[755] Perthes, F. Über Friedrich Christoph Perthes hat sich bereits eine ganze Literatur gebildet. Einer seiner Biographen sagt von ihm: »Weil er früh des Beistandes anderer Menschen bedurfte, ihr Zutrauen gewinnen, ihrem Geschmack Genüge tun mußte, übte sich seine Beobachtungsgabe, lernte er Weltklugheit in Behandlung der Schwächen Anderer, Selbstverleugnung in rücksichtsvoller Schonung fremder Meinungen und Unterdrückung der eigenen, Besonnenheit in Bezwingung leidenschaftlicher Aufwallungen. Sollte bei dem unermeßlichen Detail seines Geschäfts und der geringen Zahl der Gehilfen das Ganze nicht durch Vernachlässigung des Einzelnen leiden, so mußte er sich die rastloseste Tätigkeit, den anhaltendsten Fleiß und die strengste Ordnungsliebe zu eigen machen. Den Mangel an gelehrter Bildung ersetzte reichlich der Umgang mit den bedeutendsten Männern Deutschlands, wozu er sich früh Gelegenheit verschaffte, sodaß nichts Großes und Schönes in der vaterländischen Literatur zur Sprache gekommen ist, das sein Geist sich nicht zugeeignet hätte, und es war vielleicht um so reiner von ihm aufgefaßt worden, weil sein Blick nicht durch gelehrte Vorurteile getrübt war. Was aber dieser Vereinigung seltener Eigenschaften noch einen ganz vorzüglichen Wert gibt, ist die Wärme seines Herzens und besonders der tiefreligiöse Sinn, der den weltlichen Bestrebungen eines stolzen Selbstgefühls Grenzen setzt und sie alle veredelt.«
Perthes wurde am 21.4.1772 als Sohn eines Steuersekretärs zu Rudolstadt geboren. 1787 trat er in die Böhme'sche Buchhandlung zu Leipzig ein, deren Inhaber, ein ebenso tüchtiger als verständiger Buchhändler, sich der geschäftlichen Ausbildung des jungen Mannes mit größter Sorgfalt annahm und ihn, seines freundlichen und gefälligen Wesens wegen als seiner Familie angehörig betrachtete.[755] Sechs Lehrjahre »glückliche Jahre ernsten Strebens«, wie er sie selbst später nannte hatte Perthes in diesem Hause durchzumachen, bis er auf Befürwortung seines Lehr-Prinzipals eine Stellung in der Hoffmann & Campe'schen Buchhandlung in Hamburg erhielt.
Unterm 11.7.1796 zeigte Perthes die Begründung seines eigenen Geschäftes, eines Sortiments, an, zu dessen vorläufigem Betrieb er allerdings noch zweier stiller Gesellschafter bedurfte. Er glaubte »durch diese neue Einrichtung etwas Nützliches getan zu haben« und begann eifrig seine Arbeit. Wie er seinen Beruf aufgefaßt wissen wollte, hatte er schon 1794 in einem Briefe auseinandergesetzt. Er sagt dort: »Deutschland ist mit elenden und scheußlichen Büchern überschwemmt und würde frei von dieser Plage sein, wenn dem Buchhändler die Ehre lieber wäre als das Geld«.
1798 schieden beide Handlungsgesellschafter aus, Perthes führte die Handlung allein weiter. »Meine Verhältnisse, schrieb Perthes 1799, gestalten sich so mannigfaltig, daß ich alle meine Zeit und alle meine Kräfte aufbieten muß, um die Zügel festzuhalten. Das, was man in der Welt Glück nennt, habe ich wirklich; denn alles gelingt mir, was ich unternehme.« Als neuer Gesellschafter war inzwischen Johann Heinrich Besser eingetreten. »Nicht ein einziger Buchhändler möchte sich finden, sagt Perthes von ihm, welcher in dem Umfange wie Besser Kenntnis von dem Dasein, von der Bestimmung und der Brauchbarkeit der verschiedensten Werke aus der Literatur aller Völker besitzt und niemand weiß in dem Umfange wie er, wo sie zu finden und wie sie anzuschaffen sind.«
Dementsprechend war auch das Verhältnis beider Gesellschafter (vergl. Artikel ⇒ Hofmann), welche gemeinsam ihre Firma fast untergehen sahen, aber genug Kraft besaßen, das Haus von neuem aufzubauen.
