Mercur

Fig. 219: Mercur
Fig. 219: Mercur
Fig. 220: Mercur
Fig. 220: Mercur

[331] Mercur, (Gr. u. röm. M.), bei den Griechen Hermes. Seine ursprüngliche Bedeutung ist die des fügenden und bindenden Wirkens der Gottheit; daher der Name Hermes, vom griechischen eirô, fügen, wohlgeordnete Zusammenfügung. Im populären Glauben gehörte er ganz der Sphäre der practischen Bewegung an; er ist der Geist göttlicher Betriebsamkeit, daher der Ausrichter und Durchführer der Weltordnungen Jupiters. In diesem Sinne führte er auch im frühesten Alterthum die Prädicate des Segenspenders und Unheil - Abwenders. Er ist ein Urgott des ältesten griechischen Stammes, der Pelasger; da diese vorzugsweise ein Hirtenvolk waren, so hat auch ihr Gott eine besondere Vorliebe für das Hirtenleben, und ist daher im Hirtenlande Arcadien auf dem Berge Cyllene geboren. Als der absolut handelnde Gott gewinnt er aber im Verfolg der weitern Ausbildung der griechischen Religions-Begriffe eine unendlich vielgestaltige Bedeutung, und dem zufolge gestalten sich auch die mythologischen Erzählungen über ihn auf das Manchfaltigste. Apollodor erzählt: »Maja, Tochter des Atlas, gebar in einer Höhle des Berges Cyllene den M.; dieser war kaum in die Wiege gelegt, als er sich sogleich aus derselben herausschlich, sich nach Pierien auf den Weg machte und daselbst die Rinder stahl, welche Apollo hütete; hiebei band er sich, um nicht durch seine Fusstritte verrathen zu werden, Sohlen verkehrt unter die Füsse, und trieb so die ganze Heerde nach Pylos, wo er sie, mit Ausnahme zweier, die er schlachtete, in eine Höhle verbarg; er verzehrte den grössten Theil, verbrannte das Uebrige und nagelte die Felle an den Felsen fest. Dabei machte er sich ein Spielwerk: über die hohle Schale einer von ihm gefundenen Schildkröte spannte er die Därme der geschlachteten Rinder und erfand so die Lyra, welche er mit einem Stäbchen, dem Plectrum, schlug. Apollo, mit dem Suchen der Rinder beschäftigt, kam nach Pylos, woselbst er die Einwohner zur Rede stellte wegen des Raubes, doch zur Antwort erhielt, sie hätten zwar einen Knaben sie forttreiben gesehen, wüssten jedoch, da sie keine Spur von ihm fänden, nicht, wo derselbe geblieben. Durch seine Wahrsagekunst entdeckte Apollo endlich den Dieb, kam nach Cyllene zu Maja und klagte den M. des Diebstahls an. Erstaunt über diese Beschuldigung, zeigte die Mutter ihm das Kind, doch der Gott liess sich nicht ferner täuschen, sondern brachte den Knaben zum Olymp, und klagte ihn vor Jupiter an. Da nun dieser ihm befahl, die Rinder auszuliefern, läugnete er die That geradezu, vermochte jedoch nicht, Jupiter zu überzeugen, und bequemte sich endlich, mit Apollo nach Pylos zu wandern und ihm das geraubte Gut zurückzugeben; dabei zeigte er ihm das neu erfundene Instrument, über dessen Töne Apollo so entzückt war, dass er dasselbe gegen die Heerden eintauschte, die nun M.s rechtmässiges Eigenthum blieben. Bald darauf machte der junge Gott eine neue Entdeckung: er erfand die Flöte, und für diese trat ihm Apollo den goldenen Zauberstab (Caduceus) ab, und ertheilte ihm noch die Wahrsagekunst. Jupiter aber machte jetzt den M. zu seinem und der unterirdischen Götter Boten.