Nadeltelegraphen

[315] Nadeltelegraphen sind die ältesten Formen des elektrischen Telegraphen;. bei ihnen wurden zur Zeichengebung die Ablenkungen einer Magnetnadel benutzt, die im Wirkungsbereich feststehender vom elektrischen Strome durchflossener Drahtwindungen um eine wagrechte Achse schwingt. Die N. beruhen also auf demselben Grundgedanken wie das Galvanometer. Die erste für den praktischen Gebrauch geeignete Einrichtung dieser Art ist eine Erfindung der beiden englischen Gelehrten Cooke und Wheatstone aus dem Jahre 1837, denen allerdings die bereits 2 Jahre früher dazu gegebenen Anregungen des russischen Staatsrates Baron Schilling v. Cannstadt und der beiden Professoren Gauß und Weber in Göttingen als Grundlage dienten. Der erste N. hatte 5 Magnetnadeln je mit den zugehörigen Drahtwindungen (Multiplikatoren), die durch 5 Leitungen mit den Stromschlußvorrichtungen auf der gebenden Station verbunden waren. Diese Stromschlußvorrichtungen bestanden für jede Leitung aus 2 Handtasten. Durch Drücken der einen legte man den positiven, durch Drücken der andern den negativen Pol der Stromquelle an die Leitung. Beim Geben eines Zeichens mußte der Strom durch gleichzeitiges Drücken der positiven Taste einer Leitung und der negativen einer andern über diese beiden Leitungen geschlossen werden. Die an diese Leitungen angeschlossenen Drahtwindungen des Empfängers erhielten dadurch Strom und lenkten die zugehörigen Magnetnadeln nach entgegengesetzten Seiten ab. Im Durchschnittspunkte der Verlängerung der auf den Achsen der Magnetnadeln befestigten Zeiger, die vor einer rautenförmigen Deckplatte spielten, war auf dieser der Buchstabe angegeben, der durch die Zeigerstellung ausgedrückt werden sollte. Beim Telegraphieren von Ziffern wurde immer nur eine der 5 Leitungen an den einen oder den andern Pol der Stromquelle angelegt und demgemäß auch nur eine Nadel abgelenkt, deren Zeiger auf die auf dem Rande der Deckplatte angegebene Ziffer hinwies. Hierbei wurde eine außerdem noch vorhandene sechste Leitung, die gleichfalls eine Taste für den positiven und eine für den negativen Pol hatte, als Rückleitung angeschlossen. Nach dem Loslassen der Stromschlußtasten kehrten die Nadeln unter der Einwirkung kleiner Gegengewichte in ihre Ruhestellung zurück. Gegen zu große Ablenkungen waren die Nadeln durch neben ihnen angebrachte Aufhaltestifte geschützt.

Dieser N. wurde im Jahre 1839 auf einer 39 engl. Meilen langen Strecke der Great Western-Bahn eingeführt. Seine weitere Verbreitung scheiterte jedoch an den in der Verwendung von sechs Leitungsdrähten begründeten hohen Kosten (250 Pfund für die engl. Meile). Die Erfinder gaben daher bald darnach den Fünfnadeltelegraphen auf und entwarfen im Jahre 1845 nach einem schon früher von Gauß in Göttingen gemachten Vorschlag einen Telegraphen mit nur einer Nadel, bei dem das Alphabet unmittelbar aus der Zahl der Ablenkungen der Nadel nach rechts und nach links gebildet war. Der zum Zeichengeben dienende Stromschließer bestand in einem Schalter mit Knebelgriff, durch dessen Drehung nach links die eine Stromrichtung, nach rechts die andere Stromrichtung angeschaltet wurde. Die Stellung der Nadel stimmte mit der Stellung des Knebelgriffs überein. Auch wurde bei diesem Telegraphen bereits die Entdeckung Steinheil's verwertet, die Erde als Rückleitung zu benutzen, so daß im ganzen nur ein Leitungsdraht erforderlich war.

Im Jahre 1849 erhöhten Cooke und Wheatstone die Leistungsfähigkeit ihres Telegraphen durch Verdopplung des Systems. Dadurch entstand aus dem Einnadeltelegraphen der Doppelnadeltelegraph, der mit zwei Magnetnadeln je mit besonderen Drahtwindungen und zwei Schaltern, allerdings auch mit zwei Leitungsdrähten arbeitete. Die telegraphischen Zeichen waren hierbei z. T. aus den Ablenkungen der einzelnen Nadeln, z. T. aus den Ablenkungen beider gebildet.

Diese Einnadel- und Doppelnadeltelegraphen erreichten in England weite Verbreitung und sind auf englischen Eisenbahnen z. T. noch jetzt im Gebrauch.

Ein anderer N. wurde von Alexander Bain in Edinburg gebaut und 1846 auf der Linie Edinburg-Glasgow in Benutzung genommen. Bain verwendete dabei aber nicht Magnetnadeln, sondern einen um eine wagrechte Achse in 2 Drahtspulen schwingenden Ringmagnet. Er erreichte dadurch bei gleicher Stromstärke eine kräftigere Ablenkung. Die Ablenkungen wurden wie beim N. von Cooke und Wheatstone durch einen auf die Achse[315] des schwingenden Magneten aufgesteckten Zeiger auf der Deckplatte sichtbar gemacht. Aus der Zahl der Ablenkungen nach der einen und der andern Seite setzte sich das Alphabet zusammen. Der Geber war wie bei Cooke und Wheatstone ein Schalter mit Stromwender. Dieser Bainsche N. wurde noch in demselben Jahre mit einigen Abänderungen auch auf österreichischen Bahnen eingeführt. Das Alphabet wurde hier nicht nur aus Ablenkungen nach links und nach rechts, sondern auch aus Ablenkungen von kürzerer und längerer Dauer gebildet. Der Zeiger hatte an seinem unteren Ende ein Klöppelchen, das an 2 zu beiden Seiten angebrachte Glöckchen mit verschiedenem Ton schlug, so daß die Zeichen nicht nur für das Auge, sondern auch für das Ohr wahrnehmbar waren. Die N. waren in Österreich eine Reihe von Jahren im Gebrauch, bis sie durch den Morsetelegraphen verdrängt wurden; die letzten wurden in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts beseitigt. Auch in Deutschland waren in den Vierziger- und Fünfzigerjahren N. vereinzelt im Gebrauch.

Außer den N. von Cooke, Wheatstone und Bain wurde noch eine Reihe von N. gebaut, zum kleineren Teil auch tatsächlich in Gebrauch genommen, neue Grundgedanken kamen aber dabei nicht zur Durchführung.

Vorzüge der N. sind die sehr einfache Einrichtung und Handhabung, ferner die geringe Betriebsstromstärke; ein Übelstand besteht dabei darin, daß der Magnetismus der Nadeln und der Ringe (Bain) nach und nach schwächer wird, nicht selten durch Blitzschlag auch plötzlich verschwindet oder umgekehrt wird.

Literatur: Zetzsche, Handbuch der elektrischen Telegraphie, Bd. I und III. (Julius Springer, Berlin). – Schellen, Der elektromagnetische Telegraph. (Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig).

Fink.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 315-316.
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