Das Sortimentsgeschäft indessen behagte Perthes für die Dauer nicht; der Verlag war ihm sympathischer, und in diesem buchhändlerischen Zweig sollte Perthes auch fürderhin seine Bestimmung finden. 1822 schied Perthes aus der Handlung aus, überließ Besser das Sortiment allein, während er sich hinfort dem Verlage widmete. Er siedelte nach Gotha über, und an diesem Orte sollte er den Grund zu einem Verlagshause legen, das schon zu Zeiten des Gründers zu den angesehensten Verlagsfirmen Deutschlands zählte. Eine Reihe hervorragender Männer scharte sich um Perthes, der im Verein mit diesen eine staunenerregende verlegerische Tätigkeit entfaltete. Insbesondere Politik, Geschichte, Theologie waren die Gebiete, die sich seiner Förderung zu erfreuen hatten; bekannt ist, daß der mutige und unerschrockene Mann, der festen Schrittes sein Ziel verfolgte und in harten Zeiten sich bewährt hatte, in gleichem Maße auch für die[756] Wissenschaft eintrat. Hier muß vor allem Heeren & Ukerts Geschichte der Europäischen Staaten genannt werden, ein monumentales Nationalwerk, durch dessen Herausgabe er sich unvergängliche Verdienste erworben hat. Wenn auch dieses Werk die ersten Jahre seiner Verlagstätigkeit vollauf in Anspruch nahm, so breiteten sich seine Verbindungen mit Gelehrten und Schriftstellern der verschiedensten Lebensstellung doch mehr und mehr aus. Dabei ließ er schon damals nie die zweite Seite des Geschäfts, den Vertrieb durch das Sortiment, außer acht. Seine Auffassungen hierüber, insbesondere auch über den Beruf des Sortimenters, hat er oftmals ausgesprochen; eine ebenso hohe Auffassung hatte er vom Verleger. »Es ist wahr«, schrieb er einmal an Besser, »der eigentliche Verlagsbuchhandel liegt namentlich in den kleineren Orten, die nicht Universitätsstädte sind, fast ohne Ausnahme in den Händen unwissender, roher, träger Menschen. Liebe zu ihrem Berufe haben sie nicht, sondern betrachten ihn ausschließlich als ein Mittel, Essen und Trinken zu erhalten; auf die mechanische Seite des Gewerbes sind sie eingeübt, aber die Bücher und die Menschen, die dieselben kaufen, sind ihnen ganz gleichgültig.«
Perthes' lebendige Anteilnahme an den kirchlichen und religiösen Bewegungen der Zeit und die persönliche Bekanntschaft mit vielen bedeutenden Theologen führten ihn bald auch dem theologischen Verlage zu. 1825 erschien der erste Teil des berühmten Neanderschen Werkes »Geschichte der christlichen Religion und Kirche«; bald schlossen sich Luthers Schriften in Auswahl an. Nach manchen mühseligen und schwierigen Vorbereitungen konnte am 1.1.1828 das erste Heft der Theologischen Studien und Kritiken herausgegeben werden. Die bedeutendsten Theologen Deutschlands wurden fast ohne Ausnahme Mitarbeiter an der neuen Zeitschrift. 1829 folgte der erste Teil der umfassenden Geschichte der Philosophie von Heinrich Ritter. An diese Grund- und Ecksteine schlossen sich eine Reihe kirchenhistorischer Werke an, wie das Leben Jesu, die Geschichte der Pflanzung und Leitung der christlichen Kirche, wie die Reformatoren vor der Reformation von Ullmann, Johann Brenz von Hartmann, Calvins Leben von Henry, Tauler von Schmidt, Savonarola von Rudelbach, Meister Eckardt von Martensen, Cola die Rienzo von Papencordt, Schenkels Leben von Schenkel; Ritters Geschichte der Philosophie trat ergänzend hinzu. Eine zweite Gruppe seines theologischen Verlages bildeten die Kommentare zur heiligen Schrift, wie Umbreits Kommentar über die Propheten des alten Bundes und Tholucks Kommentar zum Evangelium Johannis, zur Bergpredigt, zum Briefe an die Hebräer. Die dritte Gruppe umfaßte eine Reihe systematischer Darstellungen, zu welchen Twestens Dogmatik,[757] Sacks Polemik und Apologetik, Ackermann, Das Christliche im Plato, Nitzsch' Religionsbegriff der Alten, Sartorius, Die Lehre von Christi Person und Werk, gehören. Eine bedeutende Zahl größerer und kleinerer Abhandlungen von Lisco, Olshausen, Dorner, Ehrenfeuchter, Ebel, Georgi, Krabbe, Schwarz, Schmieder, Reuchlin, Preller und anderen schlossen sich an, sowie einige weit verbreitete erbauliche Werke, wie namentlich die Predigten von Tholuck, Oliviers Bilderbibel, Bunsens Allgemeines evangelisches Gesangbuch und Mynsters Betrachtungen über die christlichen Glaubenslehren.
Für den historischen Verlag hatte die Geschichte der europäischen Staaten den Ausgangspunkt gebildet. Mit größter Ausdauer und mit einem seine Erwartungen weit übertreffenden Erfolg hatte Perthes seinerseits das große und gewagte Unternehmen durchgeführt. Anerkannte, zum Teil ausgezeichnete Männer hatten die Geschichte der einzelnen Staaten übernommen. Der Schwede Geijer, der Niederländer van Kampen, der Ungar Graf Mailath arbeiteten mit den Deutschen: Pfister und Stenzel, Dahlmann und Lappenberg, Leo und Schäfer und manchem anderen an dem Unternehmen, dessen innerer Zusammenhang freilich lockerer geworden war, als man ursprünglich beabsichtigt hatte. Neben der europäischen Staatengeschichte war Perthes vor allem gerne förderlich, wenn es die Bearbeitung der deutschen Geschichte galt. Eine Anzahl Territorialgeschichten, wie Rommels ausführliche Geschichte von Hessen, Bartholds Geschichte von Pommern und Rügen und viele Arbeiten über einzelne Zeitabschnitte und einzelne Erscheinungen der deutschen Geschichte, wie Sartorius' Ursprung der Hansa, Grautoffs Chronik des Franziskaners Dettmer, Aschbachs Kaiser Sigismund, des Chorherrn Chmel Friedrich IV., Bartholds Georg von Frundsberg, Guhrauers Kurmainz, Friedrichs II. Anti-Macchiavelli lieferten dafür den Beweis; aber auch bedeutende außerdeutsche historische Werke, wie Droysens Geschichte des Hellenismus, Hurters Innocenz, Rankes Serbische Revolution erschienen in seinem Verlage. Unter den bei ihm herausgegebenen Biographien, die er recht eigentlich mit Liebhaberei behandelte, gehören die meisten dem Reformationszeitalter an; aber Schönborns Leben, Otto Runges Leben und vor allem Niebuhrs Lebensnachrichten haben manche verborgenen Seiten und Fäden auch der deutschen Gegenwart offen gelegt.
Mit sicherer Hand hatte Perthes sein Verlagsgeschäft auf diese Gebiete umgrenzt und nur ausnahmsweise, durch besondere Neigung zur Person oder Sache, konnte er veranlaßt werden, Verlagswerke außerhalb seines Kreises herauszubringen. Dies war z.B. bei den weitverbreiteten Hey-Speckterschen Fabeln der Fall. Einige Monate nach dem Tode seiner Frau hatte Wilhelm Hey die Hofpredigerstelle[758] in Gotha, in der er über vier Jahre sowohl als geistesmächtiger Kanzelredner, wie auch als treuer, stets hilfsbereiter Seelsorger in großem Segen arbeitete, übernommen. Auf seinen seelsorgerlichen Gängen besuchte er besonders gern die Waisenkinder. Im Verkehr mit ihnen und ihren Pflegefamilien entstanden seine ersten Kindergedichte, die seinen Freund Friedrich Perthes so entzückten, daß er dem Dichter den Rat gab: »Hey, wenn Sie solche Kindergedichte machen können, so schaffen Sie doch mehr davon. Die Kinderwelt hat nicht allzuviel derart; das wäre gerade etwas für sie, was ich brauchen könnte.« Aber erst nach mehreren Jahren, als Wilhelm Hey die Hofpredigerstelle mit dem Pfarramt und der Superintendentur im idyllischen Dorfe Ichtershausen vertauscht hatte, fand dieser Wunsch seine Erfüllung. 1833 erschienen »Fünfzig Fabeln für Kinder«, zu denen der treffliche Maler Otto Speckter die Bilder geliefert hatte, und 1837 »Noch fünfzig Fabeln für Kinder, mit Bildern von Otto Speckter«. Im Laufe der Zeit schrieb Hey noch mehrere andere Kinderbücher, aber keines ist so zum Hausschatz des deutschen Volkes geworden, wie die zweimal fünfzig Fabeln mit ihrem unvergleichlichen Anhang.
