Langenscheidt, Gustav

[592] Langenscheidt, G. Professor Johann Ludwig Gustav Langenscheidt wurde am 21. Oktober 1832 zu Berlin als Sproß eines seit dem 17. Jahrhundert daselbst ansässigen, aus Westfalen stammenden Bürgergeschlechts geboren. Anfänglich für den kaufmännischen Beruf bestimmt, verließ er nach beendigter Lehrzeit diese Laufbahn und machte – angeregt durch die Lektüre Seumes – zu seiner Ausbildung eine über 1000 Meilen umfassende Fußreise durch Deutschland, England, Frankreich und Italien mit einem seinen damaligen bescheidenen Verhältnissen entsprechenden Reisegeld von täglich »acht guten Groschen«. Während dieser etwa Jahresfrist umfassenden Wanderzeit vervollkommnete er u. a. seine Fertigkeit im Gebrauch des Französischen; nach seiner Rückkehr kam er auf den Gedanken, seinen Landsleuten zur Erlernung dieser wichtigen Kultursprache eine Unterrichtsweise zu schaffen, die, wo nötig, den Lehrer entbehrlich machen könnte. Noch während seiner Dienstzeit beim Militär ging er an die Ausführung dieser Idee, und nach vierjähriger Nachtarbeit gab er seine heute der ganzen Welt bekannten »Unterrichtsbriefe zur Erlernung der französischen Sprache« heraus.

Trotz beschränkter Mittel und trotz vielfacher Anfeindung führte er die schwierige Drucklegung des Werkes mit eisernem Fleiße und zielbewußter Zähigkeit durch und wurde, da es ihm nicht gelingen wollte, einen Verleger für seine Arbeit zu erwärmen – Dr. Parthey in Firma Nicolaische Buchhandlung gab dem Suchenden z.B. das eingesandte Manuskript mit der lakonischen Bemerkung zurück: »Das ist meine Antwort!« – im Jahre 1856, in seinem 24. Lebensjahre[592] sein eigener Verleger. Später hat er übrigens als Letzter das preuß. Buchhändlerexamen gemacht.

Die günstige Aufnahme, welche die Unterrichtsmethode in Deutschland nach und nach fand, setzte ihren Urheber in die Lage, sie auf die englische Sprache auszudehnen. Für die Herstellung jedes der beiden Werke galt als Grundsatz die Mitwirkung von Vertretern beider betreffenden Nationalitäten. Für die französischen Briefe hatte er in seinem Freund und Lehrer, dem zu Berlin lebenden Professor Toussaint, eine treffliche Unterstützung gewonnen; für die englischen fand er sie in Professor Henry Lloyd und Professor Dr. van Dalen, Lehrern an der Königlich preußischen Kadettenanstalt zu Berlin. Diesen Männern, sowie seinem Freunde und Gönner Professor Dr. Herrig hat Langenscheidt viel zu verdanken, ebenso den Autoren, welche die spätere notwendig gewordene Ausdehnung der Toussaint-Langenscheidtschen Methode auf anderweitige Gebiete, wie Wörterbücher etc. förderten: Professor Dr. Hoppe in Berlin, Professor Dr. Muret in Berlin, Professor Dr. Sachs in Brandenburg, Professor Dr. Schmitz in Greifswald, Professor Dr. Sanders in Strelitz und Professor Dr. Villatte in Neustrelitz.

Der Wert der Unterrichtsbriefe liegt in dem von Langenscheidt erfundenen System der Aussprache-Bezeichnung. Um dieses System weiter auszunutzen, entwarf Langenscheidt im Jahre 1868 den Plan zu dem großen, in der internationalen Lexikographie wohl einzig dastehenden »Encyklopädischen Wörterbuch der französischen und deutschen Sprache« von Sachs-Villatte. Die Herstellung des Werkes kam auf über 400000 Mark zu stehen und fand 1873 ihren Abschluß. Es bietet nicht nur das vollständigste Verzeichnis des französischen Wortschatzes, welches existiert, es enthält auch die bündigste Verdeutschung und alle für den Deutschen nur immer mögliche und wünschenswerte Erklärung und Erläuterung dieses Wortschatzes auf dem möglichst geringen Raume und zu einem unverhältnismäßig billigen Preise.

Bei jedem Titelworte des Sachs-Villatte ist die Aussprachbezeichnung nach dem Langenscheidtschen System angegeben, und um diese festzustellen, ließ Langenscheidt die einzelnen Wörter von vier aus verschiedenen Provinzen Frankreichs stammenden Franzosen vorsprechen, und vier aus verschiedenen Gegenden Deutschlands stammende Deutsche hatten dann nach ihrem Gehör die Aussprache festzustellen. Bei der Drucklegung dieses Werkes wurde mit einer ganz außerordentlichen Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit verfahren. Es fanden sich fünf Fachgelehrte beider Nationalitäten (Professor Dr. van Dalen, Professor Dr. Mahn, Professor Dr. Muret, Dr. van Muyden und Professor Pariselle, alle in Berlin), welche dem Verfasser durch[593] Übernahme teils der 2., teils der 3. und 4. Korrektur zur Seite standen. Vier Literaten beider Nationalitäten widmeten ihre Kräfte unausgesetzt der typographischen Korrektheit des Wörterbuches in der Druckerei selbst. Im ganzen passierte der Satz, ehe der Verfasser seine Druckerlaubnis erteilte, eine achtzehnfache Durchsicht und Prüfung, da jede der 1., 2., 3. und 4. Korrekturen von vier oder fünf verschiedenen Korrektoren nacheinander gelesen wurde.

Ein Parallelwerk zu diesem Wörterbuche bildet das »Encyklopädische Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache« von Professor Dr. Ed. Muret und Professor Dr. D. Sanders.

Wie gewissenhaft es z.B. die Verlagsbuchhandlung mit der Drucklegung nahm, beweist die Korrektur-Kostenaufstellung über eine Lieferung (die siebente) des Muret; man findet da folgende Ausgabe aufgezeichnet:

Korrekturen auf dem Blei . . . . . . . M. 979.10

Plattenkorrekturen . . . . . . . . . . . . . ,, 5. –

Gehälter für 5 Hauskorrektoren

2 Monate . . . . . . . . . . . . . . . . . ,, 2000. –

Prämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,, 65. –

Korrektur-Honorar für auswärtige

Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,, 700. –

Portokosten der Korrekturen-

Versendungen . . . . . . . . . . . . . . ,, 20. –

Sa. M. 3769.10

1867 gründete Langenscheidt auf dem von ihm 1864 erworbenen Grundstück Hallesche Straße 17 eine eigene Druckerei, so daß er seinen sich immer mehr vergrößernden Verlag in eigener Offizin herstellen konnte. 1873 wurde ein geräumiger Umbau aufgeführt und durch Ankauf des Hinterlandes eine Terrainabrundung geschaffen. Das gewonnene Hinterland diente dem viele Stunden an den Schreibtisch gefesselten Verleger als Reitplatz, bis 1885 auf ihm jener große Bau der Druckerei begonnen wurde, der im Jahre 1905 abermals zu klein, durch den umfangreichen Neubau in Schöneberg, Bahnstraße 29,30, abgelöst wurde. Von den Verlagswerken der Firma sind hier noch zu nennen: Sanders' Wörterbuch der Hauptschwierigkeiten der deutschen Sprache; Langenscheidts Sachwörterbücher der französischen und englischen Sprache; eine Anzahl Literaturleitfäden, Vokabularien, Schulgrammatiken und sonstigen sprachlichen Hilfsmittel, sämtlich von den schon genannten Autoren bearbeitet. Eine eigenartige Neuerung wurde 1902 endgültig ins Leben gerufen: die Anwendung des Grammophons für den Sprach-Selbstunterricht. Das Bestreben ging dahin, daß sich der Lernende mit Hilfe des Apparats eine gute Aussprache auf Grund aus dem Leben gegriffener Texte sowie an der Hand des Buches das gelaüfige Sprechen, Schreiben, Lesen und Verstehen der fremden Umgangssprache aneigne.[594]

Neuerdings, seit 1899, erscheint auch das Lehrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft im Langenscheidtschen Verlag. Bis dahin hatten neben der Gesellschaft selbst Georg Reimer in Berlin und A. Asher & Co. ebenda sich betätigt.

Im Jahre 1884 erwarb Langenscheidt von A. Werthers Verlag in Stuttgart die »Bibliothek sämtlicher griechischen und römischen Klassiker«, das große, 1854 von Carl Hoffmann in Stuttgart gegründete Unternehmen, das in 1166 Lieferungen bzw. 110 Bänden vorliegt. Mehr als 170000 Mark Honorar wurden für diese Uebersetzungsbibliothek ausgegeben, die die etwa 30jährige Arbeit von 48 ersten Meistern deutscher Uebersetzungskunst, wie Bähr, Binder, Donner, Gerlach, Kühner, Minckwitz, Prantl, Sommerbrodt, Wahrmund, Wessely etc. bietet.

G. Langenscheidt, 1874 durch Verleihung des Professortitels ausgezeichnet, starb am 11. 11. 1895; die Firma Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung wurde an Carl Langenscheidt verkauft, in dessen Besitze sie sich gegenwärtig noch befindet.

Der Sohn des Begründers der Firma Dr. P. Langenscheidt, geb. am 25. November 1860, besuchte das Gymnasium zu Berlin und Neuwied und studierte in Greifswald neuere Sprachen. Neben seiner Tätigkeit als Verlagsbuchhändler – er besitzt seit 1888 eine eigene Verlagsbuchhandlung für kaufmännische und belletristische Literatur – fand er Zeit, sich erfolgreich als lyrischer und dramatischer Dichter zu betätigen. Für die Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung verfaßte er Rex, Abriß der antiken Literatur; Die Jugenddramen des P. Corneille, ein Beitrag zur Würdigung des Dichters, und beteiligte sich 1886 an einer Neubearbeitung der englischen Original-Unterrichtsbriefe nach der Methode Toussaint-Langenscheidt.

Quellen: Verlagskatalog 1906.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 4. Berlin/Eberswalde 1907, S. 592-595.
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