Fünfzehntes Kapitel
Die Theologie ist nicht die Magd der Vernunft, und die Vernunft nicht die der Theologie. Es wird auch gezeigt, weshalb wir von der Autorität der heiligen Schrift überzeugt sind.

[198] Wer die Philosophie nicht von der Theologie zu trennen vermag, streitet, ob die Schrift der Vernunft, oder umgekehrt die Vernunft der Schrift untergeordnet sein solle; d.h. ob der Sinn der Schrift der Vernunft, oder ob die Vernunft der Schrift anbequemt werden müsse. Letzteres wollen die Skeptiker, welche die Gewissheit der Vernunft leugnen; Ersteres die Dogmatiker. Beide irren in hohem Maasse, wie aus dem Bisherigen erhellt; denn in beiden Fällen muss entweder die Vernunft oder die Bibel verderbt werden. Denn ich habe gezeigt, dass die Bibel keine philosophischen Dinge, sondern nur Frömmigkeit[198] lehrt, und dass Alles, was in ihr enthalten ist, dem Verstände und den vorgefassten Meinungen der Menge angepasst ist. Will man sie daher der Philosophie anpassen, so muss man den Propheten Vieles andichten, an das sie nicht im Traume gedacht haben, und man wird ihre Meinung falsch verstehen. Macht man aber die Vernunft und Philosophie zur Dienerin der Theologie, so muss man die Vorurtheile des niederen Volkes aus alten Zeiten wie göttliche Dinge behandeln und damit seinen Geist anfüllen und verdunkeln. So werden beide Theile Unsinn reden, der eine mit Vernunft, der andere ohne solche.

Der Erste unter den Pharisäern, welcher annahm, dass die Schrift der Vernunft anbequemt worden, war Maimonides (dessen Ansicht ich in Kap. 7 vorgetragen und mit vielen Gründen widerlegt habe). Obgleich dieser Schriftsteller grosses Ansehen bei ihnen hatte, so wich doch der grössere Theil in diesem Punkte von ihm ab und wendete sich mit Hand und Fuss zur Ansicht eines gewissen R. Jehuda Alpakhar, welcher in der Absicht, den Irrthum des Maimonides zu vermeiden, in den entgegengesetzten gerieth; denn er sagt,12 dass die Vernunft der Schrift dienen und ihr sich ganz unterwerfen müsse. Er gestattete deshalb keine gleichnissweise Auslegung der Bibel, wenn der Wortsinn der Vernunft widersprach, sondern nur, wenn er der Bibel selbst, d.h. ihren deutlichen Lehrsätzen widersprach. Demgemäss stellt er als allgemeine Regel auf, dass Alles, was die Schrift als Glaubenssatz lehrt und bestimmt behauptet, auf ihr blosses Ansehen als wahr anerkannt werden müsse; kein anderer Glaubenssatz sei in der Bibel enthalten, der jenem geradezu widerspreche; vielmehr geschehe dies nur mittelbar, weil die Redeweise der Schrift oft etwas vorauszusetzen scheine, was dem von ihr ausdrücklich Gelehrten widerspricht; nur deshalb sei die gleichnissweise Auslegung solcher Stellen zulässig.

So sagt z.B. die Schrift deutlich, Gott sei Einer (Deut. VI. 4), und nirgends giebt es eine Stelle in ihr, die geradezu behauptet, es gebe mehrere Götter; wohl[199] aber sind mehrere, wo Gott von sich und wo die Propheten von Gott in der Mehrzahl sprechen, was nur eine Redeweise sei, aber nicht sagen wolle, dass es mehrere Götter gebe; deshalb seien solche Stellen gleichnissweise zu erklären, und zwar nicht, weil es der Vernunft widerspricht, dass es mehrere Götter gebe, sondern weil die Schrift geradezu ausspricht, es gebe nur einen Gott. – So spricht (nach seiner Meinung) die Schrift Deut. IV. 15 geradezu aus, dass Gott unkörperlich sei. Deshalb müssen wir auf das Ansehen blos dieser Stelle und nicht der Vernunft glauben, dass Gott keinen Körper habe, und deshalb blos auf Grund der Schrift alle anderen Stellen gleichnissweise erklären, welche Gott Hände, Füsse u.s.w. zutheilen; da es eine blosse Redeweise sei, Gott als körperlich anzunehmen.

Dies ist die Meinung dieses Mannes. Ich lobe ihn, soweit er die Bibel durch die Bibel erklären will; aber ich staune, dass ein vernünftiger Mann die Bibel zu zerstören sucht. Es ist richtig, dass man die Bibel aus der Bibel erklären solle, so lange es sich blos um den Sinn der Rede und die Meinung der Propheten handelt; aber wenn dieser ihr wahrer Sinn ermittelt ist, braucht man nothwendig Urtheil und Vernunft, wenn man ihnen beistimmen soll. Soll die Vernunft, obgleich sie der Bibel entgegentritt, sich doch ganz unterwerfen, so frage ich, soll dies mit oder ohne Vernunft, gleich Blinden, geschehen? Geschieht dies, so handeln wir thöricht und ohne Vernunft; geschieht jenes, so nehmen wir die Bibel blos auf Geheiss der Vernunft an und würden es nicht thun, wenn sie ihr widerspräche. Ich frage nun: wer kann mit seiner Seele etwas annehmen, was der Vernunft widerspricht? Was ist das Verneinen in der Seele Anderes, als dass die Vernunft widerspricht? Ich staune fürwahr, dass man die Vernunft, das höchste Geschenk und das göttliche Licht, den todten Buchstaben unterwerfen will, die durch die Bosheit der Menschen verfälscht werden konnten, und dass es nicht als ein Verbrechen gilt, wenn man gegen den Geist, die wahre Handschrift des Wortes Gottes, unwürdig spricht, ihn für verderbt, blind und verloren erklärt, aber es für das grösste Verbrechen hält, über den Buchstaben und das Götzenbild des Wortes Gottes anderer Meinung zu sein. Man hält es für fromm,[200] wenn man der Vernunft und dem eigenen Urtheile nicht vertraut; aber für gottlos, an der Zuverlässigkeit Derer zu zweifeln, welche uns die heiligen Schriften überliefert haben. Dies ist reine Thorheit, keine Frömmigkeit. Aber ich frage: was macht sie besorgt? Was fürchten sie? Kann die Religion und der Glaube nur vertheidigt werden, wenn man absichtlich Alles vergisst und der Vernunft den Abschied giebt? Wer so denkt, der fürchtet die Bibel mehr, als dass er an sie glaubt, und es ist durchaus nicht der Fall, dass die Religion und Frömmigkeit die Vernunft, oder diese jene zu ihrer Magd machen will, und dass beide ihre Herrschaft nicht in vollem Frieden führen könnten, wie ich gleich darlegen werde.

Vor Allem will ich erst die Regel dieses Rabbiners prüfen. Er will, wie gesagt, dass wir Alles, was die Schrift behauptet oder bestreitet, als die Wahrheit annehmen oder als die Unwahrheit verwerfen sollen, und. dass die Schrift nie mit ausdrücklichen Worten etwas behauptet oder bestreitet, was mit ihren Behauptungen und Bestreitungen an anderen Stellen in Widerspruch stehe. Die Kühnheit beider Behauptungen muss Jeder bemerken. Ich lasse bei Seite, was er nicht bedacht hat, dass die Schrift aus verschiedenen Büchern besteht, welche zu verschiedenen Zeiten, für verschiedene Menschen und von verschiedenen Verfassern geschrieben worden, und dass er seine Ansicht auf eigene Hand behauptet, ohne dass die Vernunft oder Schrift dergleichen sagt; aber er hätte zeigen sollen, dass alle Stellen, welche nur mittelbar anderen widerstreiten, ohne der Sprache und der Stelle Gewalt anzuthun, gleichnissweise erklärt werden können; ferner, dass die Bibel unverderbt in unsere Hände gelangt ist.

