XXXII.

[295] Es hat für mich etwas Schmerzliches, wenn ich in Betrachtungen, die heute über Anthroposophie angestellt werden, immer wieder Gedanken von der Art lesen muß: der Weltkrieg hat in den Seelen der Menschen Stimmungen erzeugt, die dem Aufkommen von allerlei »mystischen« und ähnlichen Geistesströmungen günstig sind, und wenn dann unter diesen Strömungen auch die Anthroposophie angeführt wird.

Dem steht gegenüber, daß die anthroposophische Bewegung mit Beginn des Jahrhunderts begründet wurde, und daß seit dieser Begründung in ihr nie etwas Wesentliches getan worden ist, was nicht aus dem inneren Leben des Geistes veranlaßt gewesen wäre. Ich hatte vor zwei und einhalb Jahrzehnten einen Inhalt von geistigen Impressionen in mir. Ich gab ihnen Gestalt in Vorträgen, Abhandlungen und Büchern. Was ich tat, tat ich aus geistigen Impulsen. Im wesentlichen ist jedes Thema aus dem Geiste herausgeholt. Es sind während des Krieges von mir auch Themen besprochen worden, die von den Zeitereignissen veranlaßt waren. Aber dem lag nichts von einer Absicht zugrunde, die Zeitstimmung für Verbreitung der Anthroposophie auszunutzen. Es geschah, weil Menschen gewisse Zeitereignisse von den Erkenntnissen beleuchtet haben wollten, die aus der Geisteswelt kommen.

Für Anthroposophie ist nie etwas anderes angestrebt worden, als daß sie den Fortgang nehme, der aus ihrer inneren, ihr aus dem Geiste gegebenen Kraft möglich ist. – Für sie ist es so unzutreffend wie nur irgend möglich, wenn man sie so hinstellt, als ob sie aus den dunklen Abgründen der Seelen während der Kriegszeit habe etwas gewinnen wollen. Daß die Zahl derer, die sich für Anthroposophie interessieren, sich nach dem Kriege mehrte, daß die anthroposophische Gesellschaft an Mitgliederzahl wuchs, ist richtig; allein man sollte bemerken, wie alle diese Tatsachen nie etwas an der Fortführung der anthroposophischen Sache im Sinne, wie diese seit dem Beginne des Jahrhunderts sich vollzog, geändert haben.

Die Gestalt, die aus dem inneren Geisteswesen heraus der Anthroposophie zu geben war, hat zunächst sich gegen allerlei Widerstände der Theosophen in Deutschland durchringen müssen.[296]

Da war vor allem die Frage nach der Rechtfertigung der Geist-Erkenntnis vor der »wissenschaftlichen« Denkart der Zeit. Daß diese Rechtfertigung notwendig sei, davon habe ich in diesem »Lebensgang« öfter gesprochen. Ich nahm die Denkart, die in der Natur-Erkenntnis mit Recht als »wissenschaftlich« galt, und bildete diese für die Geist-Erkenntnis aus. Dadurch wurde die Art der Natur-Erkenntnis allerdings etwas anderes für die Geist-Beobachtung, als sie für die Naturbeobachtung ist; aber den Charakter, wodurch sie als »wissenschaftlich« anzusehen ist, behielt sie bei.

Für diese Art von wissenschaftlicher Gestaltung der Geist-Erkenntnis hatten diejenigen Persönlichkeiten, die sich im Beginne des Jahrhunderts als die Träger der theosophischen Bewegung betrachteten, weder Sinn noch Interesse.

Es waren die Persönlichkeiten, die sich um Dr. Hübbe-Schleiden gruppierten. Dieser hatte als persönlicher Freund von H.P. Blavatsky schon in den achtziger Jahren eine theosophische Gesellschaft von Elberfeld aus begründet. An dieser Begründung war H.P. Blavatsky selbst beteiligt. Dr. Hübbe-Schleiden gab dann in der »Sphinx« eine Zeitschrift heraus, in der die theosophische Weltanschauung zur Geltung kommen sollte. – Die ganze Bewegung versiegte, und zur Zeit, als die deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft begründet wurde, war nichts davon da, als eine Anzahl von Persönlichkeiten, die aber mich doch als eine Art von Eindringling in ihre Sphäre betrachteten. – Diese Persönlichkeiten warteten auf die »wissenschaftliche Begründung« der Theosophie durch Dr. Hübbe-Schleiden. Sie waren der Ansicht, daß, bevor diese vorläge, innerhalb deutscher Gebiete auf diesem Felde überhaupt nichts zu geschehen habe. Was ich zu tun begann, erschien ihnen als Störung ihres »Wartens«, als etwas durchaus Schädliches. Aber sie zogen sich nicht ohne weiteres zurück, denn Theosophie war doch »ihre« Sache; und wenn etwas in ihr geschah, so wollten sie nicht abseits stehen.

Was verstanden sie unter der »Wissenschaftlichkeit«, die Dr. Hübbe-Schleiden begründen sollte, durch die die Theosophie »bewiesen« werden sollte? Auf Anthroposophie ließen sie sich gar nicht ein.

Sie verstanden darunter die atomistische Grundlage des naturwissenschaftlichen Theoretisierens und Hypothesenbildens. Die Erscheinungen der Natur wurden »erklärt«, indem man »Ur-Teile«[297] der Weltsubstanz sich zu Atomen, diese zu Molekülen gruppieren ließ. Ein Stoff war dadurch da, daß er eine bestimmte Struktur von Atomen in Molekülen darstellte.

Diese Denkart betrachtete man als vorbildlich. Man konstruierte komplizierte Moleküle, die die Grundlagen auch für Geist-Wirken sein sollten. Chemische Vorgänge seien die Ergebnisse von Vorgängen innerhalb der Molekularstruktur; für geistige Vorgänge müsse Ähnliches gesucht werden.

Für mich war dieser Atomismus in der Deutung, die er in der »Naturwissenschaft« bekommt, schon innerhalb dieser etwas ganz Unmögliches; ihn ins Geistige übertragen wollen, schien mir eine Denkverirrung, über die man im Ernste nicht einmal sprechen kann.

Auf diesem Gebiete ist es für meine Art, Anthroposophie zu begründen, immer schwierig gewesen. Man versichert von gewissen Seiten her seit langer Zeit, der theoretische Materialismus sei überwunden. Und in dieser Richtung kämpfe Anthroposophie gegen Windmühlen, wenn sie von Materialismus in der Wissenschaft rede. Mir war dagegen immer klar, daß die Art von Überwindung des Materialismus, von der man da spricht, gerade der Weg ist, ihn unbewußt zu konservieren.

Mir kam immer wenig darauf an, daß Atome in rein mechanischer oder sonst einer Wirksamkeit innerhalb des materiellen Geschehens angenommen werden. Mir kam es darauf an, daß die denkende Betrachtung von dem Atomistischen – den kleinsten Weltgebilden – ausgeht und den Übergang sucht zum Organischen, zum Geistigen. Ich sah die Notwendigkeit, von dem Ganzen auszugehen. Atome oder atomistische Strukturen können nur Ergebnisse von Geistwirkungen, von organischen Wirkungen sein. – Von dem angeschauten Urphänomen, nicht von einer Gedankenkonstruktion, wollte ich im Geiste der Goetheschen Naturbetrachtung den Ausgang nehmen. Tief überzeugend war es mir immer, was in Goethes Worten liegt, daß das Faktische schon Theorie sei, daß man hinter diesem nichts suchen solle. Aber das bedingt, daß man für die Natur das hinnimmt, was die Sinne geben, und das Denken auf diesem Gebiete nur dazu benützt, von den komplizierten, abgeleiteten Phänomenen (Erscheinungen), die sich nicht übersehen lassen, zu den einfachen, zu den Urphänomenen zu kommen. Da merkt man dann, daß man es in der Natur wohl mit Farben- und anderen Sinnesqualitäten[298] zu tun hat, innerhalb deren Geist wirksam ist; man kommt aber nicht zu einer atomistischen Welt hinter der sinnenfälligen. Was von Atomismus Geltung haben kann, gehört eben der Sinneswelt an.

Daß nach dieser Richtung ein Fortschritt im Natur-Begreifen geschehen ist, kann anthroposophische Denkart nicht zugeben. Was sich etwa in Ansichten wie der Mach'schen, oder was sich neuerdings auf diesem Gebiete zeigt, sind zwar Ansätze zum Verlassen des Atom- und Molekülkonstruierens; sie zeigen aber, daß sich dieses Konstruieren in die Denkweise so tief eingegraben hat, daß man mit seinem Verlassen alle Realität verliert. Mach hat nur noch von Begriffen als von ökonomischen Zusammenfassungen der Sinneswahrnehmungen, nicht mehr von etwas gesprochen, was in einer Geist-Realität lebt. Und den Neueren geht es nicht anders.

Deshalb ist, was da als Bekämpfung des theoretischen Materialismus auftritt, nicht weniger weit von dem geistigen Sein, in dem Anthroposophie lebt, entfernt, als es der Materialismus vom letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts war. Was damals von Anthroposophie gegen die naturwissenschaftlichen Denkgewohnheiten vorgebracht worden ist, gilt heute nicht in abgeschwächtem, sondern in verstärktem Maße.

Die Darstellungen dieser Dinge könnten wie theoretisierende Einschübe in diesen »Lebensgang« erscheinen. Für mich sind sie es nicht; denn was in diesen Auseinandersetzungen enthalten ist, das war für mich Erlebnis, stärkstes Erlebnis, viel bedeutsamer, als was von außen je an mich herangetreten ist.

Sogleich bei der Begründung der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft erschien es mir als eine Notwendigkeit, eine eigene Zeitschrift zu haben. So begründeten denn Marie von Sivers und ich die Monatsschrift »Luzifer«. Der Name wurde damals selbstverständlich in keinen Zusammenhang gebracht mit der geistigen Macht, die ich später als Luzifer, den Gegenpol von Ahriman, bezeichnete. So weit war damals der Inhalt der Anthroposophie noch nicht ausgebildet, daß von diesen Mächten schon hätte die Rede sein können. – Es sollte der Name einfach »Lichtträger« bedeuten.

Obwohl es zunächst meine Absicht war, im Einklang mit der Leitung der Theosophischen Gesellschaft zu arbeiten, hatte ich doch vom Anfange an die Empfindung: in Anthroposophie muß[299] etwas entstehen, das aus seinem eigenen Keim sich entwickele, ohne irgendwie sich, dem Inhalte nach, abhängig zu stellen von dem, was die Theosophische Gesellschaft lehren ließ. – Das konnte ich nur durch eine solche Zeitschrift. Und aus dem, was ich in dieser schrieb, ist ja in der Tat das herausgewachsen, was heute Anthroposophie ist.

So ist es gekommen, daß gewissermaßen unter dem Protektorate und der Anwesenheit von Mrs. Besant die deutsche Sektion begründet wurde. Damals hat Mrs. Besant auch einen Vortrag über Ziele und Prinzipien der Theosophie in Berlin gehalten. Wir haben Mrs. Besant dann etwas später aufgefordert, Vorträge in einer Reihe von deutschen Städten zu halten. Es kamen solche zustande in Hamburg, Berlin, Weimar, München, Stuttgart, Köln. – Trotz alldem ist nicht durch irgend welche besondere Maßnahmen meinerseits, sondern durch eine innere Notwendigkeit der Sache das Theosophische versiegt, und das Anthroposophische in einem von inneren Bedingungen bestimmten Werdegang zur Entfaltung gekommen.

Marie von Sivers hat das alles dadurch möglich gemacht, daß sie nicht nur nach ihren Kräften materielle Opfer gebracht, sondern auch ihre gesamte Arbeitskraft der Anthroposophie gewidmet hat. – Wir konnten wirklich anfangs nur aus den primitivsten Verhältnissen heraus arbeiten. Ich schrieb den größten Teil des »Luzifer«. Marie von Sivers besorgte die Korrespondenz. Wenn eine Nummer fertig war, dann besorgten wir selbst das Fertigen der Kreuzbänder, das Adressieren, das Bekleben mit Marken und trugen beide persönlich die Nummern in einem Waschkorbe zur Post.

