Geschweigen

[618] Geschweigen, verb. welches in doppelter Gestalt vorkommt.

I. Als ein Neutrum, mit irregulärer Conjugation, (siehe Schweigen,) wo es das mit der Vorsylbe ge verlängerte Zeitwort schweigen ist. Im Hochdeutschen ist es in dieser Form ungewöhnlich, außer daß man es in der ersten Person des Präsentis und im Infinitive mit dem Wörtchen zu gebraucht, für, mit Stillschweigen übergehen, nicht erwähnen; da es denn die zweyte Endung der Sache erfordert. Brot und Fleisch ist dorten sehr theuer, ich geschweige der andern Dinge, oder, der andern Dinge zu geschweigen. Dein Freund ist ein Spieler, ich geschweige seiner andern Laster, oder, seiner andern Laster zu geschweigen. Cajus hat seither viel Böses verübet, dessen zu geschweigen, was er in seiner Jugend begangen hat. Oft, besonders in der Sprache des täglichen Umganges, macht es eine Art von Gradation, da denn so wohl das Pronomen ich, als auch der Genitiv wegfällt. Ich habe ihn nicht gesehen, geschweige gesprochen, oder, geschweige, daß ich ihn sollte gesprochen haben; d.i. ich habe ihn nicht sprechen können, da ich ihn nicht einmahl gesehen habe.[618] Man kann sich in den Gebäuden kaum der Kälte enthalten, geschweige, oder zu geschweigen auf der Gasse. Ich fürchte mich vor seiner Freundlichkeit, geschweige vor seinem Zorne. Man konnte ihn in der Jugend zu nichts bringen, geschweige, oder zu geschweigen im Alter.

II. Als ein Activum, oder vielmehr Factitivum, mit regulärer Conjugation, zum Stillschweigen bringen, und figürlich, befriedigen; in welchem Verstande es nur im gemeinen Leben gebraucht wird, wo auch das einfache schweigen in eben dieser Bedeutung üblich ist. Die Gottlosen müssen in der Hölle geschweiget werden, Ps. 31, 18. Mit Gaben geschweiget man die Kinder. So bedeutet kesueigen schon bey dem Notker schweigen machen, und Graf Conrad von Kirchberg sagt zum Winter, du gesweigest uns diu vögellin.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 618-619.
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