III. Die vergleichende Mythologie

Uebersicht einzelner Hauptmythologien. Nachwirkung oder Fortbestand der Mythologie bis in die neuesten Zeiten. Das Christenthum. Bleibender Werth der Mythologie.

Die Trilogien der Götter. Die ägyptische Mythologie und der Thierdienst derselben. Die indische Götterlehre, die persische, die deutsch-nordische, die griechisch-römische. Wichtigkeit der vergleichenden Mythologie und die Aufgabe derselben. Die Ausartung des Christenthums. Hinweisung auf den bleibenden Werth der Mythologie und den Nutzen derselben.

[40] Wenn wir in der Betrachtung, welche der zweite Abschnitt enthält, sogleich fortfahren wollten, so würden wir zur vergleichenden Mythologie gelangen, auf die wir jedoch erst nach einigen Zwischenschritten eingehen können. Zunächst sei vorauszubemerken gestattet, dass wir hier und da eine Dreiheit von Göttern antreffen, nämlich ausser dem Hauptgott noch zwei, deren Preis so hoch angesetzt wurde, dass man sie dem Hauptgott entweder gleichstellte oder sie doch in häufiger Verbindung mit demselben verehrte, als ob sie nicht minder einflussreich und mächtig wären, als jener, und dass es desshalb wohlgethan sein möchte, sie gemeinschaftlich anzurufen, sei's zur Hülfe, sei's zum Danke. Die Dreiheit der Inder indessen gehört nicht eigentlich hieher. Denn die drei Obergötter Brahma, Wischnu und Schiwa standen nicht gleichzeitig nebeneinander, sondern sie wechselten in ihrer Oberherrschaft ab, da einer dem andern, hier früher, dort später folgte, während Brahma, von manchen Stämmen zurückgedrängt, seine Hoheit bei andern Stämmen fort und fort behauptete. Dagegen bei den Hellenen gab es eine Dreiheit, die oft aus der Zahl der übrigen Götter herausgenommen und gemeinschaftlich angebetet wurde, ohne dass man die eine Gottheit der andern nachsetzte. Zeus natürlich, als der Oberherr Aller, durfte in der Dreizahl nicht fehlen, die man für die mächtigste und heiligste schätzte; zu ihm gesellte man seinen Sohn Phoibos Apollon und die seinem Haupt entsprossene Tochter Pallas Athene. Bei den Römern, welche die griechische Mythologie im Wesentlichen reproduzirt haben, wiederholte sich diese Stellung, nur mit der Abänderung, dass Hera für Apollon eingesetzt wurde; daher bestand die römische Dreiheit in Jupiter, Juno und Minerva. Die deutsch-nordische Mythologie stellt mehrfache Trilogien auf; Odin als oberster Gott war bei jeder, auch bei der ältesten, welche die drei Urgötter Odin, Wili und We umfasste. Uebrigens versteht es sich von selbst, dass manche Stämme eines Volks sich aus der Götterzahl eine besondere Lieblingsgottheit aussuchten, und dass in mehreren Mythologien die obersten Rollen vertauscht wurden.

Abgesehen von den schon erwähnten Gestalten des eigentlichen Sterndienstes, möchte es jetzt angemessen sein, in einer kurzen Uebersicht die vorzüglichsten Götter aufzuzählen, welche in den verschiedenen Systemen der Mythologie vorgefunden werden. Wir dürfen uns dabei an Schelling anschliessen, ohne dass wir uns an seine philosophischen Deutungen kehren, deren Berücksichtigung zu weit führen würde. Mit der in sehr vielen Punkten noch dunkeln ägyptischen Mythologie beginnen[40] wir, da sie jedenfalls eine der ältesten, wo nicht die älteste ist. Denn zwischen Aegypten, Indien und China dauert die Untersuchung noch fort, welche Alter, Bevölkerung und Kultur dieser Erdstriche aufhellen soll. Vielleicht waren diejenigen Völkerstämme, welchen Klima und gesicherte Oertlichkeit eine gute Wohnstatt geboten hatten, auch die ältesten oder vielmehr die am frühsten zu einer menschlichen Kultur vorgedrungenen Gattungen.

Die ganz entschiedene »Vielgötterei« war zuerst in der ägyptischen und indischen Mythologie »hervorgebrochen«. Als die Hauptgottheit der Aegypter betrachtet Schelling den Osiris-Typhon, ein Doppelwesen, welches sonst gemeinhin als zwei gesonderte Persönlichkeiten vorgestellt und genannt werde, indem man annehme, Osiris sei der wohlwollende, der gute, der freundliche Gott, dem namentlich alle diejenigen Wohlthaten zugeschrieben würden, welche die Hellenen ihrem Dionysos zugeschrieben hätten; Typhon dagegen, eine der ägyptischen Mythologie eigene Gestalt, sei das alles austrocknende, verzehrende, feuerähnliche Prinzip, also die alles im Wüsten und Leeren erhaltende Macht, die dem freien, gesonderten Leben abholde Figur. Unter der Herrschaft des Typhon stehe die Wüste mit dem aus ihr hervordringenden, alles versengenden Gluthwind; seine andere Behausung sei das ebenso wüste als öde Meer; das bepflanzte, durch Ackerbau verschönerte Aegypten zwischen der Sandwüste und dem Meer sei ein dem Typhon abgewonnenes Land. Das ihm geweihte Thier sei der wilde (oder vielleicht der stöckische) Esel, der auch im Alten Testamente vorzugsweise das Thier der Wüste sei, so dass sein Name zum Namen des Wilds überhaupt geworden. Die Vielgötterei habe stattgefunden durch eine Zerreissung oder Zerstücklung des Osiris, des guten Gottes, aus Angst vor dem Typhon und gleichsam um sich zu verbergen, hätten die Götter sich in die Leiber der Ibisse, der Hunde, der Habichte und anderer Thiere verwandelt. Bekannt ist, dass die ägyptischen Götter von ganz thierischer oder doch blos halbmenschlicher Gestalt waren.

An der Seite des Osiris und des Typhon trete die Isis auf, die nach der einen Erzählung für die Gemahlin des Erstern gilt; sie beweine den von Typhon zerrissenen Gemahl und suche seine Glieder wieder zusammen. Nach einer andern Erzählung dagegen sei Isis die Schwester des Osiris und die Gattin des Typhon; aber Osiris habe mit ihr geheime Liebe gepflogen, und erst desshalb sei die Zerreissung desselben durch den erzürnten Typhon erfolgt. Das Ende der Sage behaupte dann, dass Typhon zuletzt durch Horos, den ächten Sohn des Osiris und der Isis, besiegt worden und lebendig in die Hände desselben gefallen sei, und darauf sei es Isis gewesen, die ihn wieder befreit und seiner Fesseln entledigt habe. Mit Recht bemerkt Schelling, dass die Fabel Widersprüche in sich schliesse; woraus hervorgehe, dass die Aegypter selbst über ihre Vorstellungen von Osiris und Typhon vollkommen unklar gewesen wären. Die von ihm versuchte Lösung bequemt er seinem Systeme an.

Nach seiner Zerreissung wird Osiris Herrscher der Unterwelt, und als der schon genannte Sohn Horos erwachsen ist und den Typhon bezwungen hat, folgt ihm auch Isis in das Reich der Todten nach, und Horos tritt an die Stelle des Osiris, welcher als »der Herr alles Werdens« erscheint. Dem Horos zur Seite steht wiederum dessen Schwester Bubastis, die sich »zu diesem ebenso verhält, wie Isis sich zu Osiris verhält«. Uebrigens sei Horos »die höhere Einheit, das, worin Typhon wie Osiris im höheren Sinne ausgeglichen sind«. Doch wir müssen von Schellings Erörterung absehen, zumal ein kurzer Abriss derselben unverständlich ausfallen würde; ebenso wollen wir von der ägyptischen Theogonie oder Erzeugung der Vielgötterei[41] nichts mehr anfügen, sondern uns hier mit der Nennung der einzelnen Namen begnügen. Ausser den schon Erwähnten finden wir den Gott Thot (Thoyt oder Thauth), den ägyptischen Hermes, die Göttin Athor, von den Griechen die ägyptische Aphrodite genannt, endlich die Göttin Neith zu Sais, welche die Griechen mit ihrer Athene vergleichen. Somit hätten wir jene Achtzahl, die Herodotos für die erste älteste Götterordnung der Aegypter aufgestellt hat, gewonnen. Eine zweite Götterordnung soll nach diesem Historiker aus einer Zwölfzahl bestehen, zu welcher namentlich ein Herakles gezählt werde, Osiris aber nicht, und darum auch nicht, wie Schelling bemerkt, die mit Osiris entschieden gleichzeitigen Götter. Wir übergehen das Nähere, ebenso die Betrachtung einer dritten, jüngsten Götterordnung, von welcher Herodotos redet, unter sie einen Dionysos zählend; wir übergehen die weitere Ausführung, sage ich, weil die Deutung der Hieroglyphen, jener heiligen Schriftart, aus welcher eine bestimmte Angabe zu erwarten wäre, auch heutzutag noch keine ganz sichere ist. Die Hieroglyphen waren die Schrift der Priester, die überdiess, ähnlich den indischen Priestern, alle Wissenschaft in ihrem Verschluss hielten, so dass es fraglich ist, ob ein Grieche die Geheimschrift lesen durfte. Es bleiben noch mehrere Gestalten unberührt, deren wir sonst gedenken müssten, wie der Göttin Nephtys, welche zur Gemahlin des Typhon gemacht wird und diesem »entsprechen« soll, ferner des Gottes Anubis und eines sehr alten Gottes Pan, welchem eine ungemeine Macht beigemessen wurde.

Nur zweierlei möchten wir diesen Berichten, die, wie man sieht, noch sehr dunkel sind, anfügen. Vor Osiris soll ein Urgott verehrt worden sein, genannt Amun. Was hat man unter diesem Götterwesen verstanden? Wie Schelling die Sache fasst, war Amun der erste höchste Gott, ehe man die übrigen höchsten Götter erkannt hatte; nach seinem philosophischen Systeme war er der Gott in der ursprünglichen Verborgenheit, der unsichtbare und verborgene, wie sein Name besage, ein Gott jedoch, der sich offenbaren und aus sich selbst herausgehen könne, und den desshalb die Aegypter aufgerufen und ermahnt hätten sichtbar zu werden und sich ihnen zu offenbaren. Kurz, er sei der Gott vor der Weltschöpfung. Die Griechen hätten ihn Ammon ausgesprochen und den Namen Zeus hinzugefügt, so dass sie ihn Zeus Ammon (die Römer Jupiter Ammon) nannten; wie denn die Griechen gewohnt waren, jeden fremden höchsten Gott mit dem Namen ihres Zeus zu schmücken. Amuns Sitz war die hundertthorige Stadt Theben, die Homer als ein Weltwunder beschrieben hat; nach den religiösen Erzählungen der Aegypter soll sie von Osiris gegründet worden sein, worauf sie dergestalt aufblühte, dass sie zuletzt die ganze Breite des Nilthals ausfüllte. Ein riesiger Tempel und ungeheure Monumente, darunter Obelisken aus den gewaltigsten Blöcken, legten »ein äusserliches und innerliches« Zeichen davon ab, dass man hier in Amun wirklich das höchse Wesen verehrte. Schelling meint dann, dass sich das System der ägyptischen Theologie in einer Trias (Dreiheit) entwickelt habe. Auf Ammon, den Gott der Verborgenheit, sei Phtha gefolgt, der Gott im Moment der Expansion (Entfaltung), welchen schon Herodotos mit dem griechischen Namen Hephästos ausgestattet habe; auf diesen sei der Gott der verwirklichten Einheit hervorgetreten, Kneph genannt (auch Chnubis und Chumis), also ein dritter Gott, der zur ursprünglichen Einheit wiedergekommen und mit Amun gewissermassen identisch sei. Die Griechen hätten diesen Kneph als Agathodämon, den guten Geist, bezeichnet. Durch die so zusammengesetzte Trias will denn Schelling den natürlichen Ursprung höherer ägyptischer Theologie nachweisen, immer bemüht, auch hier zu zeigen, dass sein System der mythologischen Entwicklung sich bewähre. Wir haben gesehen, er setzt einen Gott,[42] der Gott wird seiend, aber nicht so wie er sollte, und wird dann doch in dritter Erscheinung, was er zuerst war, aber nicht gleich sein konnte. Nur zweifeln wir, dass auf diese Weise irgend einmal schon oder bis heute der rechte Gott offenbar geworden sein möge.

Zweitens erübrigt uns noch, auf das »schwere Problem,« des ägyptischen Thierdienstes ungern Blick zu richten. Ein paar Sätze von Schelling werden zur Erklärung dieser Erscheinung dienen, doch führen wir nur Allgemeines an, um nicht wieder auf sein System, dessen wir oben gedacht haben, Rücksicht nehmen zu müssen, auf ein System, welches läugnet, dass irgend ein Gegenstand aus der Natur herausgegriffen und seiner Nützlichkeit oder Schädlichkeit wegen vergöttert worden sei. Denn im Allgemeinen müssen wir entgegnen, dass er den Menschen, der, wie wir jetzt wissen, unter den Thieren aufgewachsen ist, überhaupt zu hoch gestellt hat, besonders in dem Punkte, dass unser Philosoph eine älteste Menschheit statuirt, die von Haus aus an die Einheit eines einzigen, geistigen, unsichtbaren Urgottes geglaubt und unter dieses Gottes geistiger Lenkung gestanden habe, bis die - Vielgötterei sich entwickelte, also, nach unserem Dafürhalten, ein entsetzlicher Rückschritt eingetreten wäre. Aehnliches sei den Aegyptern begegnet, die zwar nach allgemeiner Uebereinstimmung der Berichte den Thierkreis am Himmel erfunden hätten, doch könne diess nicht eher geschehen sein, als nachdem in dieses Volkes Bewusstsein der Gedanke an die Vielgötterei schon eingedrungen sei.

»Unstreitig,« sagt Schelling im Eingange seiner Untersuchung treffend, »ist das unsern Begriffen und Gefühlen am meisten Widerstrebende in der ägyptischen Religion die religiöse Pflege, die sie manchen Thieren zu Theil werden Hessen, und die ganz oder doch zum Theil thierische Gestalt mancher Götter.« Er sage zum Theil; denn es sei grösstentheils nur der Kopf (der intelligible Theil), der in die thierische Form, z.B. eines Schakal- oder Vogelkopfes, verhüllt ist. Darauf sucht er diese sonst ohne sein System unbegreifliche Erscheinung begreiflich zu machen, nämlich durch die schon früher von uns abgelehnte Behauptung, dass der Aegypter, dem »die Thiere nicht waren, was sie uns sind«, nicht etwa von einer Beobachtung der Thiere ausgegangen sei, um sie dann zu vergöttern, doch giebt, er nun zu, freilich sei dieser Bezug ihrer Nützlichkeit oder Schädlichkeit nicht ausgeschlossen gewesen. Denn z.B. erscheine der Ibis in Aegypten mit dem wachsenden, steigenden Nil zugleich und verzehre dann später die Schlangen und die den Saaten verderblichen Insekten, die die Ueberschwemmungen des Nils zurückgelassen. Diese Umstände aber hätten nicht ausgereicht, um die Verehrung dieses Vogels zu erzeugen, sondern die Aegypter hätten früher das Göttliche z.B. in den Gestirnen gesehen, und dann habe der theogonische Prozess es mit sich gebracht, dass sie das Göttliche jetzt in den Thieren sahen. Also, meint er, jene natur-historischen Umstände hätten nur im Zusammenhange mit der religiösen Stimmung der Aegypter überhaupt eine solche Wirkung geäussert, im Zusammenhange mit ihrer ganzen Ansicht der natürlichen und göttlichen Dinge, einer Ansicht, die ihnen entstanden sei durch innere Nothwendigkeit (also Einfluss des Urgotts), unabhängig von jenen äusseren geschichtlichen Thatsachen. Denn in dem periodischen Steigen und Fallen des Nils selbst hätten die Aegypter nur eine Scene der sich ihnen jährlich wiederholenden Geschichte ihrer Götter, des Typhon und des Osiris, erkannt, und jene besondere Eigenschaften des Ibis wären wohl etwa der Grund gewesen, und könnten zur Erklärung dienen, warum der Aegypter unter den verschiedenen Vögeln seines Landes gerade den Kopf dieses Vogels ausgewählt habe, um den Gott der Wissenschaft, der Intelligenz und also auch der Voraussicht damit zu bezeichnen.[43]

Zur Stütze dieser Erklärung, die wir haltlos finden, fährt Schelling später fort: »Die Thierreihe stellt den Uebergang des realen Gottes als solchen dar. Als Gott gestorben, lebt er in den Thieren. Die Thiere sind dem Aegypter die zuckenden Glieder des Typhon. Den Menschen sieht der Aegypter für »den als Geist, als seiner selbst vollkommen mächtigen, wieder auferstandenen Gott« an; - was freilich seltsam genug klingt. Wir übergehen Schellings Untersuchung von jenen Thieren, die man in ihren Begräbnissstätten als Mumien völlig ebenso wie menschliche Leichname behandelt vorgefunden habe; so wären in der Nähe des Bubastistempels Mumien angetroffen worden, die zu dem Katzengeschlecht gehörten (Katzen, Löwen, Tiger), und Bubastis habe sich, wie die ägyptische Mythologie erzähle, aus Furcht vor Typhon in eine Katze verwandelt: die Katze sei eine Erscheinung der Bubastis gewesen. Worauf seine philosophische Ansicht von dem Charakter der letztern Göttin folgt, welche »das Bewusstsein des bereits überwundenen Typhon« sei; und diesem Bewusstsein, das schon während des Kampfes hervortrete, würden eben die reissenden Thiere zugeeignet, so dass es in diese verhüllt gedacht werde: nach seiner Meinung bezeichnend und bedeutend. Denn »auch in der Natur,« sagt er, »gehen die reissenden Thiere, welche wir vorzugsweise die Willensthiere nennen könnten, unmittelbar vor dem Menschen her.« Dem letzteren Zusatz wird man heutzutag ebenso wenig beistimmen, als man sich in jenes eigenthümliche Durchbrechen des Bewusstseins finden kann, ein Durchbrechen, auf welches das System dieses Philosophen gebaut ist, zu dem Zwecke, den Prozess des Werdens zu erklären.