Der »Luzifer« erfuhr bald insofern eine Vergrößerung, als ein Herr Rappaport in Wien, der eine Zeitschrift »Gnosis« herausgab, mir den Vorschlag machte, diese mit der meinigen zu einer zu gestalten. So erschien denn der »Luzifer« dann als »Lucifer-Gnosis«. Rappaport trug auch eine Zeitlang einen Teil der Ausgaben.

»Lucifer-Gnosis« nahm den allerbesten Fortgang. Die Zeitschrift verbreitete sich in durchaus befriedigender Weise. Es mußten Nummern, die schon vergriffen waren, sogar zum zweiten Male gedruckt werden. Sie ist auch nicht »eingegangen«. Aber die Verbreitung der Anthroposophie nahm in verhältnismäßig kurzer Zeit die Gestalt an, daß ich persönlich zu Vorträgen[300] in viele Städte gerufen wurde. Aus den Einzelvorträgen wurden in vielen Fällen Vortragszyklen. Anfangs suchte ich das Redigieren von »Lucifer-Gnosis« neben dieser Vortragstätigkeit noch aufrecht zu erhalten. Aber die Nummern konnten nicht mehr zur rechten Zeit erscheinen, manchmal um Monate zu spät. Und so stellte sich denn die merkwürdige Tatsache ein, daß eine Zeitschrift, die mit jeder Nummer an Abonnenten gewann, einfach durch Überlastung des Redakteurs nicht weiter erscheinen konnte.

In der Monatsschrift »Lucifer-Gnosis« konnte ich zur ersten Veröffentlichung bringen, was die Grundlage für anthroposophisches Wirken wurde. Da erschien denn zuerst, was ich über die Anstrengungen zu sagen hatte, die die menschliche Seele zu machen hat, um zu einem eigenen schauenden Erfassen der Geist-Erkenntnis zu gelangen. »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« erschien in Fortsetzungen von Nummer zu Nummer. Ebenso ward der Grund gelegt zur anthroposophischen Kosmologie durch die fortlaufenden Aufsätze »Aus der Akasha-Chronik«.

Aus dem hier Gegebenen, und nicht aus irgend etwas von der Theosophischen Gesellschaft Entlehntem erwächst die anthroposophische Bewegung. Dachte ich bei meinen Niederschriften der Geist-Erkenntnisse an die in der Gesellschaft üblichen Lehren, so war es nur, um dem oder jenem, das mir in diesen Lehren irrtümlich erschien, korrigierend gegenüberzutreten.

In diesem Zusammenhang muß ich etwas besprechen, das von gegnerischer Seite, in einen Nebel von Mißverständnissen gehüllt, immer wieder vorgebracht wird. Aus inneren Gründen brauchte ich gar nicht darüber zu reden, denn es hat weder auf meinen Entwickelungsgang noch auf meine öffentliche Wirksamkeit einen Einfluß gehabt. Und gegenüber allem, was ich hier zu schildern habe, ist es eine rein »private« Angelegenheit geblieben. Es ist meine Aufnahme in die innerhalb der Theosophischen Gesellschaft bestehende »Esoterische Schule«.

Diese »Esoterische Schule« ging auf H.P. Blavatsky zurück. Diese hatte für einen kleinen inneren Kreis der Gesellschaft eine Stätte geschaffen, in der sie mitteilte, was sie in der allgemeinen Gesellschaft nicht sagen wollte. Sie hielt es wie andere Kenner der geistigen Welt nicht für möglich, gewisse tiefere Lehren der Allgemeinheit mitzuteilen.[301]

Nun hängt all das zusammen mit der Art, wie H.P. Blavatsky zu ihren Lehren gekommen ist. Es gab ja immer eine Tradition über solche Lehren, die auf alte Mysterien-Schulen zurückgehen. Diese Tradition wird in allerlei Gesellschaften gepflegt, die streng darüber wachen, daß von den Lehren aus den Gesellschaften nichts hinausdringe.

