Ge-

[439] Ge-, eine Sylbe, welche verschiedenen Redetheilen vorgesetzet wird, und bald eine gewisse bestimmte Bedeutung, bald aber auch keine, wenigstens keine jetzt noch bekannte, hat, in welchem letztern Falle sie aus dem Oberdeutschen Hauchlaute entstanden zu seyn scheinet. Die Redetheile, welche diese Vorsylbe annehmen, sind:

I. Zeitwörter, wo

1. Diese Sylbe einer Menge derselben vorgesetzet wird, ohne daß ihre Bedeutung dadurch eine beträchtliche Veränderung erlitte. Dergleichen Zeitwörter sind z.B. gebären, gebrauchen,[439] gebrechen, gebühren, gedeihen, gedenken, gedulden, gefallen, gefrieren, gefristen, gehaben, gehorchen, gehören, gelangen, geleben, gelieben, geleiten, geliefern, gelingen, geloben, gelüsten, gemahnen, genesen, genießen, gereden, gereichen, gereuen, gerinnen, geruhen, geschehen, geschweigen, geschwellen, gesegnen, gestatten, gestehen, getrauen, getrösten, gewohnen, geziemen u.s.f.

Daß das ge in allen diesen und andern ähnlichen Zeitwörtern eine bloß müßige Oberdeutsche Verlängerung ist, welche aus der hauchenden Mundart der mittlern Alemannen ihren Ursprung hat, erhellet auch daraus, weil alle obige Zeitwörter ehedem nur in ihrer einfachen Gestalt üblich waren, und es in einigen, besonders Niederdeutschen Mundarten, noch sind, ohne daß ihrer Bedeutung oder ihrem Nachdrucke etwas abginge. Für gelüsten sagt der Niedersachse lüsten, für gebühren bören, für gedeihen digen, für gehören hören u.s.f. Selbst im Hochdeutschen sind für gebrauchen, gedenken, geleiten, gefrieren, gefristen, geleben u.s.f. auch nur die einfachen brauchen, denken, leiten u.s.f. üblich, ob man gleich in den spätern Zeiten zuweilen beyde Formen zu unterscheiden gesucht hat.

Die Oberdeutsche Mundart setzet dieses ge- noch einer Menge anderer Zeitwörter vor, welche im Hochdeutschen nur in der einfachen Form üblich sind; z.B. ginennen, gizellen, giresten, giduan, gisingen, gisehen, gilernen u.s.f. bey dem Ottfried, für nennen, zählen, rasten, thun, singen, sehen, lernen; gereden, gelachen, gesagen, und tausend andere bey den Schwäbischen Dichtern; gedünken, genahen, geseyn, gelesen u.s.f. im Theuerdank; gelösen, gespüren, gedienen, gehelfen, gestillen, gesagen, u.s.f. bey dem Opitz und neuern Oberdeutschen Schriftstellern. Ja man wird fast kein einziges einfaches Zeitwort finden, welches nicht in einer oder der andern Oberdeutschen Gegend mit dieser müßigen Verlängerung üblich wäre.

2. Von dieser hauchenden Verlängerung scheinet das Augmentum ge -in dem Mittelworte der vergangenen Zeit und den damit zusammen gesetzten Zeiten der Zeitwörter der Hoch- und Oberdeutschen ein Überbleibsel zu seyn. Dieses Augmentum bekommen nicht nur die einfachen Zeitwörter, sondern auch diejenigen, welche mit Nennwörtern, Beywörtern und trennbaren Vorwörtern zusammen gesetzet sind. Ich habe gesungen; wir werden geliebt; ein geehrter Freund; die Spitze ist abgebrochen; er hat übel hausgehalten. Bey den zusammen gesetzten Zeitwörtern bekommt es gemeiniglich seine Stelle in der Mitte unmittelbar vor dem Zeitworte. Gerechtfertiget, gerathschlaget und noch einige andere setzen es voran. Die Zeitwörter auf -iren, sie mögen nun aus fremden Sprachen entlehnet, oder nach fremder Art aus einheimischen Wörtern gebildet seyn, und die wo der Ton auf dem Verbo, nicht aber auf der Partikel ruhet, bekommen es nicht. Buchstabiret, haseliret, er wurde durchbōhret, man hat uns hinterbrácht, er hat es volléndet. Doch machen einige mit miß und un zusammen gesetzte Zeitwörter, ingleichen afterreden, eine Ausnahme; S. diese Wörter.

Dieses im Hochdeutschen nunmehr unentbehrliche Augment, welches in den angezeigten Fällen nicht weggelassen werden kann, ist in den übrigen Mundarten nicht so nothwendig. Die Niedersächsische kennet es gar nicht, und verschiedene Oberdeutsche Gegenden lassen es im gemeinen Leben, wenigstens in vielen Fällen, häufig weg. Ich bin kommen, sie haben gessen, er hats geben, wir sind gangen, er ist reich worden, er hats than u.s.f. Selbst im Hochdeutschen wird es zuweilen von den Dichtern verbissen.


[440] Mir ist kein Wunsch mehr übrig blieben,

Gell.


Hat mir die Sprache wiederbracht,

Gottsch.


Aber freylich mit einem merklichen Übelklange.

II. Hauptwörter. Auch hier ist das ge-

1. Eine bloß müßige Verlängerung, welche von der Oberdeutschen Liebe zum Hauche und zu eingebildeten Nachdrücken ihren Ursprung hat. Dergleichen sind, das Genick, das Gebieth, die Geburt, das Gefängniß, die Geberde, das Gedächtniß, der Gebrauch, das Gebrechen, das Gebräude, das Geboth, das Gebiß, das Geäß, der Gehülfe, das Geschäft, das Geschenk, das Geschöpf, das Gesenk, das Gesicht, das Gespräch, das Gespinst, das Gestell, das Gesuch, das Gestift, das Gemählde, das Gedicht, das Gebinde, das Gebläse, das Gefühl, das Gehäge, das Gehau, der Geruch, der Geschmack, das Gewölbe, der Gebauer, die Gebreite, die Geduld, die Gewalt u.s.f.

Viele dieser Wörter kommen unstreitig von der vergangenen Zeit ihrer Zeitwörter her, und da wäre das ge ein Überbleibsel des Augmentes; daß es aber auch hier nicht eigentlich wesentlich ist, erhellet daraus, daß alle diese Wörter auch ohne diese Sylbe gefunden werden, und viele im Niedersächsischen nicht anders üblich sind. Der Niedersachse sagt Dechtniß, Brunk, Brek, Broue, Both, Bit, Hlilpe, Hete u.s.f. für Gedächtniß, Gebrauch, Gebrechen, Gebräude, Geboth, Gebiß, Gehülfe, Geheiß. Selbst im Oberdeutschen findet man Bieth, Burt, Fanknìß, Berde, Heiß, Schoß, Walt u.s.f. für Gebieth, Geburt, Gefängniß, Geberde, Geheiß, Geschoß, Gewalt.

Indessen finden sich im Oberdeutschen noch weit mehrere dieser zusammen gesetzten Wörter, welche im Hochdeutschen nur in ihrer einfachen Form üblich sind. Gizungi, Ottfr. für Zunge; Gespor, Gethat, Theuerd. für Spur, That; Geschau für Schau, Geschrift für Schrift, Gebahn für Bahn, Gebürsch für Bürsche, Gemark für Mark, Geschloß für Schloß, Geschmuck für Schmuck, Gestück für Stück, Gezeit für Zeit u.s.f.

2. Nicht so gedankenleer ist diese Sylbe, wenn sie dazu gebraucht wird, Collectiva und Iterativa zu bilden.

1) Collectiva, eine Versammlung mehrerer Dinge Einer Art zu bezeichnen, da denn das Ge- dem Individuo vorgesetzet wird, diese Mehrheit anzudeuten. Dergleichen sind das Geflügel, Gebein, Geschmeiß, Getreide, Geschmeide, ein Gebett Betten, das Geleucht, Gerüst, Gescheide, Geschiebe, Geschirr, Gesinde, Gestein, Geweih, u.s.f. Die Selbstlauter a, o und u, werden dabey in ä, ö und ü verwandelt. Gewürm, Gewölk, Geblüt, Gewässer, Gesträuch, Gebäu, Gebrüder, Gebüsch, Gedärm, Gefäß, Gehäuse, Gehölz, Gehörn, Getäfel, Geäder, Gebälk, Gebläse, alles was zum Blasen gehöret, Gekrätz, Gekröse, Gemäuer, Gemüth, Gepäck, Gesäme, Gewürz u.s.f. von Wurm, Wolke, Blut, Wasser u.s.f. Der Selbstlaut e aber gemeiniglich in i oder ie. Das Gebirge von Berg, (nicht Gebürge) Gestirn von Stern, Gefilde von Feld, Gefieder von Feder, Geschwister von Schwester. Alle diese Collectiva sind ungewissen Geschlechtes, werden großen Theils nur in der einfachen Zahl gebraucht, und bedürfen am Ende keines e, wenn nicht die Beschaffenheit des letzten Mitlauters ein e euphonicum nothwendig macht. Daher sagt man nicht richtig das Geblüte, Gewölke, Gehölze, sondern Geblüt, Gewölk, Gehölz; wohl aber Gesinde, Geschiebe, Gebinde, Gebirge, Gescheide, Gekröse, Gehäuse, weil die Aussprache der Endconsonanten b, d, g, s, ohne dieses e härter werden würde. Doch behalten auch diejenigen, welche von Fämininis gebildet werden, die sich auf e endigen, dieses[441] ihr e; das Gerinne, Gerippe, (nicht so richtig Geripp,) Gebräme. Siehe E.

