur begreifen aus einer Anschauung, in welcher der Begriff des Begriffs und das Objekt selbst ursprünglich und ununterscheidbar vereinigt sind, denn alsdann wird das Produkt zwar erscheinen müssen als zweckmäßig, weil die Produktion selbst schon bestimmt war durch das Prinzip, welches in das Freie und nicht Freie zum Behuf des Bewußtseins sich trennt, und doch kann wiederum der Zweckbegriff nicht als vorangegangen der Produktion gedacht werden, weil in jener Anschauung beide noch ununterscheidbar waren. Daß nun alle teleologischen Erklärungsarten, d.h. diejenigen, welche den Zweckbegriff, das der bewußten Tätigkeit Entsprechende, dem Objekt, welches der bewußtlosen Tätigkeit entspricht, vorangehen lassen, in der Tat alle wahre Naturerklärung aufheben, und dadurch für das Wissen in seiner Vollkommenheit selbst verderblich werden, erhellt aus dem Bisherigen von selbst so offenbar, daß es keiner weiteren Erklärung, auch nicht einmal durch Beispiele bedarf.


II.

Die Natur in ihrer blinden und mechanischen Zweckmäßigkeit repräsentiert mir allerdings eine ursprüngliche Identität der bewußten und der bewußtlosen Tätigkeit, aber sie repräsentiert mir jene Identität [doch] nicht als eine solche, deren letzter Grund im Ich selbst liegt. Der Transzendental-Philosoph sieht es wohl, daß das Prinzip derselben [dieser Harmonie] das Letzte in uns ist16 was schon im ersten Akt des Selbstbewußtseins sich trennt, und auf welches das ganze Bewußtsein mit allen seinen Bestimmungen aufgetragen ist, aber das Ich selbst sieht es nicht. Nun war ja aber die Aufgabe der ganzen Wissenschaft eben die, wie dem Ich selbst der letzte Grund der Harmonie zwischen Subjektivem und Objektivem objektiv werde.

Es muß also in der Intelligenz selbst eine Anschauung sich aufzeigen lassen, durch welche in einer und derselben Erscheinung das Ich für sich selbst bewußt und bewußtlos zugleich ist,[284] und erst durch eine solche Anschauung bringen wir die Intelligenz gleichsam ganz aus sich selbst heraus, erst durch eine solche ist also auch das ganze [das höchste] Problem der Transzendental – Philosophie (die Übereinstimmung des Subjektiven und Objektiven zu erklären) gelöst.

Durch die erste Bestimmung, nämlich daß bewußte und bewußtlose Tätigkeit in einer und derselben Anschauung objektiv werden, unterscheidet sich diese17Anschauung von der, welche wir in der praktischen Philosophie ableiten konnten, wo die Intelligenz nur für die innere Anschauung bewußt, für die äußere aber bewußtlos war.

Durch die zweite Bestimmung, nämlich daß das Ich in einer und derselben Anschauung für sich selbst bewußt und bewußtlos zugleich werde, unterscheidet sich die hier postulierte Anschauung von der, welche wir in den Naturprodukten haben, wo wir zwar jene Identität erkennen, aber nicht als Identität, deren Prinzip im Ich selbst liegt. Jede Organisation ist ein Monogramm18 jener ursprünglichen Identität, aber um sich in diesem Reflex zu erkennen, muß das Ich sich unmittelbar schon in jener Identität erkannt haben.

Wir haben nichts zu tun, als die Merkmale dieser jetzt abgeleiteten Anschauung zu analysieren, um die Anschauung selbst zu finden, welche zum voraus zu urteilen keine andere als die Kunstanschauung sein kann.[285]

12

durch Eine absolute Harmonie, welche sich zum Behuf des Erscheinens in bewußte und bewußtlose Tätigkeit getrennt hat.

13

der spekulative und ursprüngliche Beweis.

14

denn in diesen wird die Natur als zweckmäßig in dem Sinn dargestellt, daß die Absicht der Hervorbringung hervorgezogen wird. Das Eigentliche aber ist, daß eben da, wo keine Absicht, kein Zweck ist, die höchste Zweckmäßigkeit erscheint.

15

im einzelnen oder die Natur im ganzen, welche eine absolut organisches Wesen ist.

16

das An sich, das Wesen der Seele.

17

von der Selbstanschauung im freien Handeln.

18

ein verschlungener Zug.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 2, Leipzig 1907, S. 281-286.
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