Wenden wir uns zu einem andern Thierkultus, der, nach Schellings Dafürhalten, einen für sich abgeschlossenen Kreis bildet, zur Verehrung des heiligen Stieres, des Apis oder, nach der Angabe einiger Autoren, der drei Apis. Wir wollen es bei dem heiligen Stiere in Memphis bewenden lassen, dem einzigen, von welchem Herodotos, der beste Berichterstatter, Kenntniss hat. Man suchte den Stier nach besonderen Kennzeichen aus: er musste ein weissgezeichnetes Dreieck auf der Stirn, einen ebenso gezeichneten Halbmond auf der einen Seite und eine dem heiligen Käfer ähnliche Erhöhung unter der Zunge haben. War ein solches Individuum nach dem Ableben eines früheren Apis glücklich aufgefunden, so pflegte man das Thier (als Mnevis) in einer gegen Morgen offenen Halle zu Heliopolis vier Monate lang; dann erst wurde der neue Apis feierlich in den Tempel des Phtha nach Memphis gebracht. Mit diesem Stierdienst nun hatte es, wie Schelling bemerkt, eine eigene Bewandtniss. Denn »erstens wurde hier das Individuum als solches verehrt; zweitens war damit die besondere Idee von einer reinen Empfängniss verbunden (die Kuh, die den Apis warf, sollte von einem Sonnenstrahle befruchtet worden sein), und drittens verband sich damit die Vorstellung von einer Transmigration (Uebersiedelung) der Seele dieses Apis. So oft nämlich ein Apis starb, wanderte die Seele des verstorbenen in einen neuen Apis.« Diess scheine nun, meint Schelling, gar nicht ägyptisch, auch mit der sonst angenommenen Seelenwanderungslehre der Aegypter hänge es nicht zusammen (nach dieser gehe die Seele nicht in den Leib eines andern Individuums derselben Art, sondern stets in ein Thier von anderer Art über). Diese letzte Idee habe etwas Fremdes an sich, sie erinnere an die Lamaischen Religionen; denn auch in diesen, wenn ein verkörperter Buddha sterbe, wandere seine Seele in seinen Nachfolger. Wenn also der Apis, wie Plutarch sagt, als ein lebendiges Bild des Osiris betrachtet wurde, oder wenn er ein verkörperter Osiris war, so scheint es unserem Philosophen, dass hier ein Kultus anderer Art nur mit dem ägyptischen in Verbindung gesetzt ist, dass also jener Kultus ursprünglich[44] einer der ägyptischen Religion eigentlich fremden Richtung angehörte, die jedoch nicht völlig besiegt oder beseitigt werden konnte, und daher mit ägyptischen Ideen in Verbindung gesetzt wurde. Besonders merkwürdig sei in dieser Hinsicht die unüberwindliche Anhänglichkeit des israelitischen Volks an die Verehrung des Stiers, obwohl dasselbe diesen Stier (das Kalb, wie es auch Herodotos nennt) blos im Bild verehrt habe, während in Aegypten ein lebendiger verehrt worden. Aber der im Bild verehrte, muthmasst Schelling, sollte wahrscheinlich nur Bild des ächten und lebenden sein. Und nun führt unser Philosoph den Ursprung dieser Verehrung, welche in Aegypten dem Stier selbst gegolten habe, auf die Anfänge des Ackerbaues zurück.. Denn er brauche nicht zu sagen, dass es nicht der wilde Stier, sondern der gezähmte, bereits in den Dienst des Menschen getretene und ihm unterworfene Stier sei, den man im Apis gemeint habe; dieser Stier diene als Symbol des Uebergangs vom Nomadenleben zum ackerbauenden Zustande. Sogenannte Hirtenstämme (Hiksos) hätten eine eigene Stadt gegründet, Heliopolis, wo sie den Stier verehrten, ehe man ihn nach Memphis brachte. Diese Stämme wären also, wie es scheine, nicht mehr reine Nomaden gewesen. Dasselbe »gelte wohl auch von den Israeliten, wenigstens in der letzten Zeit ihres Aufenthalts in Aegypten; selbst nach ihrem Auszuge wären sie noch vierzig Jahre in der Wüste, d.h. im Zustande des Nomadenlebens, erhalten worden, offenbar um vor Idololatrie (Vielgötterei) bewahrt zu werden und den reinen Glauben, sowie die Sitten der Nomaden, die sie in Aegypten verlernt hatten, wieder sich anzugewöhnen.« Aber die Israeliten traten ja nicht als Nomaden auf, als sie das gelobte Land erreicht hatten! Also fällt die ganze Vermuthung weg. Es liegt vielmehr in der Gewohnheit ungebildeter Menschen, etwas Sichtbares als Gott zu verehren; gerade wie es heutzutage noch mit der Masse der römisch-katholischen Bekenner ist, die auch nicht ohne Heiligenbilder existiren können. Richtig mag im Uebrigen Schellings Folgerung sein, die dahin geht, dass der Apisdienst durch eine besondere religiöse Richtung in einem Theile Aegyptens mit der Osirislehre in Verbindung gesetzt worden sei, durch eine religiöse Richtung, deren Spur, wie er meint, nicht zu verwischen gewesen. Genug, der heilige Stier sei von Heliopolis nach Memphis gebracht und später für das beseelte Bild des Osiris erklärt worden, des Gottes, welchen man als den Stifter des Ackerbaues verehrt habe.

In der ägyptischen Mythologie ist Schelling geneigt, die erste und älteste der vollständigen Mythologien zu erblicken. Die Letztern indess stünden, trotz ihrer Vollständigkeit, gleichwohl einander dergestalt parallel, dass zwischen denselben noch eine Aufeinanderfolge gedacht werden könne. Ohne Bedenken verwirft er die Meinung, dass die indische Götterlehre das Ursystem aller Mythologien enthalte, das Ursystem, das sich in den andern zersplittert hätte; vielmehr habe er es vorgezogen, unter den vollständigen Götterlehren den ersten Platz der ägyptischen anzuweisen. Die gewichtigen Gründe, die er für die Stellung der Inder und Aegypter in der Weltgeschichte anführt, mögen unsere Leser in seinem geistvollen philosophischen Systeme der mythologischen Betrachtung selbst nachschlagen. Um diese Stellung desto genauer zu bestimmen, müssen wir zugleich die kritischen Untersuchungen befragen, welche später Christian Lassen in seinem gewaltigen Werke »der Indischen Alterthumskunde« über den Ursprung des indischen Volkes niedergelegt hat. Zuerst versichert dieser grosse Geschichtsschreiber: »Die Inder glauben sich, wie die meisten Völker der alten Welt, Autochthonen; ihre heilige Sage versetzt die Schöpfung der Urväter und ihre Thaten nach Indien selbst, und es findet sich bei ihnen keine Erinnerung eines Ursprungs aus einem Nichtindischen Lande, eines[45] früheren Wohnens ausserhalb ihres Bhâratavarsha's,« nämlich des eigentlichen Indien. Denn letzteres hat von der Brahmanischen Kosmographie obigen Namen erhalten, einen Namen, welcher das im Süden des Himalaja gelegene Land, also das heutige Indien in seiner ganzen Ausdehnung mit seinen wirklichen Bergen, Flüssen und Völkern bezeichnet. Alsdann aber widerlegt Lassen diesen Traum der Inder von ihrer Erdgeburt, indem er unter mehrfachen Erwägungen sich für die Ansicht entscheidet, dass die Inder einst aus anderen Ursitzen nach Indien eingewandert sind, von irgend einem Mittelpunkte, welcher die Verbreitung der Völker aus gemeinschaftlichen Ursitzen nach verschiedenen Weltgegenden wahrscheinlich mache. Die Inder waren nur ein Glied der ganzen Kette, und zwar das äusserste, als die sicherlich in Pausen sich vollziehende Trennung eines zahlreichen Volkes stattfand.

Dabei dürfen wir freilich nach der Darwin'schen Forschung mit Recht vermuthen, dass die Einwanderer auch in Indien schon eine Menschenklasse vorfanden, die sich aus dem Thierzustande herausgearbeitet hatte. Der hochgesegnete Erdstrich, später Indien genannt, konnte doch nicht ohne die Wirkung der Urzellen geblieben sein, also menschenleer und öde angetroffen werden, als neue Geschlechter im Kampf um das Dasein einrückten.

Wir müssen uns über die Mythologie der Inder kurz fassen. Die Wohnungen der meisten ihrer Götter verlegten sie nach dem Norden in den Himalaja und darüber hinaus; der wundervolle heilige Weltberg Mêru wurde im fernsten Norden gesucht. Unser Lassen ist überzeugt, dass diese Vorstellungen sich erst in Indien selbst entwickelt haben und aus der eigenthümlichen Natur des nördlichen Gebürgs abzuleiten sind: »der tägliche Anblick der weit in die Ebenen hinabstrahlenden und im eigentlichsten Sinne unersteigbaren Schneegipfel des Himalaja, die Kunde von der ganz verschiedenen Natur der jenseitigen Hochfläche mit ihren weiten, stillen Gebieten, der klaren wolkenlosen Luft und den eigenthümlichen Naturerzeugnissen, mussten diesen Norden zum Sitze der Götter und der Wunder machen. Die Heiligkeit erklärt sich aus einer unabweisbaren Einwirkung der umgebenden Natur auf das Gemüth.«

So äussert sich Lassen, freilich nicht im Sinne der Schelling'schen Philosophie, sondern ähnlich der einfachen Ansicht, die wir im Obigen, zumal nach der neueren Naturforschung, vorziehen mussten. Folgen wir ihm weiter in der Aufführung der indischen Götter, wobei er die Sage mehr berücksichtigt als die spätere Geschichte, welche allzu trümmerhaft sich ausnehme. Nachdem er die allgemeine Benennung Gottes nach der ältesten Wurzel in den sogenannten sanskritischen Sprachstämmen historisch verfolgt hat, gelangt er zu dem Ergebniss, dass Dêva von div, leuchten, herkomme; welches beweise, dass bei den indogermanischen Völkern der Begriff des Göttlichen aus dem des Lichts sich gebildet hatte, und dass der Gegenstand ihrer ältesten Götter Verehrung die Erscheinungen und Wirkungen des Lichts waren. »Diese,« sagt er, »traten am deutlichsten und wohlthätigsten in dem die Erde erleuchtenden und befruchtenden Tageslichte der Sonne hervor; in der feierlichen Stille der Nacht strahlt es dem Menschen aus geheimnissvoller Ferne entgegen in den zahllosen Sternen des Himmels. Seine furchtbare und zerstörende Kraft zeigt sich in dem Blitze bei den Gewittern, die aber auch eine wohlthätige Wirkung ausüben, indem sie den befruchtenden Regen bringen, und der Blitz, welcher das Gewölk zerreisst, musste der einfachen Naturanschauung der ältesten Menschen als That eines zugleich mächtigen, furchtbaren und gütigen Gottes erscheinen. Man erklärt sich hieraus, warum die Sitze der Götter in die Luft und in den Himmel verlegt wurden. Auf der Erde unter den Menschen und in ihren Wohnungen ist das[46] Feuer mit seiner Flamme der Stellvertreter des Lichts, und es lag daher nahe, neben dem Lichte ebenfalls das Feuer als eine Wirkung einer göttlichen Macht zu betrachten.« Die Vorstellung Lassens entspricht unserer obigen Vorstellung des theogonischen Prozesses, aber nicht dem philosophischen Systeme Schellings, welcher die nach seiner Ansicht ältesten Menschen so darstellt, als ob sie nicht sähen und hörten, weil sie unter dem geistigen Einflusse des von ihm gesetzten Urgottes, wenn ich so sagen darf, gleichsam blind, taub und willenlos dagestanden hätten, bis sie ihr heutiges Bewusstsein erlangten, das ein anderes sei. So viel ist allerdings ausgemacht, wir schauen heutzutag durch die Natur zu Gott, während Schelling in Betreff seiner frühesten Menschen die Sache umkehrt, behauptend, die Gottheit habe sich ihnen offenbart, ohne dass sie auf die Natur achteten, aus sich selbst heraus und durch sich selbst unmittelbar.

Und so sagt denn Lassen weiter: »diese Anschauungen der Natur treten deutlich hervor in den ältesten und höchsten der Vêdischen Götter,« derjenigen Götter, die in den heiligen Vedabüchern genannt werden. »Der höchste unter allen ist Indra, der Gott des leuchtenden Himmels, der blauen Luft, von welcher er seinen gewöhnlichen Namen erhalten hat, und der Gewitter. Er ist vor den andern Unsterblichen geboren, die er mit Kraft geschmückt hat. Er hat die schwankende Erde festgemacht und die erschütternden Berge eingerammt, er hat dem weiten Luftkreise Masse gegeben und den Himmel gestützt.« Seine Gattin heisst Çakî, die Macht, er selbst Çakra, der mächtige; denn er führt den Blitz oder den Donnerkeil, mit welchem er die bösen Geister erschlägt, welche die Gewässer des Himmels gefangen halten. Bei seinem Aufsuchen der bösen Geister wird Indra von der Götterhündin Saramâ begleitet, welche die Kühe aufsucht, die den Göttern aus dem Himmel entführt worden waren, und die man in den Bergeshöhlen gefangen hielt, bis sie Indra, mit seinem Blitze die Höhlen spaltend, wieder zurückbringt. Die Kühe bedeuten die hinter den Bergen verschwindenden und in ihren Höhlen gefangen geglaubten Wolken, und Indra führt sie zurück, damit sie ihren Regen ergiessen. Sonach ist, meint Lassen, Indra der kämpfende Gott, welcher die bösen Geister der finstern Gewölke besiegt und der Erde, den Heerden und den Menschen den befruchtenden und erfrischenden Regen bringt, der mächtigste der Götter, der Beschützer und der Schätze verleihende. Er ist der Gott der Schlachten, zu welchem er, vom Somatranke berauscht, auf seinem mit falben Rossen bespannten Wagen auszieht und die Feinde überwindet. Die Inder, bemerkt Lassen weiter, verehrten auch einen besondern Gott des Regens, einen Gott, der zu den allerältesten gehöre, weil sein indischer Name Parganja sich bei den Litthauern als Perkunas finde, bei den Kelten als Perkons und bei den Slaven als Perun. Zweitens finden wir unter den Vedischen Göttern einen Gott, mit Namen Varuna, welcher der Gott des äussersten, die Luft umschliessenden Himmelsgewölbes ist, und daher seinen Namen Umfasser erhalten hat. Mit ihm stimmt, nach Lassens Ansicht, der griechische Name des Himmels, Uranos, des griechischen Gottes, der ein Sohn des Erebos und der Gäa ist; eigentlich sei Varuna entstellt aus Varana (Urana), und daraus ergebe sich eine beachtenswerthe Verwandtschaft in der ältesten Götterlehre der Griechen und der Inder. Uebrigens hat Varuna Beziehungen zu dem Lichte und ist ein sehr mächtiger Gott, besonders im Nachtgebiet, so dass man seinen Zorn durch Gebete und Opfer abzuwenden sucht: ein geheimnissvolles, unsichtbares, allgegenwärtiges Wesen, welches selbst in den Zuständen der Menschen sein Walten bethätigt. »Unter den Vedischen Göttern nähert sich Varuna am meisten dem Begriff eines höchsten oder Allgottes; die Ansichten von ihm sind die würdigsten[47] und höchsten, die Ordnung in dem Leben der Welt und der Menschen steht in seiner Hand.« Eine durchweg seinem Charakter ähnliche Figur bietet uns der Zeus der Griechen, wie ihn Aeschylos aufgefasst hat. Als dritter unter den Vedischen Göttern wird von Lassen Agni bezeichnet, der Gott des Feuers. Er ruft die Götter, weckt und führt sie zu dem Opfer herbei, und diese lassen sich dabei nieder auf seinem mit rothen Stuten bespannten Wagen, das Opfer zwischen den Menschen und Göttern vermittelnd, Haus und Gemeinde beschützend, Schätze und Nahrung den Menschen bringend. Kurz, Agni »wurde früh in menschlicher Weise als die Grundlage aller Götter, die nur seine Modifikationen sind, und als die Grundlage des die Welt durchdringenden Lebens angeschaut.«