2) Iterativa, eine öftere Wiederhohlung einer und eben derselben Sache, oder die Fortdauer einer Handlung anzudeuten. Alle diese Wörter werden aus Infinitiven mit Wegwerfung des n gebildet, leiden keinen Plural, sind gleichfalls Neutra, gehören aber größten Theils in die niedrige Sprechart. Das Gebammel, Gebelfer, Gebeiße, Gebelle, Gebettel, Gebrumme, Gedehne, Gedresche, Gesindel, Geflatter, Geflister, Gefluche, Gefrage, Geklatsche, Geklingel, Gelache, Gelaufe, Gemurmel, Geplapper, Gepolter, Geprahle, Gerede, Gerumpel, Gesage, Geschmiere, Geschnatter, Gesumse, Geweine, Gezanke u.s.f. Ja im gemeinen Leben pflegt man aus allen Zeitwörtern dergleichen Iterativa zu bilden, wenn man die mehrmahlige Wiederhohlung oder die Fortdauer einer Sache auf eine verächtliche Art bezeichnen will. Es würde eine unnöthige Weitläufigkeit seyn, alle diese Wörter in der Folge besonders anzuführen; zumahl da sie, wie schon gesagt worden, größten Theils niedrig sind. Es werden also nur einige der gangbarsten beygebracht werden können.

In einigen Wörtern dieser Art wird auch das e des Infinitivs weggelassen, wie in Gebrüll, Geheul u.s.f. für Gebrülle u.s.f. und diese scheinen älter zu seyn, haben keinen verächtlichen Nebenbegriff und können auch in der edlen Schreibart gebraucht werden.

So bestimmt die Bedeutung der Sylbe ge -in diesen beyden Arten der Wörter ist, so sind doch viele hin und wieder auch ohne dieselbe üblich. Für Getreide sagt man im Oberdeutschen auch Traid, für Gebirge Pyrg, für Geschwätz Schwatz, für Geräusch im Nieders. Rusk. Ge scheint in dieser collectiven Bedeutung mit dem Lat. co, con und cum aus Einer Quelle herzufließen, und schon Ulphilas gebraucht ga als ein Merkmahl der Verbindung. Garaznans sind bey ihm Nachbarn, von Razn, das Haus; Gasinthja die Begleitung, das Gesinde, von Sinth, der Weg; Gadailans die Theilhaber, von Dail, Theil u.s.f.

Die Niedersachsen und die mit ihnen verwandten Nordischen Völker haben eine besondere Art, die öftere Wiederhohlung einer Handlung durch die Wiederhohlung des Zeitwortes selbst zu bezeichnen. Dergleichen sind das Schwed. Pickpack, das Gepacke, Hwiskwask, das Gewäsche, Snicksnack, das Geschnacke, Willerwalla, das Gemühle, Tissltassl, im Engl. Title-tatle, das Gemurmel, und das Hochdeutsche Fickfack und Mischmasch. S. diese Wörter.

III. Bey- und Nebenwörter, wo das ge wiederum die müßige Alemannische Verlängerung ist. Gebirgig, im Oberd. bürgig; geschwinde, im 13ten Jahrhunderte swind; genau Nieders. nau, Angels. hneaw; gerecht für recht; gemach, Nieders. mak; genäschig, näschig; gelinde, im Theuerd. linde. So auch gefräßig, gehässig, gedrange, geheim, gelehrig, gelenk, gemein, gerade, geraum, geringe, geschlank, gestrenge, gesund, getreu, getrost, gewahr, gewiß u.s.f.

Anm. Diese Sylbe ge hat in allen den Fällen, wo sie gebraucht wird, niemahls den Ton. Oben ist schon gesagt worden, das sie, außer wenn sie Collectiva und Frequentativa bildet, aus dem Oberdeutschen Hauche entstanden ist. Dieser Hauch wurde nicht alle Mahl durch ge, sondern oft nur durch ein bloßes g angedeutet. Ein solches unbedeutendes bloß hauchendes g nahm seine Stelle gern vor den Wörtern, welche sich mit l, n und r anfangen, dergleichen in Glaube, gleich, Glück, Glied, Glimpf, gleiten, glühen, Glocke, Gnätz, Gnade, Grind, Graf,[442] Grenze, Grütze, Gras, greifen u.s.f. angetroffen wird, welche Wörter die Niedersachsen noch zum Theil ohne diesen Hauch haben; löven für glauben, Love für Glaube, Lied für Glied, lik für gleich. In andern ist er in ein k übergegangen, wie in Klepper, klug, kratzen, Knote, knicken, knacken u.s.f.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 439-443.
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