Leben

[1952] Leben, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert. 1. * Im eigentlichsten Verstande, schreyen, lärmen, einen starken Schall hervor bringen. Diese Bedeutung, in welcher das Wort zugleich eine sinnliche Nachahmung des Schalles ist, ist unstreitig die erste und ursprünglichste, in welcher es zugleich mit dem Nieders. leuen, brüllen, blöcken, und unserm Löwe verwandt ist. Daß indessen auch unser Leben diese Bedeutung gehabt haben müsse, erhellet aus dem folgenden Hauptworte das Leben, welches noch in derselben üblich ist.

2. Sich bewegen, entweder als eine Figur der vorigen Bedeutung, weil jeder starke Schall eine Bewegung voraus setzet, oder auch als eine eigene Onomatopöie bewegender Dinge, wo es mit wegen dem Laute nach überein kommt. 1) Überhaupt, wo es nur noch in einigen Fällen üblich ist. Es lebt alles an ihm, sagt man von einem Menschen, an welchem alle Glieder in steter Bewegung sind. Hier ist alles lebendig, sagt man, wenn man eine Bewegung irgend wo verspüret, deren Ursache man nicht weiß. Wie er leibt und lebt, im gemeinen Leben, wie er gestaltet ist, und als wenn er sich bewegte. In den Monseeischen Glossen ist lepen thun, handeln. Um dieser Bewegung willen heißt vermuthlich das Herz im Hebr. לט, nicht weil es der Grund des Lebens ist, denn so viel Anatomie verstanden die ersten Erfinder der Sprache wohl nicht, sondern weil dessen Bewegung auch von außen sichtbar ist. 2) * In engerm Verstande, den[1952] besondern Arten der Bewegung. So wurde leben ehedem auch für essen gebraucht. Daz heuues lebet, Notker, was Hen frißt.

3. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, eine Eigene Bewegung haben, die Kraft der willkührlichen Bewegung besitzen den Grund seiner eigenen Veränderungen in sich enthalten.

1) Eigentlich, wo dieses Wort dem todt oder leblos seyn entgegen gesetzet wird. Von allen Geistern und Thieren sagt man daher, daß sie leben, dagegen dieses Zeitwort von andern mit keiner willkührlichen Bewegungskraft versehenen Geschöpfen, nicht anders als höchstens figürlich gebraucht werden kann. Unser Freund lebt nicht mehr, er ist todt. Unsere Vorfahren lebten länger als wir. So lange ich lebe. Die Fische leben im Wasser, die Vögel in der Luft. Jemanden leben lassen. Er hat noch zu meiner Zeit gelebt. Die Zeit, wie lange ein Geschöpf lebet oder gelebt hat, wird durch die vierte Endung ausgedruckt. Er hat nur dreyßig Jahre gelebt. Wir leben kurze Zeit. Wenn ich zurück sehe, dann ist es als hätt ich einen langen Frühling gelebt, Geßn. Für jemand leben, sein Leben, seine Kräfte in dessen Dienste, zu dessen Besten verwenden, wofür man auch nur die dritte Endung gebraucht. Unser keiner lebt ihm (sich) selber, Röm. 14, 7. Dem Geschäfte, welches man erwählet hat, ganz leben, Gell. Nun wollen wir uns selber leben, und den niedern Stolz des Hofes nicht mehr unsers Andenkens würdigen, Kleist.

2) Figürlich. (a) Von der Art und Weise, theils wie man die Kraft willkührlicher Veränderungen anwendet, theils wie man solche erhält. α) Von jemanden, welcher sich alle Bequemlichkeit und alles Vergnügen zu verschaffen sucht, sagt man, er lebe gut.


Im Felde leben wir zwar schlechter,

Allein weit ruhiger als hier,

Michael. der Dichter.


Schlecht, elend leben. Auf einem großen Fuße leben. Eines Gnade leben, von dessen Gnade seinen Unterhalt haben. Seines Gefallens leben, nach seinem Gefallen; eine im Hochdeutschen veraltete R.A. β) Besonders im moralischen Verstande, von der Anwendung der willkührlichen Bewegungskraft im Verhältniß gegen gewisse Vorschriften und gegen das Gesetz. Fromm, gottlos, tugendhaft leben. In den Tag hinein leben. Ausschweifend, ordentlich leben. Nach der Gesundheit leben, die Regeln der Gesundheit beobachten. Man lehrt uns erst leben, wenn das Leben schon vorbey ist, sagt Montagne.


Er lebet, wie gar viel schließt dieses Wort nicht ein!

Ihr Weisen saget mir, heißt leben mehr als seyn?

Hag.


γ) Ingleichen, in Ansehung der Gesetze des Wohlstandes, der gesellschaftlichen Artigkeit. Er weiß zu leben, sagt man von einem Menschen, welcher diese Gesetze beobachtet. (b) Sich in gewissen dauerhaften Verhältnissen befinden. In einem Amte leben. Bey Hofe leben. In der Stadt, auf dem Lande leben. Ich kann unmöglich mit ihm leben. Wir leben schon zwey Jahre in Einem Hause. Ein Mensch, welcher niemahls in Gesellschaft gelebt hat. (c) Einem zu Willen leben, ihm zu Willen seyn, nach dessen Verlangen handeln. In einigen Fällen bedeutet es auch so viel als haben, hegen, wo es zugleich die zweyte Endung erfordert; welche Arten des Ausdruckes im Hochdeutschen veralten, der Oberdeutschen Mundart aber am geläufigsten sind. Das ich des trostes lebe, daß ich den Trost habe, Reinmar der Alte. Der Hoffnung, der Zuversicht, des Zutrauens leben, Hoffnung, Zuversicht u.s.f. haben. (d) Wirksam, geschäftig seyn, Einfluß auf den Willen haben. Christus lebt in mir, Gal. 2, 20. In dem Menschenfreunde lebt ein gütiges Verlangen, das in seiner Art gegen andere zu seyn, was Gott gegen alle ist, Gell.

[1953] Anm. In der dritten Hauptbedeutung schon bey dem Ulphilas liban, im Isidor leban, bey dem Kero leben, im Nieders. leven, im Angels. libban, lyfian, im Engl. to live, im Dän. leve, im Schwed. lefva. Das Activum dieses Neutrius ist wenigstens in der zweyten und zum Theil auch in der dritten Hauptbedeutung laben, S. 2. Laben.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1952-1954.
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1952 | 1953 | 1954
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