Diese drei vornehmsten Vedischen Götter hatten auch Frauen, deren Namen Indrâni, Varunâni und Agnâji lauten. Unter den übrigen Naturgöttern, sagt Lassen weiter, treten besonders die Lichtgötter hervor, zuerst die Sonne, vor welcher die Gestirne mit den Nächten wie Räuber entfliehen, und welche den Göttern wie den Menschen das reinigende Licht bringt und damit die ganze Welt erfüllt. Seine (des Lichtes) Strahlen tragen den Sonnengott empor oder die sieben rothen Pferde, welche er vor seinen Wagen spannt. Doch gab es neben dem einzigen Sonnengotte, dem himmlischen, Namens Sûra oder Sûrja (auch Savitar), ausserdem noch zwölf einzelne Sonnengötter, darunter Mitra, die Mittagssonne, Pusham, der Ernährer, und Aditja, der Sohn der Aditi. Eine der heiligsten Gottheiten ferner war Ushas, die Morgenröthe, deren Name sich wiederfindet in der Zendsprache (Ushas), bei den Griechen (Eos und Auos statt Ausos), bei den Römern (Aurora) und bei den Litthauern (Austrâ). »Sie ist die Tochter des Himmels und öffnet dessen Thore; sie ist zugleich Tochter der Sonne und wird von der Nacht geboren; sie ist alt, wird aber stets wieder geboren und wandelt die Wege der vergangenen Morgenröthen, sie, die erste der zukünftigen, die sich ewig folgen werden. Ihr Licht ist das erste der Lichter; sie vertreibt die Nacht und die Finsterniss, bei ihrer Ankunft gehen die Vögel, die Thiere und die Menschen hervor; es wird alles beseelt und belebt, wenn sie hervorglänzt; sie treibt an zu wahren Reden, sie holt auf einem Wagen, der mit rothen Kühen oder auch mit Pferden bespannt ist, alle Götter herbei zum Soma-Tranke.« In den Lichtkreis gehören noch andere Wesen, namentlich die Winde (Marut), während der Mond und die Planeten nicht als Vedische Götter betrachtet werden können. Daraus wäre zu folgern, dass es lange gedauert hat, ehe es zum eigentlichen Sterndienst unter den Völkern gekommen ist, ein Umstand, der auch nicht zu Gunsten des Schelling'schen Systemes spricht.

Es wäre unmöglich, den Wechsel der indischen Götterkreise hier weiter zu beschreiben. Selbst Indra blieb nicht der höchste Gott, sondern die Sonne ward es, welche man als die Seele des Alls fasste; nur bei dem Volke behauptete Indra seine höchste Stelle und wurde in der nach-vedischen Zeit zum obersten Gott der Dêwa erhoben, der Höchststehende genannt; ein Titel jedoch, der auf den höchsten Gott der Spekulation, den Brahmâ, überging. Die alten Götter sanken in der Vorstellung der späteren Zeit zu einer erniedrigten Stellung herab, wie es die epische Dichtung bezeugt. Man fing endlich an, eine Benennung für den höchsten persönlichen Gott zu suchen; man nannte das höchste Göttliche, das ein Unbekanntes und Allgemeines war, mit einem bestimmteren Ausdruck das Brahma, welches für das erklärt wurde, »aus welchem alle Wesen entstehen, durch welches sie, wenn geboren, leben, wohin sie streben, und in welches sie wieder eingehen, für die Erkenntniss und Seligkeit.« Der ursprüngliche Begriff des Wortes, der des Gebets und der Andacht, sagt Lassen, ist zuerst zu dem einer religiösen Handlung überhaupt[48] und dann zu dem des höchsten Göttlichen erweitert worden. Lange suchte man nach einer Benennung des höchsten persönlichen Gottes, und der Name »Brahmâ hatte den Vorzug, auch die Priester zu bezeichnen, deren höchster Gott und Schöpfer er war.« Doch »ist er nie ein Gott des Volks geworden und hat daher nie einen Kultus erhalten,« selten nur eine Feier durch Feste.

Neben Brahmâ wurden noch zwei höchste Götter verehrt, Vischnu (Wischnu) und Çiva (Schiwa). Man legte ihnen mancherlei Namen bei, die ihren Charakter bald so, bald anders ausdrücken sollten. Brahmâ, der in den vorepischen Schriften als der einzige höchste Gott dastand, erhielt den Namen Nârâjana, weil er für den Schöpfer galt; doch ist Nârâjana ebenfalls »kein Gott des Volks gewesen, sondern der Brahmanenschulen.« Die Schöpfung des Brahmâ wurde auch dargestellt als »ein von allen Göttern verrichtetes Opfer, bei welchem aus den Theilen seines Körpers alle Dinge und Wesen entstanden.« Um die Erhebung Wischnu's zu einem Gotte des höchsten Ranges sich zu erklären, erinnert Lassen daran, dass seine Stelle am Himmel die höchste war, und dass die Sonne auch als höchste Gottheit betrachtet worden ist; und Wischnu hiess zwar der jüngste der Sonnengötter, zu denen auch Indra gehörte, aber zugleich der höchste: wesshalb man ihn oft mit Indra zusammen anrief, seltener mit den eigentlichen Sonnengöttern, ein Zeichen, dass letztere ihm nicht gleichgestellt wurden. Die Eigenschaft jenes Nârâjana ging nunmehr auf Wischnu über, und da von Nârâjana die Ansicht galt, dass er sich zum Opfer hingab, um die Welt zu erschaffen, so konnte diese Ansicht, wie Lassen meint, leicht dahin sich erweitern, dass Wischnu seiner göttlichen Natur sich entäusserte, um die Welt von Uebeln zu befreien. Diese letzte Thätigkeit, bemerkt er, ist ihm unter den drei grossen Göttern des spätem Systems eigenthümlich. Eine Menge Verkörperungen oder Herabsteigungen (Avatara) wurden ihm nach und nach zugeschrieben, zuerst in den epischen Gedichten; ein Beweis gegen Schelling, welcher von dem Einflusse der Dichter auf die Mythologie nicht viel wissen mag, gemäss seinem Systeme, welches auf eine unmittelbare Gotteseinwirkung gerichtet ist und desshalb die Phantasie der Dichter gewissermassen ausschliesst. Wir können auf diese Verkörperungen des Wischnu hier nicht eingehen, sondern müssen uns begnügen, auf ihre kritische Erörterung Lassens zu verweisen. Bemerkt sei noch, dass »die Verehrung des Wischnu in der Zeit zwischen Buddha und Kandragupta eine weite Verbreitung unter dem Volke gefunden haben muss, weil man sich nicht anders erklären kann, dass die Brahmanen ihn als einen der grossen Götter in ihr System aufgenommen haben,« während in den epischen Gedichten seiner noch selten gedacht wurde.

Die Verehrung des Schiwa endlich hatte, wie Lassen darthut, ebenfalls eine sehr weite Verbreitung. Ein Hauptsitz derselben war Gangâdvâra im Himalaja, dann das nördliche Hochland; frühzeitig wurde ferner sein Kultus in Kaçmîra eingeführt. An den Thron im Himalaja erinnernd, heisst seine Gattin Pârvatì (die Berggeborene) und Durga (Gebürgspass): sie ist eine Tochter des Gebürgs. Auch nahm er die vom Himmel herabfallende Gangâ auf. Sein Name bedeutet »wahrscheinlich« den Wachsenden: er ist »der Gott der gewaltigen Zeugungskraft der Natur, vor dieser fürchten sich sogar die Götter.« Er gilt für den Herrn der Thiere, und der Stier ist ihm als Symbol gegeben worden; wesshalb er der Stierbannerträger heisst. Andere Namen beweisen, dass er als ein grosser Gott verehrt wurde; denn er hiess erstens der Herrscher (Içvara), zweitens der grosse Gott (Mahâdêva), drittens der Gott der Götter (Dêvadêva) und der Herr aller Götter (Sarvadêweça). Als besondere Waffe führt er den Dreizack (Triçûla), welcher die Gewalt bedeutet, und[49] ein Netz (Pâça), welches ein Symbol seiner besonderen Herrschaft über die Thiere ist. Ihm allein von den Göttern brachte man ein Thieropfer dar. Ausserdem fehlt es nicht an Namen, die einerseits seine Wohlthätigkeit oder seine schöpferische Kraft bezeichnen; wie ihm denn Sôma mit seiner die Natur befruchtenden Kraft beigegeben wurde. Andererseits machte man den Schiwa, dadurch, dass man die Ansichten von Agni und Rudra (Sturmgott) auf ihn übertrug, zur zerstörenden Gottheit, zum Gott des Todes, der als solcher eine Halskette von Todtenschädeln trägt. Wie dem dreiäugigen Rudra legte man ihm auch ein drittes Auge bei, welches, wie Lassen vermuthet, die Allgegenwart des Gottes andeuten sollte. Indess war Schiwa »keineswegs ausschliesslich der zerstörende Gott,« vielmehr auch ein Vertilger der bösen Geister. Seine Verehrung unter dem Bilde des Linga (Phallus) bleibe unbesprochen; sie fand besonders im südlichen Indien statt, und war, nach Lassens Meinung, wahrscheinlich von den Urbewohnern dieses Gebiets, wo das Linga sich vorfand, auf diesen Gott übertragen worden. Die Menschen achteten frühzeitig auf den Charakter der Zeugung, zwar mit thierischem Interesse, aber auch hierin von den Thieren sich wesentlich unterscheidend, die alle nur dem blinden Instinkt gehorchen. Doch möge es bei diesen Einzelnheiten bewenden.

Wir legen das Ganze mit Lassen noch in folgender kurzer Uebersicht hier vor. Bei Schiwa, bemerkt der grosse Alterthumsforscher, muss wie bei Wischnu angenommen werden, dass er ursprünglich als höchster Gott bei seinen Verehrern galt, und dass die Verehrung dieser Götter bei dem Volke zu tief eingewurzelt war, um wieder verdrängt werden zu können. Es ergab sich daher für die Brahmanen die Nothwendigkeit, sie als solche anzuerkennen und ihnen eine solche Stellung zu verleihen, dass ihr eigener Gott Brahmâ neben ihnen seine Würde behaupten könnte. Das Mittel, alle drei nebeneinander bestehen zu lassen und sie unter eine höhere Einheit zusammenzufassen, bot die in dem Veda ausgesprochene Ansicht dar, dass das höchste Wesen drei Zustände habe, Schöpfung, Fortbestehen und Zerstörung; dass die Welt ewig in ihm sei, aus ihm hervorgehe und sich wieder in ihm auflöse. Brahmâ wurde der Schöpfer, Wischnu der Erhalter, Schiwa der Zerstörer. Die epische Poesie erkennt diese drei Götter als die höchsten nebeneinander an, ihre Einheit tritt aber nicht entschieden hervor, und die Lehre von dem Trimurti, der Einheit der drei grossen Götter, muss erst der nachfolgenden Zeit zugeschrieben werden. Ob bereits in der Epoche, wo Buddha auftrat, das System der drei grossen Götter ein abgeschlossenes war oder nicht, weiss man aus den Ueberlieferungen nicht mit Sicherheit, doch hält es Lassen für wahrscheinlicher, dass mit dem Auftreten des Buddha die Ansicht von drei grossen Göttern die herrschende war. Ueber die Frauen der letztern waltet die gleiche Unsicherheit ob. Nur von der Gattin des Schiwa könne man, wie Lassen meint, mit Grund annehmen, dass sie zu Buddha's Zeit festgestellt gewesen sei. Wie von ihrem Gemahl, so gelte von ihr ebenfalls, dass Namen und Vorstellungen von älteren Göttinnen auf sie übertragen worden; von der Gattin des Brahmâ, der Sarasvatî, könne man das Nämliche vermuthen, dagegen sei die Gemahlin des Wischnu, die Laxmî, ohne Zweifel entstanden durch die Vereinigung mehrerer früherer getrennter Göttinnen zu einer einzigen Gestalt, ganz wie es mit ihrem Gemahle selbst der Fall gewesen sein möge.

Eine Menge Sagen von geringeren Göttern erwähnt und beurtheilt Lassen nebenher, wie die von dem Göttervogel Garuda (Garutmat), welcher, obwohl er ein Gott war, doch von Wischnu zu seinem Diener gemacht wurde, nämlich zu seinem Träger durch die Lüfte. Ferner gedenkt er der uralten Sitte, die Götter durch Opfer zu verehren, zunächst des weitverbreiteten und frühe schon bei den Arischen[50] Indern gebräuchlichen Soma-Opfers; letzteres war auch bereits vor Zoroaster bei den Anhängern seiner Lehre eingeführt worden und ging von Baktrien zu den Medern über. Alsdann erwähnt er das Feueropfer der Inder, worin man die ausgelassene Butter heiliger Kühe darbrachte, das Werthvollste, was man zur Zeit des Hirtenlebens besass. Aber auch Thieropfer wurden gefeiert und - Menschenopfer. Unter den Thieropfern war am meisten geschätzt das Pferdeopfer, dann folgten Rinder, Ziegen und Schafe. Es galt »die Ansicht, dass der Verrichter eines Thieropfers sich dadurch von der Sünde loskaufe, und dass die Wirksamkeit des Opfers desto grösser sei, je vornehmer das Thier sei«. Da nun der Mensch »der Herr der Geschöpfe und das vornehmste Thier ist«, so schritt man auch zu Menschenopfern, wenigstens in der frühesten Epoche, wie neuerdings nachgewiesen ist. Doch wurde nach den ältesten Quellen nur ein einzelner Mensch geopfert. Nicht blos Brahmanen, die stets als Oberpriester fungirten, auch Könige konnten ein solches Opfer veranstalten. Ferner gab es Allopfer, bei welchen alle fünf Opfer vorkamen (also Mensch, Pferd, Kind, Ziege und Schaf). Endlich scheint es, dass man Mittel aufsuchte, das wirkliche Menschenopfer zu beseitigen; man ersetzte es durch einen Opferkuchen, durch ein goldenes oder irdenes Bild statt eines wirklichen Menschen, und man schuf - Legenden, in denen zum Opfertode bestimmte Menschen von Göttern gerettet werden. Wenn übrigens, bemerkt Lassen, »die alten Inder nicht von dem Vorwurf freigesprochen werden können, die Gräuel der Menschenopfer zugelassen zu haben, so theilen sie dieses Schicksal mit den Römern, den heidnischen Deutschen, Skandinaviern und Slaven.« Wir dürfen hinzufügen, dass es selbst bei den Griechen in ihrer sogenannten heroischen Epoche, laut ihrer Poeten, einzelne Menschenopfer gegeben hat, bis sie, bei gesteigerter Kultur, von den boshaften, dahinzielenden Vorschlägen ihrer Priester sich lossagten. Aus Allem geht hervor, dass die alten Inder nicht in die masslose Verruchtheit jenes Molochdienstes verfallen sind, dessen wir oben gedacht haben, und dessen abscheuliche Ausartung durch keine Philosophie jemals eine Abgleichung finden wird, die mehr als eine elende Vertuschung wäre.

In den obigen Sätzen führen wir Christian Lassen fast durchweg mit seinen eigenen Worten an. Er sichtet mit historischer Strenge die Ueberlieferungen, und wir bedauern nur, aus Mangel an Raum, seine Kritik der indischen Kasten und die (wie er sagt) deutlich nachweisbare Entstehung derselben ausschliessen zu müssen. Doch sei uns gestattet, eines seiner Worte über die indischen Götterbilder anzufügen. Die älteste Erwähnung derselben, berichtet er, finde sich in dem »Adbhuta Brahmana«, wo von ihnen gemeldet werde, »dass sie lachen, schreien, singen, tanzen, schwitzen und blinzeln«; nämlich das Volk glaubte, dass die in Tempeln aufgestellten Götterbilder »von den Gottheiten belebt waren, welche sie darstellten.«

Schliesslich heben wir noch ein Wort von dem interessanten Ergebniss seiner Untersuchung über das Himmelreich aus, wie man dasselbe nach dem Veda zur indischen Urzeit sich träumte. Es sollte eine Heimath geben, in welche die Menschen ohne Ausnahme nach ihrem Tode eingehen, und die ihnen nicht wieder genommen wird. Jama heisst der König und Versammler der Menschen, die nun selig sind; er ist selbst den Weg des Todes gegangen, er gilt »für den ersten Ankömmling im Reiche der Unsterblichen«, und erscheint daher als das natürliche Oberhaupt derer, die ihm nachfolgten. Bei den Irâniern ist aus dem himmlischen Paradiese, nach Umänderung der indischen Sage, ein irdisches und aus dem seligen Leben der Verstorbenen im Himmel ein glückliches Zeitalter auf der Erde geworden.[51] Lassen kommt zu dem Ergebniss: »die alten Inder glaubten frühe an die Unsterblichkeit, dachten sich aber ihr Leben auf eine einfache, etwas sinnliche Weise. Die Unsterblichen lebten fort in ungetrübter Freude unter einem schön behellten Baume. Den Himmel dachten sie sich im Innersten des Weltraums oder auch in den heiligen Räumen der Götterwelt.«

Schelling deutet (wir wundern uns nicht darüber) die indische Mythologie anders, nämlich seinem Systeme entsprechend. Wir können jedoch von der Entwicklung seiner Ansichten hier nichts beibringen; sie laufen darauf hinaus, dass er, wahrscheinlich noch unbekannt mit den von Lassen geführten, historischen und sprachlichen Nachweisungen, eine Trias (Trimurti) der drei grossen Götter als eine ursprüngliche und feste statuirt, dabei aber den Schiwa zum Mittelgliede macht, ihn vor Wischnu setzend. Obgleich Schellings Behauptung richtig ist, dass die Ideen der Menschen oftmals über die ältesten Ueberlieferungen und Schriftwerke hinausreichen und in ein höheres Alterthum zurückgehen, so drängt sich uns im vorliegenden Falle doch das Bedenken auf, dass er dem höchsten Alterthume eine solche Vorstellung zutraut, eine Vorstellung, die offenbar auf eine sehr vollkommene erste Anschauung hinweisen würde. Und gleichwohl sollte in den Sagen und Büchern der Inder auch nicht die leiseste Spur von diesem Kultus zurückgeblieben sein? Glauben wir vielmehr, dass Schelling auch hier künstelt, um sein System beharrlich durchzuführen. Nur seine Ansicht über Buddha wollen wir noch mittheilen. Der Buddhismus, sagt er, ist durchaus keine blosse Einheitslehre, obgleich er etwas sehr Bestimmtes und Positives sei. Der Grundbegriff besage, dass »Buddha der Gott ist, der nicht nur keinen seinesgleichen, sondern der Nichts ausser sich hat.« Oder indem er auf den Koran (freilich ein gewaltiger Sprung in der Geschichte!) hinsieht, wo Gott der Schöpfer (Anfänger) Himmels und der Erde heisst, erkennt er darin die Bedeutung der Buddha-Idee ganz und gar wieder und behauptet: »Buddha ist der schlechthin nichts ausser sich selbst Voraussetzende, keiner Materie, keines Stoffes ausser sich zu seinen Hervorbringungen Bedürftige; denn er ist sich selbst Materie, indem er der sich selbst materialisirende Gott ist.« Wie der berühmte Philosoph weiterhin den Buddhismus mit der Zendlehre in Verbindung bringt und zu zeigen sucht, dass der erstere einen Dualismus in sich schliesse, aber nicht gerade den persischen Gegensatz zwischen dem guten und bösen Prinzip: das in Ueberlegung zu ziehen, wollen wir dem Leser anrathen, der tiefer in diese Fragen zu tauchen Lust hat.

Für eigentliche Mythologien erklärt Schelling die vielgötterischen. In der persischen Götterlehre sieht er denn eine der Mythologie feindliche oder widerstrebende. Zur Vielgötterei im Sinne anderer Völker sind die Perser allerdings nicht vorgeschritten, aber an Götterwesen mangelt es ihnen keineswegs. Ueber den beiden Vertretern des guten und bösen Prinzips, den schon oben erwähnten Göttern Ormuzd und Ahriman, soll ein Urgott gestanden haben, ein höchstes Wesen, wie man es auch auffassen und nennen möge. Schelling meint nun, dem persischen Bewusstsein habe von Anfang an »der ausschliessliche Gott« vorgeschwebt, der, wie es bei den andern Völkern der Fall gewesen sei, in diesem Bewusstsein den Uebergang gefunden habe zu dem Gotte, welcher »der Mannichfaltigkeit Raum gebe«; er nimmt daher einen »Allgott« der Perser, da deren Bewusstsein sich dem successiven Polytheismus versagt habe, in dem »Mithras« an. Letzterer ist denn ein einziger Gott, er ist, nach diesem System, »die beiden« Götter zusammen, der relativ geistige und zugleich der ungeistige Gott; er ist die beiden, »die er, obgleich sie sich beständig bekämpfen, nicht auseinander lässt.« Von dem Mithras indessen weiss[52] Herodotos merkwürdigerweise keine Sylbe. Er kennt vielmehr, wie Schelling den historischen Bericht des Griechen von der persischen Götterlehre deutlich zusammenfasst, »nur jene alten, ohne Tempel, Altäre und Bilder angebeteten Götter, welche auch in der späteren persischen Geschichte noch immer als die altväterlichen Götter, dei patrii, und demnach im Gegensatz mit jüngeren Göttern erwähnt werden: er kennt also nur jenen höchsten Gott des Himmels, den auch andere Griechen den persischen Zeus nennen, Sonne und Mond sammt den Elementen.« Kyros bete daher bei Xenophon: »O väterlicher Zeus und die Sonne und alle Götter, nehmt diess an«. Es erhelle aus dieser und ähnlichen Stellen, dass jene alten Götter in Persien nicht antiquirt gewesen, sondern noch immer verehrt worden wären, und daraus sei zu schliessen, dass die spätere religiöse Entwicklung in Persien nicht denselben Weg wie unter anderen Völkern, z.B. den Griechen, genommen habe, welche auf Verehrung von Sonne und Mond als barbarisch herabgesehen hätten. Letzteres ist allerdings richtig, nur mit der Einschränkung, dass in Apollon (Phöbus, Helios) und in Artemis Sonne und Mond durch Götter ersten Rangs vertreten waren. Dass übrigens Herodotos Kenntniss hat von einer Mitra, also einer weiblichen Gottheit, ist für uns an diesem Orte gleichgültig; Schelling unterlässt es jedoch nicht, den Zusammenhang zwischen Mithra und Mithras nach seiner Weise zu erschwingen. Wir heben lediglich nochmals hervor, dass es zutreffend ist, mit diesem Philosophen geschichtlich anzuerkennen, dass »die Perser noch zu Herodots Zeiten den Himmel, Sonne, Mond und die Elemente, tempel- und bilderlos, auf eine Weise verehrten, wie sie weder von den Phönikern, noch von den Aegyptern, Indern oder Griechen verehrt wurden«. Die späteren Momente, setzt Schelling hinzu, fehlen in der persischen Mythologie ganz, nämlich die Momente, wie sie sich im Göttersystem der Phöniker, Karthager, Aegypter, Inder und selbst der Griechen entwickelt haben. Nach der macedonischen Eroberung Persiens (also geraume Zeit nach Herodot) reden spätere griechische Berichte von dem Mithras als dem Hauptgott der Perser, und wir weisen noch darauf hin, dass sich der Mithrasdienst nachmals weit über das Abendland und das römische Reich hin verpflanzt hat, ein Kultus mit mystischen Weihen, öffentlichen und allgemeinen Freudenfesten, fröhlichen Volkstänzen und Schwelgereien. Von dem Ursprung und Wandel dieser Verehrung handelt Schelling ausführlich. Doch können wir dem, was er über den Charakter der persischen Mythologie als einer unmythologischen Götterlehre behauptet, desswegen nicht schlechthin beistimmen, weil wir nicht vergessen, dass die Perser, wie es scheint, zu allen Zeiten an untergeordneten Götterwesen, Geistern, Genien Ueberfluss hatten. Ihre Mythologie war eben eine eigenartige.

In mehreren Grundzügen hatte sie mit der deutsch-nordischen (nordisch-germanischen) eine grosse Aehnlichkeit, im gewaltigen Wettkampfe eines guten und bösen Prinzips, im scheinbaren Siege des letztern, in der Vergänglichkeit der Götter, im Untergange der Erde durch Feuer und im schliesslichen Wiedererstehen einer vollkommenen Welt. Wir führen blos die Hauptgötter dieses im Norden Europa's verbreiteten Sagenkreises auf. In diesem giebt es ebenfalls einen Urgott, der über der Erde, den Göttern und dem Weltall steht, den Allvater (Alfadur). Mit diesem Namen freilich wird auch Odin beschenkt, der oberste Gott und zugleich unter den Göttern der erste, der da war und bis an das Ende fortherrschte; sonst auch Wodan (Wuotan) genannt. Seine Gemahlin hiess Frigg, die Tochter eines Joten (Riesen), und aus ihrer Ehe entsprossten sechs Söhne, die unter die vorzüglichsten Götter gerechnet wurden, Thorr, Tyr, Hermodr, Bragi, Baldur und Hödur. Die Zahl dieser acht Götter erhöhte sich auf zwölf; denn es traten hinzu: Heimdal,[53] ein Sohn des Odin aus einer andern Ehe, und drei Götter, die einem besonderen Geschlecht angehörten, der Meergott Oegir, und das Geschwisterpaar Freyr (der Sonnengott) und Freyja (die Göttin der Liebe und des Frühlings), beide herübergenommen aus einem Stamme, der ehedem ein feindlicher war, nämlich aus dem heute noch nicht näher bekannten Stamme der Wanen. Sie selbst nannten sich in ihrer nunmehrigen Zwölfzahl Asen, von Asaheim, einem Lande, das im Osten liegen sollte. Doch blieb es nicht bei diesen Mitgliedern des unter den nordischen Völkern Europa's geträumten Götterreiches, neue kamen hinzu und eine zahllose Menge Persönlichkeiten untergeordneten Rangs, namentlich weibliche, vermehrten die Summe unsterblicher Wesen. Odin beherrschte vorzugsweise die männliche, Frigg die weibliche Götterschaft. Das irdische Leben wurde im himmlischen Reiche gleichsam unter Verschönerung fortgesetzt.

Den guten weltregierenden Gottheiten aber standen böse, feindliche und grässliche gegenüber, die sich zum Sturze des Asenchores verbanden und mit gemeinschaftlichen Kräften den Untergang der Welt vorbereiteten und endlich herbeiführten. Sie stammten sammt und sonders aus furchtbaren Riesengeschlechtern; die vornehmsten waren Loki mit seiner entsetzlichen Sippschaft und Surtur, jener der Gott des Feuers, dieser der König von Muspelheim, einer Feuerwelt. Ausserdem nahm Hel, eine scheussliche Tochter des Loki, einen ausgezeichneten Rang ein; denn sie war die Königin des Todtenreichs, einer besonderen Welt in der Tiefe des Alls, wie denn auch das Reich des persischen Ahriman in der dem Himmel entgegengesetzten Richtung unterhalb der Erde lag. Das Reich dieser schrecklichen Göttin hiess Helheim.

Wir haben hier schon die Namen zweier Weltgebiete berührt, des muspelheimischen und helheimischen. Das All nämlich, wie es sich die Völkerschaften des europäischen Nordens vorstellten, hatte mehrere Abtheilungen; diese wurden in ähnlicher Weise, wie man die Personen der Götter vermehrte, durch die Phantasie einzelner Köpfe fortgebildet und auf die Zahl von neun Gebieten oder Reichen gebracht, deren jedes seine bestimmten Gränzen, Naturverhältnisse und Bewohner angewiesen erhielt.

Am höchsten Himmel befand sich Asgard, der heimische Sitz der Asen, der Olymp des Nordens, ein Reich mit herrlichen Pallästen und schönen ebenen Fluren; in gerader Linie unmittelbar unter Asgard lag Licht-Alfheim, eine von den guten Alfar oder von den lichten Elfen bewohnte Welt; der letztern schloss sich unterhalb wieder Midgard (der Mittelgarten) an, so geheissen, weil diese Welt den Mittelpunkt des Alls ausmachte: sie war der Wohnsitz der Menschen, also die Erde mit ihren Thälern, Gebürgen, Meeren und Flüssen. Nach unten wiederum, in gleicher Richtung mit Erde, Licht-Alfheim und Asgard gelegen, dachte man sich Schwarz-Alfheim, das lichtlose Reich der schwarzen oder bösen Elfen. Diesem endlich folgte in der äussersten Tiefe des Alls, den entgegengesetzten Pol vom obersten Asgard bildend, das finstere kalte Reich des Todes, der Nacht und des Elends, Helheim, ein Gebiet, welches, wie gesagt, von der obenerwähnten Hel beherrscht und benannt wurde, und das alle Menschen in sich aufnahm, die nicht durch ehrenvollen Schlachtentod, durch Fallen im Streit und Krieg, den Vorzug genossen, nach dem himmlischen Asgard versetzt zu werden. Die an Krankheit Gestorbenen lebten unten fort, kläglich und jammervoll.

Die übrigen vier Welten lagen seitwärts von diesen in senkrechter Linie aufgethürmten fünf andern; nämlich zwei derselben rechts und links von Asgard, doch eine Strecke tiefer unter dem letztern, dem Himmelsreiche: im Norden Niflheim[54] oder Nebelheim, ein eiskaltes und stürmisches Gebiet, oft verwechselt, wie es scheint, mit Helheim; im Osten dann Jotunheim, der Aufenthalt der Joten (Riesen). Die letzten zwei Reiche hatten ihren Platz zur rechten und linken Seite von Helheim, dem tiefsten Reiche, aber eine Strecke oberhalb desselben: im Westen Vanaheim (Wanaheim), das Land der ziemlich räthselhaften Vanen (Wanen), die in der Urzeit dem Asengeschlechte verfeindet waren, und im Süden Muspelheim, die Feuerwelt, bewohnt von den Muspelsöhnen mit ihrem Könige Surtur, welche oft hervorbrechen, um den Sitz der Asen in Brand zu stecken. Wir wollen die Lage der vier Seitenwelten noch näher bezeichnen: Niflheim und Jotunheim erstreckten sich oben seitwärts zwischen Asgard und Licht-Alfheim hin, dagegen Vanaheim und Muspelheim seitwärts in der Tiefe zwischen Helheim und Schwarz-Alfheim, so dass zwischen den beiden oberen und den beiden unteren Reichen eine ziemliche Entfernung war, die jedoch zu der im Mittelpunkte gelegenen Erde sich gleich verhielt.

Das so getheilte Universum aber dachte man sich gehalten und getragen von einer ungeheueren Esche, welche mit ihrem Stamm und ihren Zweigen sich durch alle die genannten Welten hinzog und drei Hauptwurzeln hatte, die eine in Midgard, die zweite in Niflheim und die dritte in Jotunheim steckend, während ihr in die Lüfte strebender Wipfel, Namens Läradh, die Zinne von Asgard überragt und die Äsen täglich unter seinem Schatten versammelt. Dieser grösste und schönste Baum, der zugleich unvergänglich ist und selbst die einstige Verbrennung der Welt überdauert, führt die Benennung Yggdrasil (wörtlich die Schreckensträgerin). Den Ursprung dieser Vorstellung anlangend, haben wir in der riesigen Esche wohl, nach einer von dem Verfasser dieser Zeilen ausgesprochenen Vermuthung, die am Himmel glänzende Milchstrasse zu erkennen, welche in den wolkenlosen Nächten des kalten Nordens besonders hell schimmert, so dass ihre unübersehbare Gestalt auf die Phantasie den Eindruck eines die Welt umklammernden Riesenbaums hervorbringen mochte.

Das Leben der nordischen Götter, ihr verschiedenartiges Walten, ihre Mängel und Missgriffe, welche letztern die Götterdämmerung Ragnarokr oder das Weltende zur Folge haben, können wir hier ebenso wenig schildern als das Loos der Erdenbewohner, ihren Verkehr mit den Asen, Riesen, Alfen, guten und bösen Dämonen. Die nordisch-deutsche Mythologie, so durchgebildet sie sonst erscheinen mag, charakterisirt eine gewisse trübe Färbung, welche sich ziemlich weit entfernt von der heiteren Anschauung, die im Allgemeinen die griechische Götterlehre auszeichnet. Jene entspricht dem dunkeln und rauhen Himmel, unter dem sie ersonnen ward, diese dem lichten und lachenden Firmament der glücklicheren Mittelmeerküsten.

Ueberhaupt zeigt sich uns das griechische Göttersystem als das vollkommenste unter allen andern Vielgöttersystemen. Die Mythologie der Griechen ist die letzte, oder sie bildet, nach der schon erwähnten Ansicht Schellings, »das Ende eines Prozesses, in welchem die Mythologie entsteht«, und zwar, wie dieser Denker meint, eines den Menschen durch Urgewalt aufgedrungenen Prozesses, welcher verschiedene Systeme nach einander gebracht habe, so dass je das frühere dem spätem zu Grunde gelegt worden sei. In wie weit diess geschehen, ist eine schwere Frage, zumal in Bezug auf die Hellenen, die alles Fremde selbstständig zu verarbeiten pflegten. Wir müssen hier nicht allein das übergehen, was Schelling von der altgermanischen und skandinavischen Götterlehre geäussert hat, sondern auch seine Betrachtungen über die Entfaltung und Vollendung des griechischen Systems. Und von dem letztern darf der Abriss sehr kurz ausfallen, wenn es mir erlaubt ist auf meinen »Katechismus«[55] der Mythologie aller Kulturvölker zu verweisen1, worin man eine bei aller Gedrungenheit hoffentlich genügende Uebersicht der griechisch-römischen Vielgötterei vorgelegt findet. Unter Verzicht auf Vollständigkeit der Darstellung sei daher hier nur so viel auseinandergesetzt. Bei den Griechen treffen wir drei nacheinander auftretende Götterherrschaften, von welchen die dritte und letzte sich fortan behauptete. In der ersten führten Uranos und Gäa das Zepter, in der zweiten Kronos und Rhea; Kronos entthronte nebst seiner Mutter den Uranos, seinen Vater. Ihn und Rhea wiederum verdrängte Zeus, der jüngste Sohn dieses Paares; er gründete nun das dritte Regiment, welches als ein milderes sich darstellt und desshalb dauernd wurde, bestehend aus ihm und seiner Familie, deren Mitglieder fernerhin die »jüngeren« Götter hiessen, im Gegensatz zu den gestürzten älteren. Als der Streit entschieden war, kam es zuvörderst zu einer Theilung des Weltalls, wie sie von Zeus bestimmt wurde, dem Oberhaupte der dritten Herrschaft. Da der letztere zwei ältere Brüder hatte, den Poseidon und Pluton, deren Ansprüche vorzugsweise berücksichtigt werden mussten, gränzte er drei besondere Reiche ab, den Himmel (mit der festen Erde), das Meergebiet und die Unterwelt (den Hades). Er selbst las für sich den Himmel aus, während Poseidon mit dem Wasserreich, Pluton mit der Unterwelt vorlieb nehmen musste: ein Jeder war Oberhaupt in seinem ihm angewiesenen Bezirke, nur dass Zeus die höchste Entscheidung über Alles fortbehauptete, nach Gutdünken vom Himmel her seinen Willen verkündigend. Denn im Himmel (Olympos) schlug er selbst seinen Thron auf, umgeben von Obergöttern, deren Zahl auf zwölf festgesetzt wurde, ihn selbst mitgerechnet. Auch Poseidon gehörte in diese Zwölfzahl, weil er sein Reich im Sonnenlichte der Oberwelt hatte; der unterirdische Pluton dagegen blieb von der Theilnahme an diesem Kreise ausgeschlossen. In Folge dessen pflegte man die Götter häufig in zwei Rubriken zu theilen, in obere und untere, in Superi und Inferi, in Lichtgötter und in Nachtgötter. Die zwölf Gottheiten des Himmels stellten einen abgeschlossenen Götterstaat vor; sie hiessen nach ihren griechischen und römischen Namen: Zeus (Jupiter), Hera (Juno), Phoibos Apollon (Phöbus Apollo), Artemis (Diana), Pallas Athene (Minerva), Hermes (Mercurius), Ares (Mars), Aphrodite (Venus), Hephästos (Vulcanus), Demeter (Ceres), Hestia (Vesta) und Poseidon (Neptunus). Zeus also stand an der Spitze der Gesammtheit, die übrigen Mitglieder erhielten besondere Aemter; ihr König jedoch machte sich nach allen Seiten geltend, auch sonst waren keine unverletzbaren Gränzen für die einzelnen Felder eines Jeden gezogen. Denn sie hatten zwar, wie gesagt, ihre eigenen Funktionen, aber mehrere unter ihnen griffen, wenn es die Umstände mit sich brachten, in die Wirksamkeit der Mitgötter über, mochte auch zuweilen Hader daraus entbrennen; manche aus der Zwölfzahl wurden nach und nach immer reicher ausgestattet, indem diejenigen, die sie riefen, ihnen zeitweise den Machteinfluss anderer Gottheiten zuschrieben. Nicht so verhielt es sich mit Zeus, der als oberster Herrscher seine ihm allein zustehenden Befugnisse unveräusserlich festhielt und seine Gewalt über Alles erstreckte, über das Grösste und Kleinste, das Nächste und Fernste. Wie gross man sich seine Erscheinung dachte, erfahren wir schon aus der Ilias des Homer; aber im erhabensten Bilde, fast dem alleinigen Gott der Christen gleich, zeigt ihn uns Aeschylos, wenn er im Tone der Psalmen singt:[56]

Strophe.

Heilvoll walte der Ewigen Obmacht

Die Beschlüsse des Zeus zwar sind stets unerforschlich;

Gleichwohl strahlen sie rings

Auch in Nacht, und Blindheit ward zu Theil

Dem gebeugten Staubsohn.

Gegenstrophe.

Siegreich wandelt indessen und aufrecht

Das vollendete Werk, das Zeus' Stirne hervorrief!

Durch Einöden ja läuft

Seines Willens Pfad, durch Wolkennacht

Und verhüllten Abgrund.

Strophe.

In Staub wirft sein Geschoss

Der armen Tagsöhne thurmhohen Wahn;

Er siegt ohne Panzer sturmschnell,

Himmlisch und leicht, ohne Beschwer; Alles vollführt er blossen Winks,

Nimmer verlassend seinen Thron, prangend in hehrem Lichtglanz.

Ausserhalb jener Zwölfzahl standen mehrere mächtige Gottheiten, Eros, Dionysos und Pan; der letztere auf ein ägyptisches Vorbild zurückweisend. Dem Zeus aber und andern Obergöttern war eine grössere oder kleinere Zahl von Untergöttern zugeordnet, ein Gefolge von Dienern oder Dienerinnen, von welchen einzelne eine grosse, einzelne eine minder bedeutsame Macht ausübten: sie vervollständigten durch ihre Mitwirkung den Götterstaat oder das mythologische System der Griechen. Den Glanz vermehrend traten auch die Halbgottheiten hinzu: denn mancherlei Helden und Heldinnen (Heroen und Heroinen) eroberten sich entweder den Himmel oder erlangten ein solches Ansehen, dass man sie göttlich verehrte. Den untersten Rang endlich nahm ein buntes Heer von Nymphen ein, theils auf dem Lande, theils im Wasser lebend und mit den Menschen verkehrend. Bei den Griechen geht die Welt nicht zu Grunde, der Gedanke der Unsterblichkeit lebt in ihnen; denn sie halten nicht blos die Götter für ewig, sondern nehmen auch das Fortleben der Menschen nach ihrem Tode an, wie schon die Vorstellung von der Unterwelt oder dem Schattenreiche, das sie geträumt haben, darthut; letzteres ist ein doppeltes, ein lohnendes und ein strafendes. Ueber dieses Gebiet herrschte besagtermassen Pluton, und die Bösen wurden nach dem Tartaros, dem Strafort des Todtenreiches, verwiesen, die Guten dagegen in das Elysium, das Eiland der Seligen, aufgenommen. Nicht blos ein Fortleben also, sondern auch Lohn und Strafe in diesem Fortleben gab es nach der Ansicht der Griechen. Sonstige Sagen, wie den Raub der Persephone (Proserpina), einer Tochter der Demeter (Ceres), den Mysteriendienst, der mit ihnen verbunden war, und die Deutung, Erklärung und Auslegung dieser und anderer Religionsgebräuche, den Kultus einzelner Gottheiten und die Heroengeschichten lassen wir unerörtert; denn theilweise herrscht in diesem Gebiete noch ein Dunkel, dessen Lösung, wenn sie überhaupt möglich ist, erst von erweiterter Kenntniss der Ueberlieferung zu hoffen sein würde.

Wir schliessen diese flüchtige Berührung der griechischen Mythologie mit der Bemerkung ab, dass die Römer in der Hauptsache durch und durch, ohne wesentliche Veränderungen, die Religion der Hellenen zu der ihrigen machten. Selbstschöpferisch war die Phantasie des eigentlichen Römervolkes niemals. Wenn die Begründer Roms als Kolonisten von Griechenland herkamen und einen einheimischen Urgott, wie den Janus, ihren mitgebrachten Göttern zugesellten, so thaten sie im Grunde nur das Nämliche, was einst ihre griechischen Stammväter gethan hatten, welche einerseits die bei ihrer Einwanderung vorgefundenen Umrisse altpelasgischer Gottheiten nicht schlechthin von der Hand wiesen, andererseits mancherlei ägyptische Typen bei der allmäligen Gestaltung ihres Göttersystems verwendeten, das gleichwohl eigenthümlich genug ausgefallen ist. Zu entscheiden aber oder auch nur mit irgend einer Sicherheit anzugeben, was und wie viel die Griechen, nach ihrer Niederlassung[57] am Mittelmeer, von dem benachbarten Kleinasien oder Aegypten auf religiösem Gebiete sich angeeignet haben, um das Fremde gleichsam in das Griechische zu übersetzen, das wird augenscheinlich nicht eher möglich sein, als bis das Buch der Mythologie ein weltumfassendes geworden ist durch die Sammlung und Vergleichung aller Sagen, von den frühsten Ueberlieferungen bis zu den spätesten; nur dadurch würde es dem Forscher gelingen, seinen Blick mit Klarheit auch auf die letzte Götterlehre, die griechische, zu richten.

Die Betrachtung, auf blosse Bruchstücke beschränkt, wie sie seither war, schliesst einen Ueberblick des Ganzen aus, und ein solcher ist vonnöthen, wenn wir die gesammte religiöse Bewegung des Menschengeschlechts mit gutem Erfolge erklären wollen bezüglich ihrer Anfänge, ihrer successiven Weiterverbreitung, ihrer Nachahmung, Umbildung, Verwandtschaft. Das Gespinnst dieses ungeheuern Gedankennetzes zu zerlegen und zu ergründen, ist die Aufgabe der vergleichenden Mythologie, einer Wissenschaft, welche die Schöpfung deutschen Geistes ist, indem sie ihre Grundlage vornehmlich durch Adalbert Kuhn erlangt hat. Christian Lassen, der das hohe Verdienst dieses Gelehrten anerkennt, bemerkt ausserdem, dass diese Wissenschaft erst seit der Bekanntschaft mit dem Rigveda, dem ältesten literarischen Denkmale der Indokelten, möglich geworden sei; durch dieses inhaltreiche Werk nämlich wären wir in den Stand gesetzt worden, in mehreren Fällen die Götter der stammverwandten Völker und die Mythen von ihnen auf ihre ursprüngliche Bedeutung zurückzuführen. Darauf zieht Lassen ein vorläufiges Ergebniss, dessen wir, seiner Wichtigkeit wegen, wörtlich gedenken wollen. »Die mehr oder weniger diesen Völkern gemeinschaftlichen Gottheiten sind mit ihren indischen Namen die folgenden: Indra oder Djupati oder Divaspati, Sarameja, Parganja, Saranjû, Varuna, Sûrja oder Savitar, Ushas, Idâ oder Ilâ, Gandharva und Ribhu. Mitra und Soma wurden nur von den Indern und den Iraniern verehrt, dagegen lässt sich die Vorstellung von einem Stammvater, Namens Manu, bei vielen Indogermanen nachweisen. Von den übrigen Uebereinstimmungen mögen hier nur zwei hervorgehoben werden, weil sie zu den am weitesten verbreiteten gehören. Die erste ist der Mythos von der Herabkunft des Feuers und des Göttertranks. Bei den verschiedenen Völkern treten dabei andere Personen auf; auch sind die Vögel verschieden, welche das Feuer vom Himmel herab bringen. Da es zu weit führen würde, wenn ich dieses im Einzelnen nachweisen wollte, will ich mich auf die Bemerkung beschränken, dass der Name Prometheus aus dem Sanskritworte pramâtha, an sich reissen, zu erklären ist; die Deutung dieses Namens durch voraussehend ist auf griechischem Boden entstanden. Die zweite Sage ist die des Kampfes des Gottes der Lufterscheinungen mit den bösen Geistern, welche die Kühe, d.h. die Wolken gefangen halten. Bei den Griechen erscheint Apollon in dieser Eigenschaft, wenn er die entführten Kühe aufsucht. Weiter ist der griechische Mythos von Herakles und Geryones und der römische von Herkules und Cacus auf Indras Kampf mit Vritra zurückzuführen; den letzten nennen die Griechen Orthros und dachten sich ihn als zweiköpfig. Der Glaube des deutschen Volks an den wilden Jäger und das wüthende Heer ist eine Entstellung der Vorstellung, dass Wodan auf einem weissen Rosse reitend und von Hunden begleitet durch die Luft stürmt, um die bösen Geister zu bekämpfen. Hiermit stimmt überein, dass Indra von dem Götterhunde Sarameja begleitet wird und auf dem weissen Rosse Ukkaihçravas reitet; mit diesem Rosse lässt sich das Blitz- und Donnerross Pegasos des Zeus vergleichen. In der deutschen Heldensage tritt endlich Siegfried an die Stelle des Siegmund, welches ein Beiname des Odin ist[58] und welchem die Tödtung eines Drachen zugeschrieben wird, wie dem Indra die der Schlange Ahi

So weit Lassen. Die zuletzt von ihm erwähnte Siegfriedsage, im nordisch-germanischen Alterthum die berühmteste und weitverzweigteste, die häufig sogar auf verworrene Weise, plump und widerspruchsvoll ausgesponnen worden ist, hat bekanntlich im Nibelungenliede ihren besten Abschluss gefunden. Den Gang derselben sehen wir durch eine fleissige Schrift von Karl Steiger, die so eben erschienen ist, sorgfältig erörtert; der talentvolle junge Gelehrte führt den Ursprung der Sage von Siegmund oder Siegfried, anscheinend ohne die obige Stelle Lassens zu kennen, auf den Mythus von dem obgedachten Sonnengotte Freyr unter beachtunggwerthen Gründen zurück.

Der Bedeutsamkeit der vergleichenden Mythologie entzieht sich auch Schelling nicht. Wir dürfen geradezu sagen, dass seine »Philosophie der Mythologie« im Grunde nichts anderes ist als eine Vergleichung der vornehmsten Richtungen, welche im gesammten mythologischen Prozesse hervorgetreten sind. Die Grundlage seines Systems war freilich, wie wir uns oben nicht verhehlen konnten, eine willkürliche und desshalb verfehlte; das von ihm gegebene Beispiel aber wird fortwirken und neue Versuche zur Aufhellung der Art und Weise, wie die Menschheit in ihrem Kindesalter sich geistig entwickelt hat, hervorrufen. Denn der vergleichenden Mythologie steht ein endloses Feld offen.

