Dreizehntes Kapitel
Es wird gezeigt, dass die Bibel nur ganz Einfaches lehrt und nur Gehorsam verlangt; dass sie auch von der göttlichen Natur das lehrt, was die Menschen durch einen bestimmten Lebenswandel nachahmen können.

[184] In Kap. 2 dieser Abhandlung habe ich gezeigt, dass die Propheten nur eine besondere Gabe der Einbildungskraft, aber nicht der Einsicht gehabt haben; dass Gott ihnen keine philosophischen Geheimnisse, sondern nur einfache Dinge offenbart und sich ihren vorgefassten Meinungen anbequemt habe. Ich habe dann in Kap. 5 gezeigt, dass die Bibel die Dinge so berichtet und lehrt, dass Jedermann sie leicht fassen kann; sie leitet sie nicht aus Grundsätzen und Definitionen ab und verknüpft sie nicht, sondern sie spricht sie nur einfach aus und bestätigt sie des Glaubens wegen nur durch die Erfahrung, d.h. durch Wunder und Ereignisse, die auch in einer Weise erzählt werden, wie sie den Sinn der Menge am meisten einnimmt. Man sehe deshalb Kap. 6 No. 3. Endlich habe ich in Kap. 7 gezeigt, dass die Schwierigkeit des Verständnisses der Bibel nur in der Sprache, aber nicht in der Feinheit ihres Inhaltes liegt. Dazu kommt, dass die Propheten nicht den Gelehrten, sondern allen Juden ohne Unterschied predigten, und dass die Apostel die evangelische Lehre in den Hallen, wo Alle sich zu versammeln pflegten, lehrten. Aus alledem folgt, dass die Lehre der Schrift keine spitzfindigen Spekulationen und keine philosophischen Sätze enthält, sondern nur Dinge, so einfach, dass sie selbst von dem Geistesarmen verstanden werden können. Ich kann deshalb mich nicht genug über den[184] Scharfsinn Derer wundern, die ich früher erwähnt, und die so tiefe Geheimnisse in der Bibel sehen, dass keine menschliche Sprache sie erklären könne, und die deshalb in die Religion so viel Dinge der philosophischen Spekulation eingemengt haben, dass die Kirche einer Akademie, und die Religion einer Wissenschaft, oder besser, einem Gezanke gleicht. Allein was wundere ich mich, dass Menschen, die das übernatürliche Licht zu besitzen sich rühmen, den Philosophen, die nur das natürliche haben, in Erkenntniss nicht nachstehen wollen. Ich würde mich nur wundern, wenn sie etwas Neues rein spekulativer Natur lehrten, was nicht schon bei den heidnischen Philosophen allbekannt war, die doch, wie sie sagen, blind gewesen. Denn fragt man nach den angeblich in der Bibel verborgenen Geheimnissen, so findet man nur die Erdichtungen des Aristoteles oder Plato oder ähnlicher Philosophen, die ein Blödsinniger leichter im Traume als der Gelehrteste in der Bibel auffinden würde. Ich mag allerdings nicht behaupten, dass zur Lehre der Bibel gar nichts Spekulatives gehöre; schon in den vorgehenden Kapiteln habe ich Manches derart beigebracht, was zu den Grundlagen der Schrift gehört; allein ich behaupte, dass dergleichen nur wenig und höchst einfach vorkommt. Welches dies nun ist, und wie es zu erledigen ist, das will ich hier darlegen.

Es wird dies leicht sein, nachdem wir wissen, dass die Schrift keine Wissenschaften hat lehren wollen; daraus kam man leicht abnehmen, dass sie nur Gehorsam von den Menschen verlangt und nur die Widerspenstigkeit, aber nicht die Unwissenheit verdammt. Da ferner der Gehorsam gegen Gott nur in der Liebe des Nächsten besteht (denn wer seinen Nächsten liebt, um Gott zu gehorchen, der hat, wie Paulus Röm. XIII. 8 sagt, das Gesetz erfüllt), so folgt, dass in der Bibel beim anderes Wissen empfohlen wird, als was Allen nöthig ist, damit sie Gott nach dieser Vorschrift gehorchen können, und ohne dessen Kenntniss die Menschen nothwendig ungehorsam oder mindestens ohne Regel für ihren Gehorsam sein würden. Dagegen berühren jene spekulativen Dinge, welche hierauf keinen Bezug haben, mögen sie die Erkenntniss Gottes oder die der natürlichen Dinge betreffen, die Bibel nicht und sind deshalb von der geoffenbarten Religion zu sondern.[185]

