Gral

[221] Gral, der heilige (Mittelalt.), eine grosse Schüssel, aus einem einzigen Smaragd geschliffen, in doppelter Hinsicht von unschätzbarem Werth, als heilige Reliquie, und als Stein der Weisen; dieser heilige G. soll die Schüssel gewesen sein, welche unter andern Schätzen die Königin von Saba dem Salomo gebracht; von diesem kam er als Erbstück an Nicodemus und dann an Joseph von Arimathia. Dort genoss Christus das Abendmahl daraus, und Joseph fing das den Wunden Jesu entströmte Blut darin auf. Hierdurch ward auch der Name bedingt, der eine Verstümmelung der Worte sanguis regalis oder saing réal ist. Die Dichter des Mittelalters bemächtigten sich dieses Stoffes; da ward aus dem Saint G. (so schrieb man statt des Obigen) der Stein der Weisen des Morgenlandes, welcher den Tisch, worauf man ihn setzt, mit den köstlichsten Gerichten füllt; da ward er die wahre Universalmedicin, die man gar nicht einzunehmen braucht, deren Anblick schon von allen Uebeln heilt, so dass, wer sie sieht, das ewige Leben gewinnt, d.h. gar nicht stirbt. Am Charfreitag kommen Engel hernieder, heben den heiligen G. empor und erhalten ihn schwebend in der Luft, bis ein Paar anderer Engel eine von Gott selbst geweihete Hostie bringen und sie hinein legen, eine Scene, welche man auf alten deutschen Gemälden häufig wiederholt findet. - Noch weiter gingen die Engländer; nach den Sagen alt-britannischer Sänger brachte Joseph von Arimathia den heiligen G. nach Britannien. Auf dem Mont-salvatsch (mons salvatoris), einem Berge aus einem einzigen Onyx, stiftete Titurel einen Tempel, der aus lauter Gold, Aloëholz und einem köstlichen ungenannten Gestein gebaut war, welches im Sommer Kühlung, im Winter liebliche Wärme verbreitete. Hier sollte der G. aufbewahrt werden, und diess war ihm so vollkommen genehm, dass er selbst auf einer ungeheuren, 100 Klafter breiten Steintafel den Plan dazu zeichnete und auch alle Materialien zum Bau anschaffte. Dieser Tempel lag in eines Waldes düsterer Mitte und war desswegen so wenig bekannt, weil er so viel gesucht wurde, denn gerade von den Suchenden konnte er nicht gefunden werden; nur der Zufall und gläubiges Vertrauen, ohne den Wunsch ihn zu sehen, leitete dahin, aber dann auch stets zum zeitlichen und ewigen Heil des glücklichen Finders. Das Gefäss, eine Antike von hohem Alter, existirt wirklich, kam 1100 nach Genua und von dort 1806 nach Paris; Untersuchungen bestätigten seinen archäologischen Werth, aber zeigten auch, dass es von grünem Glase sei.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 221.
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