Semmeringbahn

[29] Semmeringbahn, Teilstrecke der Linie Wien – Triest der österreichischen Südbahngesellschaft, beginnt in der Station Gloggnitz in Niederösterreich mit der Seehöhe von 438∙861 m, überschreitet die Ausläufer der Norischen Alpen in der Nähe des Semmeringpasses (898∙056 m ü.M.) und endet in Steiermark in der Station Mürzzuschlag (680∙945 m ü.M.). Die S., bekannt wegen der landschaftlich prächtigen Ausblicke, besitzt als erste Gebirgsbahn Europas hervorragende geschichtliche Bedeutung. Bau und Betrieb wurden für die Entwicklung des Eisenbahnwesens, besonders aber für jene des Lokomotivbaues, von bahnbrechender Bedeutung. Erbaut wurde die S. von Karl Ritter von Ghega (s.d.). Ghega wurde im Jahre 1841 zur Leitung des Baues der staatlichen Linie Wien-Triest berufen, von der damals die Teilstrecke Wien-Gloggnitz im Betrieb stand. Die Bahn von Neustadt aus über Ödenburg (Ungarn) zu führen, war aus politischen Gründen nicht zulässig; es mußten also die Ausläufer der Norischen Alpen überschritten werden, was nur mit Anwendung großer Neigungen und scharfer[29] Krümmungen möglich war; diese Umstände erregten wegen der Wahl einer richtigen Betriebsweise so große Bedenken, daß man die Entscheidung hierüber vorläufig in Schwebe ließ und zunächst die Bahn von Mürzzuschlag aus weiterbaute. Auf Grund eingehender Studien, die Ghega in Amerika gemacht hatte, wo schon einige Gebirgsbahnen im Betrieb standen, empfahl er die Überschienung des Semmerings mittels einer gewöhnlichen Lokomotiv-Reibungsbahn. Daneben wurde aber auch die Anlage einer atmosphärischen. Eisenbahn näher studiert. Die Frage der Überschienung des Semmerings erregte im In- und Ausland lebhaftes Interesse, das in verschiedenen Vorschlägen ihren Ausdruck fand. So schlug der damalige Oberingenieur Karl Keißler vor, die Bahn von Gloggnitz über Payerbach durch die Prein zu führen und die Kammalpe mittels eines 6 km langen Tunnels unter dem Semmeringkogel in der Richtung gegen Spital zu durchbrechen. Von Seite des Österreichischen Ingenieurvereins wurde unter ausführlicher Begründung die Verbindung der Bahnhöfe Gloggnitz und Mürzzuschlag durch Seilbahnen empfohlen. Die Regierung entschied sich jedoch für eine Lokomotivbahn, deren Bau im Jahre 1848 begann. Im Jahre 1850 wurde von der Regierung über Vorschlag Ghegas ein Preis für die zum Betrieb der S. geeigneteste Lokomotive ausgeschrieben. Über die Ergebnisse dieses Wettbewerbs s. Art. Lokomotive (Bd. VII, S. 165). Am 24. September 1853 fand eine Probefahrt von Mürzzuschlag bis zum Viadukt über die »kalte Rinne« statt und am 23. Oktober desselben Jahres konnte, nach Vollendung des einen Gleises, die ganze S. das erste Mal, u.zw. mit der Lokomotive »Lavant« der südlichen Staatsbahn befahren werden. Anfangs Dezember 1853 wurde der Güterverkehr eröffnet, am 17. Mai 1854 fuhr Kaiser Franz Joseph I. über die S. und am 17. Juli 1854, nachdem auch das zweite Gleis fertig war, wurde die Bahn dem allgemeinen Betrieb übergeben.

Die S. (Abb. 83) läuft von Gloggnitz aus an der südlichen Bergwand des Schwarzatals bis Payerbach, übersetzt mit einem Viadukt das Tal und zieht an der gegenüberliegenden Bergwand, von der Richtung Gloggnitz-Payerbach wenig abweichend, bis zur Station Eichberg, die 171∙118 m über Gloggnitz angelegt ist. Hier biegt sich die Linie nach rechts und läuft an der südöstlichen Berglehne in bedeutender Höhe über der Sohle des Schottwienertals bis in die Nähe der Ruine Klamm, von wo aus sie stetig steigend längs des Adlitzgrabens in vielfachen Krümmungen bis zur Polleroswand zieht, die »kalte Rinne« mit einem Viadukt von 184 m Länge und 46 m Höhe im Bogen von 190 m Halbmesser überschreitet und sich dann an der Nordseite des Gebirges zur Einsattlung des Semmerings emporwindet. Sie unterfährt diese mit einem Tunnel von 1430 m Länge in gerader Richtung und senkt sich sodann, an der rechten Seite des Fröschnitztals hinziehend, nach Mürzzuschlag hinab. Während des Betriebs wurde die Haltestelle Küb zwischen Payerbach und Eichberg eröffnet.

Die Länge der Bahn von der Stationsmitte in Gloggnitz bis zu jener in Mürzzuschlag beträgt 41∙813 km; hiervon liegen 50% in der Geraden; der kleinste Krümmungshalbmesser beträgt 190 m; die mit ihm ausgeführten Bögen haben eine Gesamtlänge von 6∙686 km. Die stärkste Neigung beträgt 25‰; sie hat zwischen Eichberg und Klamm auf eine ununterbrochene Länge von 3∙57 km und im ganzen auf 22∙911 km Anwendung gefunden; wagrecht liegen außer den Stationen nur 5 kleinere Strecken von zusammen 0∙416 km Länge. Die Zahl der Tunnel beläuft sich auf 15; der kürzeste ist 14 m, der längste 1430 m lang; ihre Gesamtlänge beträgt 4∙533 km. Im Zug der Bahn kommen 118 gewölbte Brücken von 2–15 m Spannweite, 11 eiserne Brücken und 16 Viadukte vor, von denen mehrere mit 2 Bogenstellungen übereinander ausgeführt sind. Diese Viadukte liegen zumeist in sehr scharfen Bögen und starken Neigungen und sind zusammen rd. 1500 m lang; sie besitzen Spannweiten bis zu 20 m; der längste Viadukt ist jener über die Schwarza bei Payerbach (228 m). Einschnitte sind möglichst vermieden; von Erddämmen, Steinpflasterungen u.s.w.[30] wurde wenig Gebrauch gemacht, die Bahn vielmehr fortwährend unter ausgedehnter Anwendung von Stütz- und Wandmauern mit 2–15 m Höhe, deren Gesamtlänge ungefähr 13 km beträgt, an die Berglehnen angeschmiegt.

Der Oberbau wurde beim Bau sehr sorgfältig hergestellt. Die aus Schlägelschotter gebildete Einbettung erhielt Grundbau und Steinbanketts, die Schienen (42∙52 kg/m) lagen auf einem aus Lang- und Querschwellen gebildeten Rost, wobei auf jeder Schwelle Unterlagsplatten in Anwendung kamen. In dem Maß, als die Schwellen unbrauchbar wurden, beseitigte man diese Bauweise vollständig und ging zu der auf den übrigen Strecken der Linie Wien-Triest gebräuchlichen Bauart mit einfachen hölzernen Querschwellen über. Gegenwärtig besteht der Oberbau aus 12∙5 und 15 m langen Schienen von 44 kg/m auf Holzschwellen von 72–74 cm Entfernung mittels Spannplatten, die in Bögen ab 300 m Halbmesser auf allen Schwellen, in allen übrigen schwächeren Bögen und in der Geraden auf jeder zweiten oder dritten Mittelschwelle und auf den Stoßschwellen liegen.

Die Hochbauten sind teils aus Bruchsteinen, teils aus Ziegeln und Fachwerk.

Die Kosten der Herstellung und Betriebseinrichtungen der S. stellten sich auf rd. 50 Mill. Kronen.

Der Haupttunnel erfuhr nach Ablauf des ersten Betriebsjahres eine größere Ausbesserung, indem man einen Teil der Ziegelmauerung durch Quadern ersetzte. An den Enden wurden Tore angebracht, die im Winter nur für den Verkehr der Züge geöffnet wurden; dennoch mußte bei starker Kälte der Tunnel geheizt werden, zu welchem Zweck im Jahre 1857 in der Station Semmering eine Gasanstalt errichtet wurde und 4 Öfen im Tunnel zur Aufstellung gelangten. Die stetig anwachsende Dichte des Zugverkehrs zwang zur Beseitigung der Tunneltore. Im Jahre 1916 gelangte ein elektrisch betriebener Ventilator von 100 PS. zur Aufstellung, der durch Lufteinpressung wirkt. Die im Lauf der Zeit infolge Abwitterung schadhaft gewordenen Ziegelwölbungen der Kunstbauten wurden auf 30–60 cm Tiefe durch Stampfbeton und Betonformsteine ausgebessert; bei dem Haupttunnel und einigen kleineren Tunneln erneuerte man die Kappe des Gewölbes mit Klinkerziegeln, um eine größere Widerstandsfähigkeit gegen die Einwirkung der Rauchgase zu erzielen; abgewittertes Quadermauerwerk wurde durch Stampfbeton mit Eiseneinlage ersetzt.

Für die Beförderung der Schnell- und Personenzüge dienen zweizylindrige Verbundlokomotiven mit 4 gekuppelten Achsen und einer radial einstellbaren Laufachse, 56∙6 t Reibungsgewicht, 67∙8 t Dienstgewicht und mit dreiachsigem Schlepptender; diese Lokomotiven befördern in der Strecke Payerbach-Semmering 230 t mit 45 km Geschwindigkeit; ferner stehen zweizylindrige Heißdampflokomotiven mit 5 gekuppelten Achsen und radial einstellbarer Laufachse von 69 t Reibungsgewicht, 81∙1 t Dienstgewicht, mit Schlepptender in Verwendung; sie befördern in obgenannter Strecke 300 t; auch vierzylindrige Verbundlokomotiven ähnlicher Bauart sind im Betrieb. Für die Güterzüge werden vorwiegend zweizylindrige Verbundlokomotiven mit 5 gekuppelten Achsen, verschiebbarer Vorder-, Mittel- und Endachse, 66∙5 t Gewicht, Schlepptender und mit einer Leistung von 280 t in den stark geneigten Strecken verwendet; Geschwindigkeit 18–35 km/Std. Überschreitet die Belastung die für eine Lokomotive aufgestellte Grenze, so werden die Züge mit Vorspann befördert; von einer bestimmten Höchstbelastung an werden die Züge nachgeschoben, z.B. Personenzüge von 320 bzw. 350 t an; Güterzüge können bei Nachschiebedienst 650 t schwer sein.

Literatur: Schmid, Bericht über den gegenwärtigen Stand der Anwendung der Eigenschaften der atmosphärischen Luft zur Fortschaffung von Eisenbahnzügen. Wien 1849. – Programm zu dem Konkurs über die geeignetste Semmeringlokomotive. Wien 1850. – Schmid, Mitteilungen über die Vorbereitungen der materiellen Mittel zum Betrieb der Eisenbahn über den Semmering. Wien 1852. – Ghega, Übersicht der Hauptfortschritte des Eisenbahnwesens von 1840–1850. Wien 1852. – Engerth, Die Lokomotive der Staatseisenbahn über den Semmering. Wien 1854. – Aichinger u. Birk, Beschreibung der Anlage und des Betriebs der Semmering-Eisenbahn. Wien 1861. – Gottschalk, Bericht über den Zugförderungs- und Werkstättendienst der österreichischen Südbahn während der Jahre 1868–1877. Wiesbaden 1878. – Kramer, Maschinendienst auf der Brennerbahn. Wien 1878. – Birk, Die Semmeringbahn, Denkschrift zu dem 25jährigen Jubiläum ihrer Betriebseröffnung. Wien 1879. – Lihotzky, Das 25jährige Jubiläum der S. Wien 1879. – Geschichte der Eisenbahnen der österreichischungarischen Monarchie (1898 u. 1908). Abhandlungen finden sich auch in der »Eisenbahnzeitung« 1848–1850 und in der Ztschr. d. Österr. Ing.-V. (1848 ff.).

Birk.

Abb. 83. Längenschnitt der Semmeringbahn nach dem Ausführungsplan.
Abb. 83. Längenschnitt der Semmeringbahn nach dem Ausführungsplan.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 9. Berlin, Wien 1921, S. 29-31.
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