Ich will jedoch die Sache ordnungsmässig untersuchen, und da frage ich in Betreff des ersten Punktes, ob man auch da, wo die Vernunft sich entgegenstellt, das, was die Schrift sagt oder verneint, als wahr annehmen und als falsch verwerfen solle. Wenn er wenigstens zusetzte, dass die Schrift nichts enthält, was der Vernunft widerstreitet! Allein ich bleibe dabei, dass sie ausdrücklich behauptet und lehrt, Gott sei eifersüchtig (so in den zehn Geboten, und Exod. IV. 14, und Deut. IV. 24 und anderen Stellen). Dies widerstreitet aber der Vernunft; also muss[201] es doch für wahr gehalten werden; ja, wenn an anderen Stellen der Schrift Gott für nicht eifersüchtig erklärt wird, so müssen diese gleichnissweise so erklärt werden, dass sie dies nicht sagen wollen. So sagt die Schrift ferner, Gott sei auf den Berg Sinai herabgestiegen (Exod. XIX. v. 20 u. f.), und schreibt ihm auch andere Bewegungen zu, und sie lehrt nirgends ausdrücklich, dass Gott sich nicht bewege; folglich müssten auch dies Alle als wahr annehmen; und wenn Salomo sagt, Gott werde von keinem Orte umfasst (1. Könige VIII. 27), so muss da, wo dies nicht ausdrücklich erklärt, sondern nur daraus folgt, dass Gott sich nicht bewege, die Stelle so erklärt werden, dass sie der Ortsbewegung Gottes keinen Abbruch thue. Ebenso müssten die Himmel für Gottes Wohnung und Thron gehalten werden, weil die Schrift dies ausdrücklich sagt. In dieser Weise müsste man nach der Meinung dieses Schriftstellers noch Vieles für wahr annehmen, was nur nach den Auffassungen der Propheten und der Menge gesagt ist, und was nur aus der Vernunft und Philosophie, nicht aber aus der Schrift sich als falsch ergiebt.

Ferner ist es unrichtig, wenn er behauptet, dass eine Stelle der anderen nur mittelbar, aber nie geradezu widerspreche. Denn Moses sagt geradezu, Gott sei ein Feuer (Deut. IV. 12), und wenn Maimonides entgegnet, dass damit nicht geradezu, sondern nur mittelbar geleugnet werde, dass Gott ein Feuer sei, und man deshalb die Stelle so auslegen müsse, dass sie dies nicht bestreite, nun wohl, so will ich zugeben, Gott sei ein Feuer; oder vielmehr, um nicht mit ihm irre zu reden, will ich dies fallen lassen und ein anderes Beispiel wählen. Samuel bestreitet nämlich geradezu, dass Gott seinen Ausspruch bereue (1. Sam. XV. 29), und Jeremias behauptet dagegen, es reue Gott des Guten und Uebeln, was er beschlossen gehabt (Jerem. XVIII. 8 10). Wie nun? stehen auch diese Stellen sich nicht geradezu entgegen? welche von beiden soll also gleichnissweise ausgelegt werden? Jede dieser Stellen lautet allgemein und widerspricht der anderen; was die eine geradezu behauptet, das leugnet die andere geradezu. Jener Rabbiner muss also selbst nach seiner eigenen Regel dasselbe zugleich als wahr annehmen und als falsch verwerfen. – Was macht es ferner für einen Unterschied, ob eine Stelle geradezu oder nur mittelbar[202] einer anderen widerstreitet, wenn diese Folge klar ist, und die Umstände und Natur dieser Stelle die gleichnissweise Auslegung nicht gestatten? Solche finden sich viele in der Bibel; man sehe das zweite Kapitel, wo ich gezeigt habe, dass die Propheten verschiedene und widersprechende Meinungen gehabt haben; insbesondere auch alle jene Widersprüche in den Erzählungen, welche ich in Kap. 9 und 10 aufgezeigt habe. Ich brauche dies nicht Alles aufzuzählen; das Gesagte genügt, um den Widersinn, der aus dieser Meinung und Regel folgt, ihre Unwahrheit und die Uebereilung des Verfassers darzulegen.

Deshalb werfe ich beide Aussprüche des Maimonides bei Seite, und es bleibt dabei, dass weder die Theologie der Vernunft, noch diese jener zu dienen braucht, sondern jede ihre eigene Herrschaft behält. Die Vernunft ist nämlich, wie gesagt, das Reich der Wahrheit und Weisheit, die Theologie das der Frömmigkeit und des Gehorsams; denn die Macht der Vernunft geht nicht so weit, dass sie bestimmen könnte, die Menschen könnten durch den Gehorsam allein ohne Erkenntniss der Dinge selig sein. Die Theologie sagt aber nur dies und verlangt nur Gehorsam, und sie will und vermag nichts gegen die Vernunft. Denn sie bestimmt, wie in dem vorgehenden Kapitel gezeigt worden, die Glaubenssätze nur so weit, wie es zu dem Gehorsam genügt; dagegen überlässt sie der Vernunft, welche in Wahrheit das Licht der Seele ist, und ohne die sie nur Träume und Erdichtungen sieht, zu bestimmen, wie sie im strengen Sinn der Wahrheit zu verstehen sind unter Theologie verstehe ich hier die Offenbarung, soweit sie das Ziel anzeigt, was die Bibel im Sinne hat (nämlich die Art und Weise des Gehorsams oder die Sätze des wahren Glaubens und wahrer Frömmigkeit). Dies ist das, was eigentlich Gottes Wort genannt wird, und was nicht in einer bestimmten Zahl von Büchern besteht. (Man sehe Kap. 12.) Wird die Theologie in diesem Sinne genommen, so stimmen ihre Anweisungen oder Lebensregeln mit der Vernunft, und ihre Absicht und ihr Ziel widerstreitet ihr nirgends, und deshalb ist sie für Alle gültig.

Was nun die ganze Schrift im Allgemeinen anlangt, so habe ich schon Kap. 7 gezeigt, dass ihr Sinn nur aus[203] ihr selbst zu bestimmen ist, und nicht aus der allgemeinen Naturgeschichte, die blos die Grundlage der Philosophie ist; auch darf es uns nicht bedenklich machen, wenn ihr so ermittelter Sinn hierin der Vernunft sich widersprechend zeigt. Denn Alles, was derart die Bibel enthält, und was die Menschen ohne Schaden an der Liebe nicht zu wissen brauchen, das berührt nicht die Theologie oder das Wort Gottes, und deshalb kann Jeder ohne Unrecht davon halten, was er will. Ich folgere daher unbedingt, dass die Schrift weder der Vernunft, noch diese jener anzupassen ist.

Allein wenn man mit der blossen Vernunft nicht beweisen kann, ob die Grundlage der Theologie, wonach die Menschen durch den blossen Gehorsam gerettet werden, wahr oder falsch sei, könnte man da uns nicht vorwerfen, weshalb wir es glauben? und dass, wenn wir dies ohne Vernunft wie Blinde annehmen, wir thöricht und unverständig handeln? Und dass, wenn wir umgekehrt behaupteten, diese Grundlage lasse sich durch die Vernunft beweisen, sei da nicht die Theologie ein Theil der Philosophie und nicht von ihr zu trennen?

