[820] Ricker (Gießen). Der Begründer der »dritten« Gießener Buchhandlung Joseph Ricker aus Villmar im ehemaligen Herzogtum Nassau eröffnete am 20. März 1832 sein Geschäft, wozu ihm die Konzession eine zeitlang hartnäckig verweigert worden war. Ricker hatte bei ⇒ Heyer in Gießen[820] den Buchhandel erlernt und war seit 1827 mit der Leitung des Sortiments betraut worden. »Im Verlage der dritten Buchhandlung«, so heißt es auf einigen der ältesten, noch im Gründungsjahre veröffentlichten Bücher und tatsächlich hieß die Firma auch anfänglich so, deren Inhaberin Rickers mutige Braut Johanette Christine Eckstein war, weil Ricker als Ausländer keine Buchhandlung besitzen durfte (vergl. hierzu Ed. Zernins interessante Ausführungen im »Börsenblatt« 1882 Nr. 212/13, welche den Kampf der Jungfrau Eckstein um die Erlangung der Buchhandelskonzession schildern). Aber nur kurz sollte sein Wirken sein, denn schon zwei Jahre nach der Gründung starb er. Sein jüngerer Bruder Anton Ricker (gestorben 1892) sprang in die Lücke ein, und länger als fünfzig Jahre hat er, bis 1850 zunächst als Geschäftsführer, für seine Schwägerin Christine geborene Eckstein, dann als ihr Teilhaber, endlich, seit 1863, als alleiniger Inhaber, das vom Bruder überkommene Erbe geleitet.
Am 1. Januar 1887 ging das Geschäft käuflich an Friedrich Hermann Reimer aus dem bekannten Berliner Buchhändlergeschlecht dieses Namens über.
Unter Rickers Verlagswerken ragen hervor der von Justus Liebig während seiner glanzvollen Gießener Zeit 1847 begonnene »Jahresbericht über die Fortschritte der Chemie«, den Reimer dann an ⇒ Friedr. Vieweg & Sohn verkaufte, Weigands Deutsches Wörterbuch, das aus dem ältern Schmitthennerschen Buche hervorgegangen war, die im Jahre 1881 vom Reorganisator der Gießener theologischen Fakultät, Professor D. Bernhard Stade, begründete »Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft«, die Werke des Juristen Wilh. Sell, Ed. Heyer, A. v. Klipstein, Hundeshagen, und die »Zeitschrift für die gesamte Tierheilkunde«.
Unter Reimer siedelte die Firma aus dem alten, kleinen und winkligen Haus inmitten der Altstadt in den eigenen prächtigen, für ihre Zwecke besonders erstellten Neubau an den schönen Anlagen über, die die Altstadt im Kreise umziehen, und gliederte sich hier, wo Raum in Fülle vorhanden war, als dritten Geschäftszweig ein wissenschaftliches Antiquariat an.
Aber Reimers Kränklichkeit, die ihn oft vom Geschäft fernhielt, ließ nach wenigen Jahren den Wunsch in ihm aufkommen, sich ganz davon zurückzuziehen. Als sein Nachfolger erscheint 1894 Alfred Töpelmann aus Leipzig.
Zusehends vergrößerten sich Umfang und Umsatz des Geschäfts; immer mehr wurde es das akademische Sortiment am Ort, das insbesondere den gesamten Lehrkörper der Ludoviciana und ihre Institute sich zu Kunden warb und sie dauernd an sich zu fesseln[821] wußte. Und auch die äußern Ehren fehlten nicht: die hessische Regierung ernannte auf Antrag der Universität den dritten Inhaber der Firma um die Jahrhundertwende zum Großherzoglich hessischen Universitäts-Buchhändler. Der Verlag, der seit 1899 J. Rickersche Verlagsbuchhandlung (Alfred Töpelmann) firmierte, wurde nun auf das Gebiet der wissenschaftlichen Theologie und orientalischen (speziell semitischen) Sprachwissenschaft begrenzt und in dieser Beschränkung kräftig gepflegt. So wurden im Jahre 1900 das Schwesterorgan der um neunzehn Jahre ältern alttestamentlichen Zeitschrift fürs Neue Testament, die von Professor D. Erwin Preuschen seitdem herausgegebene »Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde des Urchristentums«, und gleichzeitig die »Ephemeris für semitische Epigraphik« von Professor Dr. Mark Lidzbarski ins Leben gerufen. 1903 begannen unter Leitung der bekannten Philologen Albrecht Dieterich und Richard Wünsch die »Religionsgeschichtlichen Versuche und Vorarbeiten« zu erscheinen. Das Antiquariat erkor das Gesamtgebiet der Philosophie zu seinem Spezialfach und errang sich durch Ankäufe bedeutender Bibliotheken, wie der des Bonner Professors Jürgen Bonne Meyer und des hervorragenden Pädagogen und Schulmannes Dr. Ludwig Wiese in Potsdam u. a. m., sowie durch die Veröffentlichung mit größter bibliographischer Akkuratesse zusammengestellter Kataloge über sein reiches Lager bald autoritären Ruf im In- und Auslande.
Am 1. April 1905 vollzog sich die Trennung des inzwischen zu großem Umfang herangewachsenen Geschäftes, indem die J. Rickersche Universitäts-Buchhandlung von Ernst Legler aus Leipzig erworben und der Verlag allein vom bisherigen Inhaber unter der Firma Alfred Töpelmann (vormals J. Rickers Verlag) fortgeführt und in das erworbene Nachbargrundstück verlegt wurde.
Wie dieser seither die von ihm bebauten Gebiete zu fördern getrachtet hat, ist dem wissenschaftlichen Sortiment bekannt; erinnert soll hier nur werden an die inzwischen neben zahlreichen bedeutsamen Einzelwerken (wie dem zum »Corpus« der babylonisch-assyrischen Religion sich auswachsenden Werke von Professor Morris Jastrow jr. und den schon in 2. Auflage erschienen »Reden und Aufsätzen« Adolf Harnacks) entstandenen neuen Sammlungen und Zeitschriften: an die Bremer Beiträge zum Ausbau und Umbau der Kirche, deren Herausgeber der bekannte Schillerprediger Pastor Julius Burggraf in Bremen ist; an die von Professor Lic. Dr. Carl Clemen in Bonn in Verbindung mit Professor D. Karl Eger und Pastor Lic. Dr. M. Schian herausgegebenen Studien zur praktischen[822] Theologie; an die von den Privatdozenten Lic. Dr. Hch. Hoffmann und Lic. Leop. Zscharnack begründeten Studien zur Geschichte des neueren Protestantismus und an die Philosophischen Arbeiten der beiden hervorragenden Marburger Gelehrten Hermann Cohen und Paul Natorp.
Quellen: Börsenblatt f. d. dtschn. Buchhandel 1882 und 1907; Verlagskataloge von 1834, 1845, 1869, 1878, 1890.
Schmidt-1902: Ricker, Carl