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[9] Dem Handstreich der englischen Staatsgegner folgte mit Notwendigkeit im November 1918 der Aufstand des marxistischen Proletariats. Der Schauplatz wurde aus dem Sitzungssaal auf die Straße verlegt. Gedeckt durch die Meuterei der »Heimatarmee« brachen die Leser der radikalen Presse los, von den klügeren Führern verlassen, die nur noch halb von ihrer Sache überzeugt waren. Auf die Revolution der Dummheit folgte die der Gemeinheit. Es war wieder nicht das Volk, nicht einmal die sozialistisch geschulte Masse; es war das Pack mit dem Literatengeschmeiß an der Spitze, das in Aktion trat. Der echte Sozialismus stand im letzten Ringen an der Front oder lag in den Massengräbern von halb Europa, der, welcher im August 1914 aufgestanden war und den man hier verriet.

Es war die sinnloseste Tat der deutschen Geschichte. Es wird schwer sein, in der Geschichte andrer Völker Ähnliches zu finden. Ein Franzose würde den Vergleich mit 1789 als eine Beleidigung seiner Nation mit Recht ablehnen.

War das die große deutsche Revolution?

Wie flach, wie flau, wie wenig überzeugt war das alles! Wo man Helden erwartete, fand man befreite Sträflinge, Literaten, Deserteure, die brüllend und stehlend, von ihrer Wichtigkeit und dem Mangel an Gefahr trunken, umherzogen, absetzten, regierten, prügelten, dichteten. Man sagt, diese Gestalten[9] beschmutzen jede Revolution. Gewiß. Nur daß in den andern das gesamte Volk mit solcher Urgewalt hervorbrach, daß die Hefe verschwand. Hier handelte sie allein. Die ungeheure Masse, die ein Gedanke zur Einheit schmiedete, blieb aus.

In der Bebelpartei war etwas Soldatisches gewesen, das sie vor dem Sozialismus aller andern Länder auszeichnete, klirrender Schritt der Arbeiterbataillone, ruhige Entschlossenheit, Disziplin, der Mut, für etwas Jenseitiges zu sterben. Seit die intelligenteren Führer von gestern sich dem Feinde von gestern, der vormärzlichen Spießbürgerlichkeit in die Arme geworfen hatten, aus Angst vor dem Erfolg einer Sache, die sie seit 40 Jahren vertraten, aus Angst vor der Verantwortung, vor dem Augenblick, wo sie Wirklichkeiten nicht mehr angreifen, sondern schaffen sollten, erlosch die Seele der Partei. Hier trennten sich – zum ersten Male! – Marxismus und Sozialismus, die Klassentheorie und der Gesamtinstinkt. Beschränkte Ehrlichkeit war nur bei den Spartakisten. Die Klügeren hatten den Glauben an das Dogma verloren, den Mut zum Bruche mit ihm noch nicht gefunden. Und so hatten wir das Schauspiel einer Arbeiterschaft, die durch einige dem Gehirn eingehämmerte Sätze und Begriffe in ihrem Bewußtsein vom Volke abgespalten war, von Führern, die ihre Fahne verließen, Geführten, die nun führerlos vorwärts stolperten – am Horizont ein Buch, das sie nie gelesen und das jene in seiner Beschränktheit nie verstanden hatten. Sieger in einer Revolution ist nie eine einzelne Klasse – da hat man 1789 falsch verstanden; Bourgeoisie ist nur ein Wort –, sondern, es sei immer wieder gesagt, das Blut, die zum Leib, zum Geist gewordne Idee, die alle vorwärts treibt. Sie nannten sich 1789 die Bourgeoisie, aber jeder echte Franzose war und ist heute noch Bürger. Jeder echte Deutsche ist Arbeiter. Das gehört zum Stil seines Lebens. Die Marxisten hatten die Gewalt in Händen. Aber sie dankten freiwillig ab; der Aufstand kam für ihre Überzeugung zu spät. Er war eine Lüge.

Quelle:
Oswald Spengler: Politische Schriften. München 1933, S. 9-10.
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