Arm

[429] Arm, ärmer, ärmste, adj. et adv. welches überhaupt den Zustand der Beraubung einer Sache ausdruckt, und zwar,

1. In eigentlicher Bedeutung, des zeitlichen Vermögens beraubt. Ein armer Mensch, ein armer Mann, eine arme Frau. Arm seyn. Arm werden. Einen arm machen. Der ist nicht arm, der wenig hat, sondern der, welcher viel begehret. Er hat arm geheirathet, eine arme Person. Besonders der, welcher wegen Alter oder Leibesschwachheit seinen nothdürftigen Unterhalt nicht erwerben kann, in welchem Verstande besonders das Substantiv ein Armer genommen wird. Den Armen Gutes thun. Es ist ein Armer da. Wofür man im gemeinen Leben auch wohl das Neutrum ein Armes gebraucht. Es ist ein Armes da.


Daß jener diesen hier, der Junker einen Bürger,

Und er den Bauersmann, der Reich ein Armes haßt,

Opitz.


Arm wird in dieser Bedeutung mit mancherley Einschränkungen gebraucht. 1) In der weitesten Bedeutung nennet man einen jeden arm, der Mangel am Überflusse leidet, im Gegensatze des Reichen. 2) In etwas engerer Bedeutung ist der arm, der seinem Stande nicht gemäß leben kann. 3) In noch engerm Umfange der Bedeutung, welche zugleich die gewöhnlichste ist, wird nur der für arm gehalten, welcher an der Nothdurft Mangel leidet, sich aber doch dieselbe von Zeit zu Zeit zu verschaffen weiß; dürftig. Und endlich 4) in der engsten Bedeutung, welche besonders in den Rechten Statt findet, theils der, der ohne sein Verschulden in diesen Zustand gerathen ist, theils auch der, der wegen physischer Unmöglichkeiten nicht im Stande ist, seinen nothdürftigen Unterhalt zu erwerben. In diesem Grade arm heißt im gemeinen Leben auch blutarm, oder bettelarm.

2. In figürlicher Bedeutung. I) Einer jeden andern Sache beraubt, da denn die letztere mit der Präposition an ausgedruckt wird. Arm an Freunden. Arm an Freuden. Arm an Troste. Wer war reicher als Xerxes, und wer war ärmer an Zufriedenheit als er? Dusch. Eine arme Sprache, welche Mangel an Wörtern hat. Ein armer Gang, ein armes Erz, in den Bergwerken, welches wenig Metall enthält. In der biblischen R.A. arm am Geiste, zeiget an den Sitz der Armuth an, so wie arm an Geist, die mangelnde Sache, d.i. Geist oder Witz andeutet. 2) Unglücklich, beklagenswerth. Der arme Mensch! eine gewöhnliche Redensart, einen Unglücklichen zu beklagen. Ein armer Sünder, ein zum Tode verurtheilter Übelthäter, bey den Theologen aber ein Sünder, der ein lebhaftes Gefühl von seinem Elende hat. Im gemeinen Leben wird arm in dieser Bedeutung oft sehr verschwendet, und von einer jeden Person gebraucht, mit welcher wir einiges Mitleiden haben. Ein armes unerfahrnes Mädchen. Ich arme kranke Frau möchte vor Ärgerniß vergehen! Gell. Der Himmel vergebe es ihnen, daß sie mit mir armen alten Frau so spotten, ebend. Ach da kommt ja auch noch mein armer Mann wieder! ebend. 3) Der arme Mann ist in manchen Gegenden, z.B. in der Mark Brandenburg, ein Essen aus Butter und Brot. Bey den Müllern wird das Diebesloch, wohin sie das Getreide verbergen, das arme Männchen genannt.

Anm. Arm lautet bey dem Kero aram, und kommt mit dem Hebr. ערום, nackend, genau überein, dessen Bedeutung es anfänglich auch gehabt haben mag. Das Griech. ερƞμος, wüßte, Lat. acrumnae, sind vermuthlich auch nicht weit davon entfernt. Arm bedeutete schon bey dem Ulphilas elend, welchen Verstand auch das Angels. earm, earming, hatte. Im Schwedischen, Isländischen, Dänischen und Holländischen ist dieses Wort dem[429] Deutschen völlig gleich. In den mittlern Zeiten wurden nicht allein die Besitzer unadeliger Lehen, sondern auch alle Häusler, Beysassen, ja die Bürger und Bauern selbst, arme Leute genannt, über welche sich die Fürsten den Armenschutz anmaßten. S. Schilters Gloss. v. Arm, Gönne Abhandl. davon in den Erlang. gel. Anz. 1750, St. 45, 46. und Altes aus allen Theilen der Gesch. Th. 1, S. 707 f.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 429-430.
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