Bierwagen

[368] Bierwagen (beer car; wagon à bière; carro per birra) Kastenwagen zur Beförderung von Bier auf größere Entfernungen mit Einrichtungen, die das Bier vor schädlichen Temperatureinflüssen schützen.

Die Temperatur im Wagen soll dauernd + 6 bis 10° C betragen, wobei eine Lufterneuerung nicht nötig ist. Zu diesem Zweck werden die B. mit dicht schließenden Türen und möglichst schlecht wärmeleitenden Umfassungswänden ausgeführt sowie meist mit Eisbehältern versehen.

B. mit den vorbezeichneten Einrichtungen wurden zum ersten Male von der österr.-ungar. Staatseisenbahngesellschaft für Biersendungen der Dreherschen Brauerei in Schwechat bei Wien zur Pariser Weltausstellung im Jahre 1867 in Verkehr gebracht. Die Bauart der heute in Verwendung stehenden B. entspricht im wesentlichen noch immer der damaligen Ausführung, die überhaupt die erstmalige und vorbildliche Bauform des Eiskühlwagens im allgemeinen darstellt.

Das Bier gelangt in Gebinden von Eichenholz zur Versendung, deren Inhalt zumeist 1 hl, 0∙5 hl oder 0∙25 hl beträgt; Fässer mit 0∙6 hl (für überseeische Transporte) und 2 hl werden seltener verwendet.

Das Leergewicht der Fässer ist sehr verschieden und hat bei einem Fassungsraum von


2 hl75–100 kg
1 hl45–70 kg
0∙6 hl30–40 kg
0∙5 hl25–35 kg
0∙25 hl18–22 kg

In nachstehender Tabelle sind die mittleren Abmessungen und Gewichte für häufiger gebrauchte Biergebinde verzeichnet, wobei das spezifische Gewicht des Bieres mit 1∙02 in Rechnung gestellt ist.


Bierwagen

Am häufigsten werden Fässer von etwa 0∙5 hl versendet, trotzdem sich bei Verwendung größerer Gebinde eine bis 15% höhere Nettoladung erzielen läßt.

Bei einer mittleren Eisbeschickung von etwa 900 kg können in einem 2achsigen Wagen mit 10.000–12.000 kg Ladegewicht einschließlich des Eises zur Verladung gelangen:


35 Stück Fässerà 2hl mit 70hl Bier
66 Stück Fässerà 1hl mit 66hl Bier
106 Stück Fässerà 0∙6hl mit 63∙6hl Bier
120 Stück Fässerà 0∙5hl mit 60hl Bier
240 Stück Fässerà 0∙25hl mit 60hl Bier

Die Verladung erfolgt in der Regel derart, daß die unterste Faßreihe stehend im Wagen gelagert wird und die oberen Reihen liegend auf die erstere geschichtet werden. Für 10.000 bis 12.000 kg Ladegewicht entsprechen lichte Kastenabmessungen von ungefähr 6∙6 m Länge, 2∙5 m Breite und 2∙1 m Höhe vom Fußboden bis zum Dachanlauf, wobei die Behälter ohne Dachaufbau unterhalb der Decken angebracht werden können.

Von wesentlichem Einfluß auf die Erhaltung einer entsprechenden Temperatur im Wagen ist die Bauart der Umfassungswände und der Verschlüsse der Seitentüren sowie der Dachluken, durch die das Eis in die Behälter eingebracht wird. Fußboden, Decken-, Seiten- und Stirnwände werden mit doppelten oder dreifachen Verschalungen ausgeführt, wobei die Zwischenräume zwischen den Wänden entweder mit schlechten Wärmeleitern ausgefüllt werden oder insbesondere bei dreifacher Wandverschalung leer bleiben und sich nur atmosphärische Luft in denselben befindet; in letzterem Falle ist die Verkleidung der mittleren Zwischenwand mit Filzpapier oder Pappendeckel empfehlenswert.

Die losen Ausfüllstoffe, wie Asche, Lösche, Schlackenwolle, Holzspäne, Häckerling, Korkmehl u.s.w., haben den Nachteil, daß sie[368] nach kurzer Zeit zusammensinken und die oberen Teile der Zwischenräume nicht mehr ausfüllen. Hygroskopisches Füllmaterial, wie Häckerling, Holzspäne u. dgl., trägt zum baldigen Abfaulen der Kastenhölzer bei; um dies zu verhüten, werden die Innenseiten der Verschalungsbretter mit luftdichter Isolierungspappe verkleidet. Auch werden in neuerer Zeit die Zwischenräume mit Korksteinen ausgemauert. Diese Korksteine sind aus einem Gemenge von verkleinerten Korkabfällen und Zement hergestellt, wodurch man poröse und leichte Körper (im Gewicht von rund 350 kg f. d. m3) erhält.

Die Fugen zwischen den Steinen werden mit Kitt oder besser mit Teer ausgegossen. Es empfiehlt sich, insbesondere bei Verwendung von Kitt, in dem sich mit der Zeit Luftrisse bilden, zwischen den Korksteinplatten und der inneren Wandverschalung eine Lage Ruberoid oder gegen Fäulnis gut imprägnierten Filz anzubringen.

Zuweilen läßt man auch zwischen der äußeren und der ersten inneren Verschalung in den Seitenwänden und dem Dach durch besondere an den Stirnwänden angebrachte Öffnungen (Luftschlitzen) Luft durchstreichen, um durch den Luftzug während der Fahrt eine Abkühlung der äußeren Wände zu bewirken.

Diese Anordnung ist besonders für die Wagendecke zweckmäßig, weil letztere durch die unmittelbare Einwirkung der Sonnenstrahlen am meisten erwärmt wird. Die Luftschlitze müssen jedoch in den Wintermonaten verschlossen werden, um eine zu große Abkühlung der Wände zu verhindern.

Die B. sollen nicht mit Blech, sondern mit Segelleinwand gedeckt sein. Über der Wagendecke ist häufig in einem Abstände von etwa 100 mm ein Sonnendach angeordnet. Besondere Lüftungseinrichtungen sind entbehrlich.

Die B. erhalten zum Schutze gegen die Einwirkung der Sonnenstrahlen außen weißen oder mindestens hellfarbigen Anstrich.

Zum Einsteigen in die Wagen und zum Ein- und Ausladen der Fässer werden an den Seitenwänden Flügeltüren angebracht. Die Türflügel sind in gleicher Weise wie die Seitenwände mit mehrfacher Verschalung, die Türfalze mit Filz-, Kautschukbelag oder Polsterungen, möglichst dicht schließend hergestellt. Damit die Türverschlüsse einen guten Anschluß der Türen an die Türrahmen sichern, werden Verriegelungen angewendet, die in oben und unten am Kasten befindliche Kloben eingreifen. Die Türöffnungen sollen im Interesse der Verkleinerung der Abdichtungsflächen nicht zu groß bemessen werden.

Die Eisbehälter, die je nach den Transportentfernungen und den Witterungsverhältnissen einen Fassungsraum für 600–1800 kg Eis erhalten, werden aus Zink- oder verzinktem Eisenblech, 2–5 mm stark, meist nach obenhin offen, seltener ganz geschlossen ausgeführt und in der Längsrichtung des Wagens oder bei Anordnung an den Stirnseiten in der Querrichtung desselben unterhalb der Wagendecken an Querträgern, die an den Seitenwänden befestigt sind, aufgelagert, oder in dem hiefür angebrachten Dachaufbau aufgestellt; im letzteren Falle liegen die Behälter auf den Dachbogen auf. Bei den nach amerikanischem Vorbild ausgeführten Wagen sind statt der oberen Eisbehälter Eistaschen, die an den Stirnwänden tief herabreichend angeordnet werden, angebracht.

Die nach obenhin offenen Behälter haben den Vorteil der einfacheren Bauart, besseren Zugänglichkeit und leichteren Reinigung, gegenüber den geschlossenen Behältern jedoch den Nachteil, daß der durch das Bestreichen des frei liegenden Eises sich ergebende hohe Feuchtigkeitsgehalt der Luft auf die Holzbestandteile des Wagens schädlich einwirkt. Zur Vermeidung rascher Kälteabgabe und großen Eisverbrauchs wird häufig gegen den Laderaum zu eine Holzverschalung, die einen genügenden Luftzutritt von diesem zu den Behältern und umgekehrt gestatten muß, vorgelegt. Zuweilen werden auch in die Behälter Roste aus hölzernen Latten eingelegt, um das Eis besser vom Schmelzwasser zu trennen.

Für eine stetige Abführung des Tauwassers muß vorgesorgt sein, weil die Ansammlung des Wassers in den Behältern das Schmelzen des Eises beschleunigen würde.

Die Tauwasserablaufrohre, die an der tiefsten Stelle in die Behälter einmünden, erhalten entweder am unteren Ende außerhalb des Wagenkastens oder auch unmittelbar unter dem Behälterboden im Wagen einen siphonartigen Teil, um durch Wasserabschluß das Eindringen der äußeren Luft und des Staubes in die Eisbehälter zu verhindern.

Bei niederen Lufttemperaturen, etwa unter + 6° C, bei denen eine Eiskühlung selbstverständlich[369] entfällt, werden diese Abflußrohre an ihrem unteren Ende mit Stöpsel verschlossen.

Eine zweckmäßige Bauart einer Tauwasserableitung mit Wasserabschluß ist in Abb. 130 dargestellt. Das gebogene Stück a kann abgenommen und sodann das auf beiden Seiten offene, gerade Abflußrohr leicht gereinigt werden.

Das Einbringen der Eisstücke in die Behälter erfolgt durch viereckige Luken, die in der Regel im Dach oberhalb der Behälter angebracht und durch dicht passende abnehmbare oder umlegbare Deckel verschließbar sind.

Die Lukendeckel sowie die Seitentüren werden mit Ösen für den Zollverschluß versehen.

Für Fahrten von etwa 30 Stunden genügen im Sommer bei mittleren Witterungsverhältnissen zur Erhaltung einer entsprechenden Temperatur in Wagen mit 30 m3 Laderaum ungefähr 1000 kg Eis.

In England und Amerika sind für die Beförderung von Bier und anderen Lebensmitteln nebst Kühlwagen mit Eisbehältern auch solche ohne diese in großer Anzahl in Verwendung. Diese Wagen sind jedoch für die Vorkühlung des Wageninnern von einer ortsfesten Kühlmaschinenanlage aus eingerichtet. Die 2–3 Tage anhaltende Kühlung des Wagens wird entweder durch unmittelbares Einleiten von kalter Luft oder durch Einpumpen einer gekühlten Salzsole in ein im Wagen angebrachtes Kühlrohrnetz erzielt.

Erfolgt die Sendung bei sehr niederer Lufttemperatur (etwa unter 0°), so werden die Fässer auf Stroh gelagert, mit Stroh umhüllt und die Kastenwände innen mit Strohmatten verkleidet. Erforderlichenfalls werden außerdem Wärmflaschen mit heißem Wasser gefüllt und in entsprechender Anzahl in die Wagen zwischen den Fässern auf eine Lage von Stroh am Fußboden eingelegt.

Bei den gegen Wärmeübertragung geschützten Wänden genügt eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Wärmflaschen, um für Beförderungen von 30 bis 40 Stunden Dauer in den Wagen die erforderliche Temperatur von + 5 bis 10° zu erhalten.

Zweckentsprechender als Wärmflaschen mit heißem Wasser sind solche mit einer Füllung von essigsaurem Natron, weil diese nahezu dreimal so lange Wärme abgeben.

In neuerer Zeit werden vorwiegend tragbare Heizkasten (auch Wärmefässer), die mit künstlichen Glühsteinen gefüllt sind, zur Beheizung der B. verwendet. Der eigentliche Heizkörper ist von einem ein- oder doppelwandigen, mit Luftschlitzen versehenen Schutzmantel umgeben. Vor Einstellung in den Wagen wird die oberste Schicht des Brennstoffes in[370] Glut gebracht und der Heizkörper sodann verschlossen. Das Abglühen geht langsam von oben nach unten vor sich; die Asche bleibt im Heizkörper zurück. Die Brenndauer beträgt je nach der Größe der Heizkörper 4–8 Tage. Eine Bedienung der Heizvorrichtung während des Laufes des B. findet nicht statt. Bei strenger Kälte werden 2–3 Heizkasten in den Wagen eingebracht.

Stabile Heizeinrichtungen (Brikettheizkasten, die in das Untergestelle oder in den Wagenkasten eingebaut sind, Dampfheizeinrichtung) finden seltener Anwendung.

Die Brikettheizkasten sollen feuersicher angebracht, für Außenbedienung eingerichtet sein und, mit Ausnahme einer etwa notwendigen Nachbeschickung von Brennstoff, der in einem Vorratskasten mitgeführt wird, keine besondere Wartung während des Laufes des B. erfordern.

Die Dampfheizeinrichtung wird nur dort mit Vorteil anzuwenden sein, wo die Möglichkeit einer Dampfabgabe von der Lokomotive aus auch bei Einstellung des B. in Güter- oder Gütereilzüge gegeben ist. Bei den B. mit Einrichtung zum Vorkühlen kann diese im Winter auch zum Vorwärmen des Wagens benutzt werden.

Die B. werden meistens mit Dampfleitungen und allen erforderlichen Einrichtungen (Leitungen für durchgehende Bremsen oder mit diesen selbst u.s.w.) versehen, um sie auch in Personenzüge einstellen zu können.

In Abb. 131 ist eine vielfach in Österreich in Verwendung stehende Bauart von B. mit 2 Eisbehältern unter dem Dache und Brikettheizung dargestellt. Als Füllmaterial für die Kasten-, Dach- und Bodenwände ist Korkstein verwendet. Das Eigengewicht des Wagens beträgt 9700 kg, das Ladegewicht 12.000 kg.

Die B. werden entweder von den Bahnverwaltungen gestellt, oder von den Brauereien auf eigene Kosten angeschafft; in letzterem Fall werden die Wagen in den Wagenpark einer Bahn eingereiht und über die Benutzung zwischen Bahnverwaltung und Wageneigentümer Verträge abgeschlossen. Seitens der Bahnen werden den Bierversendern verschiedene Vorteile gewährt; so finden die B. eine besonders rasche Beförderung (mit Eilgüter- oder Personenzügen), sodann werden die Eisbehälter sowie das zur Kühlung erforderliche Eis, das von den Versendern der B. in Wagenladungen diesen beigegeben wird, gleich den von den Versendern gestellten eigenen Decken und sonstigen Ladegeräten behandelt und daher auf Grund der einschlägigen Tarifbestimmungen frachtfrei befördert. Die Tragfähigkeit der Wagen darf unter Einrechnung des Gewichts der Eisbehälter und des Eises nicht überschritten werden.

Cimonetti.

Abb. 130.
Abb. 130.
Abb. 131.
Abb. 131.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 368-371.
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Faksimiles:
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