Ach (2)

[145] 2. Ach, eine Interjection, welche der natürliche Ausdruck nicht nur aller Leidenschaften, mit allen ihren Schattirungen, sondern auch aller Gemüthsbewegungen und lebhaften Vorstellungen überhaupt ist. Es ist also, und zwar 1) eigentlich und zunächst, der Ausdruck des Schmerzens, und zwar nach allen seinen Stufen und Abänderungen. Ach, ich Unglücklicher! Ach, wie schmerzet diese Wunde! Ach und weh! Daher die gemeine Redensart, Ach und weh schreyen. In dieser Bedeutung wird Ach! auch zuweilen als ein Substantiv gebraucht, welches indeclinabel ist, und alsdann bedeutet es so wohl den Ausbruch der schmerzhaften Empfindung durch Seufzer, als auch den Schmerz selbst. Mein Ach ist deine Freude.


Das Ach, das ihn mitleidig machen soll,

Gell.


Manich ach

Fueget mir dü reine,


sang Werner von Teufen, unter den Schwäbischen Dichtern. 2) Der Angst. Ach, wie beklemmt es mir das Herz! Ach, wie schlägt mir das Herz! Ach, ach, ich bin des Todes! 3) Der Furcht. Ach, was wird dieses Anzeichen bedeuten! 4) Des Schreckens. Ach, ein Geist! ein Geist! Ach, mein ganzes Geblüt starret mir in den Adern! Ach, das ist ja erschrecklich! 5) Des Unwillens. Ach, daß ich jetzt nicht Zeit habe, dich nach Verdienst zu strafen! Ach, daß du kalt wärest! Ach, wir brauchen deiner Hülfe nicht! Ach, denken sie mir nur nicht wieder daran! Ach, warum wird er dich denn[145] nicht haben wollen! 6) Des Mitleidens, der Bedaurung Ach, das ist ewig Schade! Ach, daß der gute Mann gestorben ist! Ach, du armes Kind! 7) Der Wehmuth, des Grames. Ach, liebstes Kind, Julchen wird glücklicher, weit glücklicher, als sie! Gell. Ach, wenn ihr müßtet, was das gute Kind ausgestanden hat! Weiße. Besonders des zärtlichen Kummers, indem mit seinem Ach und O niemand verschwenderischer umgeht, als die Verliebten. Ach, ich Unglücklicher, wie gut wäre es für mich, wenn ich sie weniger liebte! Ach, werden sie es denn niemahls glauben, wie zärtlich ich sie liebe? 8) Der Klage. Ach, bin ich doch so müde! Ach, die Haussorgen nehmen einen gar sehr mit! 9) Der Sehnsucht, des Verlangens, des Wunsches. Ach, wollte doch der Himmel, daß ich etwas zu ihrer Beruhigung beytragen könnte! Ach, warum kann nicht die ganze Welt ihrer Großmuth zusehen! Ach, hätte ich diese unglückliche Entdeckung doch nie gemacht! Ach, lassen sie mich es doch sehen! Ach ja, thun sie es doch! 10) Des Beyfalls, des Vergnügens, der Freude, der Entzückung. Ach, das ist schön! Ach, wie entzücken sie mich durch ihre Güte! Ach, hören sie doch, was für ein Glück uns bevor steht! Ach, wie froh bin ich, daß ich ihn nicht gesehen habe! Ach, was ist der Umgang mit großen Herzen für eine Wollust! Gell. 11) Der Bewunderung. Ach, was für ein vortrefflicher Mann er nicht ist! Ach, das ist ja etwas Englisches! Ach, Himmel! mit welcher Annehmlichkeit, mit welcher Unschuld sagt sie dieß! Gell. 12) Endlich begleitet dieses Wörtchen oft auch weit schwächere Empfindungen, und da dienet es der folgenden Rede gleichsam zum Eingange, anzudeuten, daß das Herz seinen Antheil daran habe. Ich habe ihnen recht viel zu sagen, ach viel. Ach, es nichts zu sagen. Ach, wenn sie so hübsch ist, wie ihr seyd, so muß das ein artiges Pärchen werden, Weiße. Indessen ist nicht zu läugnen, daß es oft sehr übel angebracht wird, und besonders im gesellschaftlichen Umgange von manchen Personen auch an solchen Stellen eingeflickt wird, wo kein begreiflicher Antheil des Herzens vorhanden ist, wohin denn das so gemeine ach ja! ach nein! ach freylich! und andere Kernausdrücke der gezierten Sprechart, in den meisten Fällen gehören.

Anm. 1. Ach ist der Schall, den der von einer beängstigten Brust ausgestoßene Athem verursacht. Es ist die natürliche Sprache des Herzens, und daher ist es sich auch, so wie dieses, unter allen Himmelsstrichen und in allen Sprachen gleich. Der Hebräer seufzete אח und אחח der Grieche υ, α, und υι, αι ohne Hauchlaut, der Lateiner Aha, Ah, der Perser Ah. S. auch Ächzen. Einige Deutsche gröbere Mundarten haben ihr och! und die Niedersachsen ihr o! außer wenn es einen Beyfall, eine Bewunderung ausdrücken soll, welche Empfindungen sie lieber mit aa! an den Tag legen.

2. So wie sich die Leidenschaft keiner Regel unterwirft, so bindet sich auch dieses Wörtchen an keine bestimmte Wortfügung. Wenn es ein Nennwort bey sich hat, so steht dieses an häufigsten in der ersten Endung. Ach, ich armer Mann! Etwas seltener findet man es mit der zweyten. Ach miner not, klagt Heinrich von Frawenberg, einer von den Schwäbischen Dichtern. Ach meines Jammers und Herzeleides! Jer. 10, 19. Wenn man es mit der dritten Endung findet, so rühret diese von dem ausgelassenen weh her, welches oft mit ach verbunden wird. Mit der vierten Endung, z.B. ach mich armen! ist es wohl eine Nachahmung des Lateinischen, obgleich schon Notker, vermutlich durch die Vulgata verleitet, ah mih! hat.

3. Gemeiniglich stehet ach zu Anfange des Satzes, der die Empfindung entwickelt; aber es kann seinen Platz auch hinter[146] einem oder mehrern Worten finden; ein Umstand, der besonders den Dichtern wohl zu Statten kommt.


Mitleidig, ach! verweilte,

Ich keinen Augenblick,

Weiße.


Gnug, Hannchen war für mich geboren,

Und, ach! sie ist verloren,

Ebend.


4. Wenn die Empfindung, welche dieses Wörtchen ankündiget, so stark ist, daß sie sich durch einen wahren Ausruf äußert, so erfordert es auch das Ausrufungszeichen; nur daß dieses zu Ende des ganzen Satzes, der den Ausruf enthält, gesetzet, das ach aber bloß mit einem Komma begleitet wird; ach, welch ein Schmerz! Macht dieses Wörtchen aber einen Ausruf allein aus, wie in den oben angeführten Stellen, so bekommt es dieses Zeichen auch unmittelbar nach sich. S. die Orthogr.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 145-147.
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