Einsam

[1733] Einsam, -er, -ste, adj. et adv. allein, von Dingen seiner Art entfernt. 1. Eigentlich. Einsame Thiere, welche sich nicht paarweise, noch in Haufen, sondern von andern ihrer Art abgesondert, aufhalten. Ich bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache, Ps. 102, 8. Ganz einsam hinter dem kleinen Lustwäldchen liegt ein altes Gebäude. In engerer Bedeutung, von der menschlichen Gesellschaft abgesondert. Ein einsamer Mensch. Er lebt sehr einsam. Ein einsames Leben führen. Einsam und verwaist um seine Freunde weinen. Die biblischen Ausdrücke, einsam lassen, einsam sitzen, Es. 49, 21; Esr. 9, 4, sind im Hochdeutschen ungewöhnlich. 2. Figürlich. 1) Der Menschen und der menschlichen Gesellschaft beraubt, von Örtern. Ein einsamer Ort. Eine einsame Stadt, welche wenig Einwohner hat, oder in welcher wenig Geschäftigkeit, wenig Lebhaftigkeit verspüret wird. Es ist hier sehr einsam. Die Stadt muß einsam werden, Es. 27, 10. Einsame, stille Wälder. 2) Von der Zeit, eine Abwesenheit des Geräusches der menschlichen Gesellschaft zu bezeichnen. Siehe die Nacht müsse einsam seyn, und kein Jauchzen darinnen seyn, Hiob 15, 34. Besonders bey den neuern Dichtern. Einsame Nächte. Die einsame Stunde der Mitternacht. 3) Was in der Einsamkeit empfunden wird; auch nur bey den neuern Dichtern. Ein einsames stilles Vergnügen. 4) Unverheirathet, im Oberdeutschen. Sie lebt einsam, ist einsam. 5) Kinderlos, ohne Kinder, doch nur in Luthers Deutscher Bibel. Er hat beleidiget die Einsame, die nicht gebieret, Hiob 23, 21. Die Einsame hat mehr Kinder u.s.f. Es. 54, 1.

Anm. 1. Außer diesen Arten des Gebrauches kommt einsam in der Deutschen Bibel noch in zwey den Hochdeutschen ganz fremden Bedeutungen vor. (a) Für einzeln. Von Mitternacht kommt ein Rauch, und ist kein Einsamer in seinen Gezelten, Es. 15, 31; d.i. von Mitternacht kommt ein großes Heer, welches nicht einzeln, sondern in ganzen Haufen einher ziehet. (b) Für einzig. Errette meine Seele vom Schwert, meine Einsame von den Hunden, Ps. 22, 21; wo es bey Herrn Michaelis heißt: Errette mein Leben vom Schwert, und dieß mein Einziges von den Jägern.

Anm. 2. Im Schwed. lautet dieses Wort einsam, im Dän. eensam. Im Isländ. bedeutet einsamal allein, solum. Bey den ältesten Oberdeutschen Schriftstellern kommt dieses Wort nicht vor, sondern sie bedienen sich statt dessen des einfachen ein, oder auch, wie Ottfried, des einluzze. Doch übersetzt Notker unitatem ecclesiae durch Einsamina. Es ist noch ungewiß, ob die Endsylbe die gewöhnliche Ableitungssylbe sam ist, (S. Sam,) oder ob sie von dem alten samman, versammeln, herstammet, wie Wachter und Ihre behaupten. Beynahe sollte man auf die Gedanken gerathen, daß sam in dieser Zusammensetzung noch eine dritte Bedeutung habe, und schon für sich genommen einsam bedeute, so daß das Zahlwort ein eine bloße Verstärkung ist. Denn in den Slavonischen Mundarten sind sam, samy, somotne und osamety, so viel als einsam. Dieß führet uns auf[1733] das Goth. sama, samo, das Isländ. same, samr, das Schwed. samme, Engl. same, und Pohln. sam, selbst, eben derselbe, auf das Goth. sams, eins, einzig, ein, so fern dieses letztere der Artikel ist, auf das Schwed. som, und Isländ. sem, welcher, wie auch auf das Schwed. somme, somlige, das Angels. sum, das Engl. some, das Alemann. sum, sumilih, bey dem Ulphilas sums, einige, und endlich auch auf das Latein. semel, Ein Mahl.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1733-1734.
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