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Der Redner erklärte, in seinen Überzeugungen zahlreichen, ökonomisch geschulten Mitgliedern der Sozialdemokratie bis zur Ununterscheidbarkeit nahezustehen. Wenn er gleichwohl dieser Partei nicht beitrete, so deshalb, weil er auf die Unabhängigkeit seiner Meinungsäußerung dem Demos gegenüber noch weniger verzichten könne als gegenüber autoritären Gewalten. Im gegenwärtigen Augenblick zumal deshalb, weil er die Totengräberarbeit am Sozialismus, welche von gewissen ideologischen Kreisen in Berlin und in München betrieben werde, nicht mitmachen könne. Die bisher ja wesentlich negativen Errungenschaften der Revolution wollen wir ohne jeglichen Vorbehalt und Zweideutigkeit befestigen und in der Richtung planmäßiger Sozialisierung ausbauen helfen. Daß sie freilich erst durch eine Revolution gewonnen werden mußten, war ein schweres Unglück. Es hat uns wehrlos gemacht, damit der Fremdherrschaft überliefert und außerstande gesetzt, die Grundsätze rückhaltlos friedlicher und freier Selbstbestimmung der Völker bei der Neugestaltung der Welt zur Geltung gegen die in allen Ländern mächtigen Imperialismen zu bringen. Die feindlichen Regierungen sind rein bürgerlich. Die Wirkung der deutschen Revolution aber hängt von diesen Feinden ab, die im Lande stehen. Revolutionen nehmen aber einen aus der Geschichte bekannten verhängnisvollen Kreislauf, der oft leicht zu den alten Gewalten zurückführt. Und die bisherige Entwicklung liegt leider in dieser Linie. Der Redner bezeugte der Wirksamkeit der örtlichen Arbeiter-und Soldatenräte und dem Idealismus der Führer, ohne Unterschied ob Unabhängige oder Mehrheitssozialisten, alle Anerkennung, betonte aber um so mehr das bisherige völlige Versagen der Berliner und Münchener Leitung allen großen Aufgaben gegenüber, trotz zweifellos hingebendster Arbeit. Dies wurde[484] erläutert an der Art der Zusammensetzung der Regierungsorgane mit ihrem Taubenschlagcharakter, dem stets drohenden Putsch weltfremder Illusionisten oder grobmaterieller Interessenten der Futterkrippe, an den ungeheuerlichen Kosten der jetzigen Verwaltung mit ihren zahllosen schwatzenden Drohnen, der Vergeudung und planlosen Verwirtschaftung und Vernutzung des Restes inländischer Produktionsmittel und Rohstoffe, dem noch nicht dagewesenen Rückgang der Produktion durch ganz ordnungslose sogenannte Arbeiterbewegungen, dem unmittelbar drohenden Versagen der Ernährung. Der stupide Haß gegen das inländische Unternehmertum müsse angesichts der tatsächlich bestehenden Fremdherrschaft in einer ganz neu auszustattenden Volkswirtschaft unvermeidlich das Resultat haben: daß die Herrschaft ausländischen Kapitals unter ausländischem Militärschutz sich bei uns etablieren werde. Die lächerliche, wenn auch noch so gutgläubige Berichterstattung über die Absichten der Gegner gegenüber einem mit Vorliebe in angeblichen besonderen »Sünden« Deutschlands wühlenden, oft ekelhaft würdelosen pseudopazifistischen Regime führe im Ergebnis zu einer elenden Stimmungsmache, die ebenso furchtbar zusammenbrechen werde wie die militaristische Stimmungsmache des alten Regimes. Mit ihr aber würde der sozialistische Glaube der Massen zerbrechen und dann die Nation für lange Perioden zur Fügsamkeit in neue autoritäre Gewalten, einerlei welche, reif werden. Denn wenn der Alltag komme, werde die Frage der Arbeitsgelegenheit und Versorgung beherrschend werden und die Ideologien wieder in das Schaufenster oder – die Rumpelkammer verbannen.
Mit Maschinengewehren und noch so todesmutigen Glaubenskämpfern, mit dilettantischen Literaten und mit der Hysterie zufälliger Massenversammlungen sei eben keine Neuordnung, am wenigsten eine Sozialisierung, durchzuführen. Dafür bedürfe es wirtschaftsorganisatorisch, und das heißt heute nun einmal: geschäftlich, geschulter Gehirne. Die Bedeutung des »Portemonnaies« solle man gewiß nicht unterschätzen. Aber auf ihm allein beruhe die heutige Stellung des bürgerlichen Unternehmers in der Wirtschaft nun einmal ganz und gar nicht. In unserer jetzigen Lage spiele vielmehr das Portemonnaie wesentlich die Rolle: daß wir fremde Rohstoffe haben müssen und dazu Auslandskredit, vor allem von Amerika. Den erhalte aber nun einmal weder eine Literatenregierung wie die Münchener, noch eine rein proletarische wie die Berliner, sondern nur[485] eine solche, hinter der als Garant das Bürgertum stehe. Es erhalte ihn ein jeder geschulte bürgerliche große Organisator, selbst mit ganz entleertem Portemonnaie – vielleicht dann als gut bezahlter Agent amerikanischer Kapitalisten –, unvermeidlich leichter als ein von Dilettanten geleiteter oder ein sozialistischer, das heißt: bürokratischer Apparat. An diesen nüchternen, aber ehernen Tatsachen allein schon, die nicht durch Resolutionen und leidenschaftliche Proklamationen von Literaten fortgeschwatzt oder fortbeschworen werden können, scheitere jeder Versuch einer Neuaufrichtung oder gar Sozialisierung der Wirtschaft durch »proletarische Diktatur«. Das Bürgertum sei, auch wenn es wollte, bei der Beschaffung so ungeheurer Mittel mitzuwirken gar nicht in der Lage, wenn man ihm nicht paritätischen Anteil an der politischen Gewalt und wirtschaftliche Eigenverantwortlichkeit sichere, möge man es im übrigen noch so sehr unter die Steuerschraube setzen: wozu wir gerne mitwirken würden. Die einzige wertvolle sozialpolitische Leistung der Revolutionszeit sei bisher das Abkommen der Gewerkschaften und Unternehmerverbände2 mit seiner Ausschaltung der gelben Klassenverräter. Nur wenn in der politischen Macht durch freies Kompromiß eine ähnliche Parität hergestellt werde, könne eine demokratische Regierung nicht nur Frieden, sondern auch Neuaufbau aus eigenen Kräften bringen. Sonst nicht! Gehe man den bisherigen Weg weiter, werde überdies die Konstituante verzögert oder durch unfreie Wahl oder einseitige amtliche Wahldemagogie diskreditiert und der Boykottierung ausgesetzt, dann wäre die Folge: daß schließlich der Feind, um zum Schluß zu kommen, mit der einzig legitimen Macht: einer gleichviel wie zusammengesetzten Mehrheit des Reichstags sich in Verbindung setze und abschließe. Dann würde über die sozialistische ebenso wie über die ehrliche bürgerliche Demokratie zur Tagesordnung übergegangen werden. Wer etwas anderes behaupte, treibe groben Volksbetrug, nicht anders als die Kriegshetzer des alten Regimes es taten. Sich aufzudrängen, habe das Bürgertum bei seiner Unentbehrlichkeit nicht den geringsten Anlaß. Die Folge seiner Ausschaltung aber sei, daß man es zu spät rufen werde und daß das arbeitende Proletariat jahrzehntelang die Kosten jenes Revolutionskarnevals zu zahlen habe, den eine Anzahl von Revolutionsinteressenten so lange aufführen werde und könne, bis die Reserven der[486] deutschen Wirtschaft aufgezehrt seien. Der Redner schilderte schließlich die künftige Staatsform Deutschlands in ähnlicher Art wie in seiner Artikelserie in der »Frankfurter Zeitung«. Er erklärte erneut: daß die Wege der ehrlichen, rückhaltlos friedlichen und rückhaltlos radikalen bürgerlichen und der sozialistischen Demokratie jahrzehntelang gemeinsam und »Schulter an Schulter« verlaufen könnten, ehe sie sich vielleicht [ einmal trennten, daß aber Minderheitsregierungen und der Versuch, das nun einmal nicht zu entbehrende Bürgertum in eine politisch entrechtete Parialage zu drängen, in der Meinung, es so als »technisches Personal« benutzen zu können, sehr schnell an der Wucht der Tatsachen zerschellen würden. Schon jetzt seien durch diese dilettantischen Versuche Milliarden vergeudet, bei längerer Dauer würden es Dutzende von Miliarden werden und die offene, rücksichtslose kapitalistische Fremdherrschaft, gegen die dann das Proletariat machtlos sei, stehe vor der Tür. Er wendete sich in den schärfsten Formen sowohl gegen jene »politischen Masochisten«, die jetzt mit allerhand »Schuldenthüllungen« schmähliche Liebedienerei beim Feinde betreiben – Sklavenseelen, die für eine aufrechte Demokratie so wenig echten männlichen Stolz aufbringen werden wie jetzt gegen über dem Feinde –, wie gegen die »satten Bürger«, die sich jetzt ebenso nach oben ducken wie unter dem alten Regime, hoffend, daß dieser Gottesgnadenschutz ihres legitimen Besitzes wiederkehre, und verspottete die mittelparteilichen annexionistischen Kreise, welche als Lohn für schleuniges Umlernen schon wieder Mandate erbetteln. Er forderte zu rückhaltlosem Anschluß des Bürgertums an die große demokratisch-republikanische Partei auf.[487]
1 Bericht über eine am 1. Dezember 1918 in Frankfurt am Main gehaltene politische Rede MAX WEBERS. Sonderausgabe der Frankfurter Zeitung vom 1. Dezember 1918. (D.H.)
2 Die Zentralarbeitsgemeinschaft vom 15. November 1918. (D.H.)
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