Eisenbahnkommissariate

[74] Eisenbahnkommissariate, Eisenbahnkommissare, in einzelnen Staaten bestehende Organe zur Ausübung des staatlichen Aufsichtsrechts über die Privateisenbahnen.

In Preußen bildet die gesetzliche Grundlage für die Ausübung des staatlichen Aufsichtsrechts über Privateisenbahnen der § 46[74] des Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838. Danach sollte zur Ausübung des staatlichen Aufsichtsrechts ursprünglich für jede Privateisenbahn ein beständiger Kommissar ernannt werden, an den sich die Gesellschaft in allen Beziehungen zur Staatsverwaltung zu wenden hätte. Dieser Kommissar hatte die Befugnis, die Vorstände der Privatbahnen zusammenzurufen und deren Zusammenkünften beizuwohnen. Später wurden mehrere Kommissare, die im wesentlichen selbständig nebeneinander wirkten, und denen noch besondere mit dem Eisenbahnwesen vertraute technische Beamte beigegeben wurden, zu Behörden vereint und diese als E. bezeichnet, deren Geschäftsbereich durch das Regulativ vom 24. November 1848 geregelt wurde. Nach dem staatlichen Erwerb der größten Zahl der Privatbahnen ging im Jahre 1884 die gesamte Staatsaufsicht über die Privatbahnen auf das E. in Berlin über. Gleichzeitig mit der Neuorganisation der preußischen Staatseisenbahn Verwaltung wurde auch dieses durch Allerhöchsten Erlaß vom 15. Dezember 1894 aufgelöst und die Ausübung des staatlichen Aufsichtsrechts über die Privateisenbahnen mit Erlaß vom 2. März 1895 den Präsidenten der kgl. Eisenbahndirektionen vom 1. April 1895 ab übertragen, die ihre hierauf bezüglichen Geschäfte unter der Bezeichnung »der königliche Eisenbahnkommissar« zu erledigen haben. Außer ihnen ist für die Ausübung der Staatsaufsicht über die badischen und württembergischen Staatsbahnen in Hohenzollern der Regierungspräsident in Sigmaringen und über die auf preußischem Gebiet gelegenen Strecken der Reichseisenbahnen der Präsident der Generaldirektion dieser Bahnen zu Straßburg als Kommissar bestellt.

Für den Umfang des von den Eisenbahnkommissaren unter Oberaufsicht des Ministers wahrzunehmenden Aufsichtsrechts bildet noch heute das Regulativ vom 24. November 1848 die Grundlage. Danach obliegt ihnen hinsichtlich der auf Grund des Gesetzes vom 3. November 1838 konzessionierten Privateisenbahnen, nicht auch der Kleinbahnen, die Wahrung der Rechte des Staates den Eisenbahngesellschaften gegenüber sowie der Interessen der Eisenbahnunternehmungen als gemeinnützige Anstalten und der Interessen des die Eisenbahn benutzenden Publikums; im übrigen ist die Wahrung der Rechte des Publikums den Eisenbahngesellschaften gegenüber Sache der Regierungspräsidenten. Es ressortieren also von den Eisenbahnkommissaren die finanziellen und Betriebsangelegenheiten der Eisenbahngesellschaften, sofern dabei ein allgemeines Interesse obwaltet, desgleichen die Fürsorge für die Aufrechterhaltung und Befolgung des Gesellschaftsstatuts und der den Gesellschaften auferlegten Bedingungen, insbesondere auch die Überwachung der Ausführung des vorgeschriebenen Bahnpolizeireglements sowie der mit der Handhabung des letzteren beauftragten Bahnbeamten; von den Regierungspräsidenten dagegen ressortieren außer der Enteignung und der Ausübung der Polizeistrafgewalt namentlich die wegen der Bahnanlage notwendige Regelung der Wege- und Bewässerungs- sowie der Vorflutangelegenheiten.

Bei der durch § 22 des Gesetzes vom 3. November 1838 vorgeschriebenen Revision einer im Bau vollendeten Eisenbahnanlage wirken der Eisenbahnkommissar und der Regierungspräsident als gleichberechtigte Kommissare des Ministers zusammen; beide erstatten ihre Berichte unmittelbar an den Minister. Im übrigen haben sie bei Angelegenheiten, die den Geschäftsbereich beider berühren, miteinander ins Einvernehmen zu setzen.

Außer in dem genannten Regulativ ist die Zuständigkeit der Eisenbahnkommissare durch eine Reihe von Erlassen geregelt, durch die ihre Befugnisse ständig erweitert und die Ausübung des Aufsichtsrechtes im einzelnen geordnet worden ist. So sind durch Erlaß des Ministers für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten vom 14. Juni 1875 den Eisenbahnkommissaren zur Vereinfachung des Geschäftsganges vorbehaltlich des Rekurses an den Minister überwiesen: 1. die Anträge auf Genehmigung der Projekte für den Umbau oder die Erweiterung von Bahnhöfen, jedoch nur unter gewissen Voraussetzungen; 2. die Anträge auf Inbetriebnahme neugebauter zweiter Gleise nach vorschriftsmäßiger Revision; 3. die Anträge auf Genehmigung der Beschaffung von Betriebsmitteln für Bahnen, die keine staatliche Zinsgarantie genießen, wenn die Bauart den jeweiligen Normalien der Staatseisenbahnverwaltung entspricht; 4. Anträge auf Genehmigung der Dienstinstruktionen der Beamten mit Ausnahme jener für Direktionsmitglieder und Oberbeamte. Ferner ist den Eisenbahnkommissaren durch diesen Erlaß und den vom 13. November 1908 zugewiesen die Genehmigung sämtlicher Fahrplanänderungen, auch beim Fahrplanwechsel, sofern von den anschließenden Eisenbahnverwaltungen oder von der Postverwaltung keine Einwendungen gegen den Fahrplan erhoben werden und sofern bei Hauptbahnen nicht vorhandene Zuganschlüsse aufgegeben werden.[75]

Des weiteren ist durch Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 21. Februar 1879 der Wirkungskreis der Eisenbahnkommissare ausgedehnt auf folgende Angelegenheiten: 1. Feststellung der Projekte für Niveaukreuzungen von Lokomotivbahnen durch Pferdebahnen; 2. Feststellung der Projekte für Errichtung von Centesimalwagen, Kranen und ähnlichen mechanischen Anlagen auf Bahnhöfen nebst den zugehörigen Gleisanlagen, sofern letztere nicht eine Änderung der in den Hauptgleisen liegenden Weichenverbindungen erfordern; 3. Genehmigung der Signalordnungsbestimmungen für Bahnen untergeordneter Bedeutung unter Festhaltung der Einheitlichkeit der Signale. In diesem Erlaß ist auch bestimmt, daß in den Fällen, wo das Bahnpolizeireglement für die Eisenbahnen in Deutschland vom 4. Januar 1875 – jetzt Eisenbahnbau- und Betriebsordnung vom 4. November 1904 – nicht die Entscheidung der »Landes- und Aufsichtsbehörden«, sondern lediglich der »Aufsichtsbehörden« ohne nähere Bezeichnung vorsieht, die Eisenbahnkommissare in betreff der ihnen unterstellten Privateisenbahnen als die erstinstanzliche Aufsichtsbehörde anzusehen sind. Sie haben demnach darüber zu wachen, daß die Betriebsbeamten der ihrer Aufsicht unterstellten Privatbahnen die vom Bundesrat vorgeschriebene Befähigung besitzen; sie können die Festsetzung von Ordnungsstrafen gegen Bahnpolizeibeamte anordnen und sind bei gerichtlicher Verfolgung solcher wegen in Ausübung ihres Amtes begangener Handlungen zur Erhebung des Konfliktes zuständig.

Im einzelnen ist den Eisenbahnkommissaren noch durch besondere Erlasse zugewiesen die fortlaufende Überwachung der planmäßigen Herstellung der Bahnen sowie die Vornahme von Revisionen der Bahnanlagen und der Betriebsmittel, ferner die Aufsicht über die Anstellungs- und Besoldungsverhältnisse der Beamten, ihre Dienstdauer und Pensionsverhältnisse, gesetzmäßige Berücksichtigung der. Militäranwärter bei Besetzung der Beamtenstellen sowie die Aufsicht über das Tarifwesen und in gewissen Grenzen die Genehmigung von Tarifänderungen. Die Mitwirkung der Eisenbahnkommissare bei Verwaltung des Eigentums der Privatbahnen ist durch das Gesetz über die Bahneinheiten vom 8. Juli 1902 (G. S. Seite 237) geregelt; ihre Tätigkeit in einem auf Antrag einer Privatbahnverwaltung eingeleiteten Enteignungsverfahren auf Grund des Gesetzes vom 11. Juni 1874 bestimmt der Erlaß der Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten und des Innern vom 7. November 1887. Die Befugnisse der Eisenbahnkommissare hinsichtlich des Baues und Betriebes von Privatgleisen, die an eine dem öffentlichen Verkehr dienende Eisenbahn anschließen, sind durch Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 22. Dezember 1882 dahin festgelegt, daß ihre Mitwirkung nur dann eintritt, wenn das Privatgleis an eine dem öffentlichen Verkehr dienende öffentliche Eisenbahn anschließen oder das Eisenbahnbetriebsmaterial auf das Privatgleis übergehen soll. Durch Erlaß vom 9. Juni 1885 ist die Bestimmung getroffen, daß bezüglich der Privatbahnen die im Unfallversicherungsgesetz den höheren Verwaltungsbehörden zugewiesenen Verrichtungen von den Eisenbahnkommissaren wahrzunehmen sind.

Schließlich ist den Eisenbahnkommissaren, um ihre Anordnungen gegenüber den Privatbahnen erfüllen zu können, auch eine Strafbefugnis beigegeben. Auf Grund des § 20 des Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 und des § 48, Nr. 2, der Beilage zu der Instruktion für die Regierungen vom 17. Oktober 1817 sind die Eisenbahnkommissare berechtigt, die Privateisenbahnen durch Festsetzung von Geldstrafen bis zu 100 Talern gegen jedes einzelne Direktionsmitglied zur Ausführung ihrer Anordnungen zu zwingen. Gemäß Ministerialerlaß vom 23. April 1879 haben sie jedoch zur Festsetzung von Strafen, die das Ausmaß von 150 M. übersteigen, die vorherige Genehmigung des Ministers einzuholen.

Die Vorschriften der Landesaufsichtsbehörde für Privateisenbahnen sind im Jahre 1902 von dem Eisenbahnkommissar in Münster gesammelt herausgegeben worden, sog. Münstersche Sammlung; vgl. auch Fritsch, Handbuch der Eisenbahngesetzgebung in Preußen und im Deutschen Reich (2. Aufl. Berlin 1912. S. 120–124).

In Österreich bestand 1875 die Absicht seitens der Generalinspektion, an allen Verkehrszentren ständige E. einzuführen, denen die unmittelbare Beaufsichtigung des Betriebs, die Revision der Bahnen und die Trassierung sowie Projektierung neuer Lokalstrecken obliegen sollten. Dieser Plan ist nicht zur Ausführung gekommen. Gegenwärtig werden für jede Privatbahn durch das Eisenbahnministerium im Einvernehmen mit den anderen beteiligten Ministerien landesfürstliche Kommissare bestellt.

Über die E. in Amerika s. Aufsichtsrecht.

Matibel.[76]

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 4. Berlin, Wien 1913, S. 74-77.
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