Feen

[202] Feen (M. der roman. Völker). Seit die Parcen aus der Einbildung des Volkes verschwunden waren, bildete die romanische Sprache aus dem sächlichen Wort Fatum, das Schicksal, ein neues persönliches, in Italien fata, spanisch hada, provençalisch fada, französisch fée (wie aus nata née, u.s.w.). Deutsche Schriftsteller des Mittel-Alters, wenn sie von diesem Glauben Gebrauch machten, sagten Fey, zuweilen auch Feim. In den ächten deutschen Volksglauben gehören somit die F. entschieden nicht; Alles, was wir von ihnen in Mährchen und Sagen besitzen, haben wir auf den Wegen einer sich verallgemeinernden Sagen-Poesie von den romanischen Völkern empfangen. Wie sehr frühe der Name der Faten, F., in Italien gangbar war, beweist der Dichter Ausonius, der drei Grazien und drei Faten neben einander aufführt, und der Geschichtschreiber Procop, der eines römischen Gehäuses am Forum gedenkt, welches die drei[202] Fata hiess, mit der Bemerkung: »So sind jetzt die Römer gewohnt, die Parcen zu benennen.« Die F. existirten also Anfangs bloss in der Dreizahl, bald aber dehnte man ihre Zahl auf sieben, später auf dreizehn aus. Seit sie auf sieben gestiegen waren, sind ihrer sechs gute und eine böse, ebenso nachher zwölf gute, die dreizehnte böse. Diess ist ohne Zweifel schon eine Einwirkung des Christenthums, welches die F., als heidnische Gottheiten, folglich Geister der Finsterniss, in Missachtung zu bringen bestrebt war, diess jedoch nur allmälig erreichen konnte. Um den Inhalt des in den verschiedenen Ländern vorkommenden Feenglaubens in Eines zusammenzufassen, so sind die F. übermenschliche, wenn auch nicht ewig, so doch überaus lange lebende, weibliche Wesen, bald gut bald böse, im ersten Falle ausgeschmückt mit allen Reizen des Körpers und des Geistes, über alle Begriffe schön und ewig jung, aller weiblichen Künste vollendete Meisterinnen, bereit, dem unterdrückten zu helfen, den Irrenden auf den rechten Weg zu leiten, mittelst ihres Zauberstabes das Unmögliche möglich zu machen, und immer diese hohe Kraft so anzuwenden, wie es der geläuterte Wille eines höhern Wesens thun soll. Die bösen F. sind von allem diesem das Gegentheil, bis auf die Macht, welche sie besitzen, und welche nicht selten die der guten übertrifft, obwohl sie nicht im Stande sind, was eine von ihnen geschaffen, geradezu ungeschehen zu machen oder aufzuheben, doch stark genug, die beabsichtigte Wirkung zu hemmen. Die F. rüsten ihre Lieblinge oft mit Zauberkräften, mit glückbringenden Eigenschaften, Verstand, Schönheit, Muth, nicht selten aber auch mit sehr unangenehmen Geschenken aus, welche man nur unter gewissen Bedingungen los werden kann; sie treten einander oft auch entgegen und bekämpfen sich, und aus diesen Vorstellungen entwickelte sich die ganze Maschinerie der F.- und Zauberromane des Mittelalters, an denen Deutschland, Frankreich, England, Spanien, Italien so reich sind. Die F. Fanferlüche, Morgana, Estercelle, Melusine und andere kommen bei der Tafelrunde, dem Artushof, Amadis von Gallien, dem rasenden Roland häufig vor. - Hier noch einiges Einzelne aus dem Reiche des F.-Glaubens: In den französischen Pyrenäen glaubt man, dass, wenn man Flachs auf die Schwelle einer dortigen F.-Grotte lege, die F. ihn in einem Augenblick in das feinste Gespinnst verwandeln. In der Neujahrs-Nacht besuchen die F. die Häuser, deren Bewohner an sie glauben, und bringen mit der rechten Hand Glück, mit der linken Unglück. Man rüstet in einem abgelegenen Zimmer, dessen Fenster und Thüren man öffnet, ein Mahl für sie zu, indem man den Tisch mit weissem Tuche deckt, und ein Brod und ein Messer, eine Schale voll Wasser oder Wein, und eine angezündete Kerze darauf setzt. Wer sie am Besten bewirthet, darf hoffen, dass er eine reiche Ernte haben und sein Liebchen zum Altare führen werde; wer aber diese seine Schuldigkeit nur ungern erfüllt, hat die schlimmsten Gefahren zu befürchten. Am Neujahrsmorgen versammelt sich die Familie um jenen Tisch, der Hausvater bricht und vertheilt das Brod, das man in die aufgestellte Schale taucht und dann als Frühstück zu sich nimmt; hierauf wünscht man sich Glück zum neuen Jahr. In Hochschottland glaubt man, dass es gefährlich sei, den Namen der F. auf den Bergen, die sie bewohnen, und wo sie besonders gerne die Jagd üben, auszusprechen; man kann dafür von ihnen entweder auf immer oder auf einige Zeit aus dem Lande der Lebendigen entrückt werden. Besonders sind die Kinder im freien Felde den Nachstellungen der Feen ausgesetzt. Die F. sind geschickte Geburtshelferinnen, Ammen und Kinderwärterinnen; sie erscheinen hülfreich bei den Gebärenden, legen sogar das Kind an ihre eigene Brust, kehren zu dessen Wiege zurück, und pflegen seiner während des Schlafes, oder in Abwesenheit der Mutter. Daher bittet man sie zu Pathen und bereitet ihnen einen Ehrensitz am Tische. Sie verkünden des Kindes Schicksal im Voraus, meist wohlwollend, doch eine von ihnen scheint gern Bitteres einzumischen. In der Franche-Comté kennt man eine Fee Arie, welche bei ländlichen Festen, namentlich in der Erntezeit, erscheint, und die fleissigen Schnitterinnen belohnt; guten Kindern lässt sie das Obst von den Bäumen fallen, und theilt ihnen zu Weihnachten Nüsse und Kuchen aus, wie die deutsche Frau Holda. Anderwärts erscheinen die F. als Riesen-Jungfrauen, die ungeheure Felsblöcke auf dem Kopf und in der Schürze tragen, während sie mit freier Hand ihre Spindel drehen. Als eine Fee, welche einen Bau ausführte, damit zu Ende war, rief sie ihren Schwestern zu, mit Herantragen aufzuhören; diese, obgleich zwei Meilen entfernt, hörten den Ruf und liessen die Steine fallen, die sich tief in die Erde senkten; spannen aber die F. nicht, so trugen sie vier Steine auf einmal. Täuschen lassen sie sich nicht; denn als einmal ein Mann die Kleider seiner Frau anzog und des Kindes pflegte, sagte die eintretende Fee sogleich: Nein, du bist nicht die schöne Frau von gestern Abend; du spinnst nicht, ich sehe keine Spindel bei dir. Um ihn zu strafen, verwandelte sie die auf dem Herde kochenden Aepfel in Erbsen. Am Samstag ist die Macht der F. aufgehoben, daher irren sie an diesem Tage in allerlei Gestalten umher und suchen sich Aller Augen zu entziehen; sie können in einem Pferd, einem Baum, einem Schwert, einem Mantel, verborgen stecken, und diess ist der Ursprung des Glaubens, dass dergleichen Dinge gefeyt, das heisst, von einer Fee besessen sein können.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 202-203.
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