Gießen

[684] Gießen, verb. irreg. act. ich gieße, du gießest, Oberd. geußst, er gießet oder gießt, Oberd. geußt; Imperf. ich góß; Mittelw. gegossen; Imperat. gieß, Oberd. geuß; einen flüssigen oder flüssig gemachten Körper durch Umkehrung oder doch Neigung des Gefäßes haufenweise heraus fließen lassen.

1. Eigentlich. Wasser an die Speise, Wein in das Faß, ein geschmolzenes Metall in die Form gießen. Wasser aus einem Geschirre in das andere gießen.

2. Figürlich. (a) Für begießen, im gemeinen Leben. Die Blumen gießen, den Garten gießen, d.i. begießen. (b) Für vergießen; ein im Hochdeutschen unbekannter Gebrauch. Zu gießen Menschenblut, Opitz. (c) Es wird stark gießen, d.i. regnen, im gemeinen Leben. Es hat die Nacht außerordentlich gegossen, geregnet. (d) In eine Form gießen, von flüssig gemachten festen Körpern. Zinn, Bley gießen, in gewisse Formen. Etwas in eine Form gießen. Ingleichen auf solche Art hervor bringen. Glocken, Kanonen, Mörser, Schriften, Schüsseln, Teller u.s.f. Ein gegossenes Bild. Gegossene Arbeit. (e) In reichem Maße mittheilen, in der höhern Schreibart. Ich will meinen Geist auf deinen Samen gießen, und meinen Segen auf deine Nachkommen, Es. 44, 3. Gott gießt seine Liebe in unsere Herzen.

Das Hauptwort die Gießung ist nur in einigen Zusammensetzungen üblich. S. Guß.

Anm. Bey dem Ottfried giezen, im Imperf. goz, im Imperat. kiuz, im Isländ. gusa, im Griech. χευσαι. Die Niedersächsische und die damit verwandten Mundarten verwandeln den Zischlaut in ein t, wie das Nieders. geten, das Holländ. ghieten, das Angels. geotan, das Dän. gyda, das Schwed. gjuta,[684] und das Goth. giutan. Es scheinet ein Frequentativum zu seyn, dessen Stammwort noch in dem Griech. χυειν übrig ist. Man hatte ehedem auch ein Neutrum gießen, welches fließen bedeutete, wie das Goth. gutan, wohin auch Gota, Giota, ein Canal, das Lat. Gutta, ein Tropfen, und unser Deutsches Gosse gehören. Im Albanischen ist Gjusi eine jede Feuchtigkeit. Durch Vorsetzung des Zischlautes ist aus gießen unser schießen, und aus dem Niederdeutschen geten und keuten, welches letztere aus einem Gefäße in das andere gießen bedeutet, schütten entstanden, ungeachtet beyde von weiterm Umfange der Bedeutung sind. Im Chaldäischen bedeutet שדה, und im Ital. gettare, so wohl gießen, als schießen und werfen. Auch das Lat. jacere in der thätigen Bedeutung gehöret dahin. Siehe Schießen und Schütten.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 684-685.
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