Wenn dies nun auch von Jedermann, wie gesagt, leicht eingesehen werden kann, so will ich doch, weil davon die ganze Entscheidung über die Religion abhängt, diesen Punkt noch genauer darlegen und deutlicher erklären. Dazu gehört vor Allem der Nachweis, dass die geistige oder genaue Erkenntniss Gottes keine gemeinsame Gabe aller Gläubigen ist, wie der Gehorsam; ferner, dass jene Erkenntniss, welche Gott durch die Propheten von Jedermann verlangt und Jeder zu wissen schuldig ist, nur die Erkenntniss seiner Gerechtigkeit und Liebe ist. Beides lässt sich aus der Bibel leicht erweisen. Denn erstens folgt es deutlich aus Exod. VI. 2, wo Gott dem Moses zur Hervorhebung der besonderen, ihm gewährten Gnade sagt: »und ich bin offenbart dem Abraham, Isaak und Jacob als Gott Sadai; aber unter meinem Namen Jehova bin ich von ihnen nicht erkannt.« Zum besseren Verständniss bemerke ich hier, dass El Sadai im Hebräischen einen Gott bezeichnet, der hinreicht, weil er Jedem giebt, was er braucht; wenn auch Sadai oft blos für Gott gesetzt wird, so ist doch überall das Wort El (Gott) dabei mitzuverstehen. Ferner findet sich in der Bibel kein Name ausser Jehova, welcher Gottes unbedingtes Wesen ohne Beziehung zu den erschaffenen Dingen anzeigte. Deshalb behaupten die Juden, dass dieser Name allein Gott gebühre, die anderen aber nur zur Bezeichnung desselben dienten. Auch sind wirklich die übrigen Namen Gottes, mögen sie Haupt- oder Beiwörter sein, Attribute, die Gott zukommen, soweit er auf die erschaffenen Dinge bezogen oder durch diese offenbart wird. So das Wort »El«, oder mit dem Buchstaben He vergrössernd »Eloha«, was, wie bekannt, nur den Mächtigen bezeichnet und Gott nur als dem Vornehmsten zukommt; etwa so, als wenn man Paulus den Apostel nennt. In anderer Weise werden die Tugenden seiner Macht bezeichnet, wie El (mächtig) gross, furchtbar, gerecht, barmherzig u.s.w., oder man gebraucht dieses Wort in der Mehrzahl, um alle zusammenzufassen, aber in der Bedeutung einer einzelnen Person, was in der Schrift sehr häufig ist. Wenn also Gott dem Moses sagt, er sei unter dem Namen Jehova den Vätern nicht bekannt gewesen, so folgt, dass sie kein Attribut Gottes gekannt haben, was dessen unbedingtes Wesen ausdrückt, sondern nur seine Zustände und Versprechen, d.h. seine Macht,[186] soweit sie sich durch Sichtbares offenbart. Aber Gott sagt dies nicht dem Moses, um Jene des Unglaubens zu beschuldigen, sondern vielmehr um ihren Glauben zu erheben, weil sie, wenn ihm auch die gleiche Erkenntniss Gottes, wie sie Moses hatte, abging, doch Gottes Zusagen fest und unverbrüchlich glaubten und nicht wie Moses handelten, der trotz seiner höheren Erkenntniss Gottes doch den göttlichen Zusagen nicht traute und Gott vorhielt, dass er statt des versprochenen Heils die Lage der Juden schlimmer gemacht.

Wenn sonach die Erzväter den eigenthümlichen Namen Gottes nicht gekannt haben, und Gott Moses dies sagt, um ihre Einfalt und ihren Glauben zu rühmen, und um die besondere, dem Moses gewählte Gnade hervorzuheben, so folgt daraus klar, was ich zuerst gesagt, dass die Menschen durch den Befehl Gottes nicht gehalten sind, seine Attribute zu kennen, sondern dass dies nur ein besonderes, einzelnen Gläubigen gewährtes Geschenk ist. Es lohnt sich nicht, dieses noch durch mehr Stellen aus der Bibel zu belegen; denn wer sieht nicht, dass die Erkenntniss Gottes in allen Gläubigen nicht dieselbe gewesen, und dass Niemand auf Befehl weise sein kann, so wenig wie leben und dasein? Männer, Weiber, Kinder und Alle können wohl auf Befehl gleich gehorsam sein, aber nicht gleich weise.

Sagt Jemand, es sei zwar nicht nöthig, die Attribute Gottes einzusehen, aber man müsse sie einfach und ohne Beweis glauben, so sind dies Possen. Denn unsichtbare Dinge, die blos Gegenstände des Geistes sind, können nur durch die Augen der Beweise erkannt werden; wer also diese nicht hat, sieht davon überhaupt nichts, und was sie von dem blossen Hören der Worte haben, berührt ihre Seele so wenig wie die Worte eines Papagei oder eines Automaten, welche ohne Sinn und Verstand gesprochen werden.

Ehe ich indess weiter gehe, habe ich den Grund anzugehen, weshalb es im 1. Buch Mosis oft heisst, dass die Erzväter im Namen Jehova's gepredigt, da dies dem Obigen zu widersprechen scheint. Beachtet man indess das in Kap. 8 Gesagte, so ist die Erklärung leicht. Denn dort habe ich gezeigt, dass der Verfasser der Bücher Mosis die Dinge und Orte nicht genau mit dem Namen[187] bezeichnet habe, welche in der Zeit, von der gesprochen wird, galten, sondern mit den bekannteren Namen der eigenen Zeit des Verfassers. Gott wird deshalb im 1. Buch Mosis den Erzvätern mit dem Namen Jehova genannt, nicht weil er ihnen darunter bekannt war, sondern weil dieser Name bei den Juden am meisten verehrt wurde. Dies muss man annehmen, weil es in der erwähnten Stalls des 2. Buch Mosis heisst, dass Gott den Erzvätern unter diesem Namen nicht bekannt gewesen, und weil auch Exod. III. 13 Moses den Namen Gottes zu wissen verlangt. Wäre er schon damals bekannt gewesen, so hätte ihn gewiss auch Mosis gekannt. Hieraus ergiebt sich, was ich gesagt, das die frommen Erzväter diesen Namen Gottes nicht gekannt haben, und dass die Kenntniss Gottes ein Geschenk, aber kein Gebot sei.

Es ist Zeit, dass ich nun zu dem zweiten Punkt übergehe und zeige, Gott verlange von den Menschen keine andere Erkenntniss seiner durch die Propheten als die Erkenntniss seiner Gerechtigkeit und Liebe, d.h. solcher Eigenschaften, welche die Menschen in ihrem Lebenswandel nachahmen können. Jeremias lehrt dies mit ausdrücklichen Worten, indem er XXII. 15, 16 über den König Josia sagt: »Dein Vater hat gegessen und getrunken und Gerechtigkeit geübt und gesprochen; da war ihm wohl; er schützte das Recht des Armen und Bedürftigen; das war ihm gut; denn (NB.) dies heisst mich erkennen, sagte Jehova.« Ebenso deutlich sagt er IX. 24: »Nur darin suche Jeder seinen Ruhm, mich einzusehen und zu erkennen; dass ich Jehova die Liebe bin, das Gericht und die Gerechtigkeit übe auf Erden; denn das ist meine Freude, sagt Jehova.« Es folgt dies ferner aus Exod. XXXIV. 6, 7, wo Gott dem Moses, der ihn zu sehen und zu kennen verlangt, keine anderen Eigenschaften offenbart, als die, welche die göttliche Gerechtigkeit und Liebe darlegen. Endlich muss ich hier jenen Aussprach des Johannes, der später folgen wird, erwähnen, welcher, weil Niemand Gott gesehen, Gott nur durch die Liebe erklärt und schliesst, dass der in Wahrheit Gott habe und kenne, der die Liebe habe. So besassen Jeremias, Moses, Johannes die Erkenntniss Gottes, die Jedermann haben muss, nur in Wenigem und setzen sie mit mir nur darein,[188] dass Gott höchst gerecht und höchst barmherzig ist, oder das alleinige Muster eines wahren Lebens.