« - Später erhielt M. eine Menge der verschiedenartigsten Attribute und Eigenschaften, und ward der Träger aller Intriguen in den Götterromanen: er hält dem Jupiter die Leiter, als er zu Alcmene in das Fenster steigt; er führt die Seelen in den Orcus, er leiht dem Bellerophon und dem Perseus die geflügelten Schuhe und den Flügelhelm, welcher ihn durch die Luft trägt; als Führer der Seelen hat er den Namen Psychopompus. Er tödtet den Argus, um Jupiters geliebte Io zu befreien; er verleiht dem Autolycus List und Verschlagenheit und schärft sein Diebsorgan; er trägt den neugeborenen Bacchus in den Schooss der Ino und später zu den Nymphen von Nysa zur Erziehung, und macht, ausserdem, dass er hülfreich oder schädlich gegen Andere auftritt, für sich selbst viele, mehr oder minder bedeutende Unternehmungen und Erfindungen. - Von M. leitet man die Friedensunterhandlungen, Vergleichsvorschläge und Verträge her, die im Kriege vorkommen; auch das Zeichen derselben, den Heroldsstab, den die Ueberbringer solcher Botschaften zu tragen pflegen, und der ihnen Sicherheit bei dem Feinde verschafft. Er dachte ferner Mass und Gewicht aus und den Gewinn beim Handel, und die Kunst, heimlich Anderen das Ihre zu entwenden; er war der trefflichste Bote, weil er Alles, was man ihm auftrug, genau ausrichtete. - M. hat zahlreiche Liebschaften, vorzüglich mit den Nymphen; daher ist er auch Vater des Pan und[331] des schönen Daphnis in Sicilien. Aber ganz besonders muss noch seine Eigenschaft als Redner, Erfinder der Redekunst und Schutzgott der Redner sowohl als der Dichter hervorgehoben werden, die in dem ursprünglichen Begriff seiner durchdringenden Wirksamkeit wesentlich mit eingeschlossen war, da keine Wirkung gewaltiger ist, als die des Wortes. Die Römer fassten ihren M. vorzugsweise als den Gott des äusserlichen Handels und Wandels, und sein römischer Name ist sicher von Merx, Handelswaare, abzuleiten. - Seine Attribute sind vor allen der Caducëus, ein Stab, gewöhnlich mit zwei Schlangen umwunden; der geflügelte Helm oder besser Hut (Petasus); die Flügel an den Knöcheln (Talaria), als Symbole der Schnelligkeit, so wie der Stab den Herold anzeigt; ferner der Geldbeutel (Handel), die Schildkröte (Cither), der Hahn (Wachsamkeit und Kampflust; er gilt für den Erfinder der Gymnastik, Palästra; ferner die Harpe, das Sichelschwert, mit welchem er den Argus tödtete; Widder und Opferschale (Opferdienst); die Flöte (Musik); der Kranich (aus den Formen, welche sie beim Fliegen annehmen, soll er die Buchstaben gebildet haben); der Hund (Wachsamkeit) u. dergl. mehr. Dargestellt wird er als Ideal jugendlicher Schönheit, mit feinem Körperbau und feinen Zügen, fast immer bartlos; alte Statuen gibt es von ihm wenige, doch schöne antike Gemmen und Reliefs. Wir sehen ihn auf unseren beiden Abbildungen als Gott des Ringens und als Seelenführer. Die neuere Kunst hat sich wiederholt zur Aufgabe gemacht, ihn darzustellen; so ist ein M. zu Bologna, aus Erz gegossen, von Giovanni da Bologna. Ein anderer M., noch schöner und bei weitem edler, ist der Argustödter von Thorwaldsen. - Von philosophirenden Griechen und Römern wurde M. vielfach mit ausländischen Gottheiten verglichen und vermengt, mit dem Thooth der Aegypter, der bei den dortigen Priestern die absolut sinnreiche und erfinderische Gotteskraft bedeutete; mit dem Wodan der Germanen, der ebenfalls die durch Alles hindurchgehende göttliche Kraft vorstellt.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 331-332.
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