Quaritsch, Bernard

[784] Quaritsch, B. Bernard Quaritsch wurde am 23. April 1819 in der Stadt Worbis als Sohn eines preußisch. Militärbeamten geboren. Er verlor frühzeitig den Vater, bestand seine fünfjährige Lehrzeit in der Buchhandlung von W. Koehne in Nordhausen und arbeitete dann als Gehilfe in der Verlagshandlung von Karl J. Klemann in Berlin. Der Entschluß, sich dem Antiquariatsbuchhandel zu widmen, trieb ihn 1842 nach London; es gelang ihm, bei einem der bedeutendsten dortigen Buchhändler und Antiquare, Henry George Bohn, eine Stelle zu finden, welche er nach zwei Jahren aufgab, um ein Jahr in dem Hause von Théophile Barrois in Paris zu arbeiten. Nach London zurückgekehrt, war er weitere zwei Jahre bei Bohn tätig. Im April 1847 gründete er in London sein eigenes Geschäft mit einem Anlage-Kapital von 10 Pfund St. in einem kleinen Laden in Castle Street, »penny books« verkaufend. Ungewöhnliche Geschäftsgewandtheit, eiserner Fleiß, eiserne Gesundheit, mäßigste Lebensweise ließen das Geschäft einen raschen Aufschwung nehmen; mit unentwegtem Selbstvertrauen zog Quaritch den Handel mit neuen englischen, den Import ausländischer Bücher, den Ankauf von Restauflagen (Remainders) und eigenen Verlag in den Kreis seiner rastlosen Tätigkeit. Seine Firma hatte bereits in der alten und in der neuen Welt einen guten Klang, als er 1860 seinen Geschäftssitz mit Beibehaltung des alten – inzwischen in sein Eigentum übergegangenen – Lokals nach Piccadilly 15 verlegte. Hier sammelte er im Laufe der nächsten zwei Jahrzehende jenes wunderbar reiche Bücherlager an, dem sich kaum ein zweites wird ebenbürtig an die Seite stellen lassen – eine Schatzkammer nicht nur seltener und seltenster Bücher für den verwöhntesten Bibliophilen, sondern auch der wertvollsten, brauchbarsten, unentbehrlichen Werke aus allen Wissenschaften für den Gelehrten. Die unvergleichlichen Mittel Londons als Weltmarkt mit sicherem Takte ausnutzend, versammelte er[784] bei sich die Schriftdenkmäler auch der entlegensten Kulturvölker, insbesondere des Orients. Eine unversiegbare Quelle der Erwerbungen boten und bieten ihm fortwährend die Londoner Bücher-Auktionen; aber auch in französischen, belgischen, holländischen, deutschen und italienischen Versteigerungen ist er der gefürchtetste Konkurrent für kostbare und seltene Bücher – nicht selten ohne Rücksicht auf den Preis kaufend, nur von dem Ehrgeiz getrieben, dieses oder jenes vielleicht in langen Jahren nicht wieder auf dem Markte erscheinende Buch auch einmal auf seinem Lager gehabt zu haben. Freilich gehört die Elite der reichsten und wählerischsten Bücherfreunde Englands und des Auslandes zu den Getreuen seines ausgedehnten Kundenkreises; die höchst gestellten Staatsmänner wie die berühmtesten Gelehrten verkehren oft und gern in seinem Laden und betrauen ihn mit der Besorgung ihrer literarischen Wünsche, die in den bekannten Desideraten-Listen seiner Kataloge ein zweckmäßiges Organ der Verbreitung finden. Aber auch für seine zahlreichen anderen minder gewichtigen Geschäftsfreunde in- und außerhalb des Buchhandels ist er der zuverlässigste und sachkundigste Agent auf dem Londoner Markte, gleichviel ob es sich um ein Schilling- oder um ein Zehn-Pfund-Buch handelt.

Die Annalen des Quaritch'schen Geschäftes werden gebildet durch jene stattliche Reihe von Katalogen, welche er außer vielen kleineren Listen veröffentlichte. Nach dem Vorbilde seines Lehrmeisters Bohn, welcher im Jahre 1841 mit seinem sog. Guinea-Catalogue [1948 Seiten] die Bücherfreunde beschenkte, gab er von Zeit zu Zeit Gesamtkataloge (General-Catalogues) seines Lagers in solid gebundenen Bänden aus. Der immer wachsende Umfang dieser Gesamtkataloge und ihr stets kostbarer werdender Inhalt legen entsprechendes Zeugnis ab von der in immer größerer Progression fortschreitenden Entwickelung des Geschäfts. Der Katalog von 1860 zählte z.B. 440 Seiten, der von 1864 deren 557; ihm folgte 1868 ein solcher von 1130 Seiten inkl. Index (Preis 1 Guinea). Derjenige von 1880 enthält gar 21809 Nummern auf 2166 Seiten und einen Index von 230 Seiten; dieses dreispaltige Register enthält über fünfzigtausend Verweisungen, indem die meisten Titel nicht bloß nach dem Stichwort des Verfassers, sondern auch nach dem des Inhalts aufgeführt sind. Diese mit großer Sorgfalt und entsprechendem Zeit- und Kostenaufwand angefertigten Register sichern den Quaritchschen Gesamtkatalogen – ganz abgesehen von der Kostbarkeit des Inhalts – einen ehrenvollen und dauernden Platz in der langen Reihe des bibliographischen Handwerkzeugs, welche der riesige Umfang der literarischen Erzeugnisse aller Zeiten und aller Völker als unentbehrliches Hilfsmittel zur Orientierung ins Leben gerufen hat.[785]

Auch auf dem Gebiete des Verlags war Quaritch's Tätigkeit seit 1855 eine ausgedehnte und erfolgreiche. Außer einer Anzahl rühmlichst bekannter Werke, die seiner eigenen Initiative ihre Entstehung verdanken, z.B. Catafaco's arabic dictionary, Redhouse's turkish dictionary, Hawkin's silver coins, Dirck's Marquis of Worcester, Sclater u. Salvin's exotic ornithology u.a., erwarb er im Laufe der Jahre die Auflagereste und zum Teil das Vervielfältigungsrecht folgender hervorragender Publikationen: Gruner's ornamental art, Italian frescoes und Terra cotta architecture, Pugin's glossary of ecclesiastical ornament, Owen Jones' grammar of ornament, Humphry's art of printing, Westwood's facsimiles of mss., d' Agincourt's history of art, die Meisterwerke der Lithographie: die Boisserée- und Münchener Gallerien (mit den Steinen, welche nach Abzug einer kleinen Anzahl von Exemplaren vernichtet wurden), eine Partie Exemplare des kostbaren Dresdener Galleriewerkes, die Turner gallery, Stothard's monumental effigies, Owen Jones' Al hambra, Rosini's Storia della pittura italiana, 7 vol., aus dem Verlage von H. G. Bohn eine Reihe von Prachtwerken: Hogarth, Gillray, Meyrik, Shaw, Strutt, Pugin, Claude's Liber veritatis, Knight's eccles. architecture of Italy, Silvestre's universal palaeography. Im Jahre 1866 kaufte er den aus mehreren Tausend Bänden bestehenden Restvorrat der wichtigen Publikationen des Oriental translation fund (73 vols.), 1874 den walisischen Verlag von W. Rees of Llandovery und die großen ichthyologischen Werke des Professors Agassiz; an anderen naturhistorischen Werken gingen in seinen Besitz über: Murchison's geology of Russia, Westwood's arcana entomologica, Sowerbys genera of shells, Prichard's natural history of man, Owen's odontography, Faraday's researches in electricity, u. A.

Quellen: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1880.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 784-786.
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