[67] Eisenbahnhygiene. Inbegriff der im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege gelegenen Einrichtungen und Vorkehrungen der Eisenbahnen, insbesonders der Vorsichtsmaßregeln, die geeignet sind, von Reisenden, Bediensteten und dritten Personen die ihnen aus dem Bestände und Betriebe der Eisenbahnen drohenden Gefahren abzuwenden. Die E. hat die Aufgabe, den Bau der Bahn selbst, der Wagen und Lokomotiven vom gesundheitlichen Standpunkte aus zu überwachen, sie hat mitzusprechen bei der Lüftung, Heizung, Beleuchtung und Reinigung der Wagen und der Aufenthaltsräume für Reisende und Bedienstete auf den Bahnhöfen und auf der Strecke. Sie hat die Einrichtungen für ihre Beköstigung (Bahnhofwirtschaften, Speisewagen) zu überwachen, für die Beförderung von Kranken und Verletzten zu sorgen, mitzuwirken bei der Verhütung von Verschleppung übertragbarer Krankheiten, bei Unglücksfällen das Rettungswesen zu regeln und, entsprechend den heutigen sozialen Anschauungen in allen zivilisierten Ländern, in ausgedehntem Maße Wohlfahrtseinrichtungen für die Bediensteten zu schaffen. Diese letzteren erstrecken sich auf die Wohnung, Ernährung, Kleidung, Diensteinteilung und auf die Sorge für die rechtzeitigen Ruhezeiten der Bediensteten, auf die nötigen Schutzvorrichtungen bei Ausübung des Dienstes, auf die Fürsorge für Erkrankte u.s.w. All das gehört zu den Pflichten der zu diesem Zweck angestellten Beamten und Ärzte.
Auf der Bahnstrecke selbst erfordert der Oberbau gewisse hygienische Maßnahmen, um die Reisenden vor Schädlichkeiten zu bewahren. Ein wichtiger Punkt beim Eisenbahnbau war von jeher die Schienenstoßverbindung; man versucht die für die Reisenden lästige Erschütterung beim Befahren der Stöße zu vermeiden durch Verstärken und Verbesserung des Oberbaues. Der zur Bettung jetzt vielfach verwendete Basaltschlag an Stelle des früher üblichen Kieses schützt vor übermäßiger Staubentwicklung, die besonders auf langen, ebenen Strecken lästig wurde. Für den Bau von Bahnhöfen bestehen in Deutschland »Normen für den Bau und die Ausrüstung der Haupteisenbahnen Deutschlands« und für die zum »Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen« gehörigen Eisenbahnen »Technische Vereinbarungen über den Bau und die Betriebseinrichtungen der Haupt- und Nebenbahnen«. Die Zugänge und Bahnsteige, die Warteräume, Wohn- und Diensträume müssen gut beleuchtet und gelüftet, die Aufenthaltsräume geheizt sein und genügende Größe besitzen. Für genügenden Raum, Sauberkeit und Vermeidung von Zugluft sowie von scharfen Ecken an den Eingängen ist Sorge zu tragen. Das Trinkwasser muß leicht erreichbar, klar, von reinem Geschmack, kühl und frei von Keimen sowie schädlichen Beimengungen sein. Von großer Bedeutung ist die zweckmäßige Anlage und Einrichtung der Aborte. Diese sind für beide Geschlechter getrennt herzustellen, sie müssen bequem zu erreichen und nach allen Vorschriften der Hygiene eingerichtet sein. Zweckmäßig sind auch für die Bedürfnisanstalten abgeteilte Stände. Für sorgfältige Reinhaltung und ausreichende Spülung dieser Anstalten ist stets Sorge zu tragen.
In den Eisenbahnwerkstätten ist für genügendes Licht bei Tage und durch künstliche Beleuchtung, ferner für Staubsaugevorrichtungen und für Sicherungen gegen Körperverletzungen bei allen maschinellen Betrieben zu sorgen.
Besondere Aufmerksamkeit wird dem Bau der Personenwagen zugewendet. Von der Länge des Radstandes der Wagen und der Zahl der unter ihnen liegenden Achsen hängt im wesentlichen der ruhige Gang der Wagen ab. Bei 4- und 6achsigen Wagen ruht dieser an beiden Enden auf besonderen 2- oder 3achsigen, untergebauten Wagen, dem sog. Drehgestell. Das Dröhnen der Wagen während der Fahrt wird durch Holz wesentlich gemildert. Doch lassen sich durch kräftige und genau eingestellte Stahlblattfedern gleichfalls störende Erschütterungen erheblich verringern. Vom hygienischen Standpunkte aus sind für längere Fahrten Durchgangswagen mit Seitengang vorzuziehen, für kurze Strecken und kurze Aufenthalte ist wegen der Möglichkeit[67] der schnelleren Entleerung den Abteilwagen der Vorzug zu geben. Die Größe der Abteile ist für Preußen folgendermaßen vorgeschrieben:
A. D-Zugswagen.
1. Abteil | I. Kl. | (in Wagen I./II. Kl.) | 9∙706 m3 |
2. Abteil | I. Kl. | (in Wagen I./II./III. Kl.) | 10∙30 m3 |
3. Abteil | II. Kl. | (in Wagen I./II. Kl.) | 9∙516 m3 |
4. Abteil | II. Kl. | (in Wagen I./II./III. Kl.) | 9∙81 m3 |
5. Abteil | III. Kl. | (in Wagen I./II./III. Kl.) | 8∙22 m3 |
6. Abteil | III. Kl. | (in Wagen III Kl.) | 8∙088 m3 |
B. Abteilwagen (vierachsig).
1. Abteil | I. Kl. | (in Wagen I./II. Kl.) | 12∙2 m3 |
2. Abteil | I. Kl. | (in Wagen I./II./III. Kl.) | 12∙1 m3 |
3. Abteil | II. Kl. | (in Wagen I./II. Kl.) | 11∙6 m3 |
4. Abteil | II. Kl. | (in Wagen I./II./III. Kl.) | 11∙632 m3 |
5. Abteil | III. Kl. | (in Wagen I./II./III. Kl.) | 8∙456 m3 |
6. Abteil | III. Kl. | (in Wagen III Kl.) | 9∙457 m3 |
Diese Größe entspricht nicht dem sonst allgemein für Wohnräume verlangten Kubikinhalte für den Kopf; diese wird aber nie zu erreichen sein, da die Breite und Höhe der Wagen, das sog. Normalprofil, vorgeschrieben ist und mit Rücksicht auf Tunnel und Brücken nicht geändert werden darf. Es hat sich aber herausgestellt, daß die Normalvorschriften für den Kubikinhalt von Wohnräumen bei Eisenbahnwagen auch verringert werden können, weil durch die Bewegung und das zeitweilige Öffnen der Türen und Fenster, besonders an Haltestellen, stets für genügende Zufuhr frischer Luft gesorgt werden kann, selbst wenn die Lüftungsvorrichtungen nicht in Tätigkeit gesetzt werden. Zur Abhaltung unangenehmer Lichteffekte sind sowohl an den Fenstern als auch an den Beleuchtungskörpern Schutzgardinen anzubringen. Als besondere hygienische Maßnahme muß auch die Gewährung besonderer Abteile für Raucher und Nichtraucher und in Zügen, die größere Strecken durchfahren, die Mitführung von Speise- und Schlafwagen angesehen werden. Abgesehen von der Zeitersparnis, die lange Aufenthalte entbehrlich macht, trägt es wesentlich zur Gesundheit der Reisenden bei, wenn diese imstande sind, zu rechter Zeit warme Mahlzeiten einzunehmen und während der Nacht, ausgestreckt liegend, genügend Raum zum Schlafen haben. Bei den Schlafwagen hat sich die amerikanische Einrichtung mit Längstbetten hinter einfachen Vorhängen in Europa nicht eingebürgert, man hat auch hier völlig geschlossene Abteile zu je ein und zwei Betten bevorzugt. In den Schlafwagen ist wie in den übrigen Wagen für besonders ruhigen Gang, gute Abblendung der Beleuchtungskörper und für genügende Lufterneuerung durch Sauger Sorge zu tragen. Der Schlafwagen hat außer getrennten Klosetten auch getrennte Waschräume für die beiden Geschlechter zu enthalten.
In den Speisewagen ist den Behörden die Aufsicht über und die Einwirkung auf die Höhe der Preise und die Güte der Speisen und Getränke vorzubehalten. Das Problem, den Speisewagen mit ihrer großen Glasfensterfläche und den viel leichteren Möbeln den gleich ruhigen Gang zu geben wie den anderen Wagen, ist noch nicht als gelöst zu betrachten.
Die Lüftung der Wagen geschieht vielfach noch durch Offenhalten der Fenster. Dagegen ist auf den Haltestellen nichts einzuwenden, bei schneller Fahrt, besonders bei D-Zügen in der Ebene wird aber dadurch sehr viel Staub und bei ungünstiger Windrichtung auch Rauch in die Abteile getrieben. Am besten lüftet man durch Sauger; es ist aber bisher kein System bekannt, das einen dauernden Gehalt der Luft in den Abteilen von höchstens 1‰ CO2 gewährleistet. Für die Sauger bestehen verschiedene Systeme: Torpedo-, Rapid-, Grove- (Allzeit voran), Potsdamer-, Viehhof- und Voß-Wolpert-Sauger.
Die Heizung soll eine tunlichst gleichmäßige Luftwärme von ungefähr 15° C in den Abteilen erzielen, sie darf die Luft nicht zu sehr austrocknen, muß feuersicher sein und Belästigung der Reisenden durch strahlende Wärme, Rauch, Ruß, Staub und schädliche Dünste vermeiden. Die Bedienung und Instandhaltung muß möglichst einfach sein. Hieraus ergibt sich als die bisher beste Heizungsart für Personen- und Schnellzüge (D-Züge) auf Hauptbahnen: 1. Dampfheizung von der Lokomotive aus, 2. Warmwasserheizung mit besonderen Rostfeuerungen in jedem einzelnen Wagen, 3. Warmwasserheizung ohne Rostfeuerung durch Anwärmung des Wassers mittels Dampf von der Lokomotive. Versuche mit Gasheizung haben sich nicht bewährt. Bei der Dampfheizung von der Lokomotive aus werden bei langen Zügen und großer Kälte noch besondere Kesselwagen eingestellt, bei letzterer auch auf den Abgangsstationen die Wagen durch besondere Zuleitungen von den Bahnsteigen aus angeheizt. Die Dampfspannung darf höchstens auf 3 at. für ein cm2 gehalten werden (Niederdruckdampfheizung), auf 1 m3 Luftraum sind durchschnittlich 0∙12 m2 Heizfläche einzubauen, für die Endabteile 0∙15 m2 (s. Heizung der Eisenbahnwagen).
Fast noch schwieriger als die gleichmäßige Heizung eines Zuges ist die Abkühlung der Wagen im heißen Sommer. Man hat versucht, sie durch Aufstellen der Wagen unter Schattendächern,[68] durch weißen Anstrich der oberen Wagendecke, durch Berieseln dieser mit Wasser und durch doppelte Böden der Decke zu erzielen.
Die Beleuchtung soll Explosion und Feuergefahr verhüten und den Reisenden auf Hauptbahnen ermöglichen, möglichst auf allen Plätzen Druckschrift zu lesen. Sehr verbreitet ist in Europa und Amerika die Pintschsche Ölgasbeleuchtung in Verbindung mit Azetylen. Die von Laien gern bevorzugte elektrische Beleuchtung erlaubt zwar bessere Lichtverteilung und erfordert beim Anzünden geringeren Arbeits- und Zeitaufwand, ist aber erheblich teurer und bietet durchaus keine größere Feuersicherheit (s. Beleuchtung der Eisenbahnwagen).
Die Reinigung der Wagen wird am besten durch das Staubsaugeverfahren erzielt.
Über die Desinfektion der Wagen u.s.w. bestehen in den einzelnen Ländern eingehende Vorschriften (s. Desinfektion).
Die in den Wagen vorhandenen Klosette sollten unten an den Trichtern mit Klappen zum Schutze gegen Zugluft und mit Wasserspülung versehen sein und gleichzeitig eine Waschvorrichtung enthalten. Seife und Handtücher sind unter Umständen durch Automaten zu beschaffen.
Auf größtmögliche Reinhaltung hat das Zugbegleitungspersonal (Reinigungsfrauen) besonders zu achten. Wesentlich unterstützt wird die Reinlichkeit durch Belag des Fußbodens und der Wände mit Kacheln.
Zur Verminderung der Rauchentwicklung sollen bei personenführenden Zügen Kohlensorten verwendet werden, die nicht übermäßig Rauch entwickeln. Zur Fahrt durch Tunnel und geschlossene Ortschaften werden aus dem gleichen Grunde die Lokomotiven vielfach mit Koks oder Rohöl geheizt sowie mit rauchverzehrenden Einrichtungen versehen.
Reisende (und Dienstpersonal) sind durch besondere in Übereinstimmung mit der Landespolize behörde zu erlassende Vorschriften, die den Bahnärzten bekanntzugeben sind, gegen Krankheiten zu schützen.
Es ist für Untersuchung kranker Reisender, ihre Unterbringung auf besonderen Übergabestationen, Verbot der Beförderung (s. Ausschluß von der Fahrt) gewisser Kranker (Pest, Cholera) Sorge zu tragen. Der Kampf gegen die Tuberkulose ist durch Verbote des Ausspeiens in Bahnhöfen und Eisenbahnwagen zu führen, durch rechtzeitiges Fernhalten Tuberkulöser vom Dienste und ihre Behandlung in Heilstätten. Das sog. Eisenbahnfieber tritt bei einzelnen Menschen in ähnlicher Form wie die Seekrankheit bei Überfüllung schlecht gelüfteter Abteile und in schlecht fahrenden, stark schleudernden Wagen auf. Sog. Railway Brain und Railway Spine findet sich als Folge von Eisenbahnunfällen sowohl bei Reisenden als auch bei Bediensteten, ist aber keine Krankheit eigener Art, sondern nur als eine besondere Form von Hysterie anzusehen.
Um Verletzungen vorzubeugen, ist das Dienstpersonal zu unterrichten. Es müssen Rettungseinrichtungen vorhanden sein, u. zw.: kleine Rettungskasten, die in jedem Zuge mitzuführen sind und auf kleineren Stationen vorhanden sein müssen. Auf größeren Stationen und auf solchen, auf denen sich auch nur zeitweilig größere Menschenmassen ansammeln (Sonntagsausflügler), und in den Eisenbahnwerkstätten sind größere Rettungskasten aufzustellen, die es den Bediensteten und auch den Ärzten ermöglichen, jede Art von ersten (Not-) Verbänden anzulegen, die Blutstillung und die Beförderung der Verletzten auf Tragbahren vorzunehmen.
Für Unglücksfälle sind Rettungszüge (Rettungswagen) an geeigneten Stellen und in genügender Anzahl aufzustellen, die nur diesem Zweck dienen dürfen und neben Verbandmaterialien einen Raum zur Unterbringung der Verletzten und einen Verbandraum, möglichst auch einen besonderen Raum der für diesen Dienst ausgebildeten Mannschaften enthalten müssen. Für die Beförderung von Kranken müssen besondere Wagen oder Wagenabteile vorhanden sein, die den Kranken gewisse notwendige Bequemlichkeiten, wie Ruhebetten (Luehr-Strauß), Wasch- und Klosetteinrichtungen, Kochgelegenheit u.s.w. gewähren. Sehr zweckmäßig sind auf den preuß.-hess. Staatsbahnen hierfür Wagen III. Klasse eingerichtet, in denen in 1/4 Stunde durch Herausnehmen einer Querwand 2 Abteile zu einem Krankenraum vereinigt werden können; besondere Einrichtungen, Ruhebett, Stuhl, Wasch- und Kochvorrichtung werden dann eingestellt.
Diese Wagen müssen besonders ruhig laufen und dürfen mit dem Rettungswesen nicht verquickt sein.
Zu den hygienischen Einrichtungen im weiteren Sinne gehören auch jene, durch die die Sicherheit des Betriebs gefördert wird (vgl. Betriebssicherheit). Von größter Bedeutung für letztere ist ein gesundes Personal. Dieses ist deshalb bei seiner Aufnahme auf seine körperliche und geistige Rüstigkeit zu untersuchen; vor allem ist dabei das Augenmerk dem Seh- und Hörvermögen und dem Zustande des Nervensystems zu widmen, um die Sicherheit des Betriebs zu gewährleisten. Besondere Aufmerksamkeit ist den Wohnungen der [69] Beamten zuzuwenden; dem Fahrpersonal sind hygienisch einwandfreie Übernachtungsräume an geeigneten Stationen einzurichten, in denen es neben der nötigen Ruhe auch Kochvorrichtungen, Badegelegenheit und Kleidertrockenräume findet. Für Erholungsbedürftige sind Erholungs- und Genesungsheime, für alte, verdiente Beamte Invalidenheime einzurichten. Für genügend lange Ruhepausen des Betriebspersonals ist Sorge zu tragen, aber ebenso auch für dessen rechtzeitige Überführung in den Ruhestand bei auftretenden Mängeln der körperlichen oder geistigen Rüstigkeit. Dem unteren Personal ist geeignete Kleidung zu gewähren. Diese soll im Winter vor Kälte, im Sommer gegen Hitze schützen, besonders aber Durchnässung verhüten (imprägnierte Stoffe). Für gewisse Verrichtungen des Personals, z.B. für die Desinfektionen, sind waschbare Überkleider vorrätig zu halten. Besondere Sorgfalt ist der Verpflegung des Fahrpersonals zuzuwenden, dem Gelegenheit gegeben werden muß, zur richtigen Zeit warme Mahlzeiten einzunehmen. Für die Überwachung des Personals sind besonders geschulte Ärzte anzustellen, die in allen Zweigen der Hygiene, besonders aber in der E. durchgebildet sind.
Literatur: Dr. Csatary, Die Hygiene des Eisenbahnwesens. Vortrag, gehalten auf dem X. internationalen medizinischen Kongreß, Berlin 1890. Braehmer-Schwechten, Eisenbahnhygiene (Fischer, Jena) 1904. Herzfeld, Handbuch der bahnärztlichen Praxis (Schoetz, Berlin). 1903. Die Inspektion der Wagen und Stationen in den Vereinigten Staaten nach gesundheitlichen Gesichts punkten (Bulletin d. Int. Eis.-Kongr.-Verb., 1913, S. 294).
Schwechten .
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