Aber von irgend einer Seite wurde es für angemessen gehalten, an H.P. Blavatsky solche Lehren mitzuteilen. Sie verband dann, was sie da erhielt, mit Offenbarungen, die ihr im eigenen Innern aufgingen. Denn sie war eine menschliche Individualität, in der das Geistige durch einen merkwürdigen Atavismus wirkte, wie es einst bei den Mysterien-Leitern gewirkt hat, in einem Bewußtseinszustand, der gegenüber dem modernen von der Bewußtseinsseele durchleuchteten ein ins Traumhafte herabgestimmter war. So erneuerte sich in dem »Menschen Blavatsky« etwas, das in uralter Zeit in den Mysterien heimisch war.

Für den modernen Menschen gibt es eine irrtumsfreie Möglichkeit, zu entscheiden, was von dem Inhalte des geistigen Schauens weiteren Kreisen mitgeteilt werden kann. Mit Allem kann das geschehen, das der Forschende in solche Ideen kleiden kann, wie sie der Bewußtseinsseele eigen und wie sie ihrer Art nach auch in der anerkannten Wissenschaft zur Geltung kommen.

Nicht so steht die Sache, wenn die Geist-Erkenntnis nicht in der Bewußtseinsseele lebt, sondern in mehr unterbewußten Seelenkräften. Diese sind nicht genügend unabhängig von den im Körperlichen wirkenden Kräften. Deshalb kann für Lehren, die so aus unterbewußten Regionen geholt werden, die Mitteilung gefährlich werden. Denn solche Lehren können ja nur wieder von dem Unterbewußten aufgenommen werden. Und Lehrer und Lernender bewegen sich da auf einem Gebiete, wo das, was dem Menschen heilsam, was schädlich ist, sehr sorgfältig behandelt wer den muß.

Das alles kommt für Anthroposophie deshalb nicht in Betracht, weil diese ihre Lehren ganz aus der unbewußten Region heraushebt.

Der innere Kreis der Blavatsky lebte in der »Esoterischen Schule« fort. – Ich hatte mein anthroposophisches Wirken in die Theosophische Gesellschaft hineingestellt. Ich mußte deshalb informiert sein über alles, was in derselben vorging. Um dieser Information willen und darum, weil ich für Vorgeschrittene in[302] der anthroposophischen Geist-Erkenntnis selbst einen engeren Kreis für notwendig hielt, ließ ich mich in die »Esoterische Schule« aufnehmen. Mein engerer Kreis sollte allerdings einen andern Sinn als diese Schule haben. Es sollte eine höhere Abteilung, eine höhere Klasse darstellen für diejenigen, die genügend viel von den elementaren Erkenntnissen der Anthroposophie aufgenommen hatten. – Nun wollte ich überall an Bestehendes, an historisch Gegebenes anknüpfen. So wie ich dies mit Bezug auf die Theosophische Gesellschaft tat, wollte ich es auch gegenüber der »Esoterischen Schule« machen. Deshalb bestand mein »engerer Kreis« auch zunächst in Zusammenhang mit dieser Schule. Aber der Zusammenhang lag nur in den Einrichtungen, nicht in dem, was ich als Mitteilung aus der Geist-Welt gab. So nahm sich mein engerer Kreis in den ersten Jahren äußerlich wie eine Abteilung der »Esoterischen Schule« von Mrs. Besant aus. Innerlich war er das ganz und gar nicht. Und 1907, als Mrs. Besant bei uns am theosophischen Kongreß in München war, hörte nach einem zwischen Mrs. Besant und mir getroffenen Übereinkommen auch der äußere Zusammenhang vollständig auf.

Daß ich innerhalb der »Esoterischen Schule« der Mrs. Besant hätte etwas Besonderes lernen können, lag schon deshalb außer dem Bereich der Möglichkeit, weil ich von Anfang an nicht an Veranstaltungen dieser Schule teilnahm, außer einigen wenigen, die zu meiner Information, was vorgeht, dienen sollten.

Es war ja in der Schule damals kein anderer wirklicher Inhalt als derjenige, der von H.P. Blavatsky herrührt, und der war ja schon gedruckt. Außer diesem Gedruckten gab Mrs. Besant allerlei indische Übungen für den Erkenntnisfortschritt, die ich aber ablehnte.

So war bis 1907 mein engerer Kreis in einem auf die Einrichtung bezüglichen Sinne in einem Zusammenhang mit dem, was Mrs. Besant als einen solchen Kreis pflegte. Aber es ist ganz unberechtigt, aus diesen Tatsachen heraus das zu machen, was Gegner daraus gemacht haben. Es wurde geradezu die Absurdität behauptet, ich wäre zu der Geist-Erkenntnis überhaupt nur durch die esoterische Schule von Mrs. Besant geführt worden.

1903 nahmen dann Marie von Sivers und ich wieder an dem Theosophischen Kongreß in London teil. Da war denn auch aus Indien Colonel Olcott, der Präsident der Theosophischen Gesellschaft, erschienen. Eine liebenswürdige Persönlichkeit, der man[303] noch ansah, wie sie durch Energie und eine außerordentliche organisatorische Begabung der Blavatsky Genosse sein konnte in der Begründung, Einrichtung und Führung der Theosophischen Gesellschaft. Denn nach außen hin war diese Gesellschaft in kurzer Zeit zu einer großen Körperschaft mit einer vorzüglichen Organisation geworden.

Marie von Sivers und ich traten für kurze Zeit Mrs. Besant dadurch näher, daß diese in London bei Mrs. Bright wohnte und wir für unsere späteren Londoner Besuche auch in dieses liebenswürdige Haus eingeladen wurden. Mrs. Bright und deren Tochter, Miß Esther Bright, waren die Hausleute. Persönlichkeiten wie die verkörperte Liebenswürdigkeit. Ich denke an die Zeit, die ich in diesem Hause verbringen durfte, mit innerlicher Freude zurück. Brights waren gegenüber Mrs. Besant treu-ergebene Freunde. Ihr Bestreben war, das Band zwischen dieser und uns enge zu knüpfen. Als es dann unmöglich wurde, daß ich mich an die Seite von Mrs. Besant in gewissen Dingen – von denen einige hier schon besprochen sind – stellte, da war das auch zum Schmerze von Brights, die mit eisernen Banden kritiklos an der geistigen Leiterin der Theosophischen Gesellschaft festhielten.

Für mich war Mrs. Besant durch gewisse Eigenschaften eine interessante Persönlichkeit. Ich bemerkte an ihr, daß sie ein gewisses Recht habe, von der geistigen Welt aus ihren eigenen inneren Erlebnissen zu sprechen. Das innere Herankommen an die geistige Welt mit der Seele, das hatte sie. Es ist dies nur später überwuchert worden von äußerlichen Zielen, die sie sich stellte.

Für mich mußte ein Mensch interessant sein, der aus dem Geiste heraus vom Geiste redete. – Aber ich war andrerseits streng in meiner Anschauung, daß in unserer Zeit die Einsicht in die geistige Welt innerhalb der Bewußtseinsseele leben müsse.

Ich schaute in eine alte Geist-Erkenntnis der Menschheit. Sie hatte einen traumhaften Charakter. Der Mensch schaute in Bildern, in denen die geistige Welt sich offenbarte. Aber diese Bilder wurden nicht durch den Erkenntniswillen in voller Besonnenheit entwickelt. Sie traten in der Seele auf, ihr aus dem Kosmos gegeben wie Träume. Diese alte Geist-Erkenntnis verlor sich im Mittelalter. Der Mensch kam in den Besitz der Bewußtseinsseele. Er hat nicht mehr Erkenntnis-Träume. Er ruft die Ideen in voller Besonnenheit durch den Erkenntniswillen in die[304] Seele herein. – Diese Fähigkeit lebt sich zunächst aus in den Erkenntnissen über die Sinneswelt. Sie erreicht ihren Höhepunkt als Sinnes-Erkenntnis innerhalb der Naturwissenschaft.

Die Aufgabe einer Geist-Erkenntnis ist nun, in Besonnenheit durch den Erkenntniswillen Ideen-Erleben an die geistige Welt heranzubringen. Der Erkennende hat dann einen Seelen-Inhalt, der so erlebt wird wie der mathematische. Man denkt wie ein Mathematiker. Aber man denkt nicht in Zahlen oder geometrischen Figuren. Man denkt in Bildern der Geist-Welt. Es ist, im Gegensatz zu dem wachträumenden alten Geist-Erkennen, das vollbewußte Drinnenstehen in der geistigen Welt.

