[20] Feen sind die schönen Geschöpfe der Phantasie, weibliche Wesen, welche mächtiger als Menschen und doch keine Götter und ebensowenig grauenerregende Gespenster sind. Man weiß nicht, wann und wo der Glaube an sie entstanden, es scheint, als ob sie immer nur im Reiche der Poesie gelebt hätten, ohne jemals Gegenstand des religiösen Volksglaubens gewesen zu sein. Sie stehen dem Menschen näher als die Götter, denn wie die Menschen sind sie einem Schicksale unterthan, welches sie nicht zu überwinden vermögen; sie haben die Neigungen, ja Leidenschaften der Menschen, daher nehmen sie auch am Schicksale derselben den regsten Antheil. Sie erscheinen an der Wiege des Neugeborenen, an dem sie Antheil nehmen, sie prophezeien sein Geschick, sie theilen ihm Wundergaben mit, Geschenke, die ihn glücklich oder unglücklich machen können: einen Mantel, der unsichtbar macht, einen Beutel, der nie leer wird, auch Tugenden, Schönheit, Laster, Häßlichkeit. Ja nicht selten ist eine reizende Fee in Liebe zu einem Erdenjüngling entbrannt; in menschlicher Gestalt von überirdischer Schönheit erscheint sie ihm dann, vielleicht kommt sie auf einem mit Blumen geschmückten, von Schwänen gezogenen Nachen zu dem glücklichen Jüngling, dessen Gemahlin sie wird, den sie in ihr Zauberreich einführt, wo Paläste aus Demant stehen, goldene Früchte an silbernen Bäumen wachsen, überall sanfte, reizende Musik erschallt, Wohlgerüche duften, krystallene Quellen rieseln – oder bei dem sie bleibt, bis Tod oder Untreue sie trennt. Wie die Fee kam, so verschwindet sie wieder. Die Kinder, aus solcher Ehe entsprossen, tragen Spuren überirdischen Ursprungs an sich; die liebende Mutter erzieht, leitet, rettet sie. Aber nicht nur schöne und gute Feen gibt es, sondern auch böse und häßliche. Nicht selten streiten diese untereinander, die böse Fee sucht die Günstlinge der guten zu verderben. Aber die gute Fee muß zuletzt siegen, welche Künste der Verwandlung auch die böse Feindin anwenden mag. Die Zauberei ist nämlich eigentlich das Besitzthum, welches die Feen so mächtig wacht; aber sie treiben ein heiteres Zauberwesen, welches keine Verwandtschaft mit den schwarzen Höllenkünsten der Hexen und Zauberer hat. Daher ist oft auch eine Fee mit einem Zauberer im Streit, wo denn die lichte Kunst die schwarze endlich besiegt. Die reizenden Feenschlösser, die sie bewohnen, mit ihren wundervollen Gärten, ihre Wundergaben, sie selbst in ihrer holden Menschengestalt oder in welcher andern Gestalt sie auch erscheinen mögen, sind Werke ihrer Zauberkunst. Kein Wunder ist es, daß so gern die Dichter mit den Zauberfrauen sich beschäftigt und in tausend Feenmärchen die Geschichte derselben niedergelegt haben. Einige Dichter sprechen von einem großen Feenreiche, einem Zauberstaate, den die mächtigsten Feen beherrschten; es gibt nichts Schöneres als dieses Reich, denn was auch die Phantasie Herrliches ersinnen mag: jenem Reiche gehört es an.