[405] Bahnhofbuchhandel (railway booksellers; librairies des chemins de fer; vendita libri in stazione) hat den Zweck, den Reisenden die Möglichkeit zu bieten, sich für die Wartezeit auf den Bahnhöfen oder für die Fahrt mit Lesestoff zu versorgen.
Frühzeitig begannen Bahnhofportiere oder Tabakverschleißer auf den Bahnhöfen Zeitungen auf eigene Rechnung zu verkaufen. Oft waren[405] es auch die Zeitungsherausgeber, die ihr Blatt durch Bahnbedienstete auf den Bahnhöfen verschleißen ließen. Die Bahnverwaltungen legten diesen Organen keinerlei Hindernisse in den Weg, fanden jedoch bald, daß es ihre eigene Aufgabe sei, den Reisenden gute und ausgiebige Lektüre zu verschaffen, und gingen um so eifriger daran, den B. fachmännisch betreiben zu lassen, als ihnen aus dem B. eine nicht unbedeutende Einnahme zufließen konnte.
Die Heimat des geregelten Buchhandels ist Frankreich, woselbst bereits 1852 das Pariser Verlagshaus Hachette die ersten Bücherverkaufsstände auf den Bahnhöfen errichtete. Bald darauf wurde diese Einrichtung auf den englischen Bahnen durch die Firma W. L. Smith & Son eingeführt, um sodann auf den deutschen Eisenbahnen und schließlich im letzten Jahrzehnt auf beinahe allen anderen Eisenbahnen Eingang zu finden. So finden wir jetzt auf allen größeren Bahnhöfen Bücherverschleißstellen, die nicht allein in- und ausländische Zeitungen, sondern auch Reisebücher, Karten, belletristische und wissenschaftliche Bücher, ja, vielfach die neuesten Erscheinungen auf dem Büchermarkte, bisweilen auch Reiseandenken zum Kaufe anbieten.
Der B. wird von den Eisenbahnverwaltungen nicht selbst betrieben, sondern regelmäßig verpachtet, wobei zumeist die Verschleißstellen nicht einzeln, sondern für größere Bahngebiete vereint, an eine Firma zum Betrieb des B. zur Verpachtung gelangen.
In Frankreich und England besteht geradezu ein Monopol der Begründerinnen des B., der Firmen Hachette und Smith, das in letzter Zeit hie und da durchbrochen wird. Besonders großzügig ist der englische Buchhandel auf den Bahnhöfen eingerichtet.
Die Firma Smith versorgt von ihrer Londoner Zentrale alle ihre, weit über 1000 zählenden Verschleißstellen. Diese Firma beschäftigt nebst den vielen Verkäufern in ihrer Zentrale ein ganzes Heer von Bediensteten, so daß die Einrichtung des B. für viele eine neue Erwerbsquelle bildete.
In Deutschland, Österreich und Ungarn, wie in vielen anderen Ländern, wurden zunächst die Verschleißstellen einzeln in Bestand gegeben. Abgesehen davon, daß sich aus dieser Betriebsart für die Bahnen keine namhafte Einnahme ergab, konnten die Verschleißstellen vielfach mangels der erforderlichen Einrichtungen nicht allen Ansprüchen der Reisenden entsprechen. In den letzten Jahren wurde die Errichtung der Verschleißstellen auf sämtlichen Linien einer Bahnverwaltung vielfach einer Firma nach dem Vorbilde der französischen und englischen Betriebsart überlassen.
In Deutschland ist es namentlich die Berliner Firma Georg Stilke, die als Begründerin des deutschen B. die meisten Verschleißstellen innehat, während in Österreich hauptsächlich die Firmen Schmelzer und Bettenhausen von ihrer gemeinsamen Wiener Zentrale einen großen Teil der Bücherverschleißstellen auf den österreichischen Bahnhöfen mit Lesestoff versorgen.
In Italien, Skandinavien, Rußland und namentlich in der Schweiz ist der B. gleichfalls nach französischem Muster ausgebildet. In den Vereinigten Staaten von Amerika wird der B. von drei Firmen beherrscht.
