Vieweg & Sohn

[983] Vieweg und Sohn. Hans Friedrich Vieweg, der Begründer der berühmten Braunschweiger Firma, wurde am 11. März 1761 zu Halle geboren, besuchte erst die Lateinische Schule des Waisenhauses, dann das Gymnasium seiner Vaterstadt und kam, da die von den Eltern gewünschte theologische Laufbahn seiner Neigung nicht entsprach, in seinem 17. Jahre als Lehrling in ein Handelshaus nach Magdeburg. Doch kehrte er bald nach Halle zurück, wo ihn seine Bekanntschaft mit Fr. Nicolai zu dem Entschlusse führte, Buchhändler zu werden. Nachdem er seine Lehrzeit in der Buchhandlung des Waisenhauses zu Halle durchgemacht hatte, trat er als Gehilfe in die Bohn'sche Buchhandlung in Hamburg ein, wo seine Freundschaft mit dem Buchhändler Hoffmann und der Familie Joachim Heinrich Campe's für seine weitere Ausbildung von Einfluß war. Im Jahre 1784 vertraute ihm der Buchhändler Mylius in Berlin krankheitshalber die Führung seines Geschäftes an, und als derselbe bald darauf starb, hatte Friedrich Vieweg testamentarischer Bestimmung zufolge die ganzen Verhältnisse des Geschäftes zu leiten und zu ordnen. Er blieb nun in Berlin und gründete hier Anfang April 1786 ein eigenes Geschäft, das er bald zu Ansehen und Blüte brachte.

Die ungewöhnlich rührige Verlagstätigkeit, welche Friedrich Vieweg entfaltete, brachte ihn sehr bald mit den führenden Geistern seiner Zeit auf fast allen Gebieten der Literatur in nahe Fühlung. Die klangvollen Namen eines J. W. v. Archenholz, K. F. Bahrdt, J. J. Eschenburg, F. von Gentz, J. W. v. Goethe, C. F. Häberlin, J. G. v. Herder, L. F. Huber, Alex. und Wilh. von Humboldt, Jean Paul, J. K. W. Illiger, K. Ph. Moritz, Aug. Wilh. und Friedr. von Schlegel, Ch. K. Sprengel, J. H. Voß, Chr. M. Wieland, G. J. Zollikofer u.a.m. eröffneten die Reihe der ersten Autoren des Verlages, welcher sich außerdem noch auf eine Anzahl hervorragender Publikationen der französischen und englischen Literatur erstreckte, durch vorzügliche Schulausgaben der bedeutendsten römischen Klassiker auszeichnete und somit bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts in voller Blüte stand. Mit fast allen Dichtern der damaligen Aera der deutschen Klassiker in freundschaftlichem Verkehr, hatte Friedrich Vieweg sich auch der besonderen Zuneigung Goethes zu rühmen. Mit diesem schloß er am 28. Januar 1797 einen Verlagsvertrag ab, durch welchen der edelste Kranz, den je ein Dichter um seines Volkes Haupt geschlungen, Goethes Hermann und Dorothea, in sein völliges Eigentum überging, mit dem Rechte, das Gedicht, so oft er wollte, aufzulegen. Auf Wunsch des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig siedelte Friedrich Vieweg im April 1799 ganz nach[983] Braunschweig über. Hier erbaute er sich sogleich das große, noch jetzt bestehende Geschäftshaus am Burgplatze, bis zu dessen Vollendung (1804) ihm vom Herzog für die Buchhandlung am Egydienmarkte und später für diese und die Druckerei im sogen. Mosthause (der Burg Dankwarderode) geeignete Räumlichkeiten unentgeltlich überlassen wurden. Das Geschäft Friedrich Viewegs entwickelte sich in der erfreulichsten Weise. Um Pfingsten 1799 kaufte er von J. W. Kircher (vergl. auch Artikel Lattmann), der nach Goslar verzog, dessen Druckerei, und Joachim Heinrich Campe übertrug ihm die Braunschweigische Schulbuchhandlung, deren Name für das Sortimentsgeschäft noch heute in Geltung ist.

Friedrich Vieweg, ein durch Verstand, Bildung und Geschäftskenntnis ausgezeichneter Mann, war einer der wenigen Buchdrucker Deutschlands, welche zu jener Zeit ihren Druckwerken ein elegantes und geschmackvolles Aeußere verliehen, und die neuere deutsche Typographie verdankt ihm viel. 1825 nahm Vieweg (gest. 25.12.1835) seinen damals 28jährigen ältesten Sohn Hans Heinrich Eduard Vieweg als Teilhaber in das Geschäft auf, das seitdem die Firma »Friedr. Vieweg & Sohn« führt. Eduard Vieweg wurde am 15. Juli 1796 in Berlin geboren und erhielt in Braunschweig unter Campes unmittelbarem Einflusse eine Erziehung, die vor allem auf körperliche Ausbildung und praktische Tüchtigkeit abzielte. Er besuchte das Gymnasium, eilte dann aber schon am 14. Dezember 1813 als Freiwilliger zu den Fahnen. Wegen eines durch das Reiten veranlaßten Fußübels sah er sich jedoch schon im Juli 1814 genötigt, Urlaub zu nehmen, dem dann im April 1815 seine gänzliche Entlassung folgte. 1821 ging er nach Hamburg, wo er sich während eines zweijährigen Aufenthalts in der mit dem väterlichen Hause durch ein Verwandtschaftsverhältnis in nahen Beziehungen stehenden angesehenen Buchhandlung von Hoffmann & Campe weiter ausbildete. Die folgenden Jahre verbrachte er auf Reisen in Frankreich und England. In Paris lernte er den nachher so berühmt gewordenen Chemiker Justus Liebig kennen, mit welchem er bis zum Tode durch die intimsten Bande einer in allen Lagen des Lebens sich bewährenden treuen Freundschaft auf das Engste verbunden wurde. Aus Paris hatte er 1882 eine eiserne Presse und aus England im nächsten Jahre eine der ersten Columbia-Pressen, die nach Deutschland kamen, mitgebracht; er erwarb ein Patent auf letztere und veranlaßte, daß die Eisenhütten zu Zorge am Harz nun auch Pressen dieser Art herstellen, die in viele Druckereien übergingen. Mit seinem Bruder Karl, der Landwirt war, legte er[984] auf dem Gute Wendhausen, das sie 1836 auf 99 Jahre gepachtet, und das sein Sohn 1873 käuflich an sich brachte, eine Papierfabrik an unter der Firma »Gebrüder Vieweg«. »Eduard Vieweg wurde« – so äußert sich Karl B. Lorck in seinem Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst – »ein Bahnbrecher für den guten typographischen Geschmack. Durch die Verwendung des instructiven Holzschnittes in einem Maße, wie früher nicht gekannt war, hat er ganz außerordentlich zu der wahren Popularisierung der Wissenschaft, welche nicht mit dem oberflächlichen Naschen durch Hilfe zusammengeschriebener, sogenannter populärer Literatur verwechselt werden darf, beigetragen. Seine Druckwerke, zu denen die eigenen Werkstätten die Schriften, die Holzschnitte und das Papier lieferten, waren ein Spiegelbild seiner eigenen Persönlichkeit. Alles durch und durch gentlemanlike; gediegenes Innere in einfach nobler Hülle. Das ganze Vieweg'sche Institut erinnert an die besten Werkstätten der früheren Blütezeit der Typographie mit ihren begeisterten, nach einem festen Ziele strebenden Leitern. Für das allgemeine Interesse des Buchgewerbes trat Vieweg stets mit Energie ein.«

Bei der Annahme neuer Verlagswerke bevorzugte Eduard Vieweg vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer, woraus vor allem genannt seien die Werke von Liebig, ferner das von Poggendorff und Wöhler herausgegebene, später von Hermann Kolbe fortgesetzte und schließlich von Hermann von Fehling zu Ende geführte »Handwörterbuch der Chemie«, ferner Stöckhardt's »Schule der Chemie« und endlich Schoedler's »Buch de Natur«.

Mit gleich regem Eifer nahm sich Eduard Vieweg aber auch der öffentlichen Interessen an. 1838 bis 1850 gehörte er dem Rechnungs-Ausschuß des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler an, wiederholt auch den Ausschüssen, die der Verein zur Beratung wichtiger Fragen niedersetzte. Sein Wort war hier stets von größtem Gewichte, sein Bestreben, für Preßfreiheit, einen sicheren literarischen Rechtszustand, eine zeitgemäße Organisation des deutschen Buchhandels zu wirken, von bestem Erfolge. Den kommunalen Angelegenheiten widmete er von Jugend auf eine tätige Teilnahme. Politisch verfolgte er eine maßvoll liberale Richtung und erstrebte unter Preußens Hegemonie ein auf ehrlich föderativer und freiheitlicher Grundlage geeinigtes großes Deutschland. In diesem Sinne wirkte seit dem 23. August 1831 die »Deutsche Nationalzeitung für Braunschweig und Hannover«, die unter Redaktion von Heinrich Hermes erschien; sie bestand bis Ende des Jahres 1837, wo die Belästigungen der Zensur ihr ein Ende machten. Auch die 1848 erschienenen beiden Blätter, die »Zeitung für das deutsche Volk« und die »Deutsche Reichszeitung«, konnten nicht durchdringen.[985]

Ein Schlagfluß fesselte den rastlos tätigen Mann von 1866 bis zum 1. Dezember 1869 an das Lager.

Die Firma ging nun auf Eduard Vieweg's einzigen Sohn und Nachkommen, Hans Heinrich Rudolf Vieweg über. Heinrich Vieweg war am 17. Februar 1826 zu Braunschweig geboren. Von seiner Geburt an dazu bestimmt, einstmals an die Spitze des Geschäfts zu treten, verbrachte er seine Jugendzeit ausschließlich im Hinblick auf die Vorbereitung zu dieser Stellung. Die Richtung des väterlichen Verlages auf naturwissenschaftliche Werke führte ihn zu einem zweijährigen Studium der Naturwissenschaften nach der Universität Heidelberg. Alsdann unternahm er im Beginne der fünfziger Jahre mehrfach größere Reisen nach England, Oesterreich-Ungarn sowie Italien.

Die Hauptrichtung des Verlages, wie sie der Großvater und Vater vorgezeichnet, blieb auch unter dem Enkel dieselbe. Von den Publikationen seines Verlages sind vor allem die eines H. v. Helmholtz, A. W. v. Hofmann, C. R. Fresenius, G. Wiedemann u.a.m. als Fundamentalwerke von klassischen Werte zu nennen. Auch wandte er sich bahnbrechend der periodischen Literatur zu und brachte heraus das »Archiv für Anthropologie«, die »Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege«, die Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde »Globus«, die »Naturwissenschaftliche Rundschau«, den von Liebig und Kopp begründeten »Jahresbericht der Chemie«, die Jahresberichte über die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der »Hygiene«, der »Landwirtschaft« und der »Zuckerfabrikation« etc., neben welchen auch die groß angelegten Sammelwerke: Bolley-Engler's »Handbuch der chemischen Technologie«, das von Herm. von Fehling herausgegebene und von Carl Hell fortgesetzte »Neue Handwörterbuch der Chemie« und »Muspratt's Chemie« noch besonders hervorgehoben zu werden verdienen.

Heinrich Vieweg, welcher am 3. Februar 1890 starb, war ein gediegener Charakter, ein Freund der Wahrheit, eine echt deutsche Natur. Ernst, bedächtig prüfend, mit Fleiß und Ausdauer die gesteckten Ziele verfolgend, hielt er zugleich die Ideale des Lebens hoch.

Nach dem Tode Heinrich Vieweg's übernahm die Witwe desselben, Helene Vieweg, geb. Brockhaus, für sich und ihre einzige Tochter Helene die Führung des Geschäfts, in das der Gatte der letzteren, Bernhard Tepelmann, am 1. Juli 1891 als Teilhaber aufgenommen wurde.

Quellen: Adreßbuch für den Deutschen Buchhandel 1891; Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 1869, 1890; Allgemeine deutsche Biographie. – Leipziger Illustrierte Zeitung 1870, Nr. 1386; 1890, Nr. 2438; Verlagskatalog 1899; Irmisch, Buchdruckereien im Herzogtum Braunschweig, 1890.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 6. Berlin/Eberswalde 1908, S. 983-986.
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