Vorzug

[231] Vorzug, Nachzug, Teilzug. Für den Verkehrsandrang, wie er vor großen Festen, bei Beginn und Schluß der Ferien oder aus sonstigem Anlaß bei der Personenbeförderung einzutreten pflegt, reicht die fahrplanmäßige Zahl an Zügen oft nicht aus, auch wenn ihre Wagenzahl bis an die Grenze der Zugkraft der Lokomotive erhöht wird. Die dann durch Sonderzüge (s.d.) notwendig werdende Ergänzung des Fahrplans vollzieht sich sowohl für die Verwaltung als auch für die Reisenden am einfachsten und zweckmäßigsten, wenn an Stelle eines fahrplanmäßigen Personenzuges deren mehrere unter gleichen Beförderungsbedingungen in möglichst annähernder Zeitlage abgelassen werden. Auf den deutschen Bahnen nennt man die in diesem Falle vor dem fahrplanmäßigen Zuge zur Ablassung gelangenden Züge V., die ihnen folgenden Nachzüge. Vor- und Nachzüge werden hinsichtlich der betriebssicheren Abwicklung des Fahrdienstes als Sonderzüge behandelt und als V., Nachzug mit der Nummer des Hauptzuges, mehrere Vor- oder Nachzüge als erster, zweiter V. oder Nachzug gemeldet (s. Fahrplan). Die österreichischen Vorschriften für den Verkehrsdienst (Art. 70) vermeiden den Ausdruck V. oder Nachzug. Sie bilden für Züge, die sich mit gleichen Fahrzeiten und Aufenthalten folgen, eine besondere Gattung, die abgeteilten Züge (s. Sonderzüge) und machen sie in der Weise kenntlich, daß der Nummer oder besonderen Benennung des Hauptzuges die Bezeichnung des Zugteils I, II, u.s.w. in Bruchform als Nenner beigefügt wird, z.B. Zug 120/II. Auf eingleisigen Strecken dürfen aber in Österreich nach Art. 116 derselben Vorschriften abgeteilte Züge in nicht mehr als 2 Teilen eingeleitet werden.

Da ein Teil der Reisenden sich bereits vor der im Fahrplan bekanntgegebenen Zeit auf dem Bahnhof einzufinden pflegt, so ist es in der Regel auch ohne vorherige Bekanntmachung möglich, den das gewöhnliche Maß übersteigenden Verkehr durch einen V. zu bewältigen. Es setzt dies nur voraus, daß das Bedürfnis zeitig bekannt wird und ausreichend Zeit verbleibt, um die für die Ablassung des V. erforderlichen Maßnahmen treffen zu können. Da das nicht immer der Fall ist, so verbleibt häufig nur die Möglichkeit der Ablassung von Nachzügen. V. haben den großen Vorteil, daß sie die Abfertigung des Hauptzuges erleichtern und seine Verspätungen herabmindern oder ihnen vorbeugen und dadurch Anschlußversäumnisse (s.d.) vermeiden. Auch können sie unterwegs aufgelöst werden, sobald von einer Station ab der Hauptzug allein für den Verkehr ausreicht, während Nachzüge oft mit geringer Besetzung weitergeführt werden müssen, um den Reisenden die Möglichkeit, das Reiseziel in angemessener Zeit zu erreichen, nicht zu nehmen. V. oder Nachzüge verkehren in der Regel in Zeitabständen vom Hauptzug von 10–20 Min. (s. Zugfolge). Auf besonders verkehrsreichen Strecken werden Fahrpläne für die erfahrungsgemäß häufiger einzulegenden Vor- oder Nachzüge in den Dienstfahrplan aufgenommen oder auch wohl durch den Aushangfahrplan bekanntgegeben, wenn von vornherein die Notwendigkeit ihrer Ablassung für einen längeren Zeitraum feststeht.

Bei der Güterbeförderung tritt das Bedürfnis zur Ablassung von V. oder Nachzügen nicht so häufig ein wie im Personenverkehr. Für den hier über das gewöhnliche Maß aufkommenden Verkehr werden Bedarfszüge (s.d.) im Fahrplan vorgesehen und von den Zugbildungsstationen (s.d.) zur Abbeförderung der bei den einzelnen Zügen zurückgebliebenen Wagen abgelassen. Nur ausnahmsweise liegt ein Anlaß zur Ablassung eines zweiten Teiles eines Güterzuges vor, wenn andernfalls allzu große Verzögerungen in der Beförderung der Wagen eintreten würden. Dagegen kommt es auch im regelmäßigen Dienst vor, daß auf Bergstrecken am Fuße der Steigung in voller Belastung ankommende Züge sei es wegen ungenügender Zugkraft oder ungenügender Länge der Bahnhofsgleise geteilt und als selbständige Teilzüge weitergefahren werden müssen. Bei Zügen mit Truppen oder Armeematerial kommt eine solche Teilung in 2 »Halbzüge«, die nötigenfalls im Verlaufe der Weiterfahrt wieder zu einem Zuge vereinigt werden, besonders dann vor, wenn sie vom gewöhnlichen Wege des Verkehrs abweichen und Bahnstrecken benutzen müssen, die für die Aufnahme voller Züge nicht eingerichtet sind. Bei solcher von vornherein vorgesehenen Teilung ist bereits bei der Zugbildung dafür Sorge zu tragen, daß möglichst jeder Teilzug in sich so zusammengesetzt und mit Bremsen ausgerüstet ist, wie es die Betriebs- und Beförderungsvorschriften für die getrennte Beförderung der Halbzüge verlangen.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 231-232.
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