Darauf antworte ich, dass ich unbedingt anerkenne, dieser fundamentale Lehrsatz der Theologie könne durch das natürliche Licht nicht untersucht werden, und dass Niemand ihn zu beweisen vermocht habe, und dass deshalb die Offenbarung nöthig gewesen sei. Allein trotzdem kann man seinen Verstand brauchen, um die offenbarte Lehre mit wenigstens moralischer Gewissheit anzunehmen. Ich sage, mit moralischer Gewissheit; nicht weil ich meine, dass man darüber sicherer werden könne als die Propheten, denen sie zuerst offenbart wurde, und deren Gewissheit doch nur eine moralische war, wie ich in Kap. 2 dieser Schrift gezeigt habe. Deshalb irren Die gänzlich, welche das Ansehen der Schrift durch mathematische Beweise darzulegen versuchen. Denn das Ansehen der Schrift hängt von dem Ansehen der Propheten ab; deshalb kann jenes mit keinen stärkeren Gründen bewiesen werden, als mit denen, welche die Propheten ehedem für die Ueberzeugung ihres Volkes benutzten; ja, unsere Gewissheit hierin kann auf keiner anderen Grundlage errichtet werden, als die, worauf die Propheten ihr Ansehen und ihre Gewissheit stützten. Denn die ganze[204] Gewissheit der Propheten beruht auf dreierlei, wie ich gezeigt habe; 1) auf der deutlichen und lebendigen Einbildung; 2) auf Zeichen, und 3) und hauptsächlich auf einem dem Billigen und Guten zugewendeten Gemüthe. Die Propheten stüzten sich nie auf andere Gründe, und deshalb können sie weder dem Volke, zu dem sie einst in lebendiger Rede sprachen, noch uns, zu denen sie schriftlich sprechen, ihr Ansehen aus anderen Gründen darlegen. Das Erste anlangend, dass sie die Dinge sich lebhaft vorstellten, so konnte dies nur den Propheten selbst bekannt sein; deshalb muss und soll unsere ganze Gewissheit der Offenbarung auf die beiden anderen, das Zeichen und die Lehre, sich stutzen. Dies sagt auch Moses ausdrücklich. Im 2. Buche XXVIII. heisst er dem Volke, dem Propheten zu gehorchen, der im Namen Gottes ein wahres Zeichen gegeben habe; sei dieses aber fälschlich geschehen, so solle es ihn, auch wenn er im Namen Gottes geweissagt, doch des Todes schuldig erklären, wie Den, der das Volk von der wahren Religion abzubringen versuche, wenn er auch sein Ansehn durch Zeichen und Wunder beglaubigt habe; man sehe hierüber Deut. XIII. Daraus ergiebt sich, dass der wahre Prophet von dem falschen nur an der Lehre und dem Wunder zugleich erkannt werden kann. Denn einen solchen erklärt Moses für einen wahren und befiehlt, ihm ohne alle Furcht vor Betrug zu glauben; und er sagt, dass diejenigen Falsche und des Todes Schuldige wären, welche fälschlich, wenn auch im Namen Gottes, etwas verkündet hätten, oder die falsche Götter gelehrt hätten, wenn sie auch wirklich Wunder verrichtet. Deshalb brauchen auch wir nur aus diesem Grunde der Schrift, d.h. den Propheten zu glauben; nämlich wegen ihrer durch Zeichen bekräftigten Lehre. Nur weil wir sehen, dass die Propheten die Liebe und Gerechtigkeit über Alles empfehlen und nur dies bezwecken, schliessen wir, dass sie nicht in blosser Absicht, sondern im wahren Geiste gelehrt haben, dass die Menschen durch Gehorsam und Glauben selig werden, und weil sie dies noch durch Zeichen bekräftigt haben, sind wir überzeugt, dass sie dies nicht leichtsinnig gesagt, noch dass sie bei ihren Weissagungen irrsinnig geredet haben. Wir werden darin noch mehr bestärkt, wenn wir bemerken, dass sie nichts als sittlich gelehrt, was nicht[205] mit der Vernunft völlig übereinstimmt; denn es ist kein Ungefähr, dass das Wort Gottes in den Propheten mit dem Wort Gottes, was in uns spricht, ganz übereinstimmt. Dies können wir ebenso sicher aus der Bibel, wie ehedem die Juden aus der lebendigen Rede der Propheten, abnehmen; denn ich habe oben in Kap. 12 gezeigt, dass die Schrift in Bezug auf die Lehre und das Wichtigste der Ereignisse unverderbt in unsere Hände gekommen ist. Deshalb nehmen wir diese Grundlage der ganzen Theologie und Bibel, wenn sie auch nicht mathematisch bewiesen werden kann, doch mit gesundem Urtheile an. Denn es ist Thorheit, wenn man das nicht annehmen will, was durch die Zeugnisse so vieler Propheten befestigt ist, und was Denen, die an Verstand nicht hervorragen, einen grossen Trost gewährt, was für den Staat von nicht geringem Nutzen ist, und was man ohne alle Gefahr und Schaden glauben kann, und zwar, wenn man dies blos deshalb nicht will, weil es nicht mathematisch bewiesen werden kann; als wenn wir zur weisen Einrichtung unseres Lebens nur das als wahr zulassen dürften, was durch keinen Grund in Zweifel gezogen werden kann; oder als wenn die meisten unserer Handlungen nicht sehr unsicher und voll des Zufalls wären!