Dazu kommt, dass die Bibel keine ausdrückliche Definition Gottes giebt und ihm nur die erwähnten Eigenschaften zur Nachfolge beilegt und diese absichtlich preist; aus alledem ergiebt sich, dass die geistige Erkenntniss Gottes, Welche seine Natur an sich betrachtet, wie sie die Menschen in ihrem Lebenswandel nicht nachahmen und als Beispiel nehmen können, zur Erreichung eines wahren Lebenswandels und zum Glauben an die offenbarte Religion nicht gehört; folglich können auch die Menschen darin, ohne ein Verbrechen zu begehen, in grossem Maasse irren.

Hiernach kann es nicht auffallen, dass Gott sich den Einbildungen und vorgefassten Meinungen der Propheten anbequemt hat, und dass die Frommen verschiedenen Ansichten über Gott angehangen, wie ich im Kap. 2 an vielen Beispielen gezeigt habe. Endlich ist ebenso wenig auffallend, dass die heiligen Bücher überall so unpassend von Gott sprechen, ihm Hände, Füsse, Augen, Ohren, Verstand und Bewegung geben und selbst Gemüthsbewegungen, wie Eifersucht, Mitleid, und dass sie ihn als einen Richter schildern, der im Himmel wie auf einem königlichen Throne sitzt und Christus zu seiner Rechten hat. Sie sprechen da nach der Auffassung der Menge, welche die Schrift nicht gelehrt, sondern gehorsam machen will. Die gewöhnlichen Theologen wollen das, was das natürliche Licht als der göttlichen Natur unangemessen erkennen lässt, bildlich auslegen; was aber ihren Verstand übersteigt, wellen sie buchstäblich verstanden haben. Allein sollte Alles derart in der Bibel bildlich ausgelegt und aufgefasst werden, so wäre die Bibel nicht für das Volk und die unwissende Menge, sondern nur für die klügsten und grössten Philosophen geschrieben worden. Ja, wenn es gottlos wäre, das, was ich gesagt, von Gott fromm und einfältig zu glauben, so hätten die Propheten sich wegen der Schwäche des niederen Volkes vor solchen Ausdrücken höchlich in Acht nehmen und die Eigenschaften Gottes, wie sie Jedermann aufzufassen habe, vor Allen ausdrücklich und deutlich lehren müssen. Allein dies ist nirgends geschehen; deshalb können auch diese blossen Meinungen, ohne Rücksicht auf die Werke, nicht zur Frömmigkeit[189] oder Gottlosigkeit gehören; vielmehr kann der Glaube des Menschen nur dann als fromm oder gottlos gelten, wenn er ihn entweder zu dem Gehorsam bewegt oder ihm die Erlaubniss zur Sünde und Aufruhr giebt. Wer also durch den Glauben der Wahrheit ungehorsam wird, der hat vielmehr einen gottlosen Glauben, und wer in seinem Glauben des Falschen doch gehorsam ist, der hat einen frommen Glauben; denn die wahre Erkenntniss Gottes ist, wie gesagt, kein Gebot, sondern eine Gabe Gottes; und Gott verlangt keine andere Erkenntniss von den Menschen, als die seiner göttlichen Gerechtigkeit und Liebe, welche Kenntniss nicht zur Wissenschaft, sondern zum Gehorsam nöthig ist.

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 184-190.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Weiße, Christian Felix

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Brüder Atreus und Thyest töten ihren Halbbruder Chrysippos und lassen im Streit um den Thron von Mykene keine Intrige aus. Weißes Trauerspiel aus der griechischen Mythologie ist 1765 neben der Tragödie »Die Befreiung von Theben« das erste deutschsprachige Drama in fünfhebigen Jamben.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon