Zwergeisenbahnen

[534] Zwergeisenbahnen sind Schienenwege von außergewöhnlich kleiner Spurweite, S Zwergeisenbahnen 60 cm, und mit außergewöhnlich kleinen Beförderungsmitteln – größte Höhe über Schienenoberkante bis zu 1∙75 m – für Personen- und Güterverkehr. Der Eindruck des Zwerghaften wird besonders hervorgerufen, wenn die Antriebsmittel denen der Eisenbahnen gewöhnlicher Größe nachgebildet sind. Die Fahrzeuge sind meist offen.

Praktische Anwendung haben die Z. gefunden – außer auf Ausstellungen – namentlich in England als Zubringerlinien von großen Landgutsitzen zur nächsten Bahnstation einer Hauptbahn.

Als Beispiele sind zu nennen:

Die von dem englischen Ingenieur P. Heywood auf der ausgedehnten Besitzung des Herzogs von Westminster in der Nähe der Hauptbahnstation Balderston in England erbaute Z.; sie dient mit einer Länge von etwa 5∙5 km Haupt- und 3∙5 km Nebengleisen zur Beförderung von Gütern und Personen zwischen Wirtschaftsgebäuden, Gartenanlagen, Herrenhaus und Bahnstation und hat eine Spurweite von 0∙36 m. Als Antriebsmittel sind 2 kleine Dampflokomotiven von 3 t Leer- und 4∙5 t Betriebsgewicht vorhanden mit einem Fassungsvermögen von etwa 0∙05 t Kohle und 350 l Wasser; sie sind imstande, Krümmungen von 7∙6 m Halbmesser zu durchfahren. Die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit beträgt bei einer Belastung von rd. 20 t etwa 18 km/Std., der tägliche Kohleverbrauch dabei etwa 0∙15 t und zu Zeiten des stärksten Verkehrs bis zu 6 t. Die Betriebskosten belaufen sich einschließlich der Abschreibung, der Löhne für das Bahnpersonal – 1 Lokomotivführer, 1 Bremser und 2 Streckenarbeiter – und der Bahnunterhaltung auf etwa 35 Goldmark für den Tag.

Eine ähnliche Anlage von 0∙36 m Spurweite gehört zu dem Besitztum eines Herrn C.H. Bartholnew, Blakesley Hill, in England, die, mit Dampf- und Gasolinlokomotiven betrieben, ebenfalls als Zubringerlinie vom Herrensitz zur Hauptbahnstation dient. Jeder Zug besteht aus Lokomotive und 3 Wagen mit je 12 Sitzplätzen. Die Schienen ruhen auf Querschwellen aus Stahl von 6 kg/m Gewicht. Mehrere Brücken über einen sich durch das Besitztum schlängelnden Bach, erhebliche Erdarbeiten zur Herstellung des Bahnkörpers, sowie elektrische Signaleinrichtung und Streckenfernsprecher zeichnen diese Z. aus.

Als eine Art von Z. ist auch die 31 km lange Kleinbahn anzusprechen, die von Odawara nach Atami, einem Kurort auf der japanischen Halbinsel Izu führt. Die Fahrzeuge dieser Bahn haben nämlich nur eine Höhe von etwa 1∙75 m über Schienenoberkante; sie sind überdacht und fast würfelförmig gebaut. Jeder Zug besteht aus 3 Wagen, die einzeln, in mehreren Metern Abstand voneinander, von[534] je 3 Männern geschoben werden; ein Zugführer, Hornsignale gebend, geht voraus, ein Reservewagenschieber bildet den Zugschluß. Bei der Talfahrt steht das genannte Betriebspersonal auf den an den Stirnwänden der Wagen befindlichen Trittbrettern und nutzt die Schwerkraft für die Beförderung aus; wegen der vorkommenden starken Gefälle sind die Wagen mit Hebelbremsen ausgerüstet. Die Fahrzeit beträgt für die ganze Strecke 4 Stunden, die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit also etwa 8 km/St. Die Wagen sind nach 3 Klassen geteilt: die I. Klasse soll für 4, die II. für 6 und die III. für 8 Personen (Japaner!) Platz bieten; die Fahrpreise sind entsprechend gestaffelt, Wagen I. Klasse verkehren außerdem nur, wenn ein ganzer Wagen I. Klasse bezahlt wird. Die Bahnlinie folgt zum größeren Teil einer Landstraße, eigenen Bahnkörper hat sie nur ausnahmsweise. An Bauwerken hat sie zahlreiche Holzbrücken zum Überschreiten von Wildbächen und hölzerne Galerien zum Schutz gegen Steinschläge.

Literatur: F.O. Koch, Zwergeisenbahnen, Organ 1909, S. 408; Blum-Giese, Die kleinste Bahn der Welt, Ztg. d. VDEV. 1904, Nr. 7.

Randzio.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 534-535.
Lizenz:
Faksimiles:
534 | 535
Kategorien: