Keil, Ernst

[530] Keil, E. Ernst Keil wurde am 6. Dezember 1816 in Langensalza als Sohn eines preußischen Gerichtsdirektors geboren. Er besuchte das Gymnasium in Mühlhausen und trat später in die Hoffmann'sche Hofbuchhandlung in Weimar in die buchhändlerische Lehre. Das Geschäft war das erste in Weimar (vergl. Artikel Hoffmann), und so lernte Keil Goethe persönlich kennen und kam auch mit den anderen litterarischen Größen, dem Kanzler v. Müller, Eckermann, Röhr, Stephan, Schütz und Frau v. Ahlefeldt in nähere Berührung, was für ihn zugleich Anregungen zu eigener litterarischer Thätigkeit gab. 1837 ging er nach Leipzig, schrieb als Gehilfe der Weygand'schen Buchhandlung für mehrere Zeitschriften und übernahm 1838 die Leitung der Wochenschrift »Unser Planet«, die sich später »Wandelstern« nannte, deren litterarisch-politisches Feuilleton er mit Geist und jugendlicher Frische schrieb. Damals erschien auch ein Band gesammelter Liebes-Novellen von Keil unter dem Titel »Melancholie« (Bautzen 1845, Schlüssel).

1845 gründete Keil ohne Mittel, nur seiner buchhändlerischen und litterarischen Tätigkeit vertrauend, eine Verlagsbuchhandlung,[530] und begann im nächsten Jahre die Herausgabe des »Leuchtturms«, dessen Verleger und Redakteur er gleichzeitig war. In Sachsen war für das neue Blatt keine Konzession zu erlangen, und als Keil nun das preußische Zeitz als Ort des Erscheinens wählte, begannen die Verfolgungen. Der Geist seiner Leistung und die Artikel von Mitarbeitern wie Robert Blum, Wislicenus, Uhlich, Johann Jacoby, Dronke, Ruppius etc., ließen ihn nirgends eine bleibende Städte für sein Blatt finden. Er trug es von Zeitz nach Halle, wo gleich ganze Hefte gestrichen wurden, von Halle nach Magdeburg, von da nach dem »Auslande«, nach Dessau, von da nach Bremen und endlich nach Braunschweig. In diesem sechsten Verlagsorte blieb der »Leuchtturm« eine Zeit lang ungestört und hatte einen so außerordentlichen Erfolg, daß Keil an die Herausgabe von mehreren über 20 Bogen starken, also zensurfreien Werken gehen konnte. Aber auch aus Braunschweig vertrieb ihn die Einwirkung der preußischen Zensur, sodaß er keinen anderen Rat mehr wußte, als den freisinnigen Buchhändler Hoff in Mannheim um die Uebernahme des Drucks und Verlags zu bitten. Es war, wie er später selbst im »Leuchtturm« erzählte, Mitte Februar 1848, in ganz ruhiger Zeit, als er diesen Schritt tat, und am 27. antwortete ihm Hoff: »Gestern ist die Nachricht aus Paris eingetroffen, daß man den französischen Thron auf offener Straße verbrannt hat. Was Sie verlangen, wird nicht mehr nötig sein. Binnen acht Tagen haben wir alle Preßfreiheit und noch viele andere Dinge, hoffentlich im ganzen Deutschland,« was 14 Tage später tatsächlich eintraf, sodaß Keil sein Blatt nun in Leipzig heimisch machen konnte. 1848 und 1849 blieb der »Leuchtturm« ungestört und nahm einen so reichen Inhalt in sich auf, daß Varnhagen v. Ense ihn später als eine »imponierende Geschichtsquelle der Bewegungszeit« bezeichnete. 1850 traten aber die alten ungünstigen Verhältnisse wieder ein, und Keil mußte sich mit seiner Zeitschrift zum zweiten Mal auf die Wanderung begeben, von Leipzig über Dessau nach Braunschweig, wo das Feuer des »Leuchtturms« wohl erlöschen mußte, da regelmäßig jede Nummer noch vor der Ausgabe polizeilich weggenommen wurde. Denn mit seiner ganzen Haltung und seinem Beiblatte, das erst die »Laterne«, sodann »Reichsbremse«, später »Spitzkugeln«, »Wespen« und endlich »Schildwacht« hieß, war das Blatt unter den veränderten Strömungen und Zeitverhältnissen ganz unmöglich geworden. Nur kleinen Ersatz gab Keil der »Illustrierte Dorfbarbier« von Ferdinand Stolle, dessen humoristisch-artistischen Teil Keil selbst zu[531] alleiniger Leitung übernahm. Binnen zehn Monaten hatte das billige, aber hübsch ausgestattete Blatt 22,000 Abnehmer gewonnen. Mitten in seiner Thätigkeit für dieses neue Unternehmen wurde Keil wegen des »Leuchtturms« zur Verantwortung gezogen. Die Geschworenen hatten ihn früher freigesprochen, die Mitglieder des wiederhergestellten Gerichts gelehrter Juristen verurteilten ihn zu einer neunmonatlichen Gefängnisstrafe, die er in Hubertusburg verbüßen mußte. Dank der Humanität des damaligen Schloßhauptmanns v. Bünau konnte er mit dem Geschäft in beständiger Verbindung bleiben, wenn auch jeder Brief und Zettel einer amtlichen Revision unterlag. Er verwertete diese Zeit zu geschichtlichen und publizistischen Studien. In Hubertusburg war es, wo er beim Schien einer Zigarre – Licht nach 6 Uhr zu brennen war den Gefangenen untersagt – die erste Idee der »Gartenlaube« auf ein Stückchen Papier hinkritzelte. Nachdem er Hubertusburg verlassen hatte, verlor er mit der Ausführung seiner Pläne keinen Augenblick. Da er noch unter polizeilicher Aufsicht stand und die Gesetze jener Zeit ihm verboten, sich selbst als Redakteur zu nennen, so mußte er einen Freund suchen, der seinen Namen für die »Gartenlaube« herlieh, und fand ihn in Ferdinand Stolle, der in Dresden wohnte. Keil hat jedoch die »Gartenlaube« stets allein redigiert und geleitet, wenn auch sein Name jener Gefängnisstrafe wegen bei der Redaktion lange Zeit nicht genannt werden durfte.

Am 1. Januar 1853 erschien die erste Nummer der »Gartenlaube«. Der Erfolg des ersten Jahrgangs war ein günstiger, am Jahresschlusse waren 5000 Abnehmer vorhanden und der zweite Jahrgang schloß mit 14,500 Abonnenten ab; trotzdem waren die Herstellungskosten noch bei weitem nicht gedeckt. Das neuen Blatt kam dem allgemeinen Wunsche entgegen, in unterhaltender Weise belehrt zu werden, und war ein in jeder Beziehung deutsches, nicht bloß darin, daß es dem großen nationalen Gedanken diente, sondern auch darin, daß es dem deutschen Leben und Streben fast ausschließlich Berücksichtigung schenkte. Die Novellen von Temme und die naturwissenschaftlichen Artikel von Bock, Carl Vogt, Roßmäßler und Vrehm trugen in der ersten Zeit das Meiste dazu bei, die Verbreitung zu fördern. Das Jahr 1855 schloß mit einem Absatz von 35,500 und bis 1860 hatte sich die Zahl der Abonnenten auf 86,000 gesteigert. 1861 erreichte die »Gartenlaube« ihr erstes Hunderttausend und überschritt es um 6000; 1863 gipfelte der Absatz in der enormen Zahl von 157000. In Hermann Schmid,[532] Ruppius, Levin Schücking, Storm u.a.m. hatte die »Gartenlaube« jetzt vortreffliche Mitarbeiter für ihren novellistischen Teil gefunden. Der richtig belehrende Ton, der immer wissenschaftlich blieb, wenn er unterhalten zu sollen schien, trug zur Verbreitung wesentlich bei. Da traf das Blatt Ende 1863 ein schwerer Schlag. Durch die Aufnahme eines von guter Seite empfohlenen Artikels: »Der Untergang der Amazone«, die Keil selbst als eine übereilte bezeichnete, geriet er in Konflikt mit den preußischen Behörden, und obwohl er, von einer Reise zurückgekehrt, noch früh genug das Einstampfen der meisten Abdrücke der fraglichen Nummer anordnen und eine öffentliche Erklärung erlassen konnte, so wurde die Gartenlaube doch ein Jahr später in Preußen verboten. Diese Maßregel brachte die Auflage beinahe auf 100000 herab. Bestellungen aus Süd-Deutschland und besonders aus Amerika hatten indessen einen Aufschwung zur Folge, und Ende 1865 besaß die »Gartenlaube« wieder 130000 Abnehmer. Im nächsten Jahre hatte diese Zahl sich noch um 12000 gesteigert, als nach dem Einmarsch der Preußen in Leipzig ein Offizier in die Expedition trat und das fernere Erscheinen des Blattes untersagte. Dieses gänzliche Verbot wurde unmittelbar nach der Schlacht von Königgrätz zurückgenommen, aber das preußische Gebiet öffnete sich der Gartenlaube erst nach mehreren Monaten. Die 142000 Abonnenten wuchsen nun in drei Vierteljahren zu der Riesensumme von 215000 an, 1870 betrug die Auflage 270000 Exemplare und im Jahre 1876 war sie auf 400000 gestiegen, ein Erfolg, der im Zeitungswesen Deutschlands bis heute unerreicht dasteht. Um diese Zeit schreibt ein Korrespondent: »der Einfluß, welchen die Gartenlaube ausübte, war ein ungeheurer. Die meisten Familien in besseren Verhältnissen hielten das Blatt, ebenso alle Konditoreien, Restaurants, Cafés, Klubs, sodaß ich die Anzahl der Gartenlaube-Leser auf 5 Millionen schätze.« Die andauernde Konkurrenz ging natürlich auch an der Gartenlaube nicht spurlos vorüber. Immerhin gehört das Blatt, mit dem 1894 »Schorers Familienblatt« vereinigt wurde, auch heute noch mit seiner Auflage zu den verbreitetsten, deutschen Familienblättern.

Von anderen Zeitschriften verlegte Keil die von Berthold Auerbach begründeten »Deutschen Blätter«, die als Beilage zur »Gartenlaube« erschienen und von Dr. Fränkel vortrefflich redigiert wurden (1865-1876), die »Europa« (1865-1885) und die »Turnzeitung« (1856-1870). Von den Büchern, die bei ihm erschienen, waren mit die bedeutendsten: Ferdinand Stolle's gesammelte Schriften[533] (30 Bände in drei Auflagen, 1857 u. ff.); Ludwig Storch's Werke in 31 Bänden (1855-1862); Hermann Schmid's Werke in 50 Bänden; Bock's »Buch vom gesunden und kranken Menschen«, das in 17 großen Auflagen verbreitet ist, sowie Bock's Schulbuch »Bau und Pflege des menschlichen Körpers«, von dem anfänglich binnen Jahresfrist vier Auflagen von je 10000 Exemplaren erschienen; Träger's »Gedichte« in 17 Auflagen; »Karl Maria v. Weber's Leben« in drei Bänden; Roßmäßler's »Bücher der Natur« in 7 Bänden; verschiedene volkswirtschaftliche Schriften von Schulze-Delitzsch und ferner Schriften von Glaßbrenner, Fr. Gerstäcker u. a. – Den größten Erfolg hatte aber zweifellos das Gartenlaubendreigestirn W. Heimburg, E. Marlitt und E. Werner, deren Romane und Novellen außer in vielen Einzelausgaben, und diese wieder in einer Reihe von Auflagen, in je zehn Sammelbänden erschienen sind. Aus dem neueren Verlag seien erwähnt: Marie Bernhard und Stephanie Keyser mit Romanen; Blüthgen, Weihnachtsbuch; das »Gartenlaubenbilderbuch« und der seit 1886 erscheinende »Gartenlaubenkalender«, sowie die von 1883-1887 in 138 Lieferungen erschienene »Romanbibliothek der Gartenlaube«; ferner Dichter und Schriftsteller wie L. Fulda, H. Hopfen, P. Heyse, B. Möllhausen, A. von Perfall, Emil Rittershaus, Teo von Torn u.s.w. Erwähnt seien noch Guido Hammer, Waidmannsbilder, und Oswald, Vorstehhund (jetzt Verlag von Hartung & Sohn in Leipzig).

Ernst Keil starb am 23. 3. 1878, das Geschäft wurde von Adolf und Paul Kröner käuflich erworben, denen 1888 als weiterer Teilhaber Alfred Kröner beitrat. Seit April 1898 ist das Geschäft in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt und wird als solche unter der Firma Ernst Keils Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig fortgeführt. Inhaber der Firma ist seit 1904 die bekannte Berliner Verlags- und Zeitungsdruckerei August Scherl G. m. b. H.

Quellen: Illustrierte Zeitung (Weber) 1870; Bildnis von Ernst Keil in Schulz Adreßbuch 1880; Verlagskatalog 1887, 1900; Allgemeine deutsche Biographie 15. Band; Gartenlaube 1878.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 3. Berlin/Eberswalde 1905, S. 530-534.
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