Zu diesem neueren Geist-Erkennen konnte man innerhalb der Theosophischen Gesellschaft kein rechtes Verhältnis gewinnen. Man war mißtrauisch, sobald das Vollbewußtsein an die geistige Welt heranwollte. Man kannte eben nur ein Vollbewußtsein für die Sinnenwelt. Man hatte keinen rechten Sinn dafür, dieses bis in das Geist-Erleben fortzuentwickeln. Man ging eigentlich doch darauf aus, mit Unterdrückung des Vollbewußtseins, zu dem alten Traumbewußtsein wieder zurückzukehren. Und dieses Rückkehren war auch bei Mrs. Besant vorhanden. Sie hatte kaum eine Möglichkeit, die moderne Art der Geist-Erkenntnis zu begreifen. Aber was sie von der Geist-Welt sagte, war doch aus dieser heraus. Und so war sie für mich eine interessante Persönlichkeit.

Weil auch innerhalb der andern Führerschaft der Theosophischen Gesellschaft diese Abneigung gegen vollbewußte Geist-Erkenntnis vorhanden war, konnte ich mich in bezug auf das Geistige in der Gesellschaft nie mit der Seele heimisch fühlen. Gesellschaftlich war ich gerne in diesen Kreisen; aber deren Seelenverfassungen gegenüber dem Geistigen blieben mir fremd.

Ich war deswegen auch abgeneigt, auf den Kongressen der Gesellschaft in meinen Vorträgen aus meinem eigenen Geist-Erleben heraus zu reden. Ich hielt Vorträge, die auch jemand hätte halten können, der keine eigene Geist-Anschauung hatte. Diese lebte sofort auf in den Vorträgen, die ich nicht innerhalb des Rahmens der Veranstaltungen der Theosophischen Gesellschaft hielt, sondern die herauswuchsen aus dem, was Marie von Sivers und ich von Berlin aus einrichteten.

Da entstand das Berliner, das Münchener, das Stuttgarter usw. Wirken. Andere Orte schlossen sich an. Da verschwand allmählich[305] das Inhaltliche der Theosophischen Gesellschaft; es erstand, was seine Zustimmung fand durch die innere Kraft, die im Anthroposophischen lebte.

Ich arbeitete, während in Gemeinschaft mit Marie von Sivers die Einrichtungen für die äußere Wirksamkeit getroffen wurden, meine Ergebnisse der geistigen Schauung aus. Ich hatte ja auf der einen Seite zwar ein vollkommenes Drinnenstehen in der Geist-Welt; aber ich hatte etwa 1902, und für vieles auch noch die folgenden Jahre, zwar Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen. Doch schlossen sich diese erst allmählich zu dem zusammen, was dann in meinen Schriften vor die Öffentlichkeit trat.

Durch die Tätigkeit, die Marie von Sivers entfaltete, entstand ganz aus dem Kleinen heraus der philosophisch-anthroposophische Verlag. Eine kleine Schrift aus Nachschriften von Vorträgen zusammengestellt, die ich in der hier erwähnten Berliner freien Hochschule hielt, war ein erstes Verlagswerk. Die Notwendigkeit, meine »Philosophie der Freiheit«, die durch ihren bisherigen Verleger nicht mehr verbreitet werden konnte, zu erwerben und selbst für die Verbreitung zu sorgen, gab ein zweites. Wir kauften die noch vorhandenen Exemplare und die Verlagsrechte des Buches auf. – Das alles war für uns nicht leicht. Denn wir waren ohne erhebliche Geldmittel.

Aber die Arbeit ging vorwärts, wohl gerade deshalb, weil sie sich auf nichts Äußerliches, sondern allein auf den inneren geistigen Zusammenhang stützen konnte.

Quelle:
Steiner, Rudolf: Mein Lebensgang. Stuttgart 1975, S. 295-306.
Lizenz:
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