Ergötzend

[340] Ergötzend. (Schöne Künste)

Dieses Wort scheinet, wie manches andre, womit man gewisse Gattungen angenehmer Gegenständen ausdrükt, in seiner Bedeutung noch nicht völlig bestimmt zu seyn. Darum sey uns erlaubt, es hier zur Bezeichnung derjenigen Gegenstände, besonders derjenigen Werke der Kunst anzuwenden, deren Absicht blos auf Erwekung angenehmer Empfindungen von jeder Art geht, die auf nichts fortdaurendes abzielen, oder bey denen man keinen andern Zwek, als den Genuß selbst hat; Werke die zu nichts, als einem angenehmen Zeitvertreib dienen können. So sind, nach einiger Kunstrichter Meinung, alle schönen Künste blos zum Ergötzen.

Der Künstler, der überall die Natur zur Lehrerin annehmen muß, kann ihr auch hierin folgen. Es ist auch bey einem mittelmäßigen Grad der Beurtheilungskraft nicht zu verkennen, daß die Natur bey dem angenehmen und unangenehmen, das sie in ihre verschiedenen Werke gelegt hat, fast durchgehends höhere Absichten habe, als den bloßen Genuß; dennoch aber scheinet manches blos auf das Ergötzen abzuzielen. Die liebliche Mannigfaltigkeit der Farben, wodurch die verschiedenen Aussichten in der Natur so reizend werden, scheinet nichts, als den bloß ruhigen Genuß der angenehmen Empfindung, die sie erweken, zur Absicht zu haben. Auch liegt es in dem allgemeinen Gefühl der Menschen, diese liebliche Scene dazu zu brauchen. Welchem Menschen von gesundem Gemüth wird es einfallen, den zu tadeln, der beym Spazierengehen blos die Absicht hat, die angenehmen Eindrüke der sanften Frühlingsluft, und der mannigfaltigen Lieblichkeiten der ländlichen Scenen zu genießen, und blos das Vergnügen des Genusses dabey zu suchen? Eben dazu kann man auch die mannigfaltigen Scenen der sittlichen Natur gebrauchen. Auch ohne Rüksicht auf engere Verbindungen der Freundschaft und gegenseitige Unterstützung oder Beförderung nützlicher Geschäfte, genießt auch der weiseste Mensch das Vergnügen einer guten Gesellschaft, blos dieses Genusses halber.

Also ist wol kein Zweifel, daß nicht auch die schönen Künste dazu dienen können, und daß nicht Werke, die blos ergötzend sind, unter die guten Werke der Kunst sollten aufzunehmen seyn. Daß aber dieses der einzige Zwek der schönen Künste seyn sollte, kann viel weniger zugestanden werden, als die Verbannung des blos Ergötzenden. In der Natur ist es sehr selten, daß das Angenehme ohne die höheren Absichten des Nützlichen vorhanden ist. Wenigstens hat das Ergötzende beständig die gute Würkung, daß es dem Gemüth die Munterkeit, und dem Körper die Gesundheit unterhält.

Darum nehme man der Kunst die Ehre nicht eine wahre Nachahmerin der Natur zu seyn, und das Nützliche zum Hauptendzwek zu haben. Man sage dem Künstler, daß er Angenehmes oder Unangenehmes in die Gegenstände verflechten müsse, [340] nachdem das Intresse der Menschlichkeit erfodert, daß sie gesucht oder vermieden werden. Dieses muß der Künstler vornehmlich da thun, wo die Natur, die blos aufs allgemeine sieht, es nicht thun konnte. Zu natürlichen und animalischen Geschäften braucht man selten durch die Kunst ermuntert zu werden; dafür hat die Natur selbst hinlänglich gesorget; für die verschiedenen politischen Veranstaltungen, die bey jedem Volk und in jedem Zeitalter, nach zufälligen Umständen anders sind, konnte sie nicht besonders sorgen, und darin erwartet sie die Hülfe der Kunst.

Nach diesem Grundsatz also schränken wir den Gebrauch des blos Ergötzenden ein, ohne dasselbe aus dem Gebieth der Kunst wegzuweisen. Aber wir fodern von dem Künstler, der blos ergötzen will, daß er es als ein Mann von Geschmak thue, als einer, der sich bewußt ist, daß er Männer und nicht Kinder vor sich hat. Das Ergötzende kann schätzbar, aber auch sehr verächtlich seyn. Es erfodert einen Mann von Verstand und Geschmak: und wie es weit leichter ist für eine Familie, deren Verrichtung und Lebensart man kennet, ein gutes und bequämes Haus zu bauen, als etwa ein kleines Gebäude, das eine gute Außsicht machen und überhaupt die Annehmlichkeit eines Gartens vermehren soll, so ist es auch weniger schweer in andern Künsten ein Werk von genau bestimmter Absicht, als ein blos zum Ergötzen dienendes zu erfinden. Es erfodert viel Geschmak, einen feinen Witz und mannigfaltige Erfahrung, die man aus dem Umgang mit den feinern Köpfen, die in den verschiedenen Ergötzlichkeiten schon das Beste gefunden haben, erlanget, um in dieser Art etwas schätzbares hervorzubringen. Der eingeschränkteste Mensch kann eine an sich wichtige Sache so vortragen, daß die Erzählung intressant wird; aber ohne wichtige Gegenstände der Unterredung unterhaltend zu seyn, ist nur den feinesten Köpfen gegeben.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 340-341.
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