[263] Marcus Tullius Cicero, ein Mann, den wir, ungeachtet seiner Fehler, dennoch einstimmig bewundern müssen, und der als Staatsmann und Gelehrter unsterbliche Lorbern errang, war zu Arpinum, in der heutigen Terra di Lavoro in Unteritalien, 648 nach Erb. Roms (106 vor der christlichen Zeitrechnung) geboren, kam als Jüngling nach Rom, und studirte hier, so wie nachher in Griechenland, besonders in Athen, unter den besten Lehrern Rechtsgelehrsamkeit, Philosophie, Beredsamkeit und Dichtkunst, schrieb schon in seinen frühern Jahren viele Gedichte, in denen er sich jedoch nie sehr über das Mittelmäßige erhob, that sich auf der Rednerbühne vor allen Zeitgenossen hervor, übertraf hierin bald sogar alle Griechen, den einzigen Demosthenes ausgenommen, und schrieb unschätzbare philosophische Werke, worin er die Griechen, besonders aber die Academiker (Nachfolger des Plato und die Stoiker befolgte, und ihre Ideen mit außerordentlichem Glück seiner Nation mittheilte. Sein Ruhm stieg; er erhielt eine Ehrenstelle nach der andern, verwaltete sie alle mit ausnehmender Klugheit, Rechtschaffenheit und Uneigennützigkeit, und ward endlich, (691 nach Erb. Roms) bloß aus allgemeiner Achtung für seine ungemeinen Verdienste, Consul, da er eigentlich wegen seiner Geburt zu dieser Würde unfähig war. Als Consul zerstörte er mit größter Lebensgefahr die Verschwörung seines persönlichen Feindes Catilina (s. Catilina) – und erhielt deßwegen den glorreichen Beinamen des Vaters des Vaterlands. Allein feine Geistesgröße und unerschütterliche Redlichkeit, so wie die Unterdrückung der oben angeführten Verschwörung, zogen ihm viel Neider und Feinde zu; und einer derselben, Clodius, ein[263] niederträchtiger Volkstribun, den Cäsar, Crassus und viele mächtige Römer unterstützten, brachte es durch Cabale dahin, daß er aus seinem Vaterlande vertrieben wurde (696 nach Erb. Roms). Hierbei verlor Cicero alle Standhaftigkeit und Geistesgegenwart, vergaß die wirksamsten Mittel zu seiner Rettung, und wandte sich aus dem undankbaren Vaterlande nach Macedonien. Auch hier betrug er sich noch außerordentlich kleinmüthig, und seine im Exil geschriebenen Briefe enthalten die demüthigsten und unwürdigsten Bitten. Clodius verfolgte indessen alle seine Freunde und zerstörte alle seine Güter. Im folgenden Jahre aber brachte Pompejus, den der ganze Senat und alle Patrioten unterstützten, seine Zurückberufung zu Stande, und ganz Italien bezeigte bei seiner Rückkehr eine ausnehmende, an Ausschweifung grenzende Freude. Als ihm dann die Verwaltung der Provinz Cilicien zufiel, schlug er die Parther in mehrern Gefechten, konnte aber die Ehre des Triumphs wegen der Hindernisse, die ihm seine Feinde in den Weg legten, nicht erlangen; und wirklich hatte ihn auch bloß Stolz angetrieben, darum zu bitten, denn der Feldzug war sehr unbedeutend. Bei den bürgerlichen Kriegen des Pompejus und Cäsar ergriff er des erstern Partei, weil er ihm Verbindlichkeiten schuldig war, und seine Sache ihm noch am wenigsten ungerecht schien, begleitete ihn auch selbst in den Krieg, betrug sich aber doch so zweideutig und schwankend, daß Cäsar ihm nach der Niederlage des Pompejus verzieh. Als dieser aber selbst ermordet worden war, lobte er die Mörder desselben öffentlich, wandte sich mit allen redlich gesinnten Freunden der Republik auf ihre Seite, suchte zwar anfänglich beide Parteien, die der Mörder und der Rächer des Cäsars, zu vereinigen, hielt aber bald gegen den Antonius, der nebst Octavius und andern die Gegenpartei anführte, viele heftige Reden. Allein weder diese Reden, noch die Tapferkeit der Republikaner konnten den stürzenden Freistaat retten; die Gegner siegten, und Antonius beschloß den Tod Ciceroʼs und unzähliger seiner Feinde. Dieser wollte nun nach Griechenland fliehen; allein ein Seesturm hielt ihn ab, und er ging mit den Worten wieder zurück: »Ich will in meinem Vaterlande sterben, das ich so oft gerettet habe.« Bald erreichten ihn die ausgesandten Mörder, hieben [264] ihm, da er eben in einer Sänfte getragen wurde, den Kopf ab, und der Unmensch Antonius ließ das Haupt des großen Mannes nebst dessen rechter Hand auf eben der Rednerbühne aufstecken, wo er einst mit allgemeinem Beifall gekrönt worden war. So unwürdig endigte sich das thatenvolle Leben dieses großen Römers, im 63sten Jahre seines Alters (711 nach Erbauung Roms). – Seine Verdienste für den Staat waren unverkennbar; und er würde noch weit mehr gethan haben, wenn er mit seiner großen Klugheit eben so viel Festigkeit und ausharrenden Muth verbunden hätte. Auch kann man nicht läugnen, daß Ehrgeitz, den er jedoch nie zum Schaden des Staats oder seiner Mitbürger befriedigte, die mächtigste Triebfeder seiner Handlungen war. Weit größer waren seine Verdienste in wissenschaftlicher Rücksicht; denn er verpflanzte die Griechische Philosophie nach Rom, trug zur Verbreitung der Wissenschaften mehr als irgend ein Römer vor ihm bei, war selbst ein großer Philosoph, brachte die in Italien noch sehr wenig bearbeitete Beredsamkeit bis zum höchsten Grade der Vollkommenheit, und blieb als Redner bis auf unsere Tage ein noch nie erreichtes Muster. Ihm verdanken wir ferner die höchste Ausbildung der Lateinischen Sprache, um die er sich desto verdienter gemacht hat, je roher er sie antraf.
Brockhaus-1837: Servius Tullius · Cicero
Brockhaus-1911: Servius Tullius · Tullius · Cicero · Cicero [2] · Johann Cicero
Eisler-1912: Cicero, M. Tullius
Heiligenlexikon-1858: Tullius, S.
Herder-1854: Servius Tullius · Tullius · Cicero [1] · Cicero [2]
Meyers-1905: Tiro, Marcus Tullius · Tullĭus · Servĭus Tullĭus · Cicĕro [1] · Cicĕro [2]