Seit der Führung des B. durch große Firmen hat dieser einen außerordentlichen Aufschwung zu verzeichnen. Aus den einstigen dürftigen Zeitungsverschleißstellen haben sich elegante Verkaufsstellen entwickelt, die allen, sogar recht verwöhnten Ansprüchen der Reisenden nachkommen.
Einzelne Bahnverwaltungen überlassen die Bestellung der Verkäufer gänzlich den Firmen, andere hingegen verpflichten die Firmen, quieszierte Eisenbahnbedienstete oder Hinterbliebene nach Bahnbediensteten als Verkäufer anzustellen. Vielfach wird die Entlohnung der Verkäufer von den Bahnverwaltungen bestimmt.
Die Vergebung des B. erfolgt zumeist direktionsweise. Regelmäßig üben die Bahnverwaltungen die Aufsicht über die zu verschleißenden Preßerzeugnisse innerhalb der Grenzen der allgemeinen staatlichen Gesetze aus. In dieser Hinsicht wird eine verschiedene Praxis beobachtet. Während einzelne Bahnverwaltungen, wie die österreichischen und auch noch die ungarischen, den Pächtern des B. mehr oder weniger freie Hand lassen und vertragsgemäß nur Preßerzeugnisse unsittlichen oder anstößigen Inhalts ausschließen, so beobachten andere Bahnverwaltungen, wie die preußischen und sächsischen, eine schärfere Beaufsichtigung.
Der Preis für Bücher ist der normale Ladenpreis. Für Zeitungen wird zumeist ein von den Bahnverwaltungen zu genehmigender Tarif festgelegt.
In Österreich, wo der Buchhandel ein konzessionspflichtiges Gewerbe ist, wird die gewerbebehördliche Konzession vielfach von den Eisenbahnunternehmungen selbst erworben. In den meisten anderen Ländern ist der Buchhandel ein freies Gewerbe.
Da der B. die Aufgabe hat, den Bedürfnissen der Reisenden zu dienen, ist die Anschauung begründet, daß die Verschleißstellen rücksichtlich des Ladenschlusses und der Sonntagsruhe[406] sich nach dem Eisenbahnverkehre richten. Diese Seite des B. hängt enge mit der Frage zusammen, ob der B. ein selbständiges Gewerbe ist, das den Gewerbeordnungen der einzelnen Länder und den durch diese festgesetzten Beschränkungen unterliegt, oder ob der B. zum Eisenbahnbetrieb selbst gehört und als solcher den durch die Gewerbeordnungen angeordneten Beschränkungen nicht unterliegt, da ausnahmslos in allen Staaten die Gewerbeordnungen auf die Eisenbahnen keine Anwendung finden.
Diese letztere Auffassung ist aber zumeist noch nicht zum Durchbruch gelangt, wenngleich in den meisten Ländern unter Bedachtnahme auf die Verkehrsbedürfnisse gewisse Erleichterungen zugestanden werden. In Deutschland hat in den letzten Jahren eine Bewegung eingesetzt, die dahin zielt, den B. als zum Eisenbahnbetrieb gehörig den Bestimmungen der Gewerbeordnung zu entziehen. Es kam auch tatsächlich wiederholt zu gerichtlichen Entscheidungen, die den B. als einen Bestandteil des eigentlichen Eisenbahnbetriebs erklärten, so daß auf ihn die Gewerbeordnung (§ 6, RGO.) keine Anwendung findet, eine Auffassung, die auch in der Praxis allmählich Eingang fand und auch, insoweit es sich um die Verschleißstellen im abgesperrten Teil des Bahnhofes handelt, unwidersprochen blieb.
In den andern Ländern ist der B. noch ganz den Bestimmungen der Gewerbeordnung unterworfen, doch werden ihm seitens der Gewerbeaufsichtsbehörden die größtmöglichen Erleichterungen zugestanden.
Riesenfeld.