Eisenbahngendarmeriepolizei

[57] Eisenbahngendarmeriepolizei, staatliche Organe, denen nach Punkt 180 und 183 des russischen Eisenbahngesetzes vom 12. Juni 1885 die Aufsicht über die Einhaltung der bahnpolizeilichen Vorschriften seitens der Eisenbahnen, soweit diese Aufsicht nicht der Regierungsinspektion überwiesen ist, sowie die Bewahrung der äußeren Ordnung und der öffentlichen Sicherheit im Bereiche der Eisenbahnen obliegt. Sie sind ein Teil der sog. 3. Abteilung und haben in hervorragendem Maße auch die Überwachung der Eisenbahnen und ihrer Angestellten in politischer Hinsicht, sowie den gesamten äußeren Polizeidienst innerhalb des Bahngebiets auszuüben. Es bestehen in Rußland 15 Eisenbahngendarmerieverwaltungen mit örtlich abgegrenzten Bezirken und je einem Gendarmeriechef an der Spitze. Innerhalb ihres Dienstbezirkes hat sich ihre Tätigkeit auf das gesamte, für Zwecke der Eisenbahnen enteignete Land einschließlich aller darauf errichteten Gebäude und Bauwerke zu erstrecken.

Die Beamten der E. ergänzen sich aus ehemaligen Offizieren und Mannschaften des Heeres; sie sind nicht Eisenbahnbeamte, sondern stets Polizeibeamte, genießen aber Vergünstigungen, die sonst nur den Eisenbahnbeamten zugute kommen, wie freie Fahrt für sich und ihre Familie, sowie die Wohlfahrtseinrichtungen der Eisenbahnverwaltungen. Besonders zahlreich auf den Grenzübergangsstationen sind sie im übrigen auf allen Bahnhöfen mit etwas erheblicherem Verkehr stationiert. Auf größeren Bahnhöfen werden der Eisenbahngendarmerie bisweilen von den Eisenbahnen bezahlte, Eisenbahnuniform tragende, bewaffnete Bedienstete (sog. Straßniks) zur Unterstützung beigegeben. Ferner wird die E. bei Reisen der zur Zarenfamilie gehörenden Personen durch besonders befähigte[57] und Vertrauen genießende Beamte, die in Zivil erscheinen (Ochrana), verstärkt.


Zur Erfüllung der ihr in politischer Hinsicht obliegenden Aufgaben führt die E. genaue Verzeichnisse über die Familienverhältnisse der in ihrem Bezirk beschäftigten Eisenbahnbediensteten sowie besonders über politisch Verdächtige oder von den Gerichten Verfolgte. Bedienstete, die der E. politisch verdächtig oder unzuverlässig erscheinen, muß die Eisenbahnverwaltung auf Ansuchen der E. entfernen oder versetzen.

Hinsichtlich der der E. obliegenden Bewachung der äußeren Ordnung und Sicherheit sind die Beamten der Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, den Beamten der E. bei Ausübung ihrer Dienstpflichten Hilfe zu leisten, ihnen unverzüglich Mitteilung von allen Wahrnehmungen zu machen, die auf begangene Übertretungen oder ein Vergehen hindeuten und ihnen auf Verlangen jede Auskunft zu erteilen (Punkt 185 des Eisenbahngesetzes). Im Falle der Abwesenheit der Beamten der E. vom Ort der Übertretung haben die Eisenbahnbediensteten bis zur Ankunft der E. die Spuren der Übertretung mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverändert zu erhalten (Punkt 186 des Eisenbahngesetzes). Von den ihrerseits bezüglich des äußeren Dienstes und der guten Ordnung wahrgenommenen Unregelmäßigkeiten machen die Beamten der E. zunächst der Eisenbahnverwaltung Mitteilung, nachdem sie, wenn nötig, den Tatbestand protokollarisch festgelegt haben, und ziehen, wenn ihre Mitteilung an die Eisenbahnverwaltung keinen Erfolg hat, die Schuldigen zur gerichtlichen Verantwortung. Ebenso ist zu verfahren, wenn sie wahrnehmen, daß die im Interesse der Betriebssicherheit erlassenen sowie überhaupt die den technischen Teil und die Betriebsführung betreffenden Vorschriften und Anordnungen nicht befolgt werden. Andererseits haben auch die Beamten der Eisenbahninspektion, wenn sie in Dienstzweigen, deren Überwachung zum Geschäftsbereich der E. gehört, Unregelmäßigkeiten bemerken, den zuständigen Vorständen der E. Mitteilung zu machen.

Über die von der E. wahrgenommenen Unregelmäßigkeiten in den Dienstzweigen, die der Aufsicht der Regierungsinspektion unterliegen, ist dem zuständigen Inspektor Mitteilung zu machen, und, wenn keine Abhilfe erfolgt, die Sache durch den Vorstand der E. (Bezirkschef) zur Kenntnis des höheren Vorgesetzten zu bringen (Punkt 182 des Eisenbahngesetzes).


Bei Betriebsunfällen obliegt der E. die Feststellung des Tatbestandes, der Schuldfrage und der Ursachen des Unfalles, und schließlich haben die Beamten der E. auch bei Transportbeschädigungen sowie überhaupt bei allen Anlässen, aus denen Entschädigungsansprüche gegen die Eisenbahnverwaltung geltend gemacht werden könnten, den Tatbestand mitfestzustellen und durch ihre Unterschrift zu beglaubigen.

Eine ähnliche Stellung wie die E. in Rußland nehmen die durch Ministerialdekret vom 22. Februar 1855 in Frankreich eingesetzten Commissaires spéciaux et inspecteurs de police pour la surveillance des chemins de fer ein. Ihnen obliegt die Ausübung der inneren Staatspolizei auf dem ihnen als Sitz angewiesenen Bahnhof oder innerhalb der ihnen zugeteilten Bahnstrecke. Vorkommende Vergehen haben sie nach gemeinem Recht festzustellen, die Schuldigen festzunehmen und über alle wichtigeren Vorkommnisse dem Präfekten zu berichten.

In anderen Staaten (Deutschland, Österreich und Italien) wird der Sicherheitsdienst im Bahnbereich insbesondere auf größeren Bahnhöfen nicht durch besondere Polizeiorgane, sondern, soweit er nicht durch Bedienstete der Eisenbahnen (Eisenbahnpolizeibeamte) wahrgenommen wird, durch Organe der allgemeinen (staatlichen oder kommunalen) Polizei oder durch die gewöhnliche Gendarmerie gehandhabt.

Matibel.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 4. Berlin, Wien 1913, S. 57-58.
Lizenz:
Faksimiles:
57 | 58
Kategorien: