[129] Campe, Julius. Julius Campe, 1792 zu Deensen in Braunschweig geboren, der Sohn eines Advokaten und Neffe des berühmten Pädagogen und Schriftstellers ⇒ Joachim Heinrich Campe, kam in früher Jugend nach Hamburg und trat zunächst als Lehrling in die Hoffmann & Campesche Buchhandlung ein, welche sein ältester Bruder, August Campe in Gemeinschaft mit dessen Schwiegervater Hoffmann in Besitz hatte. Nachdem er hier und in der von seinem zweiten Bruder, Friedrich, zu Nürnberg 1802 begründeten Buch- und Kunsthandlung seine Lehrzeit verbracht, fungierte er eine zeitlang als Gehilfe in der Maurerschen Buchhandlung in Berlin. Von hier aus machte er den Feldzug von 1813 als Jäger im Lützowschen Frei-Corps und nach dessen Auflösung als Offizier bei den Braunschweigischen Husaren, später als Premierleutnant im 10. preußischen Husarenregiment mit, und gehörte zu der kleinen Schar, welche am 26. August desselben Jahres die Gruft Theodor Körners bei Wöbbelin bereitete. Nach Beendigung der Freiheitskriege verweilte er wieder kurze Zeit in Hamburg und unternahm dann eine Reise durch Italien. Die Kriegsabenteuer und die vielfachen humoristischen Erlebnisse seiner italienischen Reise waren die einzigen romantischen Episoden, welche sein stilles, thätiges Geschäftsleben auf kurze Zeit unterbrachen. Von Italien kehrte er nach Hamburg zurück und arbeitete im Geschäfte seines Bruders August Campe, von welchem er 1823 das Sortiment auf eigene Rechnung übernahm und mit demselben bald den Verlag zahlreicher Schriften verband. Der Verlag von August Campe blieb selbständig und ging später an F. A. Brockhaus über.
Der Gründer der Firma Hoffmann & Campe war Franz August Gottlob Campe, geboren am 29. 2. 1773 zu Deensen bei Holzminden als der 3. Sohn des Rechtsgelehrten Fr. H. Campe, älterem Bruder von J. H. Campe. Durch eine böse Blatternkrankheit verlor er fast die ganze Sehschärfe seines rechten Auges, kam[129] auf die gelehrte Schule nach Holzminden und wollte Jura studieren. Auf Vorschlag seines Oheims J. H. Campe trat er aber in dessen Schulbuchhandlung in Braunschweig als Lehrling ein. Darauf ging er nach Berlin zu F. Vieweg als Gehilfe, 1798 kehrte er auf 1 Jahr nach Braunschweig zurück um nach kurzem Aufenthalte in Hamburg sich nach Paris zu wenden. Hier machte er Bekanntschaft mit den damals berühmtesten Geistern der Seinestadt, freundliche Aufnahme fand er bei Wilh. von Humboldt; er bahnte bedeutende Verbindungen an, brachte ein gut assortiertes Lager französischer Werke zusammen und übersetzte in seinen Mußestunden Bonapartes Tagebuch aus Aegypten ins Deutsche, verlegte es selbst und hatte Glück damit. Im Frühjahr 1800 wandte er sich nach Hamburg und gründete hier eine Buchhandlung unter seinem Namen, das Geschäft vergrößerte sich schnell und als er im Jahre 1806 die Tochter seines älteren Kollegen B. G. Hoffmann zur Lebensgefährtin wählte, war dies auch insofern glücklich für ihn, als er im Jahre 1810 wegen Kränklichkeit seines Schwiegervaters dessen Geschäft mit übernahm.
Benjamin Gottlob Hoffmann, 1748 zu Steinau an der Oder geboren, 5. 2. 1818 zu Hamburg gestorben, war ursprünglich dem Kaufmannsstande bestimmt; ein reiner Zufall ließ ihn in die Kornsche Buchhandlung in Breslau eintreten. 1774 wanderte er in Hamburg ein und trat als jüngster Gehilfe in die Bohnsche Buchhandlung, in der er sieben Jahre verblieb. 1781 gründete Hoffmann mit dem französischen Buchhändler Virchow eine Buchhandlung; als dieser später seinen Wohnsitz in Hamburg mit Paris vertauschte, setzte Hoffmann das Geschäft selbständig fort.