Erstens liegt dem Forscher ob, die Hauptzüge zu untersuchen, welche nicht blos den Indokelten gemeinschaftlich sind, sondern auch bei den Bewohnern fast aller Himmelsstriche sich wiederfinden, namentlich die Vorstellung des Göttlichen oder eines göttlichen Urwesens, mit welchem die Existenz des Weltalls verknüpft sei. Zweitens sind jene Hauptzüge in das Auge zu fassen, die bei einer Reihe von Völkern, meist nachgeahmt oder umgebildet, wiederkehren: die Vorstellung eines guten und bösen Prinzips, eines Götterwohnorts, eines Paradieses, eines unsterblichen Fortlebens nach dem Tode, eines Elysiums und Straforts, eines Untergangs der Welt oder der Schöpfung. Drittens kommt es darauf an, diejenigen Göttergestalten aus den Vielgöttersystemen herauszunehmen, die unter sich verwandt zu sein scheinen, den Charakter, die Wirksamkeit und die Züge, die von ihnen berichtet werden, nach ihrer Besonderheit oder Aehnlichkeit zu erwägen und vor allem die bekanntesten Götterwesen zu beleuchten, die man in der Vorstellung der meisten Völker antrifft: den Liebesgott, die Liebesgöttin, den Gott des Himmels, den Sonnengott, den Donnergott, den Schlachtengott, den Siegesgott, gewisse gute und böse Dämonen. Viertens müssen die Heldensagen in ihren Ursprüngen, Uebertragungen und Veränderungen ermittelt werden, soweit sie irgend einen Zusammenhang mit einander zu haben scheinen. Denn Recken von gutem und schlechtem Charakter, Riesen und Kämpfer von ungewöhnlicher Stärke, gewaltige Wunderthiere der verschiedensten Gattung und Art, die uns als Phantome erscheinen, gehen durch die Mythologien des Orients und Occidents. Wir hatten keinen Raum, jener Figuren im Obigen besonders zu gedenken; aber die vergleichende Mythologie wird nicht umhin können, auf diese Erscheinungen eine entschiedene Rücksicht zu nehmen. Es will uns bedünken, dass viele mächtige Wesen, die wir für Geburten der Fabel anzusehen pflegen, einen realen Hintergrund haben dürften; wir vermuthen nämlich, dass den fernen und späten Nachkommen der Menschengeschlechter eine dunkle Zurückerinnerung an so mancherlei ausserordentliche Gestalten geblieben ist, welche von Auge zu Auge in urgrauen Epochen ihre Vorfahren begleitet und umgeben haben. Berichte der letztern von ihren ehemaligen Gefahren, Kämpfen und Thaten[59] pflanzten sich ohnstreitig von Geschlecht zu Geschlecht und von Land zu Land durch unendliche Zeiträume fort. Wenn erwiesenermassen jene Riesenthiere existirt haben, Mammuth, Mastodon, Plesiosaurus, Megalosaurus, Iguanodon und vielerlei andere Arten, wovon Elephant, Krokodil, Wallfisch und afrikanische Waldschlangen die letzten Beispiele sind: warum sollte es thöricht sein, an die urzeitliche Existenz eines Greif, eines Vogel Rock, eines Einhorn zu glauben? Die heutige Naturforschung nimmt die seither bestandenen Zweifel augenscheinlich weg; die Sphinx war ehedem ein Räthsel, jetzt ist sie lebendig geworden! Wir dürfen zugleich auf diesem Standpunkte schliessen, dass es vormals auch Männer und Frauen von gigantenhaftem Leibe gegeben hat, die befähigt waren, den Streit mit jenen zeitgenossischen Ungeheuern siegreich aufzunehmen und im Kampfe um das Dasein sich und ihre Kinder zu beschützen. Was also weiter? Aus solcher uralter Kunde hatte sich die fortlaufende Vorstellung von Riesen mit sowohl gutem als bösem Charakter entwickelt; denn unter diesen mächtigen Individuen wird es neben den edleren schwerlich an rohen Unholden gemangelt haben, die selbst ihres Gleichen nicht schonten, da sie an Wildheit den thierischen Ungeheuern in keiner Weise nachstanden, sobald sie die schwächeren Mitmenschen verschlingen konnten. Erkannten sich doch damals die Menschen unstreitig noch nicht für ein Geschlecht an, das eine eigene und mehr als thierische Berechtigung habe. Ja, wir gehen nur einen Schritt weiter, wenn wir den alten Mythus von Wassernymphen, Nereiden, Tritonen, Flussgöttern aus der Wirklichkeit geschöpft wähnen, indem wir vermuthen, dass es in der frühesten Urzeit menschliche Organismen gegeben hat, die amphibisch gebildet waren, also sowohl im Wasser als auf dem Lande zu leben vermochten; späterhin konnten sich ja die Organe der Menschen allmälig anders, in Folge anderer Lebensweise, ausbilden. Die Naturwissenschaft, wenn sie ihre jetzt aufgestellte Entwicklungstheorie festhält, möchte diese Annahme wohl kaum zurückweisen. Ebenso wagen wir mit nichten zu viel, wenn wir in der Sage von den Dryaden, den Nymphen der Bäume und Wälder, eine Erinnerung an die Wirklichkeit sehen: einst, wie nicht zu zweifeln steht, haben sich die von thierischen Mitgeschöpfen gefährdeten Menschen auf die hohen Stämme der Bäume und unter die Decke laubiger Aeste zurückgezogen, wo sie ihre Wohnstatt, gleich den Affen, entfernt von dem platten Boden aufschlugen. So mochten vorzugsweise die schwächeren Frauen sich und ihre junge Familie vor den Krallen feindlicher Geschöpfe sichern wollen: die Bäume und Wälder deuchten noch lange nachher belebt. Ferner, das einst geglaubte Vorhandensein von Riesen in Höhlen und Bergklüften bietet seine Erklärung aus einer ähnlichen Erinnerung dar; denn die Urmenschen wählten häufig auch, was ganz natürlich war, ihr Lager in dergleichen festen und geschützten Schlupfwinkeln, wie die Schlangen und andere wilde Thiere, um vor Angriffen besser geschützt zu sein. Es war leicht, in den Bewohnern solcher Verstecke eine Sorte Berggeister zu erblicken, die eine wunderbare Kraft und Gestaltung hatten. Endlich fühlen wir uns versucht, auch in den Seilenen und Bocksfüsslern keine blosse Schöpfung einer überspannten Einbildungskraft zu wittern, sondern sind der Meinung, dass ihre Gestalten in das urzeitliche Hirtenleben wilder Gemeinschaften zurückreichen, in der Kulturzeit aber nicht ganz vergessen waren, sondern unter einer phantastischen Ausschmückung ihr Andenken forterhielten. Namentlich die geschlechtliche Sinnenlust, die man ihnen als einen nicht vortheilhaften Charakterzug nachsagte, weis't auf eine Epoche hin, wo noch an keine ehliche Ordnung gedacht wurde, sondern die Willkür des Stärkern über das schwächere Geschlecht leidenschaftlich herfiel; lange mochte dies dauern und nicht einmal in besseren Zuständen[60] aufhören. Das menschliche Zusammenleben erhob sich anfänglich kaum über die Vergesellschaftung der Thiere im rohen Naturzustande.

Die Phantasie der Menschen indessen war und ist unerschöpflich. Daher möchten wir nicht behaupten, dass nicht zu den eben erwähnten wirklichen Erscheinungen viel hinzugefabelt worden sei. Ausserdem wollen wir gerne zugestehen, dass man ohne eine weitere thatsächliche Veranlassung auch dahin geschritten ist, die Welt mit einer Art von wunderbaren Geschöpfen zu bevölkern, welche an Gestalt den Riesen und Giganten, ja, ihrem eigenen Körpermasse schnurstracks entgegengesetzt waren, nämlich mit Zwergen, Gnomen, Elfen, Blumengeistern und wie sie sonst in den verschiedenen Mythologien heissen. Der Gegensatz gegen jene hat sie wahrscheinlich hervorgerufen, wie man auch Feen, gute und böse Geister sich schuf und gesehen haben wollte; sonst wäre wohl ihre Erfindung nicht erklärbar. Auch bis in die neuere Zeit und selbst bis in die Gegenwart fährt die Phantasie fort, dergleichen Träumereien theils zu erzeugen, theils festzuhalten und weiter zu tragen.

Wir kommen hier auf den allgemeinen Volksglauben zu sprechen. Der stille Gedanke an Zauberei und übernatürliche Wirkungen dauert bekanntlich noch immer fort. Der europäische Matrose achtet auf sogenannte »Katharinen-Hühnchen«, die einem Schiffe nachfolgen; wie er glaubt, deuten sie an, dass ein Mörder an Bord sei, oder dass ein Mord im Schiffe stattfinden werde. Ebenso wenig sind in Deutschland die Sagen von den Hexen des Harzes und von dem Rübezahl des Riesengebürgs, von Elfen und Elfenköniginnen, Nixen, Kobolden der Berge, Heinzelmännchen und andern wunderthätigen guten und bösen Wesen aus dem Gedächtniss der Menge verschwunden. Die Erinnerungen an die traumhaften Vorstellungen der alten germanisch-nordischen Völker tauchen unverlöschbar bis in unsere Tage hinein. So phantasirt der Dichter, dass es Sommernächte giebt, wie sie einst über altschwedische Seen sich gelegt haben sollen, von Göttergestalten heimlich belebt und durchwallt, von wunderbarem Dämmerlichte erhellt. Monddurchglänzte Nebelfahnen treiben dann, weiss und licht, in einzelne Streifen zerreissend, gleich einem Elfenschwarm der Edda, über einen See hin und umschweben den Kahn des Schiffers im sanften Spiele der Wellen. Die Sagen von Wasserfrauen und Nixen, noch heutzutag gäng und gäbe, knüpfen sich wahrscheinlich mehr an die Ueberlieferung von antiken Nymphen und an den Glauben von der Allbelebtheit der materiellen Natur an; ein Glaube, der oben geschildert worden ist.

Die wilden Völker sind von dergleichen Vorstellungen nicht frei. Die Hottentotten hängen an uralten Täuschungen. Schlaue Gesellen aus ihrer Mitte rühmen sich, mit Zauberkräften begabt zu sein, theils wissentliche, theils selbstüberzeugte Betrüger, die eine oberflächliche Kenntniss von Natur und Arznei zu ihrem persönlichen Vortheile verwenden. Man erwähnt von ihnen, sie hätten die Macht, Blitz, Donner, Regen, Sturm sowohl hervorzurufen als abzuhalten. Glückt die Beschwörung zufällig, desto besser; schlägt sie fehl, so hat man Entschuldigungen bei der Hand und fängt die Sache gelegentlich von vorn an. Sie verfahren, mit Einem Worte, in derselben Weise wie so viele Pfaffen in Europa seit dem Mittelalter zu verfahren pflegen, die sich auf Wundergesichte, Erscheinungen der heiligen Jungfrau, Orakel und Prophezeiungen stützen, um den grossen Haufen für ihre menschenfeindlichen Zwecke zu beherrschen.

Die durchgreifendste Rolle behauptet noch überall das böse Prinzip, der Teufel. Nur ein einziges Beispiel davon. Die Wotjaken, die ein Theil des grossen finnischen Volksstammes sind, behalten ihre Gebräuche wie ihre Trachten seit undenklicher Zeit unverändert bei, ebenso ihren krassen Aberglauben, der einen unsäglichen[61] Einfluss auf alle ihre Handlungen übt. Dass sie an gute und böse Tage glauben, haben sie freilich mit der Mehrzahl der Bewohner des europäischen Westens und Südens gemein; desgleichen ist es nichts Besonderes, dass sie das Schreien eines Vogels im Walde auf Glück oder Unglück deuten. Aber die Furcht vor dem »Schaitan« (Teufel) geht bei ihnen über Alles. Ein Wetterstrahl, der einen Baum zerschmettert, tödtet nach ihrer Meinung einen darin wohnenden Teufel. Ein Pferdedieb fällt dem Teufel anheim; der letztere kocht die Seele eines solchen, wenn er gestorben ist, in einem Pechkessel. Gleichwohl, da sie ausserordentliche Liebhaber von schönen Pferden sind, stehlen sie Pferde, wo sie können, in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden.

Doch kehren wir zur vergleichenden Mythologie zurück. Fünftens nämlich, wenn Orient und Occident des heidnischen Alterthums so gründlich als möglich überschaut, und die vielgestaltigen Sagen der neuen Welt, sowie der oceanischen Inseln ebenfalls zu einer umfassenden Würdigung gelangt sind, da wird der Zeitpunkt erscheinen, wo diese Wissenschaft die höchste und letzte Aufgabe zu erfüllen hat. Wir irren schwerlich, wenn wir sagen: der Forscher, ausgerüstet gleichsam mit den aus den verschiedensten Zeitaltern herbeigeholten Waffen, wird nicht blos die Neigung, sondern nach unserem Dafürhalten auch die Nothwendigkeit fühlen, das Christenthum oder die geoffenbarte Religion gleichfalls dem Probierstein einer eingehenden Kritik zu unterwerfen. Er wird unnachsichtlich zu untersuchen haben, ob die christliche Lehre eine selbstständige ist, eine neue ausserordentliche Lehre, womit die Menschen beschenkt worden sind. Kein Bedenken darf ihn abhalten, eine genaue Prüfung anzustellen, ob der Inhalt des Christenthums nicht theilweise eine Frucht des Heidenthums ist, oder mit andern Worten, ob die Lehre vom alleinigen Gott, der an die Stelle der Vielgötterei getreten ist, ausserhalb der Mythologie steht oder nicht. Denn es sind mancherlei Merkmale vorhanden, die uns auf die Meinung bringen könnten, der mythologische Prozess schliesse keineswegs, wie Schelling ausgesprochen hat, mit der altgriechischen Lehre ab, sondern, um uns kurz auszudrücken, das Christenthum habe einen solchen Zusammenhang mit der Vorwelt, dass dasselbe nicht mehr bedeute als eine neue Mythologie! Allerdings eine erschreckende Meinung, wenn wir vor Augen sehen, dass die gesammte Kultur der gegenwärtigen Menschheit, die Kultur in ihrer für jetzt höchsten Blüthe, auf der christlichen Lehre ruht. Etwas Besseres als die letztere kennen wir nicht; die Fortschritte sind staunenswerth, welche sie seit fast zwei Jahrtausenden auf Erden bewirkt hat. Friede, Freiheit, Beseligung ziehen mit ihr in die Herzen derjenigen Menschen ein, die, wahrhaft durch sie geleitet, nach ihr handeln und wandeln. Der reinste Humanismus ist ihre Folge, das wahre Menschenthum ihr Ziel.

Den Spruch der Kritik indessen muss das Christenthum sich gefallen lassen, und gerade die vergleichende Mythologie hat hier ein schwerwiegendes Wort mitzusprechen, wie aus Folgendem erhellen wird. Nur leicht sei ihre Aufgabe angedeutet. Die Weltübersicht, die ihr zu Gebote stehen muss, wird diese Wissenschaft in den Stand setzen, erstens die Summe der heidnischen Elemente zu bezeichnen, welche aus den asiatischen Mythologien, und die jüdischen, die aus der Religion der Juden in das Christenthum schon zu der Zeit eingedrungen sind, als die Apostel lehrend auftraten. Denn es steht nicht zu bezweifeln, dass die letztern durchaus nicht in allen Zügen das reine Bild des grossen Weltlehrers aufgestellt haben, sondern dass sie, durch ihre edle Begeisterung hingerissen oder aus irgend einer Rücksicht auf die Steigerung ihres Wirkens, auf den Eindruck der neuen Lehre, den sie unter den damals tief gesunkenen Völkern hervorzubringen wünschten, - dass die Apostel,[62] sage ich, hier die Persönlichkeit des göttlichen Meisters und die von ihm verrichteten Thaten so wunderbar als möglich ausschmückten, dort die ursprüngliche Form seiner Worte nach dem Geschmack der Orientalen und Israeliten gestalteten, nicht aber immer einfach und deutsch. Wir gestehen gerne zu, dass sie arglos verfuhren, und dass ihr Verfahren ein nothwendiges und der Zeit entsprechendes war, wenn sie den geheimen Bund der Christen erweitern und befestigen, die Herzen der gemeinen Leute gewinnen und gegen äussere Angriffe in Noth und Tod stählen wollten. Allein heutzutag, wo wir keine Feinde mehr zu fürchten brauchen, nachdem die evangelische Freiheit durch Luther zurückerobert worden ist, dürfen wir tiefere Fragen stellen; unser Verstand fordert unabweislich, dass wir die Grundwahrheiten aus den Schlacken sondern und den Kern der Lehre suchen, um derentwillen ihr erhabener Schöpfer als Erlöser, Heiland, Beglücker und Retter des Menschengeschlechts gepriesen wird, in einem ungleich höheren Sinne, als je ein Gott der Heiden gepriesen wurde. An Redensarten der Prediger halten wir uns nicht mehr; das allgemeine Losungswort unsers Zeitalters ist: Klarheit in allen Dingen! Die Mythologie kann also einen in seinem Werthe für die Religion unberechenbaren Beitrag liefern. Theologische Nebel müssen zerstreut werden; der blosse Glaube bessert die Welt nicht nur nicht, sondern wirft sie wieder und immer wieder in das alte Irrsal des Menchengeschlechts zurück. Derjenige, der das Heidenthum umfassend kennt und mit dem Christenthum vergleicht, ist berufen, eine Sichtung vorzunehmen, die vielleicht allein genügen könnte, den ebenso flachen als trotzigen Einwürfen gegen das Christenthum einen Damm zu setzen, ein für allemal.

Zweitens aber (und das ist verhältnissmässig leicht) hat die Wissenschaft der vergleichenden Mythologie nach allen Seiten hin festzustellen, was aus dem hehren Christenthum geworden ist, seit es in die Hände des römischen Bischofs und seiner Nachfolger im Mittelalter fiel. Der Umstand, dass von Rom aus einstmals die Welt beherrscht wurde, brachte die römische Priesterschaft auf den übermüthigen Gedanken, dass ihr Oberhaupt berufen sei, Christi Stellvertreter in allen Landen zu spielen und das höchste weltliche Zepter auf der Erde zu schwingen, nicht blos über alle Geistliche, sondern auch über alle Bekenner des christlichen Glaubens sammt ihren Staaten und deren Regenten. Der geheime Bund der Christen schlug, als er allmälig erstarkt war und heldenmüthig für das Wohl der Menschheit gekämpft hatte, in die ärgste und ruchloseste Tyrannei über. Unsägliche Blutströme sind in Folge des Papstthums, zu welchem das Christenthum geworden war, im Laufe der Jahrhunderte geflossen; der alte Moloch Asiens gleichsam war wiedergekehrt, um Massenopfer für seinen Schlund zu fordern und die Blume der Menschheit schlimmer abzusengen, als es je im Heidenthume geschehen war. Denn im letzteren gab es eine blosse Schlächterei und thierischen Leibermord, zum Beweise errungener Herrschaft; im Papstthum galt es die absichtliche und absolute Vernichtung des Menschengeistes, wenn eine solche möglich wäre, damit man die Völker, nach Köpfung der edelsten Häupter, zu gedankenlosen Heerden mache, zum Gegentheil dessen, was der Stifter des Christenthums gewollt hatte. Und weit war die ungeheure Verderbniss schon vorgerückt. Nur unter den urkräftigen, germanischen Völkerstämmen vermochte die römische Brutalität zum eigentlichen Siege nicht zu gelangen. Deutscher Geist brach den Zauber.

Genug, es trat eine lange Epoche ein, worin das Christenthum lediglich desshalb auf die Erde gekommen zu sein schien, um die Unmenschlichkeit des barbarischen Heidengeschlechts zu überbieten. Wie aber wurde ein solcher Missbrauch der christlichen Lehre möglich? Darauf hat die vergleichende Mythologie zu antworten,[63] und sie wird die Antwort nicht länger schuldig bleiben, wenn sie sieht, dass auch heute noch die Gefahr des Menschengeschlechts nicht vorüber ist. Sie hat Punkt für Punkt nachzuweisen, wie jenes von den Aposteln fortgepflanzte Christenthum durch die römischen Päpste und deren über die fernsten Zonen verbreitete Heerschaar zum blanken und puren Heidenthum verkehrt worden ist, indem man mit beispielloser Hinterlist das uralte Pfaffenziel verfolgte, die neue Lehre zur Machtentfaltung blinder Priesterherrschaft zu benutzen; wobei den Pfaffen die Göttlichkeit und die ewige Wahrheit dessen, was Christus gebracht hatte, vollkommen gleichgültige Nebensache war. So schmuggelte man von Rom aus, dem Kochheerde der Ränke, von Epoche zu Epoche das Christenthum mit dem Heidenthum mehr und mehr vermischend, alle Schandgebräuche des Orients in die Abendländer und in die neuentdeckten Erdtheile unter die dummen und zur Verdummung bestimmten Völkermassen ein, ihnen des Himmels Seligkeit versprechend, aber die Hölle auf Erden bereitend. Die Wissenschaft der vergleichenden Mythologie hat also darzuthun, wie von den Bischöfen Roms mit orientalischem Garne das gewaltige Netz ausgesponnen wurde, worin man jenen grossen, anfangs zu guten Zwecken bekehrten Theil der Menschheit zu verketten suchte: wie man die besondere Heiligkeit der Priester aussprach, den römischen Bischof zum Herrn Aller erklärte, nach dem Beispiele des Orients die eine Zeitlang nützlichen Klöster für Mönche und Nonnen baute, geistliche Orden und Ordenshäuser gründete, die scheussliche und stets käufliche Sündenvergebung, die lächerliche Fürbitte mit Segenspendung und Strafandrohung, den hässlichen Beichtstuhl, das abscheuliche Cölibat einsetzte: Alles, wie es längst im heidnischen Orient bestanden hatte. Desgleichen entlehnte man geistlose Gebetsformeln mit dem Gebrauche des Rosenkranzes, absonderliche Bussübungen, die Anordnung allgemeiner Wallfahrten und Prozessionen dem Bonzengezüchte des fernen Morgenlands, wohin das Christenthum noch nicht vorgedrungen war; der römische Papst selbst setzte sich die dreifache Mütze (Krone) der orientalischen Papstungeheuer auf, und - die Vielgötterei kehrte wieder! Denn ganz treffend ist der bekannte Ausspruch, dass die Päpste für Alles Heilige machen, die angebetet werden, wie die antiken Völker einst und ihre Priester für Alles Götter machten. Und so liefe die Sache darauf hinaus, dass der Vorwurf gerechtfertigt ist, wenn von dem Christenthum, besonders von dem päpstlichen, behauptet wird, dasselbe sei eine neue Mythologie.

Nicht genug, dem römischen Christenthume ist in unsern Tagen schliesslich die heidnische Krone aufgesetzt worden. Die christliche Welt hat am 18. Juli 1870 in dem römischen Papste einen sichtbaren Götzen erhalten! Somit ist das orientalische Lama endlich vollends zu Stande gekommen, oder das goldene Kalb ist wieder erstanden, welches Moses einst, vom Berge Sinai steigend, zornig in Stücke schlug. Man staunt, zu erleben, dass es heutzutag im kultivirten Europa noch Menschen giebt, welche keine Scham fühlen, einen Mitmenschen als ein unfehlbares Götterwesen zu betrachten und zu verehren. Doch freilich, der ganze Römerkultus ist - Schein.

Welche Bewandtniss es habe mit der Ausbreitung der römischen Papstreligion unter den Heiden, zeigen uns mehr als zur Genüge amerikanische Beispiele. Die Frage, ob überhaupt der Versuch zur Bekehrung der Indianer und anderer Völkerschaften nothwendig und nicht vielmehr verfrüht, voreilig, unnütz gewesen sei, lassen wir zur Seite. Erfolgreich für die Kultur sind die Bekehrungen nicht ausgefallen; im Gegentheil scheint es, dass es besser gewesen sein würde, jene Naturmenschen bei einer Religon zu lassen, die nicht schlechter war als die, welche man ihnen[64] aufzuzwingen suchte. Der Grund und Boden zu so rascher Bekehrung fehlte. Mit vollem Rechte pflegte sich mancher Indianer, wenn man ihm den christlichen Gott aufdisputirt hatte, über die Persönlichkeit desselben zu wundern; denn früher sah und hörte der Wilde seinen Gott, wie alle Heiden, zunächst in den Wolken, im Windesbrausen, im Blitz und Donner. Nun vermag er nirgends mehr einen Gott zu finden. Ein anderes Bedenken stellen die Bewohner der mitten im stillen Meere gelegenen Toncha-Inseln auf, wie uns Friedrich Gerstäcker neuerdings berichtet hat. Diese kindlichen Seelen hegen von ihren Vätern her den Glauben, dass die besagten Toncha-Inseln allesammt aus der Tiefe herausgeangelt worden seien. Wenn sie nun von den Missionären hören, dass der christliche Gott die ganze Welt mit einem einzigen Worte erschaffen habe, so schütteln sie den Kopf mit der Einwendung; »wie sollen wir das glauben, wenn ihr uns einerseits nicht einmal glauben wollt, dass einer von unsern Göttern die kleine Insel, auf der wir wohnen, mit einer Angel aus dem Meer heraufgezogen habe? Ihr könnt ja den Platz noch deutlich sehen, in welchem der Haken eingegriffen hat!« Dabei zeigen sie auf eine Höhle, die sich in irgend einem Felsen des Eilands befindet, und versichern, das sei der Platz, wo man die Spur, dass der von dem Gotte niedergelassene Angelhaken gefasst habe, noch heute sehen könne.

Doch wie ist das Bild der Religion beschaffen, die jene Bekehrer (vornehmlich Jesuiten) zum Heile der Sterblichen nach Amerika transportirt haben? Zwei Beispiele wollen wir anführen, das eine von Mexiko, das andere von Chili, beide äusserst ähnlich. Ein Augenzeuge schildert uns in der Allgemeinen Zeitung (28. September 1870) die erstaunenswerthe Herrlichkeit des unter den Mexikanern angezündeten römischen Gottesdienstes oder vielmehr Vielgötterdienstes. Nachdem vorausgeschickt worden ist, dass die auserwählten Diener Gottes, die abgesandten Prediger-Mönche und später auch die Weltgeistlichen, sehr kluge und praktische Gesellen waren, die es trefflich verstanden haben, die Gebräuche des altmexikanischen Kultus den ihrigen anzupassen und einzelne der alten Götter mit den neuen Heiligen zu verschmelzen, giebt unser Augenzeuge die folgende Erklärung davon, wie es den Pfaffen gelungen ist, diesen Barbaren das Heil der Seele und die ewige Seligkeit anzuweisen. »Die alten Azteken,« sagt er, »verehrten neben einem höchsten Wesen von grösster Vollkommenheit und Reinheit dreizehn Hauptgottheiten und mehr als zweihundert geringere, welche über die Elemente, den Wechsel der Jahreszeiten, die verschiedenen Beschäftigungen der Menschen walteten, deren jeder besondere Tage und Feste geheiligt waren, und deren meist abschreckend hässliche Nachbildungen die Penaten jedes Hauses bildeten. Was war natürlicher, als dass die mexikanischen Indianer in dem katholischen Heiligendienst, dessen Bedeutung ihnen verborgen blieb, den Bilderdienst ihrer alten Religion wiederfanden? Die Unzufriedenheit der Eingebornen mit ihren eigenen Göttern, die das Land nicht zu schützen vermocht hatten, und ein merkwürdiges Zusammentreffen einzelner Lehren und Gebräuche ihrer Religion mit den Glaubenssätzen und Bräuchen der Eroberer erleichterten den Uebergang zum Christenthum. Auch der Hauptgott der Azteken, Huitzilopóchtli, der mexikanische Mars, soll von einer unbefleckten Jungfrau geboren sein. Auch sie kannten eine Art von Taufe und Communion. Stirn und Lippen der neugebornen Kinder wurden bei Ertheilung eines Namens mit Wasser benetzt, mit Blut gemischtes Maisbrot, Fleisch der Gottheit, wurde bei festlicher Gelegenheit unter das Volk ausgetheilt. Das Kreuz war ihnen Emblem des ersehnten Regens. Ihr Todtenfest fiel fast auf denselben Tag wie das Allerheiligenfest. Kann es Wunder nehmen, dass der heilige Geist mit dem heiligen Adler der Azteken,[65] der Apostel St. Thomas, welcher von Peru nach Mexiko gekommen sein soll, mit ihrer edelsten Gottheit - Quetzalcoatl - identifizirt ward, die, als sie der Sage nach das Land verliess, ihre spätere Rückkehr verkündet hatte, und dass man sogar den Namen Mexiko für fast identisch mit dem hebräischen Namen des Messias erklärte?« Dann fügt der Berichterstatter hinzu: »nicht durch Aufklärung, sondern durch den Glanz der Ceremonie und das Bild des leidenden Erlösers riss der katholische Missionär seine ungebildeten Zuhörer mit sich fort;« wie denn schon A. von Humboldt bemerkt habe: »Dogma ist nicht auf Dogma gefolgt, sondern Ceremonie auf Ceremonie; die Eingebornen wissen nichts von Religion als die äusseren Formen des Gottesdienstes.« So erkläre sich leicht, wie auch heute noch das übertünchte Heidenthum vielfach in den nur der katholischen Kirche in Mexiko eigenthümlichen Gebräuchen hervortrete; ebenso erkläre sich daraus die Rolle, welche Tänze, Pantomimen und seltsame Verkleidungen an christlichen Festen, selbst während der Prozessionen und sogar vor und nach der Messe, in der Kirche spielen. Um nur einer von diesen Schaustellungen zu gedenken, »am Jahrestage der heiligen Jungfrau von Guadalupe werden in der Kirche selbst die groteskesten Indianertänze zwischen den gottesdienstlichen Handlungen aufgeführt. Männer und Weiber und mit Pferdefuss, Hörnern und Schweif angethane Teufel springen zur Erheiterung der andächtigen Gemeinde, nicht immer mit anständigen Geberden, vor dem Altar umher, und Teufel und Weiber bekommen manchmal die grosse Peitsche zu fühlen, womit die Männer sich den Takt zum Tanze schlagen.« So viel aus der Mittheilung unsers Augenzeugen, der immer noch mit der Sprache etwas zurückhält; denn seine Worte lassen in dieser Kritik des mexikanischen Gebahrens den Hintergrund offen, als ob in dem »katholischen Heiligendienst« wirklich eine »Bedeutung« stecke, die sich losmachen könne, und als ob »das katholische Christenthum« anderwärts, wenn auch nicht in Mexiko, irgend einen Anspruch auf den Namen reinen Christenthums habe. Nur so freilich ist der Berichterstatter im Stande, von »übertünchtem Heidenthum« zu reden. Die Sache ist zu ernst, als dass man dergestalt über Religion sich äussern sollte, vorausgesetzt, dass derjenige welche hat, der sie so bespricht, nämlich oberflächlich oder halbironisch.

Das zweite Beispiel von Chili nimmt sich keineswegs christlicher aus. Wir wollen als Gewährsmann einen Franzosen reden lassen, den Schriftsteller Gustave Aimard, also einen Mann unserer Tage, der sicherlich ein ächter Katholik ist. »In Chili,« schreibt er wörtlich, »ist die katholische Religion so zu sagen ganz äusserlich; ihr Kultus besteht aus zahlreichen Festen, die mit Pomp in den von Lichtern, Gold, Silber und Edelsteinen schimmernden Kirchen gefeiert werden, und aus endlosen Prozessionen, die sich unter einem Blumenregen mitten durch die Wolken von ununterbrochen brennendem Weihrauch hinziehen. In diesem von der Sonne geliebten Lande ist die Religion ganz Liebe (!); die feurigen Herzen, welche es bevölkern, kümmern sich nicht um theologische Streitigkeiten: sie lieben Gott, die Jungfrau und die Heiligen mit der Anbetung, Selbstverläugnung (!) und Hinreissung, welche sie in alle ihre Handlungen legen.« Also sind sie doch die herrlichsten Christen, die es geben könnte, - sollte man denken. Allein Herr Aimard fährt harmlos fort: »der Katholicismus ist für sie, ohne dass sie es ahnen, in eine Art Heidenthum umgestaltet, das (setzt Aimard mit ächter Logik eines sehr klugen Franzosen hinzu) nicht begründet ist, aber dessen Existenz nicht geläugnet werden kann. So gestehen sie stillschweigend dieselbe Macht irgend einem Heiligen wie der Gottheit selbst zu, und wenn die meisten unter ihnen ihr Gebet an die Jungfrau richten, ist es nicht Maria, die Mutter des[66] Erlösers, welche sie bitten, sondern Nuestra Señora-de-los-Dolores, Nuestra Señora-del-Carmen, Nuestra Señora-de-Quadalupe, Nuestra Señora-de-la-Soledad, Nuestra Señora-del-Pilar, Nuestra Señora-de-Quamantanga und zehntausend andere Unserer Frauen! Eine Chilenin würde nicht unschlüssig sein, mit völliger Ueberzeugung zu sagen, dass sie der Nuestra Señora-de-la-Sierra ergeben ist, weil sie viel mächtiger sei, als die Nuestra Señora-del-Carmen und ebenso andere. Wir erinnern uns, eines Tages in der Kirche der Nuestra Señora-de-la-Merced zu Valdivia gehört zu haben, dass ein würdiger Haciendero andächtig Gott den Vater bat, sich für ihn bei der Nuestra Señora-del-Pilar zu verwenden, damit er eine gute Ernte erhalte.« Ausser vielem andern bemerkt noch Herr Aimard, dass Alle für Alles um Hülfe angerufen werden, selbst für das Gelingen der Rache; und »dass die Zahl der Geistlichen von allen Sorten und Farben, Mönchen und Nonnen, eine unendliche« sei.