Perthes' Tätigkeit für seine Berufsgenossen ist oft und erschöpfend gewürdigt worden. Willig erkannte man seine Autorität an und gern würdigte man die Verdienste, die er als Börsenvereinsvorstandsmitglied und namentlich als Vorsitzender des vorbereitenden Ausschusses zum Bau der Leipziger Buchhändlerbörse sich erwarb.
Perthes starb am 18.5.1843. Nachfolger im Geschäft wurde sein jüngster Sohn Andreas Perthes, der am 1.1.1890, 77 Jahre alt, nach längerem Leiden starb. Er übergab schon am 1.7.1874 das Geschäft seinem Sohne Emil Friedrich Matthias Perthes, der bis 1890 Leiter desselben war. Am 28.6.1890 ging das Geschäft in den Besitz einer Aktiengesellschaft über, die seit 1903 Friedrich Andreas Perthes Aktiengesellschaft firmiert. Die Gebiete, denen der Verlag auch heute noch seine Tätigkeit widmet, sind in erster Linie die Geschichtswissenschaft, die Lehr- und Schulbücherliteratur, die Theologie, sowie die schöne Literatur.
Im einzelnen sei aus den neueren Verlagsunternehmungen hervorgehoben: Die Allgemeine Staatengeschichte, die jetzt unter der Leitung des bekannten Historikers Dr. K. Lamprecht steht und sich in drei große Abteilungen: Geschichte der europäischen Staaten, Geschichte der außereuropäischen Staaten, und Deutsche Landesgeschichten gliedert. Ferner nennen wir die Schriften von Gerh. von Amyntor; Wilh. Arnold (Deutsche Geschichte), Dr. J. Baumann (philosoph. Schriften), V. Blüthgen, Matthias Claudius (neue Ausgabe seiner Werke; des Claudius »Urians Nachricht von der Neuen[759] Aufklärung« war der erste Verlagsartikel von Friedrich Perthes in Hamburg, 1797); Cremer (Bibl.-Theol. Wörterbuch), G. Chr. Dieffenbach (Jugendschriften), Joh. Gust. Droysen, Heinrich Düntzer, Oberpfarrer A. F. W. Fischer (Kirchenliederlexikon usw.), Dr. C. H. Gildemeister, G. Warneck, Wilh. Herbst, J. Hillebrand (Deutsche Nationalliteratur), Th. Kolde, A. von Liliencron, Max Müller-Oxford, G. E. von Natzmer, B. G. Niebuhr, Anton Ohorn, Professor Clemens Theodor Perthes, Maria Rebe, Lizentiat Otto Ritschl, A. von Rothenburg (Romane), Bernhardine Schulze-Schmidt, Johanna Spyri (16 Bände Geschichten für Kinder und auch für solche, welche die Kinder lieb haben); Starck (Tägl. Handbuch in guten und bösen Tagen), Theod. Weber, Lilly Willigerod (Jugendschriften), E. Wuttke-Biller usw. Folgende große Sammelunternehmen verdienen noch besondere Erwähnung: Handbibliothek der praktischen Theologie; Handbücher der alten Geschichte, 3 Serien; das Handlexikon für evangelische Theologen und das Theologische Hilfslexikon; Nuntiaturberichte aus Deutschland; Deutsche Reichstagsakten. An die Sammlungen »Schulausgaben griechischer und lateinischer Klassiker« unter dem Gesamttitel »Bibliotheca Gothana«, ferner »Perthes' Schulausgaben englischer und französischer Schriftsteller« und die deutschen Schulausgaben unter dem Titel »Klassische deutsche Dichtungen« schließen sich noch eine große Reihe von Schulbüchern an, ferner bildliche Anschauungswerke für Schule und Haus. Von Zeitschriften wären endlich außer den bereits erwähnten »Theologischen Studien und Kritiken«, die jetzt im 80. Jahrgange erscheinen, »Neue Philologische Rundschau«, »Für unsere Kleinen« und die von Armin Tille seit 1899 herausgegebenen »Deutschen Geschichtsblätter« sowie die »Zeitschrift für Kirchengeschichte« zu nennen.
Quellen: C. T. Perthes, Friedrich Perthes' Leben, Gotha 1896; Verlagskatalog 1796-1906; vergl. auch die reichhaltige Literaturübersicht im Katalog der Börsenvereinsbibliothek.
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