Chicagoer Güteruntergrundbahn

[177] Chicagoer Güteruntergrundbahn. Chicago besitzt ein Netz unterirdischer schmalspuriger Güterbahnen von 97 km Gleislänge (1912), die sich über das ganze Geschäftsviertel verzweigen (Abb. 137) und zwecks Ab- und Zufuhr von Gütern Anschlüsse mit 26 Hauptgüterbahnhöfen, allen Personenbahnhöfen und einer außerordentlich großen Zahl gewerblicher und öffentlicher Anlagen und Anstalten besitzen. Unter den ersteren sind zu nennen Kraftwerke, Fabriken, Lagerhäuser Warenhäuser für Groß- und Einzelverkauf', [179] Markt- und Kühlhallen, Banken und Theater, unter den letzteren die Staatspost und das Zollamt. Die Bahn befördert Gegenstände aller Art, Massengüter, wie Erdaushub, Kohlen und Asche, Stückgüter u.s.w. Die Tunnel dienen im übrigen noch zur Aufnahme von Telephonkabeln.

Die Tunnel verlaufen in einer Tiefenlage von rund 10 m unter den Straßen. Die Abmessungen sind für anderweitige Ausführungen unvorbildlich: abgesehen von einigen zweigleisigen Stammstrecken sind die Tunnel durchwegs eingleisig mit eiförmigem Querschnitt von nur 1∙83 m Weite und 2∙3 m Höhe ausgeführt (Abb. 144). Die Spurweite beträgt 61 cm. Die Wagen, aus Stahl gebaut, haben eine Länge von 3∙2 m bei 1∙2 m Breite und 1∙1 m Höhe; sie werden zu Zügen zusammengestellt, die im Oberleitungsbetrieb von elektrischen Lokomotiven gezogen werden, in denen die Fahrer in halb liegender Stellung kauern. Die Fahrgeschwindigkeit ist gering. Gelegenheit, um den Zügen in den eingleisigen Tunneln ausweichen zu können, ist nicht vorhanden. Das Unternehmen besitzt 3000 elektrische Lokomotiven und ebensoviele Wagen.

Die Anschlüsse an die Güterstellen erfolgen teils in Höhe der Tunnelsohle, teils in höheren[180] Lagen unter der Erdoberfläche oder in Geländehöhe. Im ersten Falle haben die Anschließer die Unterkellerung der Gebäude zur unmittelbaren Aufnahme der Anschlußgleise bis zur Tunnelsohle herabzuführen. In den anderen Fällen, in denen sich die Ankunftsstellen der Züge und die Ablieferungsstellen des Gutes in verschiedenen Höhen befinden, bedarf es senkrechter oder schräger Zwischenförderung, um die – leeren oder beladenen – Bahnwagen oder das Gut selbst zu heben oder zu senken; zum Zwecke dieser Zwischenförderung sind die verschiedenartigsten Einrichtungen, wie Aufzüge, Bremsberge, Förderbänder, Becherwerke, Rutschen, Schüttrinnen und Sturztrichter, ferner Hängebahnen u. dgl. in Anwendung. Sie setzen zweckentsprechende Ausbildung der Gleisanlagen für die Abgabe der Güter an die genannten Fördermittel und für ihre Ablieferung an der Bestimmungsstelle voraus. Zu dem Zwecke ist die Bahn mit zahlreichen Seitengleisen ausgestattet, in denen die Güter für den Zwischentransport bereitgestellt werden. Die Gleisanlagen am Abgabeorte[181] sind in der verschiedensten Weise, vielfach zu kleinen Güter- und Verschiebebahnhöfen mit ihrem Zubehör an Ladebühnen u. dgl.[182] ausgebildet. Die Art der Einrichtungen ist in den Abb. 138 bis 149 an einigen Beispielen verdeutlicht. Aus der Verbindung mit den Hauptbahnen ergeben sich ferner Umlade- und Übergabeanlagen mit Ladebühnen und sonstigen für die Abfertigung erforderlichen besonderen Einrichtungen.

Die Anlagen sind von der im Jahre 1903 begründeten Illinois Tunnel Co. errichtet, während die Bauausführungen auf Grund besonderer Verträge von der Illinois Telephone Construction Co. bewirkt sind. Eine dritte Gesellschaft, die Chicago Warehouse & Terminal Co., befindet sich im Besitz der sämtlichen Lagerhäuser und Anschlüsse, die von der Tunnelbahn bedient werden. Dieser Gruppe zusammenwirkender Unternehmungen reiht sich noch das der Chicago Dock Co. an, das im Jahre 1905 von der Tunnelgesellschaft erworben, ihr aber zur Hälfte wieder verpachtet wurde.

Das Erträgnis des Unternehmens war seit jeher unbefriedigend. Im Jahre 1909 wurde die Tunnel-Gesellschaft, die außer einer Schuld von rund 11 Mill. Doll. noch ein Aktienkapital von 30 Mill. Doll. aufgenommen hat, notleidend und unter Zwangsverwaltung gestellt. Dasselbe Schicksal traf die Warenhausgesellschaft und damit auch die Finanzgesellschaft dieser Unternehmungen, die Chicago Subway Co., die sich im Besitz fast des gesamten Aktienkapitals der Tunnel-, Telephon- und Warenhausgesellschaften befand. Die Gesamtheit der Unternehmungen ist im April 1912 im Wege der Zwangsversteigerung an die am 9. April d. J. begründete Chicago Utilities Co. übergegangen, die zurzeit mit deren Reorganisation beschäftigt ist.

Kemmann.

Abb. 137. Lageplan der Chicagoer Güteruntergrund-Bahn.
Abb. 137. Lageplan der Chicagoer Güteruntergrund-Bahn.
Abb. 138. Lageplan der Anlagen am Uniondepot.
Abb. 138. Lageplan der Anlagen am Uniondepot.
Abb. 139. Grundriß eines Teils der Gleisanlagen in Höhe der Tunnelbahn.
Abb. 139. Grundriß eines Teils der Gleisanlagen in Höhe der Tunnelbahn.
Abb. 140. Becherwerk für Postsachen (Schnitt nach e–f).
Abb. 140. Becherwerk für Postsachen (Schnitt nach e–f).
Abb. 141. Grundriß eines Teils der Gleisanlagen unter dem Bürgersteig.
Abb. 141. Grundriß eines Teils der Gleisanlagen unter dem Bürgersteig.
Abb. 142. Postrutsche.
Abb. 142. Postrutsche.
Abb. 143. Postaufzug.
Abb. 143. Postaufzug.

Abb. 138 bis 143. Anlagen für die Beförderung von Postsachen im Uniondepot. Zeichenerklärung. 1 bis 6 = Rutschen für ankommende Postsachen, 7 bis 8 = Aufzüge für abgehende Postsachen. 9 bis 10 = Becherwerke für abgehende Postsachen. 11 bis 12 = Postbühnen.


Abb. 144. Querschnitt der Tunnelbahn.
Abb. 144. Querschnitt der Tunnelbahn.
Abb. 145. Längenschnitt durch die Sturzanlage.
Abb. 145. Längenschnitt durch die Sturzanlage.
Abb. 146. Querschnitt der Sturzanlage.
Abb. 146. Querschnitt der Sturzanlage.
Abb. 147. Lageplan der Sturzanlage.
Abb. 147. Lageplan der Sturzanlage.

Abb. 145–149. Sturzanlage zum Umladen von Kohle, Schotter, Kies von Eisenbahnwagen in Tunnelwagen. Erbaut für die Chicago- und Alton-Bahn. (Tägliche Leistung 5000 t.)


Abb. 148. Einrichtung zur Beseitigung des Bodenaushubs beim Bau des Majestic-Theaters. (24stündige Leistung 1750 m3 und darüber.)
Abb. 148. Einrichtung zur Beseitigung des Bodenaushubs beim Bau des Majestic-Theaters. (24stündige Leistung 1750 m3 und darüber.)
Zu Abb. 148. Schnitt nach a – b.
Zu Abb. 148. Schnitt nach a – b.
Abb. 149. Aufzug der »Monarch-Kühlhallengesellschaft« an der Cass- und Michiganstraße.
Abb. 149. Aufzug der »Monarch-Kühlhallengesellschaft« an der Cass- und Michiganstraße.
Abb. 150. Sturzanlage zum Umladen von Kohle, Schotter, Kies, von Eisenbahnwagen in Tunnelwagen. Erbaut für die Chicago und Eastern Illinois-Bahn. (Tägliche Leistung 5000 t.)
Abb. 150. Sturzanlage zum Umladen von Kohle, Schotter, Kies, von Eisenbahnwagen in Tunnelwagen. Erbaut für die Chicago und Eastern Illinois-Bahn. (Tägliche Leistung 5000 t.)
Abb. 151. Anlage für die Kohlenzufuhr zum Charles Netcher-Gebäude. (Die Tunnelbahn wurde auch zum Abtransport des Erdaushubs benutzt.)
Abb. 151. Anlage für die Kohlenzufuhr zum Charles Netcher-Gebäude. (Die Tunnelbahn wurde auch zum Abtransport des Erdaushubs benutzt.)
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 3. Berlin, Wien 1912, S. 177-183.
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177 | 178 | 179 | 180 | 181 | 182 | 183
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