So weit der genannte Franzose, der sich, wie aus einzelnen Sätzen hervorgeht, über die sonst »so wunderbar entwickelte« Religion der südlichen Völker im Grunde seines Herzens lustig zu machen scheint; aber sieht es etwa, diesen von ewigen Bürgerkriegen durchwühlten Reichen gegenüber, im »schönen« Frankreich selbst viel besser aus? Wahrlich, eine treffendere Satire als diese hätte Herr Aimard auf »die grosse Nation« nicht schreiben können. Luxus statt der Kultur, Trug statt der Wahrheit, und statt der Sittlichkeit eine gränzenlose Verwilderung der Sitten verrathen sich rings, wo die römische Lehre mit ihrer Entstellung des Christenthums zur neuesten Mythologie sich eingenistet hat.

Eins ist gewiss: der Klerus drängt unter dem Vorwande der Religion seit langen Jahrtausenden überall zur absoluten Herrschaft über die Völker, ein jedes Mittel ist ihm dazu recht, das Ziel der Menschheit fremd und gleichgültig. Die heutige Civilisation kämpft mit ihm abermals »den Kampf um das Dasein«. Die Naturwissenschaft ist die neue grosse Waffe, die uns Gott zum Siege verliehen hat. Was würde aus Deutschland geworden sein, wenn die hinter den Kriegen stehenden Jesuiten 1866 ihr Spiel gewonnen hätten, oder vollends 1870, wo gleichzeitig mit dem ruchlosesten aller Friedensbrüche der römische Götze fertig gemacht worden war? Wohin schaute dieser Götze bereits mit verlangenden Blicken? Auf die Zertrümmerung des tüchtigen germanischen Menschenstammes; und wäre diese geglückt, so würden bald die Scheiterhaufen über ganz Europa wieder angezündet worden sein, um eine Barbarei herbeizuführen, die verhältnissmässig entsetzlicher ausgefallen sein würde, als irgend eine, die je zuvor in alten Zeiten die Menschheit umnachtet hat. Denn im Heidenthum erhoben sich wenigstens einzelne Völker, bei welchen eine hohe Kultur blühen konnte. Unsere Kultur dagegen, einmal zerschmettert, würde bis auf die letzte Blume ausgerottet worden, und so lange ausgerottet geblieben sein, bis die Völker unter einem namenlosen Blutregen sich wieder aufgerafft hätten.

Aus den obigen Abschnitten leuchtet denn die allgemeine Wichtigkeit ein, welche die Mythologie hat, zumal wenn sie zur vergleichenden Wissenschaft wird. Der absolute Werth derselben für das Menschengeschlecht ist unbeschreiblich. Erstens bildet sie eine allbedeutsame Vorgeschichte, welche in die Geschichte selbst hineinragt. Zweitens ermöglicht uns ihre Kenntniss die gründliche Auffassung so vieler klassischer Schriftwerke, welche von den alten Nationen glücklich zur heutigen Welt gedrungen sind; ja, diese Kenntniss ist für das volle Verständniss nicht nur dieser Klassiker, sondern auch der modernen Schriftwerke geradezu unentbehrlich, da die letztern von jenen antiken Erinnerungen durch und durch erfüllt sind.[67] Drittens dehnt sich die Nothwendigkeit, den Inhalt der Mythologie zu kennen, auf das Verständniss und die Schätzung der Werke aus, welche dem Reich anderer schöner Künste angehören, der Malerei, Bildhauerei und Architektur. Und zwar gilt der dritte Punkt ebenso von den zur Nachwelt überlieferten Resten als von den Leistungen der neueren Meister auf diesen drei Kunstgebieten.

Wir wollen hier nur auf das Verständniss der griechischen und römischen Klassiker einen Blick werfen. Wer könnte ohne Einblick in das hellenische Göttersystem einen Homer, Pindar und die dramatischen Dichter Athens begreifen? Wer könnte sich rühmen, dass er den lateinischen Text des Virgilius fasse, ohne mit dem mythologischen Hintergrunde des Ganzen und seiner tausendfältigen Einzelnheiten, kurz, mit der Anschauung der alten Welt möglichst bekannt zu sein? Lesen wir unter anderm den ersten Gesang der Aeneïde, eines Gedichts, worin nicht blos von der trojanischen Epoche erzählt wird, sondern der ganze damalige Himmel Griechenlands und Roms ausgespannt ist: wie könnte ein Deutscher ohne Einsicht in die Götterlehre und das Sagenthum beider Völker folgende Stellen verstehen, die wir nach der vortrefflichen Uebersetzung des Virgilius von Wilhelm Binder mittheilen? Räthselhaft würden einem solchen Leser diese Darstellungen klingen, oder vielmehr, man würde sie - ungelesen lassen. Juno tritt erzürnt auf, als sie den aus Troja entkommenen Aeneas mit seinen Genossen über das Mittelmeer nach Italien segeln sieht:

»Auch nicht waren des Zorns Ursachen, die grausamen Schmerzen

Ihrem Gemüth entfallen: in innerster Seele bewahrt sie

Paris' richtenden Spruch und die Schmach der verachteten Schönheit

Und das verhasste Geschlecht und das Amt Ganymeds, des Entführten?«

Was thut daher die Juno? Sie wendet sich an Äeolus, den Gott der Winde, damit er einen Sturm errege, der die Schiffe verschlinge:

Dort zähmet in räumiger Bergkluft

Aeolus kämpfende Wind' und die laut auftosenden Wetter

Durch obherrschende Macht und zwingt sie mit Band und Gefängniss.

Unmuthsvoll umtoben bei lautem Gemurmel des Berges u.s.w.

Aeolus gehorcht und entfesselt die Winde. Neptun bemerkt es und mischt sich zu Gunsten der Troer in die Sache; die Schiffe werden von der spitzigen Klippe weggedrängt.

Neptun enthebet sie selbst mit dem Dreizack,

Oeffnet des Sands ungeheueren Wall und beruhigt die Wasser,

Gleitet dann über den Spiegel dahin auf geflügeltem Wagen.

Die mit Aeneas geretteten hungrigen Troer gewinnen das Ufer und zünden ein Feuer an, um die Mahlzeit zuzurüsten.

Ceres' Geschenk, von den Fluthen verletzt, und Geräthe der Ceres

Holen die völlig Erschöpften herbei, das gerettete Korn dann

Rösten sie flugs an der Flamm' und zermalmen es zwischen den Steinen.

Darauf werden Jupiter, Venus, Ceres, Amor und andere Götter sammt der Königin Dido vorgeführt. Wie soll ein Deutscher, der in dieses Gedicht blickt, eine Ahnung von dem Sinne haben, wenn ihm jene Gestalten fremd wären? Was soll er sich von Juno, Jupiter, Aeneas, Neptun, Ceres, Venus, Amor denken? Was von Aeolus, von Paris, Ganymedes, Bacchus und Triton? Wie soll ihm eine Darstellung klar werden, die ihm nicht gleichgültig sein kann, da ihr Stoff von welthistorischem Interesse ist und die Gründung Roms betrifft? Die antike Welt würde vor ihm wie mit Brettern verschlossen bleiben.

Nicht besser, eher noch schlimmer, müsste es uns mit den Werken der andern Künste ergehen. Betrachten wir ein Paar Gemälde eines grossen, neueren[68] Meisters. Das eine bietet »den Kampf der Trojer und Achäer um den Leichnam des Patroklos.« Zur Rechten sehen wir den siegreichen Hektor mit seiner Schaar bis zur Umwallung der an den Strand geschobenen griechischen Schiffe vorgedrungen, während die von Ajax geführten Achäer zurückweichen. Auf der Zinne des Walles aber steht Achilles, die Feinde bedrohend, die ihm den Freund getödtet haben: Pallas umloht den zürnenden Helden mit den Blitzen des Jupiter. Das zweite Gemälde schliesst »die Unterwelt der Griechen« vor unsern Blicken auf. In der Mitte des Reiches thronen der Gott des Hades Pluton und seine traurig finstre Gemahlin Persephone (Proserpina); zur Linken wachen die Todtenrichter, welche den durch Charon übergeschifften Seelen der Schatten ihr nunmehriges Loos bestimmen. Eben naht sich der Sänger Orpheus dem Throne; er ist in die Unterwelt gestiegen, um seine gestorbene Gemahlin Eurydice auf die Oberwelt zurückzuholen, wenn die Bitte erhört werden sollte. Er schlägt die Leier, in deren Saiten Eros (Amor) beseligend eingreift; die melodischen Klänge bezaubern das ganze Todtenreich, die furchtbaren Erinnyen (Furien) schlummern ein, die Danaïden rasten in ihrer vergeblichen Arbeit, der Kerberos selbst lässt stumm seine Köpfe hängen, und Eurydice lauscht auf ein Zeichen des Pluton, das ihr gestatte, den geliebten Gatten an das Licht zurückzubegleiten.

Beide Darstellungen des Malers würden einem Jeden, der in die Götterlehre und Sagengeschichte der Griechen uneingeweiht ist, ein verworrenes Räthsel bleiben, ihrem gesammten Gegenstande nach, wie sehr der Beschauer auch die Kunst anstaunen möchte, die auf die Ausführung des Stoffes verwendet worden ist. Oder meint man, dass dergleichen Stoffe überhaupt von dem Pinsel der Neuzeit abzuweisen wären, weil sie uns fremd und gleichgültig erscheinen müssten?

Im Gegentheil; denn viertens müssen wir kurz, aber nachdrücklich, um den absoluten Werth der Mythologie zu kennzeichnen, auf die Vortheile aufmerksam machen, welche namentlich die Poesie und Kunst aus der Benützung der mythologischen Quellen nicht blos heute zieht, sondern immerdar ziehen wird. Der Inhalt derselben umfasst einen unerschöpflichen Schatz von Vorstellungen, Ideen, Bildern, Gleichnissen und Redewendungen, welche hie und da sich vortrefflich eignen, unseren Gedanken und Gefühlen schmuckreiche Züge zu verleihen, die, obgleich der fernliegenden Urzeit entnommen, eines bleibenden Reizes für das Heut sowohl als für die späteste Zukunft sicher sind. Die Dichter und Redner haben das unbeschränkteste Feld: sie dürfen aus allen Zonen und Zeiten Alles von unseren Urvorfahren Gedachte zusammentragen und auswählen, was sie für ihren momentanen Gebrauch nützlich und werthvoll erachten; die einzige Forderung, die dabei an sie gestellt werden muss, ist, dass sie dem Verständniss und dem Geschmack Rechnung tragen. Dem Maler dagegen und dem Bildhauer bieten vorzugsweise die Griechen ihre Ideale, ebenso dem Architekten, der aus den Trümmern ihrer Meisterhand sich unterrichtet. Bekannt ist, dass die mythologischen Quellen ebenso originell als interessant fliessen. Was nöthigt uns jemals, diese Bereicherung und Verschönerung menschlichen Gedankenflugs aus unsern Gärten abzuweisen? Es wäre nur die Beschränktheit, die ein solches Ansinnen aus dem Grunde stellte, das Alterthum nicht kennen lernen zu müssen, weil es eine lästige Zugabe sei! Unter anderm, warum sollten wir nicht einen fortdauernden Gebrauch machen von dem Charakter des Ormuzd und Ahriman, von der Erwähnung der persischen Lichtgeister und ihrer Kämpfe mit den Höllengeistern? Warum schweigen von dem Walten des Odin, des Thorr und Loki, von dem Einfluss der Nornen, von dem Amt der Walkyren, von dem Loose Siegfrieds und Chriemhilds? Warum nicht mehr reden von der[69] Macht des Jupiter, von junonischer Schönheit, von dem Liebreiz der Aphrodite (Kypris, Venus), von den Pfeilen des Amor, von Musen, Grazien und Furien, von Parzen und Gorgonen, von Helden wie Herkules, Theseus und Achilleus, kurz, von Myriaden anderer grosser und erhabener Erscheinungen, welche die Mythologie berichtet? Könnte man nicht, mit gleichem Rechte, ein Aufgeben der Geschichte und ihrer Personen, Charakterzüge und Lehren fordern? Alle diese Fragen stellen wir den Gegnern der Mythologie, den Unkennern derselben, den einseitigen Verächtern alles dessen, worin sie eine fremde, der eigenen Nation nicht angehörige Vorstellung wittern. Als ob irgend eine Nation gut thun würde, sich loszusagen von der früheren Menschheit und von den mitlebenden Völkern! Aus den Banden der Gemeinsamkeit kann sich Niemand ohne Schaden zurückziehen. Ein Entsagen auf dem Gebiete der Mythologie wäre eine muthwillige Selbstberaubung; nach allen obigen Andeutungen liegt keine vernünftige oder beachtenswerthe Veranlassung vor, dass man sich aus Grundsatz und absichtlich zahlloser Geistesfunken und Lichtblüthen, welche aus der Vorzeit stammen, wie welker und todter Blätter entäussern und begeben müsse. Selbst die Volkspoesie, die manche Menschen für die höchste Stufe der Dichtung schätzen, würde ihre Zweige kahl machen, wenn sie innerhalb der Schranken ihrer vier heimischen Pfähle sich festbannen und auf die schmuckreichen Gaben alter und fremder Geschlechter, ebenso eigensinnig als kurzsichtig, verzichten wollte.

Fünftens möchte es uns vielleicht erlaubt sein, auch den Naturforschern einen Wink zu geben, dass die Mythologie eine Weltbedeutung habe. Vortrefflich sind Experimente, wodurch sie in die Natur eindringen; vieles Unverhoffte und Wundervolle erläutern sie zum Heile der Menschheit. Aber was sie durch Experimente erreichen, ist noch bei weitem nicht die volle Wahrheit selbst; denn die Wahrheit befindet sich auch in Regionen, die nicht handgreiflich sind. Möchten sie nebenher ihren Fleiss mit gleichem Ernste auf die Betrachtung und Erforschung des Geistes richten, nicht blos der organischen und unorganischen Materie. Wie wenig hat man den Menschen nach seinem geistigen Theile, der so uralt ist wie der Körper, geprüft, erforscht und begriffen! Will man seine Unsterblichkeit bezweifeln? Nun, er macht sich ja durch die gewonnene Fixierung seiner Gedanken, seiner Gefühle, seines innern Wesens schon auf dieser Erde gewissermassen unsterblich; die Existenz eines Geistes erhält sich, durch Worte gesichert, auf ferne Jahrtausende hinaus! Dem Materialisten werden wir dann glauben, dass es keinen Geist giebt, wenn er uns mit Beibringung überzeugender und vollgültiger Beweise sagen wird, was eigentlich die Sonne ist, oder was der Mond. Und der Geist, den sie verneinen, ist mehr als Sonne und Mond. Bis auf diesen Tag weiss weder ein Materialist noch sonst Jemand zu erklären, was ein blosses Baumblatt ist, geschweige denn, dass eine Menschenhand ein solches erzeugen, schaffen, machen könnte. Wo also will diese heutige menschliche Ueberhebung und Anmassung hinaus ? Inzwischen sind wir so frei, zu behaupten, dass die meisten Naturforscher unseres Zeitalters, wie sehr sie sich brüsten mögen, nicht in Harmonie mit Natur und Geist sich befinden, sondern in Disharmonie. Man möchte sagen, sie haben die Fähigkeit für die Einsicht in die ewigen Gesetze der Dinge verloren. Die Vollkommenheit der Weltharmonie ahnt und begreift einzig und allein der wahre Dichter, in welchem Alles Harmonie ist; er vernimmt den göttlichen Klang, in welchem der menschliche Geist und das unsichtbare Leben der Seele sich ausdrückt und seine irdische Form gewinnt.

Leipzig, am Neujahrstage 1874.

Johannes Minckwitz.[70]

1

Katechismus der Mythologie aller Kulturvölker. Leipzig 1874, dritte Auflage.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. XL40-LXXI71.
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