Libussa

[313] Libussa (Slav. M.), die berühmte Königin von Böhmen, deren Ruf sich weit verbreitete, weil sie eine eben so gerechte Herrscherin als mächtige Zaubrerin war. Als Tochter des Herzogs Krok fiel ihr bei dem Loosen um die Herrschaft das Reich zu; genöthigt, sich einen Gatten zu wählen, hiess sie Abgeordnete durch das Land ziehen, und den Mann, den sie am eisernen Tische speisen sehen würden, mit dem Königsmantel schmücken. Der L. Lieblingsross, auf welchem sie täglich auszureiten pflegte, sollte sie führen. Das edle Thier lief hinaus aufs Feld, und liess sich vor einem Landmann, der am umgestürzten Pfluge auf der eisernen Pflugschar sein Mittagsmahl verzehrte, auf die Kniee nieder. Die erstaunten Abgesandten ahmten des Rosses Beispiel nach und verkündeten dem Landmann, welcher Prschemischl hiess, sein Glück. Man will dieses Wunder so erklären, dass Prschemischl ein Geliebter der L. gewesen, und dass sie ihn von dem Bevorstehenden benachrichtigt habe, dass ihr Ross aber, welches sie schon oft zu demselben getragen, gewohnt, auf die Kniee sich zu senken, um ihr das Auf- und Absteigen zu erleichtern, das Gewohnte auch diessmal vor demselben Mann gethan habe. Die Böhmen sind hiemit jedoch nicht zufrieden, und sehen die Wahl ihres ältesten Königs als rein durch ein Wunder bewirkt an. L. regierte an der Seite ihres Gatten lange mit grossem Glück, entdeckte alle Bergwerke des Landes, liess goldene Götzenbilder giessen, und statt der Menschenopfer solche von den Abschnitzeln der Nägel und der Haare einführen; sie galt ferner für die grösste, mächtigste Zaubrerin, soll durch Zauberkunst Städte gegründet, und des Reiches Glück und Frieden erhalten, endlich aber, da sie ihr Ende nahe fühlte, ihre goldene, reich mit Edelsteinen besetzte Krone in die Moldau (nach Andern in den Zackenfall im Riesengebirge, oder in die Elbe) versenkt haben, mit dem Orakelspruch begleitet, dass, wenn ihr Geschlecht ausgestorben sei, derjenige, der die Krone finde, König von Böhmen, und seine Kinder dessen Nachfolger für ewige Zeiten sein sollten; sie starb an einer Krankheit (induratio telae cellulosae), welche sie noch wunderbarer machte: der Kranke wird bei lebendigem Leibe zu Wachs, das Zellengewebe verhärtet sich, bis es nicht mehr ernährungsfähig ißt, und der Mensch stirbt, eine unverwesliche Mumie zurücklassend; so, glaubt man, sitze L. noch auf dem Wischerad zu Prag.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 313.
Lizenz:
Faksimiles: