Lehren

[1986] Lehren, verb. reg. neutr. et act. welches im ersten Falle das Hülfswort haben erfordert. Es bedeutet,

1. * Im ersten und eigentlichsten Verstande, ein lautes Getöse machen, besonders schreyen, als ein Neutrum, wo es zugleich eine sinnliche Nachahmung des Geschreyes oder Getöses ist. In dieser Bedeutung ist es im Hochdeutschen veraltet. nur in den gemeinen Sprecharten kommt lören, lehren noch für schreyen, traurig heulen u.s.f. vor. S. Lärm und Plerren, welche gleichfalls zu dem Geschlechte dieses Wortes gehören.

2. * In engerm Verstande, mit deutlicher und lauter Stimme her- oder vorsagen; eine gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher ein gelehrter Eid ehedem ein Eid war, welchen man einem andern mit lauter Stimme vorsagte, und welcher auch ein gestabter Eid genannt wurde. S. auch Lesen, welches bey dem Kero noch leran lautet, und bloß durch die nicht ungewöhnliche Verwechselung des r und s aus diesem Worte entstanden ist.

3. In noch engerer, zum Theil aber auch weiterer Bedeutung, Fertigkeit, Begriffe und Kenntnisse beybringen, zunächst freylich durch mündlichen Vortrag, hernach aber auch auf jede andere Art.

1) Eigentlich. Der Prediger lehret auf der Kanzel, der Professor auf hohen Schulen. Christus lehrete oft auf den Gassen. Die Sache, welche man lehret, oder in und von welcher man andern Begriffe und Erkenntniß beyzubringen sucht, stehet in der vierten Endung. Die Weltweisheit, die Mathematik, die Arzeneykunst, die Gottesgelehrsamkeit lehren, d.i. ein Geschäft daraus machen, solche andern beyzubringen. Ein Fauler dünket sich weiser, denn sieben, die da Sitten lehren, Sprichw. 26, 16, Ich bins, der Gerechtigkeit lehret, Es. 63, 1. Ingleichen in weiterer und figürlicher Bedeutung. Armuth lehret viel Böses, Sir. 13, 10, gibt Gelegenheit, daß man sich böse Fertigkeiten verschaffet. Kreuz lehret Geduld. Die Erfahrung wird es lehren, es wird sich aus dem Erfolge erkennen lassen. Das lehret die Vernunft, das läßt sich aus der Vernunft erkennen. Statt des Accusativs kann auch ein Zeitwort Statt finden, welches alsdann im bloßen Infinitiv stehet, ohne das Wort zu. Reiten, singen, tanzen lehren, ein Geschäft daraus machen, andern diese Fertigkeit beyzubringen. Ingleichen, in weiterm und figürlichem Verstande. Noth lehrt beten. Anfechtung lehret aufs Wort merken, Es. 28, 19.

Die Person, welcher man Fertigkeit, Begriffe und Erkenntniß beyzubringen sucht, wird gleichfalls vermittelst der vierten Endung ausgedruckt. Daß sie lehren ihre Kinder, 5 Mos. 22, 11. Kein Lehrer lehret uns mehr, Ps. 74, 9. Lerne vor selbst, ehe du andere lehrest, Sir. 18, 20. Ihr dürft nicht, daß euch jemand lehre, 1 Joh. 2, 27. Welcher Accusativ der Person auch bleibt, wenn der Accusativ der Sache ausdrücklich Statt findet; nach dem Beyspiel der Zeitwörter fragen, heißen, nennen, und bey einigen auch kosten. Thaz ir mih lertut, was[1986] ihr mich lehrtet, Ottfried. Lere mich dine rechtunga, Notk. Du lertest mich iz, ebend. Die wil ich alle leren dich, die Winsbeckinn.


Frowe ir solt mich froeide leren,

Walther von Klingen.


Welche es nicht wissen, die lehret es, Esr. 7, 25. Lehre mich deine Rechte, Ps. 119, 12. Lehret solches eure Kinder, Tob. 4, 11. Er lehret die Elenden seinen Weg, Ps. 25, 9. Er lehrete sie viele Lieder, Geßn. Ältern, die ihre Kinder Weisheit und Sitten von den ersten Jahren an lehren, Gell. Wer lehrt das Auge seine Pflicht? ebend.


Sein Zorn lehrt ihn die Vorsichtigkeit,

Gell.


Sie haben mich heute eine Fabel gelehrt,

Gell.


Ingleichen mit dem Infinitiv, ohne zu. Si sol mich sprechen leren, Heinrich von Veldeck. Leirte sini man arabeiti lidin, Gedicht auf den heil. Anno. Den wolt er leren rechte tun, Winsbeck. Lehre mich thun nach deinem Wohlgefallen, Ps. 143, 10. Ein Kind singen, einen Hund tanzen, einen Vogel pfeifen lehren. Aus Schilf lehrete er sie Flöten machen, Geßn. Man lehre das Kind da vornehmlich erschrecken und sich schämen, wo es die Vernunft am meisten befiehlt, Gell. Lehren sie mich ihre Tugend nachahmen. Er schlichtete ihre kleinen Zwiste, und lehrete sie gütig seyn, Geßn. Nur alsdann, wenn der Infinitiv ein wenig weit hinter dem Zeitworte lehren stehet, ist das zu erträglich und oft nothwendig. Gleich einem ungezähmten Rosse, das noch kein Gebiß des Reiters gelehret hat, seine Schritte mit Vorsicht abzumessen, Dusch.


Der Knabe den Irin gelehrt,

Auf jede Schönheit der Natur zu merken,

Kleist.


Dagegen vor dem Zeitworte, und nahe hinter demselben das Wort zu alle Mahl ein Fehler seyn würde.

Da bey den Zeitwörtern, welche einen bloßen Infinitiv erfordern, dergleichen lassen, heißen, dürfen, können, finden, helfen, hören, mögen, müssen sehen u.s.f. sind, der bloße Infinitiv auch in den zusammen gesetzten Zeiten anstatt des Mittelwortes der vergangenen Zeit stehet, z.B. wer hat dich kommen heißen? für geheißen; ich habe ihn singen hören, für gehöret; so ahmen viele dieses auch mit den Zeitwörtern lehren und lernen nach. Ich habe ihn singen lehren, für gelehrt. Ein Umgang von etlichen Monathen hat mich sie kennen lehren.


Euch Künstler kann ich leicht entbehren,

Mich hat die Liebe zeichnen lehren,

Thümmel.


Dagegen andere, und zwar zum Vortheile des Wohlklanges bey diesem Zeitworte, lieber der ordentlichen Regel folgen. Alles hat mich sein Herz kennen gelehret. Ein zwanzigjähriger Ehestand hat mich die Vortrefflichkeit der bösen Männer einsehen gelehrt, Raben.

Da diejenigen Zeitwörter, welche einen doppelten Accusativ, nehmlich einen der Person und einen der Sache erfordern, im Deutschen sehr selten sind, indem nur nennen, heißen und in einigen Fällen auch fragen, auf diese Art gebraucht werden, (denn kosten kann noch sehr streitig gemacht werden:) so wollen einige auch lehren lieber mit der dritten Endung der Person verbinden, wenn die vierte Endung der Sache ausdrücklich dabey stehet. Jede Rettung, die ihm das Gegentheil lehret, Herd. Die Biene in ihrem Korbe bauet mit der Weisheit, die Egeria ihrem Numa nicht lehren konnte, ebend.


Sagt Sterbliche den Sphären ihre Zahlen

Und lehrt dem wilden Winde seinen Lauf,

Raml.


[1987] Da nun auch im gemeinen Leben, und besonders unter Ungelehrten, der Dativ in diesem Falle fast allgemein ist: so kann es seyn, daß die vierte Endung bloß nach dem Muster des Lateinischen docere eingeführet ist. Hierzu kommt, daß im Passivo wohl noch niemand gesagt hat: diese Kunst wird andere nur für Geld gelehret, sondern in der dritten Endung andern; woraus denn zu erhellen scheinet, daß diese Endung auch im Activo Statt finden müsse. Indessen ist der Accusativ, wie aus den obigen Beyspielen erhellet, schon so alt, und in Schriften nunmehr so allgemein, daß er für einen Schriftsteller beynahe zu einer verbindlichen Regel geworden ist. Der Accusativ der Sache, oder der Infinitiv des Zeitwortes, schließen die Umschreibung vermittelst einer Partikel nicht aus. Herr lehre mich, daß mein Leben ein Ziel hat, Ps. 39, 5. Lehre mich, wie ich es anfangen soll. Im gemeinen Leben begleitet es oft ein mit Unwillen verbundenes Verboth. Ich will dich schweigen lehren. Warte! ich werde dich gehen lehren.

Das Mittelwort der vergangenen Zeit gelehrt, wird sehr häufig als ein besonderes Beywort gebraucht. S. dasselbe besonders an seinem Orte.

2) * Figürlich für lernen. Dadurch ir die kriegshendel lert, Theuerd. Kap. 76.


Wollt ir dann noch mer leren pas

Die schwein zu stechen zu roß,

Theuerd. Kap. 41.


In der reinen und anständigen Schreibart ist diese Bedeutung nunmehr veraltet, ob sie gleich im gemeinen Leben noch häufig genug vorkommt, jemanden zeichnen lehren; so wie lernen eben daselbst sehr oft für lehren gesetzt wird. Der heutige Unterschied zwischen lehren und lernen scheinet auch nur bloß durch den Gebrauch eingeführet, und in der Bildung beyder Wörter nicht gegründet zu seyn; S. Lernen. Über dieß bedeuten das Nieders. leeren, das Angels. laeran, das Schwed. lära und Dän. läre, so wie das Franz. apprendre, so wohl lehren als lernen; in welcher zwiefachen Bedeutung, wovon die eine der andern entgegen gesetzt zu seyn scheinet, es mit borgen, lehnen, leihen u.a.m. überein kommt. Diese Zweydeutigkeit hat sich noch in verschiedenen Zusammensetzungen erhalten; z.B. Lehrbrief, gelehrig, Lehrbegierde u.s.f. wo es für lern – stehet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1986-1988.
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