Campe verband nun sein Geschäft mit dem Hoffmannschen und firmierte von nun ab Hoffmann & Campe; nach dem im Jahre 1818 erfolgten Tode Hoffmanns ward die Firma alleiniges Besitztum Campes. Seine mangelhafte Gesundheit zwang ihn Anfang 1823 sein Sortimentsgeschäft seinem jungen Halbbruder Julius Campe käuflich abzutreten. Sein Verlagsgeschäft setzte er unter seinem alleinigen Namen fort. Er starb am 22. Oktober 1836 an einer Lungenlähmung. Seine Witwe übergab am 1. 1. 1837 der Firma Brockhaus in Leipzig die ganze Geschäftsführung der Handlung. August Campes Gattin, Elisabeth Campe geb. Hoffmann, ist in der litterarischen Welt nicht unbekannt. Die Bedeutung auch eine Buchhändlersgattin zu würdigen, mag sich daher an diesem Platze wohl rechtfertigen. Geb. am 12. 6. 1786 zu Hamburg, ebenda gest. am[130] 9. 2. 1873, hat sie nach ihrer Verbindung mit Campe schwere Zeiten während der französischen Invasion durchgemacht. Sie hat an allen Ereignissen lebendigsten Anteil genommen, wie auch ihr erstes anonym erschienenes Buch »Hamburgs außerordentliche Begebenheiten und Schicksale in den Jahren 1813 und 1814 während der ersten Besitznahme durch den General Tettenborn bis zum allgemeinen Frieden, Hamburg 1814, B. G. Hoffmannsche Buchhandlung« bezeugt. In gefälliger Form, übersichtlich und klar erzählt die Verfasserin, was sie erlebte; sie erklärt sich weder für berufen, den gordischen Knoten verwirrter Politik zu lösen, noch sich auf ein Wie und Warum einzulassen; nur eine Schilderung, keine Meinung will sie geben, denn als Historiograph dieser denkwürdigen Tage werde sich schon ein anderer finden.
Für Elise Campe hatte sich mit ihrer Verheiratung ein gesellschaftlicher Kreis erschlossen, welcher für sie das ureigenste Lebenselement war und blieb. Deutschlands Buchhändler haben mehr als einmal den Mittelpunkt gebildet für die Vereinigung ausgezeichneter Geister: so war es hier wieder. Seit ihrer Verlobung war Elise in brieflichen Verkehr getreten mit F. L. W. Meyer (geb. 1759, gest. 1840), der in Groß-Bramstedt wohnte, dem Verfasser des merkwürdigen Buches über F. L. Schröder. Mit dem Schauspieldirektor Schröder wurde Elise ebensowohl bekannt, wie mit den Enkeln jenes Hermann Samuel Reimarus, den die gebildete Welt als den Verfasser der »Wolfenbüttelschen Fragmente«, Lessing-Götzeschen Angedenkens kennt. Das Andenken an Frau Sieveking, geborene Reimarus, nannte Elise Campe stets »das höchste Glück ihres Lebens.« Bald war keine litterarische Celebrität, welche etwa vorübergehend nach Hamburg kam, die nicht im Campeschen Hause eingeführt worden wäre, und machte die Hausfrau Reisen, so knüpfte sie auch auswärts die Bekanntschaft berühmter Kapazitäten der Schriftstellerwelt an. 1810 lernte sie in Karlsbad Goethe kennen, den sie dann zu Jena im Frommannschen Hause wiederfand.
»Aus dem Leben von Johann Diederich Gries, nach seinen eigenen und den Briefen seiner Zeitgenossen« heißt ein zweites litterarisches Produkt Elise Campes. Dem freisinnigen und geistvollen Uebersetzer, dem reichbegabten Dichter ein würdiges biographisches Denkmal gesetzt zu haben, ist Elise Campes Verdienst. Das nur in beschränkter Anzahl von Exemplaren als Handschrift gedruckte Buch erzählt in elegantem, leichtflüssigem Stil mit treuer Benutzung der in Gries' Nachlaß vorgefundenen Notizen und Briefen[131] die denkwürdigsten Einzelheiten aus des Dichters Leben. Am 1. September 1840 starb auch F. L. W. Meyer in Bramstedt. Innigste Wechselbeziehungen hatten zwischen ihr und ihm gewaltet; das edelste Zeugnis derselben ist ein starker Briefwechsel, in welchem der geistvolle Mann sich gegen die bedeutende und kluge Frau über fast alle Fragen litterarischen und religiösen Charakters ausspricht, welche das öffentliche Leben im zweiten und dritten Dezennium des vorigen Jahrhunderts bewegten. Tief und schmerzlich empfand Elise Campe den Verlust Meyers; dem Geschiedenen in ähnlicher Weise einen litterarischen Denkstein zu errichten, wie dieser ihn zweiundzwanzig Jahre früher seinem Freunde, dem großen Schauspieler Schröder errichtet hatte, entstand 1841, zuerst gedruckt als »Handschrift für Meyers Freunde«, Elise Campes Buch: »Zur Erinnerung an F. L. W. Meyer, den Biographen Schröders. Lebensskizze, nebst Briefen von Bürger, Forster, Göckingk, Gotter, Herder, Heyne, Schröder u. A. Zwei Theile. Braunschweig 1847, Vieweg & Sohn«. Mit den Besten seiner Zeit, in einem weiten Kreise, nahe und innig befreundet, hinterließ Meyer einen seltenen Schatz von interessanten Briefen, welche Frau Elise Campe veröffentlicht hat.
Nach dem großen Hamburger Brande fing sie an, jene in der Sammlerwelt so rennomierte Autographensammlung anzulegen, welche in nicht weniger als 1400 Mappen Handschriften der berühmtesten Männer enthielt.
Im Jahre 1850 machte Elise Campe für das »Lexikon Hamburgischer Schriftsteller« für den zweiten Buchstaben des Alphabets auf einen Mann aufmerksam, dessen Andenken ihr der Erhaltung würdig schien. Es war dies Johann Nikolas Böhl, der »Johannes« aus Campes Robinson, hochverdient durch seine gelehrten Forschungen auf dem Gebiete altspanischer Poesie. Der kurze Artikel in jenem Lexikon ward Anregung zu Frau Campes letzer litterarischer Arbeit: »Versuch einer Lebensskizze des Johann Nikolas Böhl von Faber, nach seinen eigenen Briefen«. Geschrieben 1858, ward auch dies kleine Buch nur als Handschrift gedruckt.
Die Firma Hoffmann & Campe hatte Julius Campe schon 1823 ganz übernommen. Den Mangel an jeder tieferen wissenschaftlichen Bildung, sagt Ad. Strodtmann in seinem 1873-74 bei Franz Duncker in Berlin erschienenen Buche »H. Heines Leben und Werke«, ersetzte Julius Campe durch eine ungemein scharfe Beobachtungsgabe, durch einen selbständig denkenden Geist, der alles Neue auf dem Felde der Litteratur und Politik vorurteilsfrei[132] entgegennahm, und durch eine genaue Kenntnis aller Eigenheiten des buchhändlerischen Geschäftes, die er mit kühnster Energie und durchtriebenster Schlauheit zu benutzen verstand. Er durfte sich mit Recht in den meisten Fällen auf die Sicherheit seines Urteils über die Absatzfähigkeit der ihm angebotenen Manuskripte verlassen. Berühmte Namen und fremde Empfehlung imponierten ihm niemals; er suchte im Gegenteil mit Vorliebe die Werke junger, noch unbekannter Schriftsteller zu verlegen, und empfand die aufrichtigste Freude, so oft es ihm vergönnt war, ein neues, vielverheißendes Talent unter der Aegide seiner mächtigen Firma in das Kampfgetümmel der litterarischen Arena hinaus zu senden. »Wollen Sie wissen,« sagte er mir (Ad. Strodtmann) einige Jahre vor seinem am 14. November 1867 erfolgten Tode, »durch welches Mittel ich mir die Geistesfrische und den regen Anteil an allen politischen und litterarischen Dingen bis auf den heutigen Tag bewahrt habe? Ich wollte nicht alt werden, ich wollte nicht hinter der Zeit zurückbleiben; darum freute es mich oft heimlich, wenn die Schriftsteller, welche ich in die Litteratur eingeführt, mich später verließen, weil andere Firmen ihnen ein höheres Honorar in Aussicht stellten. Nur die Pietät hätte mich vielleicht abgehalten, ihnen selbst den Laufpaß zu geben, denn ich dachte: sie wandeln heute oder morgen schon den Berg hinab, und ich wollte, so lang meine Füße mich trügen, mit denen fortschreiten, deren Bahn aufwärts geht. Die Jungen sind es allemal, denen die Zukunft gehört; indem ich mich ihnen anschloß, war ich sicher, immer dem Fortschritte treu zu bleiben. Sie werden das egoistisch finden nun ja, aber ich empfehle Ihnen das Mittel als probat.«
Campe darf als der technische Leiter der jungdeutschen Litteraturbestrebungen bezeichnet werden. Als Verleger Börnes, Heines und Hebbels ist er in den weitesten Kreisen bekannt geworden. Seine Kämpfe mit der strengen Censur zu schildern, würde Bände beanspruchen, unermüdlich war er in der Auffindung neuer Absatzquellen. Um den Namen Campe vereinigte sich alles, was volksfreundliches Schriftstellertum hieß, was die Aufklärung und verfassungsmäßiges Staatsleben liebte. Es war bei Campe wohl weniger kaufmännische Spekulation, als der Eifer, Hand in Hand mit den besten Geistern unserer Litteratur für die Civilisation der Menschheit zu wirken, für Befreiung des Volkes von einer verhaßten Bureaukratie; mit der Waffe der Buchdruckerpresse ausgerüstet, wollte er den morschen Institutionen des Verfassungslebens der 30er und 40er[133] Jahre des verflossenen Jahrhunderts den Garaus machen. In Mecklenburg und Preußen war zeitweise sein ganzer Verlag verboten. Der Name Campe war mit dem Interdikt der Regierungen belegt und man konnte von ihm, wie sein Autor Hoffmann von Fallersleben einst von sich, sagen: »Es giebt wenige deutsche Länder und Länderchen, in denen ich mich sehen lassen darf.«
Immermann und Raupach, Gutzkow, Wienbarg, Lewald und Maltitz waren die hervorragendsten Schriftsteller, denen die Campesche Firma in den Jahren kurz vor und nach der 1848er Junirevolution wirksamen Eingang beim Publikum verschaffte. Auch die erste Auflage der »Spaziergänge eines Wiener Poeten«, Dingelstedts »Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters«, Hoffmanns »Unpolitische Lieder«, Hebbels und Gottschalls Erstlingsdramen und lyrische Gedichte, Max Waldaus Zeitromane, die schönheitstrunkenen Poesien von Wilhelm Hertz und namentlich auch die großen Geschichtswerke von Karl Eduard Vehse, dessen »Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation, 48 Bände, 1851-58«, »Geschichte Mecklenburgs, 3 Bände, 1855«, deren Enthüllungen eine Zeugnistortur mit steigenden Geldstrafen veranlaßten, die Campe jedoch auch dann nicht zur Bekanntgebung der Gewährsleute vermochten, als er in Haft genommen wurde. Das von Campe unter A. Strodtmanns Leitung ins Leben gerufene Journal für Kunst und Litteratur »Orion« hatte leider keinen langen Bestand.
Nach Campes Tod, 1868, trennte sich die Firma. Sein Sohn Julius Campe jun. behielt den Verlag, für das Sortiment trat Christian August Noodt als Teilhaber ein. 1886 wurde das Sortiment an Rud. Wengler und August Rudolph abgetreten, aus deren Händen es 1899 Carl Meyer übernahm und unter der Firma Hoffmann & Campes Sortiments-Buchhandlung weiterführte.
Der Verlag unter dem Namen Hoffmann & Campes Verlag wird von Julius Campe unverändert fortgeführt.
Quellen: Strodtmann (siehe oben), Börsenblatt f. d. dtschn. Buchhandel 1867 uff.; Webers Illustr. Zeitung Nr. 1249; L. Geiger, Das junge Deutschland, Berlin 1900; Neuer Nekrolog der Deutschen 1836; Hamburger Nachrichten 1873.
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