Johann François Marmontel

[81] Johann François Marmontel. Dieser Mann hat unter den Französischen Schriftstellern, welche das Gebiet der schönen Literatur bearbeitet haben, einen vorzüglichen Rang in der letzten Hälfte dieses Jahrhunderts erhalten; und seine moralischen Erzählungen1 werden wegen der feinen Schilderungen, welche[81] sie enthalten, und wegen der schönen und correcten Sprache, worin sie abgefaßt sind, noch lange die Lieblingslectüre der Freunde der Französischen Sprache bleiben. Eben so unterhaltend und lehrreich sind seine Incaʼs, oder die Geschichte der Zerstörung des Peruanischen Reichs, worin die liebenswürdige Einfalt der Wilden mit den angenehmsten Farben geschildert, und die Grausamkeit und Bekehrungswuth der Spanischen Abenteurer sehr wahr und erschütternd dargestellt wird. Im Belisaire wollte der Verfasser hauptsächlich den Fürsten einige Belehrung mittheilen; allein die Einförmigkeit der Erzählung macht die Lectüre dieses Buchs etwas trocken, und erweckt wenig Interesse für die handelnden Personen. Marmontel war Mitglied der Französischen Akademie und in den letzten Zeiten ihres Daseins beständiger Secretair derselben; man konnte es ihm also nicht ganz verdenken, daß ihm die im Jahre 1790 bewirkte Aufhebung aller Akademien in Frankreich empfindlich schmerzte, und daß er überhaupt mit der ganzen Revolution sehr unzufrieden war. Der Titel eines Historiographen Frankreichs, den er schon lange geführt hatte, ging nun auch für ihn verloren; und es blieb ihm nichts übrig, als sich auf ein Landgut zurückzuziehen, das er in der Nähe von Paris besitzt. Er wurde zwar 1796 zum Associirten des neu angelegten National-Instituts ernannt; allein bis jetzt hat er sich noch nicht als thätiges Mitglied gezeigt, und entsagt unstreitig aus Liebe zur Einsamkeit und Ruhe in seinem hohen Alter freiwillig der Ehre, unter den neuen Literatoren des republikanischen Frankreichs eine Stelle einzunehmen. Er erschien aber dessen ungeachtet 1797 als Mitglied des Rathes der Alten, wozu ihn sein Departement erwählt hatte. So groß auch immer die Achtung war, welche man ihm als einem Veteranen der Französischen Literatur bezeugen zu müssen glaubte; so konnten sich doch die republikanischen Mitglieder des Conseils nicht enthalten, ihre Unzufriedenheit mit ihm öffentlich zu bekennen, da seine Grundsätze royalistisch waren, und er sich mit dem Feuereifer eines Zeloten der katholischen Religion annahm, über deren Despotie er in seinen Schriften sonst heftig geklagt und Toleranz vor allen andern Tugenden anempfohlen hatte. Er war aber doch so glücklich, nicht [82] mit in dem Artest-Decrete vom 4. Sept. 1797 begriffen zu sein, weil das Directorium wahrscheinlich sein Alter und seine ehemahligen Verdienste ehren wollte. Indessen wurde Marmontel doch am 30. Jan. 1798 in St. Anbin für Gallien (im Depart. der Eure) ergriffen und in das Gefängniß nach Verneuil abgeführt, aber kurz darauf wieder in Freiheit gesetzt, weil seine Angeber sich in der Person geirrt hatten.


Fußnoten

1 Von denen uns Herr Hofrath Schütz eine meisterhafte Uebersetzung liefert, wovon bis jetzt zwei Theile erschienen sind.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 81-83.
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