Vorgeben

[1265] Vorgêben, verb. irregul. act. S. Geben, welches nach Maßgebung der Partikel vor in verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. 1. Von vor, eher, der Zeit nach, wäre vorgeben, eher geben, im Gegensatze des nachgeben; welche Bedeutung aber wenig vorkommt, obgleich Frisch dieselbe anführet. 2. Von vor, voraus, gibt man in verschiedenen Spielen, z.B. dem Billiard-Spiele, jemanden einen, zwey, drey Points u.s.f. vor, wenn man einem schwächern Spieler selbige voraus gibt, ihn von zwey, drey u.s.f. an zählen lässet, da man selbst von eins an zählet. 3. Von vor, so fern es dem Orte nach von einem andern Dinge bedeutet. (1) Wie Vorlegen. Dem Viehe Futter vorgeben, vorlegen. Das Gesetz, das ich ihnen vorgegeben habe, verlassen sie, Jer. 9, 13; vorgeleget. In dieser Bedeutung wird es wenig mehr gebraucht. Daß ihr ob den Glauben kämpfet, der einmahl den Heiligen vorgegeben ist, Br. Jud. v. 3. (2) In engerm Verstande, zu thun vorlegen; wofür doch aufgeben üblicher ist. Jemanden etwas zu thun vorgeben. Er weiß allerley Dinge künstlich zu machen, welche man ihm vorgiebt, 2 Chron. 2. 14. Manche wollen es in dieser Bedeutung fürgeben, geschrieben wissen, welches aber irrig ist, indem vor[1265] hier unleugbar den Begriff des Ortes hat. 4. Hervor geben, doch nur in figürlicher Bedeutung des Zeitwortes geben, andern durch Worte merklich machen, behaupten, sagen, äußern. (1) * Überhaupt, in welchem Verstande es doch veraltet ist. Was gilts, ob meine Zunge unrecht habe, und mein Mund Böses vorgebe, Hiob 6, 30. Ihr haltet euch alle für klug, warum gebet ihr denn solche unnütze Dinge vor? Kap. 27, 12. Darum gibt Hiob stolze Theidinge vor mit Unverstand, Kap. 35, 16. Wo es überall so viel, als vorbringen, bedeutet. (2) In einigen engern Bedeutungen, in welchen es den Nebenbegriff des ungegründeten hat. (a) Etwas ungegründetes behaupten, oder doch etwas behaupten, woran man zu zweifeln Ursache hat. Der Gerechte, sprechen die Gottlosen, giebt vor, daß er Gott kenne, Weish. 2, 13. Sie geben vor, man müsse allenthalben Gewinnst suchen, Weish. 15, 12. Theudas gab vor, er wäre etwas, Apost. 5, 36. Der Widerwärtige gibt vor, er sey Gott, 2 Thess. 2, 4. Jetzt gibt er bey meiner Nichte Heirathens vor, Weiße; welche Wortfügung mit der zweyten Endung doch nur in einigen gemeinen Mundarten üblich ist. (b) In noch engerm Verstande, etwas, das nicht ist, als eine Ursache, eine Entschuldigung, anführen; wie vorwenden, vorschützen. Eine Krankheit vorgeben. Es wird in dieser ganzen vierten Bedeutung von einigen gleichfalls fürgeben geschrieben und gesprochen, als wenn hier der Begriff des anstatt der herrschende wäre; allein es ist wahrscheinlicher, daß vor hier für hervor stehet, welche Bedeutung auch in vorbringen, vorwenden, vorschützen u.s.f. herrschet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1265-1266.
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