Ich erkenne zwar an, dass, wenn man meint, Theologie und Philosophie widersprächen einander, und deshalb störe eine die andere in ihrem Reiche, und man müsse diese oder jene verabschieden, man dann mit Recht einen sicheren Grund für die Theologie zu legen und sie mathematisch zu beweisen suchen muss; denn nur ein Wahnsinniger und Verzweifelnder könnte die Vernunft leichthin verabscheuen, Künste und Wissenschaft verachten und die Gewissheit und Vernunft bestreiten. Aber ich kann einstweilen es nicht völlig entschuldigen, wenn man die Vernunft zu Hülfe rufen will, nur um sie zu verstossen und mit festen Gründen sie unzuverlässig zu machen. Ja, indem man durch mathematische Beweise die Wahrheit und das Ansehn der Theologie darzulegen sich bemüht und der Vernunft und dem natürlichen Licht Beides zu nehmen, zieht man vielmehr die Theologie unter die Herrschaft der Vernunft und nimmt offen an, dass das Ansehn der Theologie ohne Glanz sei, wenn das natürliche Licht der Vernunft sie nicht erleuchte. Wenn man dagegen sich[206] rühmt, nur dem inneren Zeugniss des heiligen Geistes zu vertrauen und die Hülfe der Vernunft nur herbeinimmt, um die ungläubigen zu überzeugen, aber ohne ihren Aussprüchen Glauben zu schenken, so ist leicht zu zeigen, dass dies nur aus Leidenschaft oder aus eitler Ruhmsucht behauptet wird. Denn aus dem vorgehenden Kapitel ergiebt sich klar, dass der heilige Geist nur über gute Werke Zeugniss ablegt; deshalb nennt Paulus in seinem Briefe an die Galater v. 22 sie die Frucht des heiligen Geistes, und dieser selbst ist in Wahrheit nichts als die Seelenruhe, welche aus guten Handlungen hervorgeht. Dagegen giebt der Geist kein Zeugniss über die Wahrheit und Gewissheit dessen, was nur der Spekulation angehört, neben der Vernunft, welcher allein, wie gezeigt, das Reich der Wahrheit gebührt. Wenn man also behauptet, ausser diesem Geist einen anderen zu haben, der der Wahrheit versichere, so rühmt man sich dessen fälschlich und spricht nur so aus Vorurtheil der Leidenschaft, oder man flüchtet aus grosser Furcht zu dem Heiligen, damit man nicht von der Philosophie erfasst und öffentlich dem Gelächter preisgegeben werde. Aber dies geschieht vergeblich; denn welchen Altar kann sich der bereiten, welcher die Majestät der Vernunft verletzt?

Indess lasse ich Jene in Ruhe, da ich meiner Aufgabe genügt zu haben glaube, indem ich gezeigt, wie die Philosophie von der Theologie zu sondern ist, worin eine jede im Wesentlichen besteht, und dass keine der anderen dient, sondern dass jede ihr Reich ohne Widerstreben der anderen inne hat, und indem ich auch, wo es passte, die Verkehrtheiten, Nachtheile und Schäden dargelegt, welche aus der wunderbaren Vermengung beider Vermögen, welche man nicht genau von einander zu sondern und zu scheiden verstand, hervorgegangen sind.

Ehe ich weiter gehe, will ich in Betreff der Nützlichkeit und Nothwendigkeit der heiligen Schrift oder Offenbarung ausdrücklich erinnern (obgleich ich es schon gesagt habe), dass ich sie sehr hochstelle. Denn da man mit dem natürlichen Licht nicht erkennen kann, dass der einfache Gehorsam der Weg zum Heil ist, sondern nur die Offenbarung lehrt, dass dies aus besonderer Gnade Gottes geschehe, die man durch die Vernunft nicht erreichen kann, so folgt, dass die Bibel den Sterblichen[207] einen grossen Trost gebracht hat. Denn Alle können unbedingt gehorchen, aber nur Wenige im Vergleich zu dem ganzen menschlichen Geschlecht erwerben die Gewohnheit der Tugend durch blosse Führung der Vernunft; hätten wir daher dieses Zeugniss der Schrift nicht, so müssten wir an dem Heile beinahe Aller zweifeln.

12

Ich entsinne mich, dies in einem Briefe gegen Maimonides gelesen zu haben, der sich unter denen befindet, die dem Maimonides zugeschrieben werden.

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 198-208.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon